Virtuelle Ostern, eine Taxifahrt und Frauenmorde

Da bin ich wieder. Eine Woche habe ich ausgelassen, aber es waren ja auch Feiertage. Zu feiern gab’s eigentlich recht wenig. Trotz Lockdown wurden im Osten aber reichlich Ostereier und süße Lämmer verspeist – zumindest war es bei mir so. Wie schon letztes Jahr bin ich auch heuer nicht zu Ostern ins heilige Land gefahren. In Tirol gelten derzeit nicht so strenge Maßnahmen wie in Wien, dennoch habe ich auf eine Reise verzichtet. Ich wollte das Virus nicht herausfordern, oder gar als Ostergeschenk aus Wien mitbringen. Somit wurden Osterkörbe per Post verschickt und meine Familie und ich setzten auf ein virtuelles Treffen.
Am Ostermontag waren meine Gedanken jedoch bei einer anderen Familie. Vor etwa einem Monat wurde die junge Trafikantin Nadine von ihrem Ex-Partner in Wien mit Benzin übergossen, angezündet und in der Trafik, in der sie arbeitete, eingesperrt. Anrainer und Passanten hatten den Rauch bemerkt und zertrümmerten mit einem Einkaufswagen die Scheibe der Eingangstür, um die die 35-Jährige zu befreien. Auf der Intensivstation kämpfte sie schließlich mit schwersten Verbrennungen vier Wochen lang um ihr Leben. Zahlreiche Operationen wurden durchgeführt, doch die Belastung für Nadines Körper war zu groß. Sie verstarb vergangenen Samstag. Jener Mann, der Nadine das Leben genommen haben soll, sitzt in U-Haft. Der 47-Jährige bestreitet die Tötungsabsicht, gegenüber der Polizei erklärte er: „Ich wollte sie nur erschrecken, wusste nicht, dass Benzin so schnell brennt.“
Motiv: "Liebe"

Der Mord von Nadine ist der siebte Femizid im Jahr 2021. Laut Daten der EU-Statistikbehörde Eurostat war Österreich 2017 das einzige EU-Land, in dem mehr Frauen als Männer durch ein solches Gewaltverbrechen zu Tode kamen. Von 48 Mordopfern waren 27 weiblich. Im Jahr 2019 wurden laut einer Kriminalstatistik der Polizei 65 Morde angezeigt, 39 davon wurden an Frauen begangen. Monatlich werden in Österreich im Schnitt drei Frauen ermordet, zählt der Verein Autonome Frauenhäuser (AÖF). Der Femizid ist jedoch meist das Ende einer langen Gewaltspirale. Jede fünfte Frau ist ab ihrem 15. Lebensjahr körperlich und/oder sexueller Gewalt ausgesetzt. Das ergab eine Umfrage der Europäischen Union für Grundrechte. Diese Daten liest man mittlerweile tagtäglich.
Meist wird die Frage gestellt, warum Betroffene den Täter nicht sofort verlassen. Als Kind habe ich mir diese Frage ebenfalls gestellt. Heute weiß ich, warum. In der ersten Phase der Gewaltspirale bauen sich Spannungen auf. Das Opfer versucht meist die Situation zu entspannen, indem es sich besonders bemüht. In der zweiten Phase findet der Täter trotz größter Anstrengung des Opfers etwas, was ihm nicht gefällt und reagiert mit massiver Gewalt. In der dritten Phase der Gewaltspirale entschuldigt sich die gewalttätige Person für das Verhalten, bittet um Verzeihung und verspricht es nie wieder zu tun. Das Opfer schöpft hier neue Hoffnung, fühlt sich sogar selbst schuldig und der Kreislauf beginnt von vorne. Dazu kommen meist finanzielle Abhängigkeit und die Angst, was passieren würde, wenn man den Täter tatsächlich verlässt. Ich habe diese Phasen in meiner Familie selbst gesehen. Ein Ende nahm es erst, als sich die Gewalt auch gegen mich richtete. Meine Mutter reichte die Scheidung ein, ein Betretungsverbot wurde ausgesprochen, wir waren auf uns allein gestellt. Doch wir konnten endlich ohne Angst schlafen. Der Terror endete jedoch nicht mit der Trennung. Morddrohungen und Stalking gehörten eine Zeit lang zu meinem Alltag.
100 % nicht sicher

Bei Gewalt an Frauen und Femiziden wird, wie bei jeder anderen Straftat, nach einem Motiv gesucht. Als Chronik-Redakteurin ist mir das nicht unbekannt. Bei der Polizei und vor Gericht gehört es zum Standard, den Beschuldigten nach den Gründen für seine Tat zu fragen. Die gängigen Antworten sind meist „aus Liebe“, „aus Eifersucht“ oder „verschmähte Liebe“. Ich habe Gewalt, Morddrohungen und Stalking erlebt und kann sagen: Das alles ist nicht „aus Liebe“, „aus Eifersucht“ oder „verschmähter Liebe“ passiert. Es gab nur einen Grund: Macht. Körperliche und psychische Gewalt sind Aspekte eines komplexen Verhaltensmusters, das auf Kontrolle und Macht aus ist. Schafft man es endlich auszubrechen, führt das beim Täter zu einem Macht- und Kontrollverlust.
So wie im Fall einer 16-jährigen Wienerin. Sie wurde im Februar 2020 von ihrem Ex-Freund auf dem Heimweg von der Schule verfolgt und in der elterlichen Wohnung attackiert. Der damals 16-Jährige stach mit einer acht Zentimeter langen Klinge 50-mal auf die junge Frau ein. Sie überlebte nur knapp. Wenn es um Gewalttaten geht, höre ich oft „es sind aber nicht alle Männer so“. Das stimmt. Es sind nicht alle Männer so. Aber es sind genug Männer so, dass der Großteil der Frauen zu Betroffenen wird. „Diese Gewalt richtet sich zumeist auch gegen trans und nichtbinäre Personen, da sie nicht in die Vorstellungen dieses Weltbilds passen und dafür bestraft werden sollen“, erklärte Amalie Seidel, Sprecherin der AG Feministischer Streik vor Kurzem.
Frauenfragen

Was hätte man also tun können, um das Leben von Opfern wie Nadine zu retten? Laut der juristischen Prozessbegleiterin Juliana Gruber wäre es wichtig Wiederholungstäter genauer und engmaschiger zu überwachen. „Bei zahlreichen Femiziden gab es bereits im Vorfeld eine teils jahrelange Gewaltgeschichte. Oft haben Frauen bereits vor der Tat Anzeigen gegen den späteren Mörder erstattet. Die Täter gehören einfach besser überwacht, auch über bedingte Haftstrafen und der damit einhergehenden Probezeit hinaus, denn die Gewalt gegen Frauen hört in den meisten Fällen nicht einfach so auf. Es bräuchte Einrichtungen, die genau diese Männer weiter überwachen. Die gibt es derzeit aber nicht." Für Anwältin Sonja Aziz wäre auch eine Aus-, Fortbildung und Sensibilisierung von Richter:innen und Staatsanwält:innen ein wichtiger Beitrag zum Gewaltschutz. Ebenso opferschutzorientierte Täterarbeit, um weitere Gewalt mit allen Mitteln zu verhindern. Mehr Mittel verspricht auch Frauenministerin Susanne Raab. Die Politikerin erklärte, dass sie auch 2021 den Fokus auf Gewaltschutz legt. Das im Nationalrat debattierte Budgetkapitel Frauenangelegenheiten und Gleichstellung wurde auf 14,65 Millionen Euro erhöht. Im Vergleich zum Vorjahr sind das 2,5 Millionen Euro mehr. Ein etwas anderer Vergleich: Für den Bereich Militärische Angelegenheiten liegt das Budget bei 2,5 Milliarden Euro.
Die Forderung nach mehr Schutz für Frauen hat auch die sozialen Medien erreicht. Nachdem in London Anfang März die 33-jährige Sarah Everard auf ihrem Heimweg ermordet worden war (ein Polizist soll der Täter sein), teilten unzählige Frauen auf Instagram und TikTok unter #reclaimthestreets ihre Erfahrungen und Gedanken zu Sicherheit von Frauen im öffentlichen Raum. Auch ich möchte Ihnen noch eine Geschichte, die mir vor Kurzem selbst widerfahren ist, erzählen. Dann haben Sie es durch diese Kolumne geschafft, versprochen. Vergangene Woche bin ich mit dem Taxi vom Spätdienst nach Hause gefahren. Beim Aussteigen fragte mich der Fahrer, ob er zur Sicherheit warten soll, bis ich im Haus bin. Ich war gleichzeitig dankbar und wütend über diese Frage. Ich dachte mir, wie unfair es ist, dass man als Frau nachts nicht einfach normal nach Hause gehen kann – ohne ein ungutes Gefühl im Magen zu haben, ohne Panik zu bekommen, wenn man Schritte hinter sich hört, ohne der Freundin ein „Ich bin gut angekommen“-SMS schreiben zu müssen und ohne den Hausschlüssel in der Hand, der jederzeit zur Waffe werden kann.
Der Taxifahrer blieb also vor meinem Haus stehen und fuhr erst weg, als die Tür hinter mir fast zugefallen war. Ich war einerseits froh, dass er gewartet hatte, da ich schon einmal vor meiner Haustür begrapscht wurde. Schnell kam mir aber ein anderer Gedanke: Was, wenn der Taxifahrer wissen wollte, wo genau ich wohne? Das mag für manche seltsam klingen, ich weiß. Aber diese Paranoia begleitet viele Frauen durch den Alltag. Einige meiner Bekannten geben deshalb bei Taxi-Apps nicht ihre richtige Adresse ein, sondern lassen sich von den Fahrern in der Nähe ihrer Wohnung absetzen. Ich möchte an dieser Stelle kurz einwerfen, dass dies natürlich nicht für alle Frauen gilt. Es gibt Frauen, wie zum Beispiel Frauenministerin Raab, die noch nie Sexismus im Berufsleben erfahren haben. Das hat schon fast etwas von einem Einhorn.
Ich danke Ihnen fürs Lesen, wenn Sie es bis zum Ende geschafft haben. Ich weiß, diese Kolumne ist eine von vielen, die es zum Thema Gewalt an Frauen und Femiziden gibt. Einige von Ihnen haben sich vielleicht gedacht: „Nicht schon wieder so ein Text“ und sind von der ewigen Diskussion genervt. Aber solange es diese Probleme gibt und solange Frauen ermordet werden, muss darüber geschrieben werden. Für Nadine, ihre Familie, für meine Mutter, für mich, für alle anderen Betroffenen.
Hilfe für Gewalt-Betroffene: Frauenhelpline (Mo-So, 0-24 Uhr, kostenlos), 0800 / 222 555
Männernotruf: (Mo-So 0-24 Uhr, kostenlos), 0800 / 246 247
Fotos: Denise Auer, Picturedesk, privat