Der Tirologe

"Erfolgsgeschichten" und
andere Märchen, die uns an
diesem Wochenende am
Schmäh hielten.

Die alte Normalität hatte schon auch so ihre Verrücktheiten. Ich darf das mit einem kleinen Beispiel erläutern. Wenn man von Honolulu, Hawaii, etwa 40 Minuten nordwestlich fährt, dann landet man auf der „Dole Plantation“. Dort dreht sich mehr oder weniger alles um Ananas. Ich war Anfang der neunziger Jahre das erste Mal dort, damals war die „Plantation“ noch mehr eine Farm mit riesigen Feldern ringsherum. Als ich rund 20 Jahre später wiederkam, sah das mehr aus wie eine Reihenhausanlage aus lauter aneinandergebauten Autobahnraststätten, aber egal. 

Ich aß Ananaseis, das im Ananassaft schwamm, im Schlagobers steckten Ananasstücke, serviert wurde das in einem ananasförmigen Gebilde, sogar der Eislöffel war mit Ananasornamenten verziert. Wenn man eine Ananas-Allergie oder gar Ananasphobie hat, ist man an anderen Orten der Welt besser aufgehoben, denke ich. Alles war natürlich zu süß, jedes Stück für sich und das nicht nur ein bisschen, sondern richtig viel zu süß, die Amerikaner nehmen beim Zucker gerne das Doppelte vom Doppelten, aber die Früchte, genau genommen waren es ausschließlich Ananas, schmeckten.

Ich kam mit einer Angestellten ins Gespräch. Mir war aufgefallen, dass die Ananas im Laden der Plantage mehr kosteten als bei uns beim „Billa“ ums Eck.  Ich dachte mir, okay die ernten das vor der Haustür, das sind die Ferraris ihrer Art, deswegen schmecken die Früchte so intensiv, das kostet halt. „Nein, nein“, sagte die Verkäuferin, „alle Ananas, die sie hier essen oder kaufen können, stammen aus Puerto Rico und werden mit dem Schiff hergebracht“. Ich saß also auf einer Ananas-Plantage auf Hawaii, mitten in Ananasfeldern, aber die ganzen Stauden waren nur Show, um die Touristen mit einem kleinen Zug durchzuführen. Es war billiger, die Früchte ins Land zu bringen, als sie vor Ort zu ernten und zu verwerten.

Daran musste ich denken, als ich Wochenende im „Album“ des „Standard“ eine Geschichte las, die sich „Ansichten eines Piloten“ nannte. Michael Marchetti, eben jener Pilot mit Ansichten, schrieb über sein Leben vor Corona, während Corona und nach Corona. Er liebt das Fliegen, das merkt man zwischendurch immer wieder deutlich, aber er ist ziemlich reflektiert, würde Billigtickets verbieten, gesteht ein, selber einen zwei Tonnen schweren Landrover zu fahren, immerhin aber mit schlechtem Gewissen. Er hält den Flugverkehr nicht für den Hauptverursacher von Umweltverschmutzung, was stimmt, aber er weiß auch, dass zu viel herumgejettet wird in der Welt. 2.500 Flugzeuge etwa queren täglich den Atlantik, 104 die Stunde, fast zwei pro Minute.

Wenn man sich durch allerlei Philosophisches bis ans Ende durchgekämpft hat, dann erfährt man Erstaunliches. Marchetti erzählt, dass bisher mit deutschen Cargomaschinen lebende Küken nach China geflogen wurden, um sie dort zu mästen, weil das billiger ist. Die gemästeten Hühner wurden dann wieder mit Cargomaschinen nach Deutschland zurückgebracht und dort als deutsche Hühner, was sie ja nach weiter Auslegung auch waren, im Supermarkt verkauft. Einmal um die halbe Welt und zurück! Hühner! Wenn wir jetzt schon nach Corona darüber nachdenken, was wir da und dort besser machen sollten, mir fiele spontan ein, wo wir Federn lassen könnten.

Schleichwege

Es gibt Pressestunden, da weiß man vom ersten Satz an, das wird zäh und gestern war es besonders dickflüssig. Tirols Landeshauptmann Günther Platter war zu Gast und wenn wir in den letzten Jahren immer wieder über Parallelgesellschaften geredet haben, dann hatten wir vermutlich nicht Tirol im Blick, aber das war vielleicht ein Fehler. Ich fürchte nämlich Platter meint das ernst, wenn er über die Virusbekämpfung in seinem Land redet. „Das ist eine Erfolgsgeschichte, die lasse ich mir nicht schlechtreden,“ sagte er gestern und wurde dabei nicht rot, nicht einmal türkis. Ich glaube ich weiß, wer am Ende schuld an dem Debakel sein wird, ich brauche gar keinen Untersuchungsausschuss dafür – die „Formblätter“. Sie kamen gestern gleich mehrfach zum Handkuss. 

Es begann damit, dass ORF-Moderator Matthias Schrom, der gemeinsam mit Petra Stuiber vom „Standard“ die Fragen stellte, einen dreifachen Verbal-Rittberger nach Muster von Werner Kogler hinlegte. Er redete also erstaunlich ausführlich übers Krisenmanagement, erwähnte dies und das, holte aus fast bis zu Andreas Hofer und fragte Platter schließlich, ob er glaube, in der Coronazeit alles richtig gemacht zu haben. Der Landeshauptmann sah sehr streng drein. Er hatte sich einen strategischen Vorteil verschafft, nämlich seinen Sessel so hochgeschraubt, dass es wirkte als würde er die 2,03 Meter von Bildungsminister Heinz Faßmann locker übertreffen. Schrom war das nicht aufgefallen, er saß sehr tief und blickte so ehrfurchtsvoll auf Platter hinauf wie die Innsbrucker auf die Nordkette. Platter wiederum sah auf Schrom hinunter, das Feld war bestellt. 

Ich rechnete jetzt damit, dass der Landeshauptmann sagen würde: „Pass auf Burli, drei Watschn san schnöll obeghaut, wennst das nächste Mal nach Tirol kimst“. Man muss wissen, Schrom stammt aus Innsbruck, er kennt Land und Leute. Tatsächlich aber begann Platter so: „Lassen Sie mich zuerst einen Gesamtzusammenhang herstellen. Es handelt sich bei diesem Coronavirus um eine Pandemie“. Ach was? Im Westen können sie auch ganz gut aschbachern.

Was folgte, war eine Umverteilung der Schuld, die Tirol merkwürdigerweise ausließ. Im Gegenteil, das Land wurde als Vorbild hochgelobt, vor dem Fernsehschirm rieb man sich die Augen. Das Virus sei nicht in Ischgl oder in Tirol entstanden, das Dilemma hätte auch bei einer „Karnevalveranstaltung“ oder einem „Gottesdienst“ anderswo beginnen können. Die WHO irrte (herum), Tirol nicht. „Wir sind immer vorausgegangen“, sagte Platter, was nicht einmal falsch sein muss, denn vorausgehen bedeutet ja nicht zwingend, dass man in die richtige Richtung unterwegs ist. „Andere Länder und die Bundesregierung haben mitgezogen“. Auch das ist kein Beweis für nix.

Es war ja wohl eher so: Tirol hat zunächst einmal gedacht, das wird schon nicht so schlimm werden, wir tun so als wüssten wir nichts, machen einfach weiter, kehren alles unter den Teppich, in zwei Wochen ist der Spuk vorbei. Die Kammerwahlen wurden noch durchgeboxt, dann wurde viel zu spät die Notbremse gezogen, Ärzte stellten Diagnosen auf Augenschein, ohne Testung, den Gästen aus Island wurde untergeschoben, sie hätten sich im Flieger angesteckt. Es wurde weiter Schi gefahren und Party gemacht, als nichts mehr ging, wurden die Urlauber über Nacht heimgeschickt, sie konnten das Virus über ganz Europa verbreiten, Hotelangestellte landeten auf die Straße. Warum? In Quarantäne hätte man Tausende – Feriengäste wie Bedienstete – wochenlang gratis versorgen müssen. Dafür muss ich kein „Buch von hinten lesen“, wie Platter in der Pressestunde anmerkte, dafür reicht der Konsum von Zeitungen, Fernsehen und Internet, das Versagen von Tirol ist ziemlich gut dokumentiert. Der Landeshauptmann hat seine eigene Geschichtsschreibung.

Von oben herab

So kam die Schweiz
aus der Krise

Ach ja, die Formblätter. Sie waren offenbar das Schwert der Tiroler im Kampf gegen das Coronavirus, von dem wir ja seit gestern wissen, dass es eine Pandemie ist. Das Formblatt ist noch kein Akt, aber auch kein normaler Zettel mehr. Es ist eines der Millionen Formulare, die man in Österreich ausfüllen muss, über deren Schicksal man dann aber betrüblicherweise wenig erfährt. Formblätter haben keine Gewerkschaft, keine Lobby, sie bekommen nicht einmal eine Pension. Wenn sie krank sind, dann kümmert sich niemand um sie, sie sterben oft einsam. Sie haben nur die anderen Formblätter, um sich zu unterhalten, oft werden sie in zugige Lager gesteckt und dort vergessen, manche vermodern auch.

Die Gäste, die aus dem Paznauntal abreisten, mussten jedenfalls ein Formblatt ausfüllen, das Chaos bekam eine vermeintliche Ordnung. „Sie haben erklärt, dass sie keine Symptome haben und dass sie ohne Stopp nach Haus fahren“ sagte Platter, man könne nicht jedem Gast einen Polizisten nachschicken. Blöderweise ging dann kein Zug oder kein Bus und die Urlauber strandeten in einem Hotel, das Virus fand das sehr zuvorkommend. Oder die Strawanzer hatten keine Lust heimzufahren und gingen ins Nachbartal Schi fahren. Überprüft wurde ja nicht, was da in den Formblättern angegeben wurde. Man hätte also auch wie bei der Matura einfach draufgeschrieben können, „weils wurscht ist. Auf Wiedersehen“.

„Ciao“, sagen derzeit die Italiener zu den ersten Österreichern, die in die Urlaubsorte anreisen. Die Grenze ist zwar noch zu, aber nicht wirklich, vergangenen Donnerstag habe ich hier ein paar Zeilen darüber geschrieben. Erstaunlich schnell werden nun Schlupflöcher ausgenutzt. Italien-Fans reisen über die Schweiz oder über Slowenien ein und kehren über diese Route zurück – ohne Quarantäne oder Test. Offenbar geht auch der direkte Weg. Der mutmaßliche Doppelmörder vom Faaker See fuhr nach den Taten nach Tarvis. Ich nehme nicht an, dass er an der Grenze nach einem triftigen Grund für die Einreise gefragt wurde, ich glaube Mord ist nämlich keiner.

Also rechne ich damit, dass die Reisebeschränkungen nach und aus Italien recht rasch fallen werden, ich erwarte mir mit 15. Juni. Zu diesem Datum ist es auch Schluss mit der Maskenpflicht in den Restaurants. Am Wochenende habe ich mir die diesbezügliche Verordnung durchgelesen, das Gesundheitsministerium ja offenbar nicht. Sonst wäre vielleicht folgendes aufgefallen. Unter Paragraph 6, Ziffer 8 steht: „Vom erstmaligen Betreten der Betriebsstätte bis zum Einfinden am Verabreichungsplatz hat der Kunde gegenüber anderen Personen, die nicht zu seiner Besuchergruppe gehören, einen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten und in geschlossenen Räumen eine den Mund- und Nasenbereich abdeckende mechanische Schutzvorrichtung zu tragen. Beim Verlassen des Verabreichungsplatzes hat der Kunde gegenüber anderen Personen, die nicht zu seiner Besuchergruppe gehören, einen Abstand von mindestens einem Meter einzuhalten“. Also: Reingehen mit Abstand und Maske, rausgehen mit Abstand ohne Maske. Warum das Betreten eines Lokales riskanter sein soll als das Verlassen, ist mir nicht klar, aber es wird dafür sicher einen triftigen Grund geben.

Ein Gerstl


Die „Neue Zürcher Zeitung“ hat am Wochenende ein fast hymnisches Porträt über den Schweizer Finanzminister Ueli Maurer verfasst und das wohl zurecht. Der kauzige Politiker, der sich in parteiinternen Diskussionen zuweilen auf Sesseln schlafenlegt, wenn ihn Debatten langweilen (oder nicht seinen Wünschen folgen), hat Ende März innerhalb einer Woche ein Rettungskonzept auf die Beine gestellt, das vielen in Europa nun Vorbild ist, und das sowohl Gewerbeverband als Gewerkschaftsbund gut finden. Unternehmen bekommen Kredite bis zu 460.000 Euro innerhalb einer halben Stunde zugesprochen. Zinssatz 0 Prozent. Die Banken hatten auf 1 Prozent gehofft, Maurer überzeugte sie, dass es keinen guten Eindruck machen würde, wenn sie an der Krise verdienen. 18,4 Milliarden Euro steckte die Schweiz in ihr Rettungspaket, etwa die Hälfe von Österreich, weitere 18,4 Milliarden Euro, die reserviert worden waren, werden nun nicht mehr benötigt. Nur neue Autogrammkarten für Maurer, die sind nämlich aus. 

Ich wünsche einen wunderbaren Start in die neue Woche. Morgen geht der U-Ausschuss weiter, wieder gibt es keine TV-Übertragung davon, die Erklärung dafür ist ziemlich österreichisch, ich versuche sie morgen nachzuliefern. Bewegtbild wäre allein schon wegen des verhaltensauffälligen ÖVP-Fraktionsführers unterhaltsam. Am Freitag crashte Wolfgang Gerstl eine Pressekonferenz von Innenminister Karl Nehammer. Er störte Journalistenfragen durch Zwischenrufe. Auch seine Fragestrategie, nenne wir das einmal so, im Ausschuss gab schon bisher ausreichend Anlass zum Stirnrunzeln. Lassen wir uns überraschen, was diese Woche passiert. Dieses Land hat ja immer so viel zu bieten, es ist eine helle Freude.

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Günther Platter: Expa, Johann Groder
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Ueli Maurer: Keystone, Anthony Anex
Wolfgang Gerstl: Expa, Florian Schroetter

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