"Happy birthday"

Ein Land macht dicht. Die Folgen werden bleiben.

Vor gut einer Woche wurden die Schilder abmontiert. Nun darf man auf Österreichs Autobahnen wieder durchgängig höchstens 130 km/h fahren. Rührend welche Sorgen wir vor ein paar Tagen noch hatten, oder? Gestern legte unser Leben eine erste Vollbremsung ein. Es wird nicht die letzte sein, ganz gewiss nicht, ich denke unser gesamtes Leben wird nach Covid-19 nicht mehr so sein wie jetzt. Das macht uns Angst, aber vielleicht fürchten wir uns mehr vor der Tatsache, dass wir auf dem Weg dorthin das Steuer vollkommen aus der Hand geben müssen, wir werden zu Passagieren am Fahrersitz, das Virus übernimmt. Per Autopilot in die Krise und hoffentlich wieder hinaus, das steht die nächsten Wochen am Reiseplan.

Bis spät am Abend hatte die Regierungsspitze am Montag konferiert. Die neuesten Zahlen aus Italien waren besorgniserregend, auch gestern starben 168 Menschen an einem einzigen Tag am Virus, 168 Menschen. Der Kanzler war da, natürlich der Gesundheitsminister, ebenso der Innenminister, aber auch Vizekanzler Werner Kogler, der sich auffallend zurückhält in diesen Tagen und Rudolf Anschober das Feld überlässt, ungewöhnlich für einen Politiker, aber klug und nobel. 

Dienstag früh besprach man sich erneut in derselben Runde, die für 8.30 Uhr angesetzte Pressekonferenz von Anschober wurde nach hinten verlegt. Die „einschneidenden Maßnahmen“, wie sie Sebastian Kurz später nannte, wurden beschlossen, als Wiens Gesundheitsstadtrat Peter Hacker gerade die Medien informierte, einiges geriet deshalb widersprüchlich. Die Krisenkommunikation zwischen Stadt und Bund hat noch Luft nach oben.

Sprühen vor Ideen

Für Krisenfälle hatte Winston Churchill immer einen so genannten „Siren Suit“ parat, einen Anzug aus einem Stück, den er blitzschnell anlegen konnte, notfalls auch über eine andere Kleidung. Der britische Edelausstatter „Turnbull & Asser, heute eher bekannt für Maßhemden, stellte die „Siren Suits“ für den britischen Premier her. Der Anzug von Sebastian Kurz ist natürlich nicht aus einem Stück und vermutlich hat er auch mehrere Exemplare im Schrank, aber es fällt auf, dass er neuerdings immer gleich gekleidet ist: schwarze Schuhe, weißes Hemd, dunkelblauer Anzug, hellblaue Krawatte, sein Krisenanzug, sein „Siren Suit“. Auch gestern, als er schlechte Nachrichten zu überbringen hatte. Es sei immer klar gewesen, „es wird der Tag kommen, heute ist es soweit“, sagte er und es klang nicht feierlich.

Unser Land friert nun ein, zu einem Zeitpunkt als der Frühling anklopft. Alle Freiluftveranstaltungen über 500 Besucher und sämtliche Hallenevents über 100 Teilnehmer sind verboten. Staatsoper, alle Theater, Konzertbühnen, mutmaßlich alle Museen sperren für Wochen zu. Die Wiener Stadthalle sagt alle Shows ab, die Bundesliga spielt nicht, die Eishockeysaison geht ohne Meister zu Ende. Unis machen zu, in Kinos muss jeder zweite Sessel frei bleiben. 

Es ist erst der Beginn. In einer Woche werden wir Italien sein, alle Schulen werden wohl schließen, auch die Kindergärten, vielleicht auch die Restaurants und Gasthäuser und dann kann es Ausgangssperren geben. „Die Ansteckungsgefahr ist 10 bis 30 Mal höher als bei der normalen Grippe“, sagt der Kanzler. Dann wird das Pult mit Desinfektionslösung besprüht und der Bildungsminister beginnt seine Pressekonferenz und überbringt neue schlechte Nachrichten.

Schnell kann das gehen. Plötzlich sind wir wieder Vorbild. Spät, aber doch hat sich die Regierung zum Handeln durchgerungen, es wurden Maßnahmen beschlossen, die hart sind, aber nachvollziehbar und richtig. In Deutschland wurde gestern fixiert, dass alle Fußball-Bundesligaspiele in Nordrhein-Westfalen und Bayern ohne Zuschauer stattzufinden haben. Das Match der Bayern gegen Union in Berlin aber findet vor vollem Haus statt. Daheim spielen die Münchner vor leeren Rängen, auswärts im ausverkauften Stadion. „Es braucht endlich eine klare Linie und eine klare Verordnung für das Land“, schreibt die „Bild.“ „Österreich hat gerade mit einem Knallhart-Plan gezeigt wie es gehen kann“. „Knallhart-Plan“, das meint jetzt übrigens nicht den Regierungsbeschluss, keine Flüchtlinge aus Griechenland aufzunehmen.

School's out for Summer

Alles im Leben ändert sich jetzt. Im Supermarkt, in dem meine Familie gestern war, gab es noch fast alles, aber eben nur mehr fast, keinen Reis mehr und keine Nudeln, auch keine Dosen mit Thunfisch. Also schon Thunfisch, aber nur den mit Erbsen, so schlimm ist die Krise nun auch wieder nicht. Bekannte hatten Besuch aus Deutschland, früher hätten sie eine Sachertorte als Mitbringsel gekauft, jetzt standen sie mit großen Augen vor den Klopapier-Regalen und bedauerten, im Gepäck keinen Platz für mehr als ein paar Rollen zu haben. In manchen Gegenden in Deutschland ist Toilettenpapier tatsächlich ausverkauft. Besch...eidene Zeiten.

Klopapier ist das neue Gold, nie hätte ich gedacht, dass ich einmal einen solchen Satz schreiben werde, es ist weltweit vergriffen. In Australien prügelten sich Kunden eines Supermarktes um die letzten Lagen. Die Tageszeitung  „The NT News“ druckte eine eigene Beilage. In der Heftmitte, zwischen den Sporttabellen, konnte man acht Seiten Spezialpapier heraustrennen und sie dann als Klopapier verwenden. Ich will das jetzt nicht weiter vertiefen, nicht allein deshalb, weil vertiefen in diesem Zusammenhang ein vielleicht unglückliches Wort ist, aber auch deswegen. Der Chefredakteur der Zeitung jedenfalls gab dem australischen „Guardian“ ein Interview und fasste das Angebot seines Mediums so zusammen: „Es war definitiv keine beschissene Ausgabe“. Zumindest anfangs wohl nicht, möchte ich anfügen.

Man lernt jetzt täglich dazu. Händewaschen soll das wirksamste Mittel gegen die Ausbreitung der Infektion sein. Mindestens 20 bis 25 Sekunden lang sollte es dauern, aber wie misst man das, eine Stoppuhr hat ja im Bad wohl keiner dabei? Sohn Nr. 2 hat das Problem gelöst, er singt „Happy birthday“ zwei Mal durch. „Happy birthday to you, happy birthday to you...“ Ich habe es getestet und tatsächlich 22,35 Sekunden gebraucht. Wenn mich das Virus singen hört, flüchtete es zwar ohnehin recht flott zu einem anderen Wirt, aber das ist ja hier nicht das Thema.

Man soll jetzt in Stoßzeiten nicht mehr mit den Öffis fahren, rät SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner, erlernter Beruf Virologin. Menschenansammlungen sollte man grundsätzlich meiden, Familienfeste absagen, weil das Virus besonders häufig ältere Menschen befällt und niederringt. Senioren soll man nicht mehr im Altenheim besuchen, ältere Kranke nicht mehr im Spital. Über Wochen nicht mehr? Das Virus wirft für jeden von uns unterschiedliche Fragen auf, wir müssen mit Problemen zurechtkommen, mit denen wir nicht in unseren kühnsten Träumen gerechnet hatten. Wir lernen unseren Alltag neu kennen und wissen nicht, ob er uns so gefällt.

Öffi nicht für alles

In den nächsten Wochen werden wir mehr streamen, mehr fernsehen, mehr lesen. Wir werden mehr bestellen als vor Ort einkaufen. Wir werden für längere Zeit auf engerem Raum zusammenleben, das wird für manche Beziehung eine Prüfung sein. Vielleicht stellen wir fest, dass wir den auf der Couch neben uns gar nicht so gut kennen wie wir geglaubt haben.

Möge Ihnen diese Prüfung wunderbar gelingen.

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