Die Glaubenskrieger

Es braut sich etwas zusammen, wir wissen nur noch nicht was.

Die SPÖ pflegt einen recht saloppen Umgang mit Tageszeiten, ich glaube, das kann man so sagen. Als Michael Häupl noch 20 Kilo schwerer und Wiener Bürgermeister war, stand er bei einem Pressetermin am 14. April 2015 neben dem Kanzler, der damals noch Werner Faymann hieß, und die Zunge ging ihm über. Die SPÖ hätte damals gerne die Dienstzeit der Lehrer in den Klassen erhöht und zwar für immer, nicht nur an Corona-Fenstertagen. Gleichzeitig wollte sie die Arbeitszeit für alle verkürzen, Sie sehen, in den letzten fünf Jahren hat sich bei den Roten nicht so rasend viel getan. Häupl wurde auf die Diskrepanz mit der Arbeitszeit angesprochen und sagte: „Wenn ich 22 Stunden in der Woche arbeite, bin ich Dienstagmittag fertig. Dann kann ich heimgehen“.

Die Lehrer fanden das, wie soll ich sagen, mittellustig, die meisten frühstücken ja selten Clowns, wozu haben sie schließlich Schüler? Häupl tat der Kalauer am Tag darauf leid, also er tat ihm nicht wirklich leid, es tat ihm leid, dass er den Satz gesagt hatte. Wie auch immer, gestern war Pamela Rendi-Wagner zu Gast in der Pressestunde und erneut geriet etwas mit den Tageszeiten durcheinander. Die SPÖ-Chefin wurde zunächst von ORF-Redakteurin Claudia Dannhauser ausführlich begrüßt, etwa so eine Dreiviertel Kogler lang, man hätte also dazwischen der Mama zum Muttertag gratulieren können, eventuell wäre es sich auch ausgegangen, dass man einen Sprung bei ihr vorbeischaut. „Frau Rendi Wagner,“ sagte Dannhauser schließlich, als niemand mehr damit rechnete, „vielen Dank fürs Kommen“. Und die Angesprochene? Sie antwortete mit „schönen guten Morgen“. Es war knapp nach 11 Uhr und der Tag fing gut an.

Dannhauser fühlte sich dadurch offenbar ermutigt und zog über die SPÖ her, nannte das aber „noch höflich formuliert“. „Einen derartigen Intrigantenstadl wie man ihn in der SPÖ derzeit sieht, hat man noch selten in einer Partei erlebt“, sagte sie. Man könnte jetzt einwenden, dass es manche Seltenheiten in diesem Land offenbar durchaus häufig gibt, ich erinnere nur an die Mensuren, die sich Heinz-Christian Strache und Herbert Kickl jüngst schlugen. Oder an Sebastian Kurz, der Reinhold Mitterlehner so unsanft aus dem Amt kickte, dass sich Mitterlehner seinen Kummer sogar in einem Buch von der Seele schreiben musste, der Arme. Auch die SPÖ hat schon wildere Zeiten erlebt, etwa als Faymann vom Rathausplatz gepfiffen wurde, aber lassen wir das, denn Pamela Rendi-Wagner fand die perfekte Antwort und wieder kam ihr der Kalender zu Hilfe.  

„Da kann man sich ja nur mehr die Frage stellen“ stellte Claudia Dannhauser nur mehr die Frage: „Warum tun sie sich das an?“ Rendi-Wagner hätte nun vielerlei antworten können, etwa: „Wissen Sie, die Haxelbeißer in der Partei können sich alle brausen gehen. Ich habe den alten Knackern gerade bei der Mitgliederbefragung gezeigt, wo der Bartl den Most holt“. Oder: „Vielleicht wäre es für ein paar in der SPÖ besser, wenn sie sich einmal einen richtigen Job suchen, ich hatte schon einen bevor ich in die Politik ging.“ Aber das tat sie nicht, stattdessen begann sie so: „Lassen Sie mich zuerst, Frau Dannhauser, es ist ja Muttertag, mich bedanken bei allen Müttern in Österreich, ich bin ja selbst Mutter, möchte das gleich vorwegstellen, weil die Coronakrise hat vor allem die Mütter und die Frauen in Österreich auch sehr in Anspruch genommen“. Ein paar Minuten später sagte sie zu einem anderen Thema: „Wir haben die richtigen Antworten“. Offenbar nicht immer.

"Guten Morgen"

Ich will aber nicht ungerecht sein: Als sich die SPÖ-Vorsitzende von dem löste, was ihr irgendwelche guten oder schlechten Einflüsterer für die Pressestunde empfohlen hatten, wurde sie stärker, kampflustiger, besser und – das gab es bisher selten – sie wirkte gelöst. Rendi-Wagner hatte gute Momente, als sie über Konsequenzen für notorische Partei-Stänkerer redete, über das Virus, als sie die Oppositionsrolle der letzten Wochen erklärte. Sie ging mit der Regierung zivilisiert um, anerkannte Leistungen, legt aber auch Versäumnisse offen, ohne platt zu werden. Darunter mischte sich natürlich Träumerei. Ich stelle mir das witzig vor, wenn sie bei Amazon wegen einer „Solidarabgabe“ von zehn Prozent anklopft. Ich denke das Nein wird schon am nächsten Tag zugestellt, man muss sich nicht einmal Amazon Prime dafür nehmen.

Für die SPÖ forderte die Parteivorsitzende zudem eine – von der SPÖ abgeschaffte – Erbschaftssteuer und eine – von der SPÖ abgeschaffte –  „Millionärsabgabe“ in Höhe von 0,5 Prozent für Vermögensteile ab einer Million Euro. Das bringe zwei Milliarden Euro, so stehe das sogar auf der Webseite des Finanzministeriums, sagte sie. Auf der Webseite des Finanzministeriums habe ich nichts dazu gefunden und wenn man zwei Milliarden Euro erlösen will (letztes Jahr sprach die SPÖ noch von 1,5 Milliarden), muss man tief in den Mittelstand hineingrätschen. Das sind dann nicht mehr die Polospieler und Jachtklubbesitzer, sondern die Häuslbauer. Aber politisch vernünftig ist es natürlich das zu fordern, wenn man sich wieder nach oben hanteln will.

Von den Grünen kann sich Rendi-Wagner übrigens keine Unterstützung im Kampf für eine „Millionärssteuer“ erwarten. Vizekanzler Werner Kogler bekräftigte gestern in der ORF-Sendung „Hohes Haus“, dass er über Vermögenssteuern reden will, „aber nicht zum jetzigen Zeitpunkt“. Ich vermute der Zeitpunkt wird da sein, wenn die Grünen einmal nicht mehr in der Regierung sind, aber ich kann mich natürlich grob täuschen. 

Die Pressestunde fand gestern erstmals seit Ausbruch der Corona-Krise in gewohnter Umgebung statt, nicht als Videokonferenz also, sondern Rendi-Wagner, Dannhauser und Andreas Koller von den „Salzburger Nachrichten“ saßen an einem größeren Tisch, gerade so weit voneinander entfernt, dass sie sich noch sehen konnten. Nach einer Viertelstunde hatte Koller schon das halbe Glas Wasser ausgetrunken, das vor ihm stand, diese neue Normalität macht offenbar durstig. Nächstes Wochenende kann man dann endlich wieder in den Tiergarten Schönbrunn gehen und die Babyelefanten nachmessen, die diesbezüglichen Schätzungen sind momentan doch recht ungenau.

Und? Wo ist der
Babyelefant?

Demolage

Auch in der Politik scheint die neue Normalität langsam anzukommen und sie hat erstaunlich viel mit der alten Normalität gemeinsam. Wie man das bemerkt? Sebastian Kurz ist auf der Erde zurück. Der Kanzler war zwischenzeitlich in Höhen entschwunden, die politisch übermütig machen können, aber diese Zeiten sind wohl vorbei. Im aktuellen Polit-Barometer von „Heute“ liegt Kurz zwar nach wie vor in Front, er hat mit 55 Prozent die meisten Positiv-Nennungen. Aber: Im Vergleich zum März hat der Kanzler 22 Prozentpunkte verloren und er ist in den letzten zwei Wochen erstaunlichen 24 Prozent der Menschen „negativ aufgefallen“. Der grüne Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat bereits ein besseres Saldo als Kurz.

Ehe die Opposition in verhaltenen Jubel ausbricht: Auch Beate Meinl-Reisinger (Neos), Pamela Rendi-Wagner (SPÖ) und Norbert Hofer (FPÖ) fielen zurück. Ich denke, die Menschen sind nach den Wochen der Angst um ihre Gesundheit und nach 75 Pressekonferenzen einfach politikmüde. Es ist ihnen nicht vorzuwerfen.

Für Kurz aber wird es nun brisant: Gelingt es ihm nicht, die wirtschaftliche Talfahrt zu stoppen, die Arbeitslosigkeit in den Griff zu bekommen, vor allem den Unternehmern, den Kleinen im Besonderen, ausreichend Hilfe zur Verfügung zu stellen, dann wird seine offensichtliche Leistung beim Lockdown sehr schnell verblassen. Es gibt keinen Kredit auf die Vergangenheit, im Leben nicht und in der Politik schon gar nicht. Es ist auch nicht so, dass Menschen in Jubel ausbrechen, weil irgendwer wieder irgendwo ein Milliardenpaket schnürt oder auf den Weg bringt oder etwas aufstockt, was vorher mutmaßlich zu klein war. Nur Bares ist Wahres, alles andere ist abstrakt. Um es klarer zu sagen: Wenn es nicht in der Brieftasche scheppert oder am Konto klingelt, dann ist diese Hilfe eine Fata Morgana, eine Cloud, eine Aerosol-Wolke. Der Himmel ist dunkel, aber es regnet nicht.

Der Kanzler und seine Truppe unterschätzen offenbar auch grob, welcher Unmut sich in der Kulturszene gerade aufbaut. Die zuständige Staatssekretärin Ulrike Lunacek ist seit drei Wochen aus der Öffentlichkeit verschwunden. Ihre Werte im Polit-Barometer sind desaströs. 32 Prozent ist sie zuletzt „negativ aufgefallen“, nur sechs Prozent „positiv“. Künstler aller Neigungsgruppen klagen über zu wenig Hilfe, ihr Geschäftsfeld ist von einem Tag auf den anderen nicht nur eingebrochen, sondern es hat zu existieren aufgehört. Ein Ende scheint nicht in Sicht. Der Kabarettist Lukas Resetarits verschaffte sich am Wochenende über einen Youtube-Clip Luft, früher hätte man wohl Wutvideo dazu gesagt. Die Veranstaltungsszene ging mit einer eigenen Webseite online, ohne-uns.at, die rasant wächst.

Auch die Kritik aus den eigenen Reihen nimmt zu. Nach Martin Sprenger, der aus dem Krisenstab des Gesundheitsministeriums ausgeschieden war, weil er einige Entscheidungen nicht mehr mittragen wollte, gibt nun ein weiterer Hochkaräter Kontra. Franz Allerberger, Leiter der Abteilung Öffentliche Gesundheit der Agentur für Gesundheit und Ernährungssicherheit (AGES) verblüfft in einem neuen „Profil“-Interview. Der Facharzt für Infektionskrankeiten sitzt im Beraterstab des Gesundheitsministeriums, hat aber zu einigen Maßnahmen, die in den letzten Wochen gesetzt wurden, eine krass abweichende Meinung. Den verpflichtenden Mund-Nasen-Schutz sieht er skeptisch, es gebe keinen Beleg für den Nutzen. Ob der Lockdown erfolgreich war, wisse man nicht, die Rückgänge bei den Neuinfektionen könnten auch „am wärmeren Wetter oder an sonst etwas“ liegen. Den Aufenthalt im Freien sieht er als gefahrlos an. Es sei „durch den Verdünnungseffekt extrem unwahrscheinlich, sich anzustecken“. Die Bundesgärten hätte Allerberger nie geschlossen, man hätte auch „die Kindergärten verpflichtend offenhalten müssen“.

Dazu muss man wissen: Die AGES ist ein staatliches Unternehmen, sie betreut die Coronavirus-Hotline, spielt also in der Pandemiebekämpfung eine zentrale Rolle.

Eisbahn

„Covidiots“ nennen die Briten alle jene, die absichtlich gegen die Auflagen der Regierung verstoßen. Gestern Abend verlängerte Premier Boris Johnson in einer TV-Ansprache die Ausgangssperren bis 1. Juni, die Briten bekommen die Krankheit nicht in den Griff. Auch in Deutschland macht man sich neue Sorgen. Die Reproduktionszahl, die zeigt wie viele Menschen ein Erkrankter ansteckt, kletterte gestern erneut in die Höhe, von 1,10 auf 1,13. Das erscheint nicht viel, aber Deutschland war schon auf 0,65. Das wird zu beobachten sein, denn die Lockerungen sind da noch nicht eingepreist, die wurden erst vor fünf Tagen erlassen.

Parallel nehmen die Proteste gegen die Beschränkungen durch Corona zu. Am Marienplatz in München standen am Samstag 3.000 Menschen dicht an dicht, die Polizei ließ sie gewähren. Viele Opfer von Verschwörungstheoretikern waren darunter, Aluhutträger ebenso, auch in anderen deutschen Städten gab es derartige Veranstaltungen. In Nürnberg kamen 2.000, in Berlin 1.200, einige trugen Armbinden mit dem gelben Davidstern, wie sie Nazis zur Kennzeichnung von Juden verwendet hatten. Auf Schildern war von „Nein zur Zwangsimpfung“, „Impfsklaven“ zu lesen oder „wir sind das Volk“. Auch das darf man nicht aus den Augen lassen.

"Nichts Besseres gefunden"

Um das Privatleben österreichischer Politiker ist es recht still geworden, schade eigentlich. In Deutschland wird das mitunter anders gehandhabt. Achim Laschet ist Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen und einer der Kandidaten für die Nachfolge von Angela Merkel. Er ist seit 1985 mit der Buchhändlerin Susanne verheiratet, das Paar hat drei erwachsene Kinder, zwei Söhne und eine Tochter. Dieser Tage war Susanne Laschet in der WDR-Sendung „Kölner Treff“ zu Gast und das geriet erfrischend. Warum sie sich in den heutigen Spitzenpolitiker denn verliebt hätte, wollte Moderatorin Bettina Böttinger wissen. Wer nun Schmus erwartete, wurde enttäuscht. „Ja, warum verliebt man sich?“, fragte sich Laschet selber. „Er hatte schöne Augen und irgendwie, ich fand ihn ganz nett. Ich kann nur sagen, wir haben beide immer nach rechts und links geguckt, so ist es nicht. Aber wir haben nichts Besseres gefunden, beide, das ist einfach so“. Noch heute würden sie nicht ständig „gemeinsam über die Wiese hüpfen“. Eine Beziehung, die darauf aufbaut, dass man nichts Besseres findet, das kannte man bisher nur aus der Politik.

Verbringen Sie einen wunderbaren Montag, Sie werden ohnehin keinen Besseren finden. Bis morgen, wenn Sie mögen. Bis dahin wird sich die 50 Meter lange Warteschlange vor dem Eissalon „Tichy“ in Wien-Favoriten hoffentlich aufgelöst haben. Schon um zehn Uhr standen gestern Dutzende um ein Eis an. So schlimm hat es nicht einmal das Klopapier getrieben.

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Fotos:
Aluhut: DPA, Peter Kneffel
Pamela Rendi-Wagner: ORF
Demo-Masse: DPA, Felix Hörhager
Demo-Aktivist: DPA, Peter Kneffel
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Armin Laschet: Action Press, Christoph Hardt

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