Der Zug der Zeit

Gestern bahnte sich viel Neues den Weg. Ein Nightjet voller Politiker erreichte Brüssel, es war sehr bewegend.

Was das Beste aus beiden Welten ist, muss nicht mehr weiter ermittelt werden, denn es liegt verschriftlich als Regierungsprogramm vor. Was das Beste für die eine Welt ist, auf der wir leben, ist dagegen noch reichlich diffus, aber Österreichs Politiker kommen der Klärung zügig näher und das wortwörtlich. Es ist jetzt keine 195 Jahre her, dass mit der Eisenbahn erstmals Menschen befördert wurden. Die Pläne für „Lokomotive Nr. 1“ stammten von George Stephenson, die bewältigte Strecke zwischen Stockton und Darlington in Nordengland war neun Meilen lang. Großes beginnt oft klein, Kleines schaut oft groß aus, wer wenn nicht Österreichs Wähler wissen das.

Tatsächlich passierte gestern in der Geschichte der bemannten und befrauten Bodenbeförderungmobilität erneut Distruptives. Einem Nachtzug der ÖBB gelang es tatsächlich, bis in die belgische Hauptstadt Brüssel vorzustoßen, das Unterfangen nahm lediglich 14 Stunden in Anspruch. Verfolgt man die Berichterstattung in den sozialen Medien, dann scheint sich auf dem Planeten seit der Mondlandung nichts mehr annähernd so Spektakuläreres zugetragen zu haben. Unsere Enkel werden uns vielleicht dereinst einmal fragen, wo wir waren, als der Nightjet in Brüssel einfuhr.

Dieses Ereignis gehobener Schienenkunst galt es dementsprechend gebührend zu feiern. Montag um 10.53 Uhr stoppte der Zug pünktlich am Bahnsteig 6 des Brüsseler Südbahnhofes – Gleis 9 ¾ war vermutlich belegt. Die Kapelle intonierte „The night train is coming“, rote Teppichauslegeware verzierte den Bahnsteig, sogar der belgische Verkehrsminister François Bellot erschien. Zum ausgebuchten Zug gelangte nur wer eine Akkreditierung vorweisen konnte, denn er hatte sensible Fracht befördert, 12 Politiker aus Österreich, darunter die neue, grüne Klimaministerin Leonore Gewessler. Alle Parteien waren vertreten (oder hatten eine wasserdichte Entschuldigung), es ist politisch riskant geworden, auf den Klimaschutzzug eben nicht aufzuspringen. SPÖ-Abgeordneter Andreas Schieder gab am Bahnsteig spontan Interviews, in seinem quietschroten Thermoanorak wirkte er, als hätte er Amundsen und Scott am Weg zum Südpol überholt und wäre nun eben als Erster zurück.

Schön pomali, Leute

Als der Zug Brüssel entgegeneilte, spannte Gernot Blümel seine 12.900 Instagram-Fans gerade auf die Folter. Er postete ein paar Bilder von sich, die ihn dabei zeigten, wie er am Wiener Flughafen beiläufig in Unterlagen Einsicht nahm, die zufällig dagelegen haben müssen. Dazu stellte er eine Rätselaufgabe – „Heute geht es für mich nach...“ – und bot als Antwortmöglichkeiten „Brüssel“ oder „Berlin“ an. Weil es den meisten mutmaßlich recht wurscht gewesen sein dürfte, wo Blümel letztlich landete, wurde erst gar kein Preis für die richtige Antwort ausgelobt, eine gemeinsame Fahrt am Balance-Board , ein vergriffener Band Ovid oder ein Privatseminar über richtige Kontoführung wären angemessen gewesen. Der neue Finanzminister klärte schließlich das Mysterium selbst auf – "Brüssel" war es. Man sah Blümel da auf neuen Fotos schon im Flieger sitzen, er nahm erneut in Unterlagen Einsicht, darunter ein Blatt mit den Porträts und Funktionen seiner mutmaßlichen Gesprächspartner. Man will bei einer Premiere eben vorbereitet sein, wenn man im Flugzeug anreist und nicht in der Bahn ist die Zeit dafür ja reichlich knapp.

Mit dem Flieger dauert es 1 Stunde 45 Minuten nach Brüssel, das Ticket kostet ab 37 Euro, der CO2-Ausstoß pro Passagier ist allerdings zehnmal höher. Mit dem Zug ist man Ewigkeiten länger unterwegs (eben 14 Stunden) es gibt Tickets aber tatsächlich schon ab 29,90 Euro, dafür muss man freilich dann am Sitzplatz schlafen und erreicht Brüssel eher als Rollmops. Wer alleine im Single-Deluxe-Abteil mit Dusche, WC und Frühstück reisen will, muss 249 Euro hinlegen. Die ÖBB stellten gestern klar, dass alle Abgeordneten ihre Tickets selber bezahlt hatten und nicht die Bahn, also natürlich nicht die Abgeordneten selber, sondern die Steuerzahler, aber das kommt ja ziemlich auf das Gleiche raus.

Bis Sommer fährt der Nightjet (der schon gut gebucht sein soll) zweimal in der Woche, jeweils Montag und Mittwoch, nach Brüssel, dann gibt es eine Sommerpause, womit klar ist, für wen das Angebot gedacht ist – für EU-Abgeordnete und ihre Entourage. Wer bitte sonst sollte etwas in Brüssel zu suchen haben? Auf Twitter lobte man die Bahn dafür, dass ihre Züge nunmehr zügig nach Belgien kämen, lieber allerdings hätte man taugliche Verbindungen etwa von Wien nach Rechnitz oder von Wolfsberg nach Klagenfurt oder von Ried nach Graz. Das Volk klingt undankbar. Schön pomali, Leute, das kommt sicher noch. Und so toll hatten es die Politiker auch wieder nicht. Im Zug soll es nicht einmal WiFi gegeben haben.

"The night train is coming"

Nicht nur Bahnfahrer erleben dieser Tage ein Rendezvous mit der Realität, sondern auch Ferdinand Zvonimir Habsburg-Lothringen. Der Urenkel des letzten österreichischen Kaisers absolviert derzeit im ABC-Abwehrzentrum in Korneuburg (NÖ) seinen Grundwehrdienst, ich hatte darüber schon einmal etwas Kurzes geschrieben. Nunmehr gelang es auch „Heute“, in die Kaserne vorzudringen, um die Leserschaft abseits von „Neuer Post“ und „Goldenem Blatt“ mit hochwertigster Informationsware über das Blaublut auf den Laufenden zu halten. Etwa, dass Habsburg in einem 8-Bett-Zimmer schläft, dort „wie alle jeden Tag“ sein Bett selber macht und am Kasernenhof die Bundeshymne und nicht die Kaiserhymne singt, ob mit „Töchterstrophe“ blieb uns verborgen.

In Österreich ist ja nie ganz klar, ob das Wasserglas halbvoll oder halbleer ist. Deswegen weiß man bei Habsburg auch nicht, ob er seinen Grundwehrdienst nun schon zur Hälfte abgeleistet hat oder ihm noch eine Hälfte bevorsteht. Sicher ist, dass er nach vier Wochen ins Heeressportzentrum wechselt, um besser seiner eigentlichen Profession nachgehen zu können, Autofahren nämlich in der DTM, und das macht regelmäßiges Training erforderlich, warum auch immer. Das Bundesheer geht sich daneben schwer aus.

Ob die Ernährung im Heeresportzentrum artgerechter ist als im ABC-Abwehrzentrum, kann noch nicht hinreichend genau beantwortet werden, wir halten sie aber auf dem Laufenden. In Korneuburg findet der 22-Jährige das Essen jedenfalls „überraschend gut“, er vermisst aber wesentliche Bestandteile einer angemessenen Kost. Seine diesbezügliche Forderung kann von den gesamtstaatlichen Folgewirkungen her auf eine Stufe mit dem Friedensvertrag von Saint-Germain gestellt werden, denn Habsburg verlangt: „Es sollte mehr Kaiserschmarrn auf den Menüplan“. Dieser „Menüplan“ könnte im Heeressportzentrum, wenn der Kaiserurenkel von seinen DTM-Ausflügen einrückt, etwa so aussehen: Kaiserconsommé oder Kaiserschöberl (eventuell mit Kaisersemmel) als Vorspeise, dann Kaiserfleisch oder Kaisergulyas als Hauptgang, zum Nachtisch (wenn schon kein Kaiserschmarrn verfügbar ist) Kaisergugelhupf oder Kaisertorte.

So ein Schmarrn

Im Regierungsprogramm habe ich dazu natürlich nichts gefunden, ich weiß nicht, woran die zwei Monate lang gearbeitet haben. Dort will man zwar den „Grundwehrdienst attraktiv machen“ (was, pardautz, bisher keiner Regierung eingefallen war), im Detail liest sich das dann aber so sperrig wie auf Seite 226: „Verankerung der digitalen Müdigkeit und des Erkennens von Fake-News als Schwerpunkte im Rahmen des Grundwehrdienstes“. Wir lernen: Nicht alles, was ein Schmarrn ist, muss von einem Kaiser kommen.

Bei aller „digitalen Müdigkeit“ ist klar, es wird sich einiges ändern müssen, da fährt die Eisenbahn drüber.

Haben Sie einen wunderbaren Dienstag.

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