Tottenham gegen Liverpool

Das englische Duell um den Champions-League-Titel. "Heute" macht den großen Check. Wer erklimmt am Samstag den Thron?

Harry Kane und Mo Salah - die Superstars im Kampf um den Titel

Wie durch ein Wunder stehen sich Tottenham und Liverpool im Endspiel um den europäischen Thron gegenüber. Beide lagen im Halbfinale mit drei Toren zurück. Beide Totgeglaubten schafften die Wende. Emotionen pur.

Liverpool schaltete Barca nach dem 0:3 im Hinspiel mit einem 4:0 in Anfield aus. Die Spurs lagen in Amsterdam 0:2 zurück, gesamt 0:3. Drei Auswärtstore in der zweiten Hälfte, das letzte in der Nachspielzeit, rissen Ajax aus dem Finaltraum.

Am Samstag kommt es zum englischen Showdown. Tottenham hatte niemand auf der Rechnung. Jetzt kämpfen die Nordlondoner von Coach Mauricio Pochettino (oben beim Jubel nach dem Finaleinzug) um ihren ersten Titel in der Champions League.

Im dritten Anlauf will sein Gegenüber Jürgen Klopp den Pokal endlich stemmen. 2018 verlor er das Finale mit den Reds gegen Real Madrid. 2013 musste er sich mit Dortmund den Bayern geschlagen geben.

Das Endspiel steht im Zeichen der Rückkehrer. Beiden Teams fehlten im Finale Schlüsselspieler. Bei beiden kehren Superstars rechtzeitig zurück. Folgend nimmt "Heute" die Kader unter die Lupe und zeigt die Stärken und Schwächen beider Teams.

Knipser Harry Kane wird bei Tottenham nach überstandener Knöchelverletzung (im Viertelfinale gegen Manchester City) zurück erwartet.

Mo Salah wird für Liverpool auf Torejagd gehen. Er hatte sich im Saisonfinish eine Gehirnerschütterung zugezogen, das Rückspiel gegen Barcelona verpasst.

Im Vorjahr schied er nach dem Judo-Wurf von Real-Kapitän Sergio Ramos im Finale vorzeitig aus. Jetzt will der Ägypter vorangehen, sein Team zum Turniersieg schießen.

Das stellt die Star-Trainer jeweils vor ein Luxus-Problem. Den unerwarteten Halbfinal-Helden droht im Kampf um den Titel auf beiden Seiten nur die Ersatzbank.

Die Rückkehr von Kane zwingt Pochettino zum Umbau in der Offensive. Die logische Folge: Lucas Moura verliert seinen Platz in der Startelf.

Das Problem: Lucas ist verantwortlich für die Finalteilnahme der Spurs. Im Alleingang schoss er sein Team mit einem lupenreinen Hattrick weiter.

Son Heung-min sollte nach einer starken Saison aber gesetzt sein. Auf einen fitten Harry Kane kann sein argentinischer Coach auch nicht verzichten. Dahinter sind Christian Eriksen und Dele Alli im offensiven Mittelfeld Fixstarter.

"Heute" tippt: Lucas bleibt nur die Rolle als Joker. Das muss für den Brasilianer aber nicht zwingend schlecht sein. Mit seinem Tempo kann ein frisch eingewechselter Lucas Moura in der Schlussphase zum entscheidenden Faktor werden.

Ein ähnliches Schicksal droht Liverpools beiden Doppeltorschützen gegen Barca: Divock Origi und Georginio Wijnaldum.

Nur durch Verletzungen kamen sie zu ihrem Startelf-Einsatz gegen die Katalanen. Mit jeweils zwei Treffern sorgten sie für das Wunder von Anfield.

Sowohl Roberto Firmino als auch Mo Salah kehren zurück. Damit wird's für beide eng. Im Sturm-Trio Mane-Firmino-Salah ist für Origi kein Platz.

Wijnaldum hat im Mittelfeld-Dreieck mit James Milner, Jordan Henderson, Fabinho große Konkurrenz.
"Heute"-Tipp: Kapitän Henderson startet neben Fabinho und Milner. Wijnaldum bleibt die Bank.

Der "Heute"-Check

Wer macht in der Gegenüberstellung das Rennen?

Trainer

Jürgen Klopp hat Final-Erfahrung, trägt aber gleichzeitig den Rucksack mit mehreren Niederlagen in selbigen mit sich herum. Trotzdem spricht die Routine im direkten Vergleich mit Mauricio Pochettino für ihn.

Klopp weiß, wie man gegen Tottenham gewinnt. Beide Saisonduelle entschieden die Reds mit 2:1 für sich. Dass eine hohe Pressinglinie mit flinken Angreifern längst kein Problem mehr darstellt, zeigen auch die Siege in den Duellen mit Manchester City.

Pochettino zeichnet vor allem seine Fähigkeit, wirksame Adaptionen während des Spiels vorzunehmen, aus. Jüngstes Beispiel. Zur Pause lagen die Spurs in Amsterdam 0:2 zurück. Ajax dominierte das Mittelfeld. Pochettino brachte mit Fernando Llorente zur Halbzeit einen wuchtigen Sturmtank, überspielte Frenkie de Jong und Co. mit hohen Bällen. Llorente gewann so gut wie jeden Zweikampf und war neben Lucas Moura der heimliche Matchwinner.

Fazit: Vorteil Klopp und Liverpool, 1:0!

Goalie

Hugo Lloris ist Weltmeister. Der Franzose hat viele Jahre in der Premier League, Champions League und mit dem Nationalteam auf dem Buckel.

Seine Reflexe sind top. Auf der Linie zählt er zu den stärksten Keepern der Welt.

Jetzt kommt das Aber. Lloris wackelt bei hohen Bällen. Es darf uns nicht wundern, wenn ihn Liverpool bei Ecken und Freistößen zustellt und selbige nah an den Goalie zirkelt, um seine Unsicherheiten auszunützen.

Das gilt auch für sein Spiel mit dem Ball. Lloris hat eine grobe Streuung bei langen Bällen. Mane und Salah werden ihn anpressen und zu Fehlern zu zwingen.

Top: Lloris ist meist hellwach und kommt gerne aus seinem Tor heraus. Als Sweeper-Keeper entschärft er so die eine oder andere Konter-Situation, erlaubt der Verteidigung, etwas höher zu stehen.

Alisson Becker entpuppte sich schnell als Goldkauf. Für 62,5 Millionen Euro wechselte der Brasilianer im Sommer von der Roma auf die Insel, wo er über die gesamte Spielzeit hinweg mit starken Leistungen überzeugte.

Sein größter Vorteil im Vergleich zu Lloris ist seine Stärke am Ball. Im Aufbau ist er damit wertvoll, leitet nicht selten schnelle Gegenstöße über die Flügel mit weiten Abschlägen ein.

Sein gutes Kurzpassspiel wird Liverpool helfen, die erste Pressinglinie der Spurs zu überspielen.

Alissons Reflexe sind gut. Auch in der Luft ist er etwas sicherer als sein Gegenüber. Nicht zuletzt aufgrund seiner drei Zentimeter Größenvorteil.

Fazit: 2:0 für Liverpool.

Abwehr

Virgil van Dijk gilt als derzeit bester Verteidiger der Welt. Zurecht. Seine Ruhe am Ball, sein Positions- und Kopfballspiel. Sein Timing bei Tacklings und seine Führungsstärke. Van Dijk bringt das volle Programm mit.

Er zieht seine Nebenmänner mit. Das ist auch nötig. Denn im Vergleich zu Tottenhams Jan Vertonghen und Toby Alderweireld fällt Liverpools zweiter Innenverteidiger ab. Egal, ob der Joel Matip, Joe Gomez oder Dejan Lovren heißt.

Van Dijk überstrahlt auf dieser Position alles. Das eingespielte, belgische Duo Vertonghen und Alderweireld muss sich aber nicht verstecken. Wackelkandidat: der unbekannte Zweite neben Van Dijk.

In der Außenverteidigung herrschen hingegen klare Verhältnisse. Liverpool ist auf beiden Seiten Weltklasse. Bei Tottenham gab es diese Saison Probleme.

Andrew Robertson ist defensivstark, hat eine Pferdelunge, ist flink und schlägt mittlerweile präzise Flanken. Über links ist er bei den Reds ein ständiger Gefahrenherd. Sein Pendant über rechts steht ihm um wenig nach. Trent Alexander-Arnold zählt mit nur 20 Jahren zu den Besten seiner Zunft. "TAA", wie er wegen seines langen Namens vereinfacht genannt wird, stellt gleichzeitig den frappantesten Unterschied zwischen beiden Mannschaften dar.

Rechtshinten ist die Heimat von Tottenhams Wackelkandidat Kieran Trippier. Bei der WM 2018 hatte er sich in England noch mit seinen Peitschen-Flanken als rechter Wingback in Szene gesetzt, durch seine Standards ständig für Gefahr gesorgt.

In der Viererkette der Spurs fiel er in den Monaten danach aber vielmehr durch schlechtes Stellungsspiel, missglückte Tacklings und grobe Schnitzer auf. Nicht nur einmal kosteten seine unbedachten Vorstöße oder Querpässe durch die Mitte den Spurs wichtige Punkte. Besonders in Spielen gegen Top-Gegner.

Die Alternative zu Trippier heißt Serge Aurier. Er schlug sich heuer immer wieder mit Wehwehchen herum. Zudem ist auch er für Kurzschluss-Aktionen bekannt. Nicht gerade, was sich ein Trainer vor einem Finale wünscht.

Danny Rose tastet sich auf links hingegen an seine Top-Form von 2017 heran. Dazwischen machten ihm Verletzungs-Probleme, familiäre Zwischenfälle und Depressionen zu schaffen. An einem guten Tag ist er ein Spieler, der den Unterschied ausmachen kann.

Fazit: Liverpool hat die besseren Außenverteidiger und "Anker" Van Dijk. 3:0 Liverpool.

Mittelfeld

Moussa Sissoko - die menschgewordene Dampflock. Für uns mit Abstand das wichtigste Puzzlestück der Spurs. Seine Entwicklung vom Fehlkauf und Buhmann zum Führungsspieler und Publikumsliebling ist beispiellos.

Sissoko ist die Konstante in der von Verletzungen gebeutelten Spurs-Mannschaft. Auf ihn war heuer Verlass. Ohne ihn wäre das Zentrum der Londoner über weite Strecken der Saison nicht existent gewesen.

Sissoko dominiert mit seinem wuchtigen Körper, bindet bei seinen Energie-Dribblings mehrere Gegenspieler und spult Kilometer ab, wie kaum ein anderer.

Ein Fragezeichen steht hinter Harry Winks. Wenn er fit ist, zählt er unbestritten zum Spurs-Stamm. Seine gläsernen Knöchel machen ihm aber ein ums andere Mal einen Strich durch die Rechnung. So wird auch das Finale für Winks zum Wettlauf mit der Zeit. Er flog mit dem Team nach Madrid. Ob es für die Startelf reicht, ist fraglich.

Sein Fehlen würde schmerzen. Winks erkennt Räume, lässt Gegner mit minimalen Bewegungen ins Leere laufen, erobert Bälle, und treibt das Spiel nach vorne. Alternative: Victor Wanyama. Er ist weit von seiner Bestform entfernt. Monatelang fehlte er verletzt, erst in den letzten Wochen tastete er sich wieder an die Startelf heran.

Vorne sind die Spurs aber ohne Zweifel Weltklasse. Christian Eriksen wird nicht umsonst mit Real Madrid in Verbindung gebracht. Er ist Top-Vorlagengeber in der Premier League, sieht Räume und Wege, die anderen verborgen bleiben. Neben dem Dänen sorgt Dele Alli für die unerwarteten Momente. Dele läuft zudem gern in die Spitze, kann auch Kopfbälle, und setzt seine Star-Angreifer mit dem finalen Pass ideal ein.

Liverpool zählt im bewährten 4-3-3 zumeist auf drei zweikampfstarke Spieler im Zentrum. Kapitän Jordan Henderson bringt die Erfahrung und Ruhe mit. Er spielt seit Jahren seine beste Saison, verringerte den Anteil an leichten Eigenfehlern.

James Milner findet man überall. Der Engländer läuft unermüdlich, schaltet sich gerne in den Angriff ein und sorgt für Torgefahr. Auch er wächst in dieser blendenden Spielzeit der Reds immer wieder über sich hinaus.

Fabinho ist im Gegensatz dazu so etwas wie Klopps "Entdeckung" der letzten Monate. Der Brasilianer brauchte einige Zeit, um sich nach seinem Wechsel vom AS Monaco zu akklimatisieren. Inzwischen ist er längst angekommen. Mehr als das. Der 1,88 Meter große Brocken räumt ab, dominiert im defensiven Zentrum.

Eine offensivere Variante zu ihnen stellt Genie Wijnaldum dar. Wie oben geschildert, stellte er seine Torgefahr im Halbfinale unter Beweis. Einst kam er als Offensiv-Kraft aus Holland zu Liverpool, wurde nach und nach zum zentralen Mittelfeldspieler umfunktioniert. Auch als Joker könnte er eine wichtige Rolle spielen.

Fazit: Leichtes Plus bei Tottenham. Die Blessuren von Eriksen, Dele und Sissoko sind überstanden. Ihr Drang nach vorne sticht die Reds aus. Nur mehr 3:1 für Liverpool.

Angriff

Das Ergebnis vorweg: Unentschieden!

Es treffen zwei der besten Angriffs-Reihen der Welt aufeinander. Schwierig, hier einen Unterschied auszumachen.

Liverpool hat mehr Breite im Spiel, kommt mit Ex-Salzburger Sadio Mane und Mo Salah gern über die Seite und zieht mit Tempo in die Mitte. Oder hinterläuft mit den gefährlichen Außenverteidigern. Besonders über links, die Seite von Unsicherheits-Faktor Trippier, bereitet das den Spurs Kopfzerbrechen.

In der Mitte agiert der zuletzt angeschlagene Roberto Firmino unfassbar agil und intelligent. Er lässt sich fallen, bindet Gegner, sieht, bespielt und beackert freie Räume. Über die speziellen Fähigkeiten von Salah und Mane, die beide 22 Liga-Tore auf dem Konto haben, brauchen wir nicht mehr viel sagen. Keinen der drei darf man auch nur eine Sekunde aus den Augen lassen.

Selbiges gilt für Son, Kane, Lucas. Son entwickelte sich in den vergangenen zwei Saisonen vom Edel-Joker zum Superstar. Mit drei Toren aus zwei Spielen eliminierte der Koreaner Manchester City im Viertelfinale.

In den beiden langen Verletzungspausen von Kane übernahm er Verantwortung und traf wie am Fließband.

Kane zählt zu den besten Mittelstürmern der Welt. Nicht nur seine Torgefahr und sein strammer Schuss zeichnen ihn aus. Er ist ein guter Pressing-Spieler, arbeitet gegen den Ball, lässt sich wie Firmino fallen und schlägt immer wieder filigrane Pässe, die man einem Mann seiner Statur nicht zutraut.

Lucas ist die Wundertüte der Spurs. Was er imstande ist zu leisten, zeigte er im Halbfinale und in der Liga gegen Bournemouth mit seinen Hattricks. Zum Liga-Auftakt wurde er Spieler des Monats. Dazwischen tauchte er phasenweise unter. Erwischt Lucas einen guten Tag, klebt der Ball förmlich an seinen Füßen.

"Wildcard": Fernando Llorente. Er passt nicht so richtig ins System. Genau das machte ihn heuer aber schon mehrfach so wichtig. Ob als Sturmtank und Ballverteiler, oder als "Strafraum-Kobra". Er kann vor allem in der Schlussphase ein Element bringen, das Liverpool überrumpelt.

Gesamt: 4:2 für Liverpool. Insgesamt haben die Reds mehr Final-Erfahrung und den ausgeglicheneren Kader. In einem Einzelspiel sollte das die Spurs-Fans aber nicht allzu sehr beunruhigen. Es ist genug Qualität im Kader, um das Finale für sich zu entscheiden.