Ein Bild von einem Kanzler

Sebastian Kurz wirkt von der Krise gezeichnet.
Schuld daran sind Kinder.

Politiker in Österreich zu sein, das war früher ein gefährlicher Beruf. Also nicht für die Politiker selber, sondern das volle Risiko lag bei den Menschen, die auf Politiker trafen. Dazu muss man wissen, dass das Verhältnis zwischen Volk und Obrigkeit im alten Jahrtausend noch ein gänzlich anderes war, da war irgendwie mehr Respekt, vielleicht auch eine Spur Furcht, Ehrfurcht eventuell. 

Wenn ein Politiker damals ankündigte, dass er sich in die Provinz aufmacht, dann freuten sich die Leute darauf wie die Schneekönige, vor allem wenn das rund um hohe Festtage passierte, dem Nationalfeiertag etwa. Dann wurden in den Schulen kleine Fähnchen gebastelt. Die Kinder schnitten sich feinsäuberlich weißes Papier zurecht und bemalten es mit Buntstiften rot-weiß-rot. Die Fahne steckten sie dann auf dünne Holzstaberln wie man sie für Zuckerwatte verwendete. So standen sie am Straßenrand und schwenkten die Zuckerwattestäbchenfähnchen wild hin und her, wenn das Auto eines hohen Politikers vorbeifuhr oder gar stehenblieb. Die Zeiten waren nicht unbeschwert, aber sie sahen so aus.

Franz Jonas war 14 Jahre lang sozialistischer Wiener Bürgermeister, ehe er 1965 zum Bundespräsidenten gewählt wurde, übrigens mit dem bis heute hauchdünnsten Vorsprung, knapp 65.000 Stimmen entschieden. Er wurde recht rasch recht beliebt im Land, weil er sehr leutselig war, mit seinen Krankenkassenbrillen, dem hohen Haaransatz und dem verschmitzten Lächeln erzielte er diese opahafte Wirkung, die Österreicher an Staatsoberhäuptern so lieben. Als Kind traf ich das Staatsopahaupt jeden Tag, sein Bild hing in der Volksschule direkt neben der Tafel. 

Jonas aber hatte, wie man damals sagte, eine etwas feuchte Aussprache und das meinte ich mit Gefahr. Die Mädchen und Buben, die bei einem Besuch des Bundespräsidenten also in der ersten Reihe standen, mit ihren selbst gebastelten Fähnchen wachelten und zu denen sich Jonas dann hinunterbeugte, um sie für ihre Arbeit zu loben, die waren danach zwar nicht geduscht, aber die Richtung stimmte, vor allem wenn in den Sätzen von Jonas einer oder mehrere Zischlaute vorkamen. „Du bist aber ein strammes Mädchen“ etwa eignete sich gut dafür, einen Flüssigkeitsstrom auszulösen, der jenem der Krimmler Wasserfälle nahekam.

iKardinal

Sebastian Kurz hat keine feuchte Aussprache, aber auch er ist momentan sehr beliebt wie jüngste Umfragen zeigen, selbst unter Leuten, die sich bis vor wenigen Wochen über ihn lustig machten, bestenfalls. Corona ist das Drachenblut des Kanzlers, es hat den Siegfried vom Ballhausplatz offenkundig unverwundbar gemacht, auch für Kritik, schauen wir einmal wie lange das so bleibt. In Österreich hast du es zu etwas gebracht, wenn dein Bild in einem Panini-Album klebt oder wenn du von kleinen Kindern gezeichnet wirst. Der Siegfried vom Ballhausplatz hat diese Woche die erste Etappe genommen. Eine Generation wächst heran, deren Idole Ronaldo, Raf Camora und Sebastian Kurz heißen, wenn der ganze Corona-Zirkus einmal vorbei ist und wir am Nationalfeiertag wieder unsere Zuckerwattestäbchenfähnchen schwingen, dann könnte man sich das schon einmal genauer angeschaut haben.

Auf Radio Wien gibt es eine Kinderquiz-Sendung namens „Wow“, die sonst wöchentlich läuft, in Coronazeiten nun allerdings täglich. Kinder können anrufen und sich mit Moderator Robert Steiner und Ratte Rolf Rüdiger unterhalten. Am Ende der Stunde bekommen die Kleinen jeden Tag eine Art Hausübung mit auf den Weg. Am Dienstag wurden sie einer besonderen Prüfung unterzogen, wie das Online-Medium zackzack.at berichtet, die Mädchen und Buben sollten nämlich den Bundeskanzler malen. Mit oder ohne Mundmaske, egal. „Mit einer österreichischen Fahne dazu vielleicht auch noch“, schlug Rolf Rüdiger vor, er ist wirklich eine Ratte. Die gemalten Ikonen konnte man dann auf die Webseite von Radio Wien hochladen.

Es war wohl der Zeitpunkt, als Kim Jong-un im fernen Nordkorea auf Österreich aufmerksam wurde. Er hatte in der staatlichen Einheitszeitung und im staatlichen Einheitsinternet vom heroischen Kampf unseres Kanzlers gegen Corona gelesen und mit Wohlwollen festgestellt, dass die Erfolge, die Sebastian Kurz dabei einfuhr, zwar mitnichten auch nur im Entferntesten mit den Erfolgen Nordkoreas, also Kim Jong-uns, mithalten konnten, aber es gefiel ihm, sein Genie teilen zu können, selbst wenn beide Hälften dabei ihm zufielen. Auf die Idee, sich von Kindern zeichnen zu lassen allerdings war der „Oberste Führer“, also jener in Nordkorea, noch nicht gekommen. Das ärgerte ihn, aber er kreidete sich das selbstverständlich auch nach intensivster Prüfung nicht persönlich an, sondern das fiel eindeutig in die Verantwortung seiner Berater. Wenn man sich in Nordkorea etwas ankreiden lassen muss, dann wird man in der Regel ausradiert, man denkt hier etwas radikaler, wenn man Dinge auf den Weg bringt, als bei uns.

Die Bilder, die Österreichs Kinder von Kim Jong-Kurz gemalt haben, sind auf der Facebookseite von Radio Wien einzusehen und allesamt herzallerliebst. Bernie hat Kim Jong-Kurz mit Lippenstift gezeichnet, die Kleinen sind halt gute Beobachter, er hat ihm auch eine Fahne hinters Ohr gesteckt, Platz genug ist da ja. Auf vielen Bildern trägt Kim Jong-Kurz eine türkise Krawatte, oft hat er einen strengen Blick aufgesetzt, es gibt ihn mit und ohne Schutzmaske. Livia hat dem Kanzler eine grüne Maske gemalt, die Ohren stehen viel weiter ab als im echten Leben, sie wirken fast wie Bremsfallschirme. Wenn Kim Jong-Kurz das nächste Mal das Papamobil im Kanzleramt betritt, muss er aufpassen, dass er nicht an der Plexiglasscheibe hängenbleibt. Alles in allem eine sehr gelungene Aktion. Der „Oberste Führer“, also erneut jener aus Nordkorea, wird sicher Unterlagen dazu anfordern.

Morgenappell

Als wir noch ein richtiges Leben hatten, da lief Ostern jahrein, jahraus mehr oder weniger immer nach demselben Rhythmus ab. Irgendwann war der Palmsonntag da, die Kinder hatten schon schulfrei, ein paar Tage später kam der Gründonnerstag, in den Zeitungen stand immer dieselbe Geschichte darüber, warum der Tag nichts mit Spinat zu tun hat, worauf in allen österreichischen Haushalten Spinat auf den Tisch kam. Aus Ereignissen wie diesen schöpflöffeln wir Energie in unserem ewigen Kampf gegen die Konventionen. Dann übernahm der Papst, die Glocken flogen nach Rom, ich verstehe bis heute nicht warum und halte das auch für gefährlich, da doch viele Zugvögel genau in der gegenteiligen Richtung unterwegs sind und es da doch zu üblen Zusammenstößen kommen kann.

Am Karfreitag isst man so gut wie nichts, das holt man dann ab Samstagnachmittag locker auf, da sind der Schinken und das Brot aus dem Osterkorb auch schon wieder aufgetrocknet, auch wenn sie bei der Fleischweihe schwer erwischt wurden. Das Fernsehen schwenkt nach Rom, Orgelmusik erklingt und der Papst spricht, aber heuer nicht, da ist Franziskus allein daheim, sogar die Fußwaschung gestern fiel aus. Dafür ergriff der österreichische Kanzler am Gründonnerstag das Wort, gleich nachdem wir den Spinat aufgesetzt hatten. 

Am Tag davor hatte uns die Tourismusministerin dankenswerterweise die Sommerplanung aus der Hand genommen, sie steckt uns, wie an dieser Stelle gestern erwähnt, in „Selbstversorger-Appartements“, was auch am Gründonnerstag noch immer klang wie zwei Wochen Gefängnis am Land, wir aßen den Spinat also allein schon aus Trainingsgründen für die Zeit in der Wildnis. Weil es bis zum Sommer aber noch recht lange hin ist und die Regierung Gefahr witterte, dass wir über Ostern vielleicht zu irrlichtern beginnen, rückten gestern der Bildungsminister und die Arbeitsministerin und der Gesundheitsminister und die Wirtschaftsministerin und die Umweltministerin aus, um uns über dies und das zu informieren, was mir leider schon wieder entfallen ist.

Dann meldete sich der Kanzler zu Wort, zunächst nicht leibhaftig und nicht um uns frohe Ostern zu wünschen, sondern er richtete einen „Appell“ an uns. Wir ließen also den Spinat stehen, er ist ohnehin in der Regel mehr grün als gut muss man sagen. Der Osterappell von Kurz trug den Titel „bitte treffen Sie niemanden“, was vor allem Familien verstörte, denn wo bekommt man so schnell noch einen guten Platz für die Kinder über Ostern her, aber das war natürlich ein Missverständnis.

Flaniermeile

Gemeint war glücklicherweise nur, dass wir unsere „sozialen Kontakte ausschließlich auf die Personen reduzieren“ sollten, „mit denen wir zusammenleben“. Man kann also die Kinder über die Ostern weggeben, muss aber nicht. „Wir sind das Land in Westeuropa mit der besten Entwicklung bei den Zahlen“, sagte Kurz und klang für einen Moment wie Trump, dann erfasste ihn eher die typisch österliche Melancholie mit ihrem Hang zur Schwülstigkeit. „Uns in der Bundesregierung ist vollkommen bewusst, dass der Drang nach der gewohnten Freiheit und die Sehnsucht, wieder Eltern, Großeltern oder Freunde zu sehen, bei jedem von uns immer größer wird. Es liegt in unseren Händen, die kommenden Tage durchzuhalten, damit wir nach Ostern gemeinsam und schrittweise wieder den Weg zur Normalität einschlagen können“. Das klingt vernünftig, setzt aber voraus, dass vor Corona in Österreich „Normalität“ herrschte, was nicht alle so sehen.

„Das Virus“, führte Kurz weiter aus, „ist nach wie vor mitten unter uns“, es ist also in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dem wird auch am Karfreitag Rechnung getragen, denn wenn der Papst schon keine Gesellschaft hat, dann sorgt der Kanzler wenigstens für welche. Bildungsminister Heinz Faßmann gibt heute um 9 Uhr eine Pressekonferenz, was gestern dazu führte, dass der Evangelische Gottesdienst, der um 9.30 Uhr in ORF 2 übertragen werden sollte, verschoben werden musste, auf 11 Uhr nämlich. Dieses Corona ist wirklich eine Prüfung, nicht einmal der Zeitplan der Auferstehung hält mehr. Ich hoffe, das ist eingeholt bis Kardinal Schönborn Sonntag um 10.30 Uhr den Ostergottesdienst im Stephansdom hält.

Camillatee

Zu Ostern trägt jeder sein Kreuz, auch die Politik. In Wien werden heute vier Straßen zu Begegnungszonen auf Zeit, fünf weitere folgen nächste Woche. Ohne die neuen Flaniermeilen jetzt beleidigen zu wollen, aber es sind keine Prachtboulevards darunter, es sind eher Straßen, die bisher von Autos aufgehübscht wurden und das will was heißen. Man wird sehen, ob die Quarantänegeplagten nun die Verkehrsflächen vollstellen. Der Ring jedenfalls bleibt den Autofahrern, so weit muss diese Selbstgeißelung zu Ostern auch wieder nicht gehen. Auch die Bundesgärten halten weiter dicht. Gescheiter wäre es ja gewesen, man hätte den Ring für die Fußgänger gesperrt und Schönbrunn und den Augarten für die Autofahrer geöffnet, das wäre eine Gaudi gewesen. So aber sprach der Wiener Bürgermeister Michael Ludwig von einer „Demütigung“ durch die Bundesregierung, weil er zu Ostern nun nicht wie Rotkäppchen mit einem Osterkorb durch den Burggarten flanieren kann, was nebenbei bemerkt schade ist, denn die Bilder davon hätten sich gut in diesem Blog gemacht. Aber so läuft das halt, wenn das Virus „mitten unter uns“ ist, jeder muss Opfer bringen.

Ab Dienstag ist dann sowieso alles anders, denn dann sperren die Lagerhäuser wieder auf. Auf die Regierung habe es keinen Druck gegeben, das so zu entscheiden, sagte Kanzler Kurz gestern abend in einem "Talk 1 Spezial" auf ORF 1, denn "Druck prallt von mir ab". Außerdem: Schulen zu, Lagerhäuser auf, seien wir ehrlich, kann es ein Bild geben, das Österreich treffender beschreibt? Ich denke nicht. Also ich denke schon, aber ich denke nicht.

Machen Sie es bis Dienstag also wie Prinz Charles und seine Camilla. Lassen sich Druck von sich abprallen und kuscheln sie nur mit Leuten, mit denen sie zusammenleben. Ich wünsche wunderbare Ostern, viel Erfolg beim Eierpecken, das größte Stück vom Schinken und so viel Gesundheit, dass es fast schon ein Segen ist. Ich melde mich nach den Feiertagen wieder, wann das ist, muss ich erst mit mir selber ausmachen.

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