Apps and downs
Die Schattenkanzlerin und ihr Tanz am Rande der Demokratie.

Liebe in Zeiten von Corona, auch schwierig. Jetzt haben nicht einmal mehr die Smartphones miteinander Sex. Man legt zwei nebeneinander hin, nichts funkt, gar nicht, kein Flirt, kein Augenkontakt, tote Hose. Dabei schien das mit der App des Roten Kreuzes anfangs eine interessante Idee zu sein, für Datenschützer vielleicht nicht so, aber für alle anderen. Also vermutlich war es schon auch für Datenschützer eine interessante Idee, aber eher im Sinne von: Die App interessiert sich so für uns, dass man als Interessierter vielleicht besser die Finger davon lassen sollte. Nicht alle Datenschützer waren dieser Meinung, aber einige. Es war irgendwie wie bei den Virologen, das evidenzbasierte Meinungsspektrum war recht breit gefächert.
Aber „Stopp Corona“ sollte uns von Nutzen sein. Die App speichert, wen wir getroffen haben und wer sich in unserer Nähe aufgehalten hat, Freunde, Arbeitskollegen, Familie, auch Menschen auf der Straße. Wenn jemand aus dieser Gruppe erkrankt, dann werden die anderen automatisch verständigt, anonym natürlich, echte Namen scheinen nicht auf. Kernstück ist der so genannte digitale Handshake. Also man muss nicht mühsam eingeben, wem man alles über den Weg gelaufen ist, das Smartphone macht das von alleine. In einem Umkreis von ein paar Metern werden alle „erschnuppert“, die „Stopp Corona“ installiert haben. Also theoretisch.
Schön, aber wie?

Theoretisch sollte diese App also funktionieren, die Regierung setzte eine Zeitlang darauf, jetzt ist sie eher schmähstad, was sonst nicht zu ihrem Portfolio gehört. Das kann an mangelndem Sex liegen, ich habe das schon erwähnt, nicht bei der Regierung natürlich, sondern bei den Telefonen. Wenn man also ein iPhone hat, dann findet der digitale Handshake weder digital noch analog statt, es klappt überhaupt kein Handshake, sagen mir Menschen, die sich ehrlich bemüht haben und ihre Geräte miteinander verkuppeln wollten. Sie endeten wie die Mütter von Söhnen, die bis ins fortgeschrittene Alter daheim wohnen. Das Hotel Mama gibt es offenbar auch für Smartphones.
Man holt sich also die App aus dem Appstore, das geht flugs, dann muss man alles aktivieren, was sich nur irgendwie aktivieren lässt, also Mikro oder Bluetooth, einfach alles. Die App muss auch aktiv bleiben, also man darf sie nicht schließen, sonst ist es mit dem Sex vorbei noch ehe es mit dem Sex begonnen hat. Früher musste man manuell anbandeln, alle Kontakte händisch eingeben, aber in der neuen Version von „Stopp Corona“ gibt es eben den digitalen Handshake, es genügt zwei Handys nebeneinander hinzulegen und zu warten bis sich die beiden finden. Tun sie nur nicht. Nicht nach einer Minute, nicht nach fünf Minuten, nach einer Stunde, nach einem Tag. Beide bleiben Singles, es gibt nicht einmal einen One-Night-Stand. Monogamie in der Telefonie.
Das ist schade, denn wir versuchen gerade, uns die digitale Welt nutzbar zu machen oder die digitale Welt versucht, an uns brauchbare Seiten zu entdecken, was gar nicht so einfach ist, für beide nicht. Die Coronakrise hat es mit sich gebracht, dass sich unser Leben derzeit ändert und das in einer Rasanz, die wir nicht für möglich gehalten haben. Beispiele? Die Österreicher galten bisher als Bargeld-Fetischisten, nun zahlen bereits 40 Prozent mit Karte. Die Zahl der User auf Spieleplattformen schießt in die Höhe, die Videoclip-Community von TikTok explodiert. In China benutzen Menschen ihr Smartphone im Schnitt schon fünf Stunden am Tag, in Italien sind es 2,7 Stunden. In Österreich wird um 63 Prozent mehr mit dem Handy telefoniert, die Tagesspitze allerdings ist nunmehr um 10 Uhr vormittags erreicht und nicht wie früher um 18 Uhr, also zwei Stunden bevor Martin Ho zu Bett geht.
Auch Home-Working und Home-Schooling waren Entdeckungen, ohne die wir vielleicht auch ausgekommen wären, aber die nun da sind und das massiv. Plattformen wie "Zoom" oder "Teams" waren bisher weitgehend nur Insidern ein Begriff, nun werden sie in einem Atemzug mit Amazon oder Facebook genannt. Gestern durften übrigens 100.000 MaturaschülerInnen in die Klassen zurück, auch die Kindergärten sind nun wieder besser besucht. Digitales und analoges Leben beginnen sich wieder miteinander zu verpartnern. Gut so!
Nett, Eure Schule

Während unser analoges Leben in den letzten Wochen verkümmerte, begann sich unser digitales Leben, sofern man es Leben nennen möchte, nämlich prächtig zu entwickeln. Jan Trionow, CEO von Hutchinson Drei Österreich, goss gestern in einer Videokonferenz in Zahlen, was da im Moment passiert.
Streaming: Plus 21 Prozent
Web: Plus 22 Prozent
Filetransfer: Plus 28 Prozent
Datenverbrauch: Plus 38 Prozent
Messaging: Plus 130 Prozent
Internettelefonie: Plus 161 Prozent
Gaming: Plus 173 Prozent
Videotelefonie: Plus 232 Prozent.
Das geht nicht weg, wenn Corona einmal verschwinden sollte. Erstaunlicherweise passiert ja Digitalisierung in Österreich selten nach einem Plan, sondern in der Regel per Zufall. Den größten Schub lösten die Volksbegehren 2018 aus, also etwa das Frauenvolksbegehren (481.906 Unterschriften) oder das Antiraucher-Volksbegehren (881.569 Unterschriften). Weil man auch elektronisch unterfertigen konnte, holten sich Hunderttausende eine digitale Bürgerkarte, keine Werbekampagne hätte auch nur ansatzweise so erfolgreich sein können. Und dann kam Corona.
Leider sind wir Europäer im Allgemeinen und wir Österreicher im Besonderen digital eher brustschwach. Also es gibt schon coole Start-Ups, aber eine App so zu versenken wie es uns mit „Stopp Corona“ gelungen ist, dass muss man schon einmal zusammenbringen. Es wird halt so sein wie immer, die US-Technoriesen werden eine digitale Lösung für uns und den Rest der Welt liefern, wir werden große Augen machen und unsere Daten weiter schön brav über den großen Teich schicken, nützt ja nichts.
Längst haben sich Google (Umsatz 1. Quartal 41,2 Milliarden Dollar) und Apple (58,3 Milliarden Dollar) zusammengetan und entwickeln gemeinsam, was wir und viele andere nicht zustande gebracht haben. Gestern Abend tauchten die ersten Bilder und Infos auf, die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ berichtete darüber. Wer jetzt die Beta-Version von Apples neuem Betriebssystem iOS 13.5 auf seinem Smartphone installiert, kann einen Schalter auf Grün stellen. Noch tut sich nichts, aber Mitte Mai zieht die Tracing-Technik dann in die beiden Betriebssysteme von Smartphones, iOS und Android, ein. Die lokalen Gesundheitsbehörden müssen dann nur noch dafür sorgen, dass lokale Apps an den Schnittstellen andocken und fertig ist die Warn-App. Es ist erst der Beginn.
Das ist ein Kindergarten

Wo immer Sebastian Kurz bei wichtigen Terminen im Inland oder im Ausland auftaucht, ist Antonella Mei-Pochtler nicht weit. Die 61-jährige Managerin, die in Rom geboren wurde und einen italienischen Pass besitzt, berät den Kanzler seit Amtsantritt. Sie leitet „Think Austria“, die „Stabstelle für Strategie, Analyse und Planung“ im Kanzleramt. Mei-Pochtler ist Doktor der Betriebswirtschaft, hat in München, Rom und an der Eliteuni Insead Fontainebleau in Frankreich studiert. Fast 30 Jahre arbeitete sie für die „Boston Consulting Group“ (BCG) als Unternehmensberaterin, zuletzt als Mitglied des weltweiten Führungsgremiums, noch heute ist sie Senior Advisor.
Die BCG hat tiefe Spuren ins Kanzleramt gegraben, mehrere ehemalige Mitarbeiter des Beratungsunternehmens gehören zum Kurz-Kabinett und damit zum engsten Kreis der Macht. Mei-Pochtler ist nebenbei Aufsichtsrätin in der Publicis Groupe SA (Frankreich), der Generali Group Spa (Italien), der Westwing Group AG (Deutschland) und seit 13. April der ProSiebenSat.1Media SE, die in Österreich die TV-Sender ATV, Puls 4 und Puls 24 betreibt. Und: Sie leitet das „Future Operations Clearing Board“, das Komitee bestellt das strategische Hinterland der Coronakrise. Egal, ob es um knappes Klopapier oder um die Frage geht, wie man Österreich wieder „hochfährt“, Mei-Pochtler vernetzt Experten, berät die Regierung, erarbeitet Lösungen, bastelt am Wording. Sie ist Österreichs Schattenkanzlerin. Ohne sie geht derzeit gar nichts.
Es kommt langsam in Mode, dass man uns über die Bande etwas ausrichtet. Vor zwei Wochen gab Kanzler Sebastian Kurz dem Newssender CNN ein Interview und verriet darin Details der Gastro-Öffnung. Nun meldete sich Antonella Mei-Pochtler in der britischen „Financial Times“ zu Wort, es kann mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden, dass Kurz nichts davon wusste. Ich glaube, der Kanzler wollte einen Testballon steigen lassen, denn es geht erneut um die Corona-App. Mei-Pochtler redete nicht um den heißen Brei herum, sie servierte ihn wie er war.
Contact-Tracing-Apps, sagte sie in dem Interview, werden Teil unseres Lebens werden, Teil der „new normality“, der neuen Normalität, im Englischen klingt das irgendwie peppiger. „Jeder wird ein App haben“. Freiwilliger Zwang. Die App wird unser Immunitätsausweis, unsere Eintrittskarte in die Freiheit, unser zweiter Reisepass, unser Passagierschein. Wer die Krankheit durchgemacht hat, kann niemanden mehr anstecken. Wer das beweisen kann, der hat sein altes Leben wieder zurück, ohne Limit. „Ich glaube, die Leute werden diese Kontrolle von sich aus wollen“, sagt Mei-Pochtler und ich denke sie hat recht. Man stelle sich vor, Italiens Strände locken, aber um dorthin zu dürfen, benötigt man einen Ausweis, der die Immunität belegt. Na, wie viele werden Schlange stehen, um sich so eine Bescheinigung zu besorgen? Eher so viele wir am ersten Tag vor den Baumärkten? Oder eher so viele wie bei der Ikea-Wiedereröffnung? Oder eher so viele wie bei beiden zusammen?
Die Risiken dieser Entwicklung sind Mei-Pochtler durchaus bewusst, aber sie nimmt sie billigend in Kauf. Die europäischen Länder müssten sich an Tools gewöhnen, die „am Rande des demokratischen Modells“ seien, sagt sie im Original heißt es „on the borderline of the democratic working model“. Man wolle keine Zweiklassengesellschaft schaffen, aber irgendwie scheint das für die Kanzlerberaterin unvermeidlich. Die Regierung debattiert offenbar darüber, zunächst einmal für alle, die ins Land wollen, eine Contact-Tracing-App verpflichtend vorzuschreiben. Eine Gesundheitsbescheinigung fürs Einreisen, ein Attest, das belegt, dass man nicht krank, nicht von Viren befallen, nicht aussätzig ist – eine beklemmende Vorstellung, mehr kann ich dazu eigentlich nicht sagen.
Jetzt kriegt das
Kanzleramt Beton

Der Kanzler bekommt jetzt übrigens eine neue Fassade. Passanten wunderten sich gestern, als riesige Betonblöcke auf dem Ballhausplatz abgeladen wurden. Sie dienen zum Aufbau eines Bauzaunes, denn das Kanzleramt wird außen renoviert. Auftraggeber ist die Burghauptmannschaft, Details waren den Herrschaften keine zu entlocken. In Österreich gibt es viele Schattenreiche.
Verbringen Sie einen wunderbaren Dienstag. Gestern Abend habe ich gelesen, dass Lamas Antikörper gegen Covid-19 haben sollen. Vielleicht ein Blödsinn, vielleicht die Rettung der Menschheit, französische Ärzte schauen sich das jetzt einmal an. Wir werden uns eventuell noch danach sehnen, angespuckt zu werden. Das mit Corona kann noch heiter werden.
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Fotos:
Antonella Mei-Pochtler: "Die Presse", Katharina Roßboth
Corona-APP: APA, Georges Schneider, Herbert P. Oczeret
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Kindergarten: "Heute", Denise Auer
Kanzleramt: "Heute", Helmut Graf