Endlich 100

Pressekonferenzitis und
andere Leiden, die der
Montag so mit sich brachte.

Vielleicht betreibt die Regierung ja so eine Art Waschstraße, ganz geheim, irgendwo in Wien. Da fährt man vorne rein, dann werden ein paar geheimnisvolle Sachen mit einem gemacht, man wird vorgespült und eingeschäumt und abgebürstet und abgebraust und getrocknet und poliert und gewachst und wenn man hinten rausfährt, dann ist man wie neu. Alle sind noch in derselben Form wie vorher, aber trotzdem hat offenbar eine Veränderung stattgefunden. Die Waschstraße könnte gut „Fleischmanns Drive in“ oder „Zum nassen Gerald“ heißen, jedenfalls schafft sie Wunder. Sie macht alle gleich.

In den letzten Wochen mag es zuweilen eine Unterversorgung mit allerlei gegeben haben, Regierungs-Pressekonferenzen aber fanden in ausreichendem Maß statt. Zumindest ist mir nicht bekannt, dass es Anrufe bei der Corona-Hotline gegeben hätte, in denen sich Österreicher über einen diesbezüglichen Mangel beklagt hätten. Dieser Tage übersteigt die Anzahl dieser Regierungs-Pressekonferenzen zur Corona-Krise die Zahl 100, allein Sebastian Kurz soll an 86 beteiligt gewesen sein. 

Die Veranstaltungen bisher waren allesamt nach einem Baukastensystem aufgebaut. Es wurden die immer gleichen Sätze mit einem jeweils aktuellen Thema kombiniert. Einzelne Bausteine wurden mit der Zeit weggeschmissen, frische kamen hinzu. „Neue Normalität“, „Reproduktionsziffer“, „Eigenverantwortung“, „hochfahren“, „Lockdown“, „Shutdown“, „Lockerungen“,  „Containment“, „die sparsamen Vier“, in „Fleischmanns Drive in“ oder „Zum nassen Gerald“ war man immer sehr kreativ.

Gutes Marketing setzt voraus, dass es alle anwenden, und alle meint alle. So stand also die neue Kultur-Staatssekretärin Andrea Mayer, sie ist noch nicht einmal eine Woche im Amt, gestern bei ihrer ersten Pressekonferenz, die eigentlich ihre zweite Pressekonferenz war, wenn man ihre Präsentation mitrechnet, und sagte gleich zu Beginn diesen Satz: „Wir waren bei den Maßnahmen gegen die Coronakrise unter den Ersten in Europa und sind es auch jetzt bei der Rücknahme der restriktiven Maßnahmen und das ist sehr, sehr gut“. Es ist natürlich „sehr, sehr gut“ bei den Ersten dabei zu sein, aber auch der Kanzler, der Vizekanzler, der Gesundheitsminister, der Innenminister, die Wirtschaftsministerin, die offenkundig alle durch dieselbe Waschstraße gegangen waren, hatten schon erwähnt, dass wir unter den Ersten in Europa sein würden und dass dies „sehr, sehr gut“ sei und weil wir so brav waren, wurde uns jedes Mal danach etwas gegönnt, ein kleines Tobleronestück mehr Freiheit meistens. Wir sollten es nur nicht zu gierig hinunterschlucken, sonst müssten wir es wieder ausspucken.

Dass mit dem schneller sein, ist überhaupt so eine Obsession. Das klingt als hätten wir schon gern Covid-20, während sich die anderen immer noch mit Covid-19 herumschlagen. Ich warte darauf, dass Dompfarrer Toni Faber einmal bei einer Regierungs-Pressekonferenz auftaucht und voller Begeisterung sagt: „Wir waren viel schneller dran als alle Kirchen in Europa und das ist sehr, sehr gut. Wir waren mit unserem Vater unser schon fertig, da standen die anderen noch vor der Entscheidung, welcher Religion sie überhaupt nähertreten sollten“. Es ist ein Kreuz.

Aber ich wollte Ihnen zu Beginn eigentlich etwas anderes erzählen und nicht gleich mit der Bühnentür ins Haus fallen. Als ich noch ein kleines Licht beim „Kurier“ war, ohne dort jemals ein großes Licht geworden zu sein, jedenfalls zu Beginn der neunziger Jahre stand ich eines Tages vor dem Eingangstor des Redaktionsgebäudes, das damals noch in der Seidengasse in Wien-Neubau lag. Hans Rauscher, heute beim „Standard“, damals stellvertretender Chefredakteur, trat vor die Tür und in der Sekunde setzte ein Wolkenbruch ein. Er entfaltete seinen Schirm, blickte missmutig Richtung Himmel und sagte: „Für des homs a Göd“. 

Das war natürlich satirisch gemeint, also zumindest vermute ich das, aber so etwas wie die Vorstufe zu Alfred Gusenbauer. Der damalige Kanzler der SPÖ reiste 2008 zur einer Parteiveranstaltung nach Donawitz in die Steiermark. Er war mittelgut gelaunt, bemerkte nicht, dass ein Mikrofon des ORF-„Report“ eingeschaltet war und sagte folgenden Satz: „Und das wird heute was Ordentliches in Donawitz oder das übliche Gesudere?“ Der Österreicher jammert halt gern.

In den letzten Wochen hatte die Kultur einige gute Gründe, um zu sudern und zu jammern. Es gab „ka Göd“ und auch wenig Liebe, die Regierung und die Kulturschaffenden redeten aneinander vorbei, ein Besuch in „Fleischmanns Drive in“ oder „Zum nassen Gerald“ hätte vielleicht geholfen, aber daran dachte keiner. Jetzt aber ist Hilfe da und die gab es gestern gleich doppelt, weil etwas dazukam, gleichzeitig etwas fehlte. Werner Kogler hat offenbar keine Lust mehr auf die Kultur, das Amt als Minister hat er zwar immer noch inne, aber gestern stand Gesundheitsminister Rudolf Anschober neben Andrea Mayer und es wurde wieder etwas hochgefahren, um Erster in Europa zu sein, weil das ist „sehr, sehr gut“ wie wir wissen.

Kulturmundtag

Anschober und Mayer pfiffen auf die Plexiglas-Show und blieben im Gesundheitsministerium, um mit den Lockerungen für den Kulturbereich hochzufahren. Das geht jetzt richtig zackig. Schon ab Freitag sind Indoor-Events mit bis zu 100 Personen erlaubt, Sebastian Kurz kann also wieder ins Kleinwalsertal fahren, wenn es regnet können alle gefahrlos reingehen. Ab 1. Juli sind 250 Personen erlaubt, das gesamte Publikum von sechs Heimspielen von Admira Wacker also, auch die Kinos öffnen, ab 1. August sind mit Genehmigung 1.000 Gäste möglich. Outdoor ist sogar mehr drin, aber ich glaube es wird sich gerade nicht ausgehen, dass die Wiener Roten im September, also unmittelbar vor der Wahl, ihr Donauinselfest veranstalten können, das ist freilich natürlich nur eine Vermutung. Zu viel Eigenverantwortung darf man dem Virus auch nicht zugestehen.

In den Zuschauerräumen von Theatern werden in den nächsten Monaten Träume wahr. Endlich kann man die Füße auf den Vordersessel legen, ohne dass Spießbürger das anmaßend finden. Man kann sich auf zwei Sesseln breit machen, den Nachbarsessel als Ablagefläche für Popcorn und Cola nutzen, denn wir gehen nie mehr allein fort, der Babyelefant ist immer mit. Der Ein-Meter-Abstand gilt auch im Theater, wo er nicht möglich ist, müssen die Sitzplätze daneben frei bleiben. Geht auch das nicht, dann gilt eine Schutzmaskenpflicht während er gesamten Vorstellung, was den Genuss, die Beine auf dem Vordersessel ablegen zu können, wieder etwas zunichte macht.

Es ist allerdings auch so: Wenn man mit Familie unterwegs ist, dann gelten keinerlei Abstandsregeln, der Einlass zu Kulturveranstaltungen könnte sich also etwas mühsam gestalten, wenn alle ihre Meldezettel, Heiratsurkunden, Geburtsurkunden und Mutter-Kind-Pässe herzeigen müssen. Wenn sie es dann ins Innere geschafft haben, dann dürfen sie dort Stoß-an-Stoß sitzen, was wiederum für das Theater super ist, weil es mehr Tickets verkaufen kann. Es könnte also sein, dass es in Wien, aber auch anderswo in Österreich, demnächst zur spontanen Gründung von Großfamilien kommt, die Mitglieder müssen nur darauf aufpassen, dass die Regierung sie nicht bei der Kinderbeihilfe schnalzt, es gab da irgendwelche diesbezüglichen Pläne. 

Zu viert kann man übrigens auch „unmittelbar nebeneinander“ sitzen, wenn man sich kennt, fragen Sie mich bitte nicht wie man das nachweisen muss.

Wenn sich noch näher zusammenrücken wollen, dann sollten Sie ein Instrument lernen oder aufs Reinhardt Seminar gehen. Weil sich auf der Bühne und im Orchestergraben Abstände schwer regeln lassen, hat die Regierung gleich ganz darauf verzichtet das regeln zu wollen, sondern sie holte sich Rat in der Waschstraße und heraus kam wieder einmal der Appell an die  „Eigenverantwortung“. Statt einen Babyelefanten Abstand voneinander zu halten, kann man eng stehen wie die Ölsardinen. Ob sich Schauspieler auf der Bühne abschmusen oder sich aus zwei Metern Entfernung Kusshändchen zuwerfen, bleibt ihnen überlassen, man wird eventuell demnächst ein paar Klassiker in ganz neuen Interpretationen sehen.

Die Kulturszene atmet auf, aber es ist mehr ein Schnappen nach Luft. Die Salzburger Festspiele beschlossen gestern, mit einem Rumpfprogramm in die Sommersaison zu gehen. 30 statt 44 Spieltage, 6 statt 16 Spielstätten, 90 statt 200 Vorstellungen, alle zwischen dem 1. August und dem 30. August. 180.000 Tickets, die vor dem Shutdown verkauft wurden, sind ungültig. Das Burgtheater gab gestern die Pläne für die nächste Spielsaison ab Herbst bekannt, Direktor Martin Kušej, der zur Pressekonferenz mit einem kreativen Plexiglas-Mundschutz erschien,hofft auf „möglichst wenig Einschränkungen“. Er will sofort mit den Proben beginnen, in kleinen Einheiten „wie beim Fußball“. Auch der ist ja stets von Hoffnung geprägt.

Stellungnahme

Hoffnung kann aber auch trügerisch sein. Die Lufthansa-Tochter Eurowings flog am vergangenen Samstag mit einem Airbus 320 nach Sardinien, das erste Mal seit Ausbruch der Coronakrise. Die Maschine aus Düsseldorf konnte allerdings in Olbia nicht landen, weil der Flughafen wegen der strengen Quarantänebestimmungen der Italiener noch bis zum 24. Juni gesperrt ist. Eurowings hatte sich offenbar um einen Monat verschaut. Der Airbus musste nach Düsseldorf zurückkehren, sich bei den Passagieren entschuldigen und sie umbuchen. Der diesbezügliche Aufwand blieb gering, denn es waren nur zwei Fluggäste an Bord.

Auch ich habe mich gestern ordentlich verflogen. Am frühen Nachmittag tauchte auf dem offiziellen Twitter-Account des designierten Staatsopern-Direktors Bogdan Roščić eine bittere Nachricht auf und das gleich in drei Sprachen, auf Deutsch, Italienisch und Englisch: Placido Domingo sei gestorben. Roščić übernimmt am 1. Juli die Direktion der Staatsoper, für mich sah das alles echt aus. Der Account war als offiziell ausgeschildert, im Februar 2020 eingerichtet worden, was zeitlich passte, über tausend Personen waren als Follower gelistet, darunter viele Kulturschaffende. Vielleicht hätte mich stutzig machen sollen, dass erst in der Nacht auf Montag der erste Tweet abgesetzt worden war. Ich ließ mich reinlegen. Ich habe die Online-Redaktion auf den vermeintlichen Todesfall hingewiesen, das war der nächste Blödsinn.

Jedenfalls: Nach 20 Minuten stellte sich heraus, dass es sich um einen Hoax handelte. Roščić reagierte: „Bei dem zitierten Account handelt es sich um einen Fake Account, der weder mit mir noch mit der Wiener Staatsoper etwas zu tun hat. Dass über diesen Fake-Account derartig grausame und geschmacklose Nachrichten verbreitet werden, die Menschen weltweit betroffen machen, ist auf das Allerschärfste zu verurteilen. Wir werden unsererseits nun Schritte einleiten, um diesen Account blockieren bzw. löschen zu lassen“. Das passierte am Nachmittag, der Zugang verschwand. Ein italienischer Journalist soll dahinterstecken, wozu ist für mich nicht nachvollziehbar. 

Selbstverständlich haben wir die Falschmeldung umgehend korrigiert und uns entschuldigt. Trotzdem macht mich so etwas nachdenklich. Ich habe bei mir bis jetzt keine erhöhte Neigung festgestellt, auf Fake-News, Fake-Accounts, Verschwörungstheorien, Spins hineinzufallen, trotzdem ist es mir passiert. Ich muss noch vorsichtiger sein, wir müssen noch vorsichtiger sein, jedenfalls sollten Sie nicht alles glauben, was sie lesen, vor allem nicht, was in dieser Kolumne steht, da muss ich dringend davor warnen. Ich werde jetzt einmal drei Vater Kurz beten und um Vergebung bitten..

Eigenverantwortung

Ich hoffe, Ihr Dienstag wird wunderbarer als mein Montag. Die „Corona-Matura“ geht mit Deutsch richtig los. Wer die Schule hinter sich hat, darf sich auf Bundesheer oder Zivildienst freuen. Seit gestern laufen die Stellungsuntersuchungen wieder, Verteidigungsministerin Klaudia Tanner (die ich immer noch richtig schreibe) warf ein Auge drauf, wenn man das so sagen darf. Sie hatte gestern übrigens eine Körpertemperatur von 35,3 Grad, falls das jemanden interessiert, das wurde gemessen, als sie die Stellungskommission in Wien besuchte.

Weil wir eben über Eurowings geschmunzelt haben, diese Sorgen hätten die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Laudamotion gerne. Die Wien-Basis der Ryanair-Tochter soll geschlossen werden, außer die Belegschaft akzeptiert einen Knebelvertrag mit Grundgehältern teils unter der Mindestsicherung. Die Gewerkschaft verweigert die Zustimmung zum neuen Kollektivvertrag, 50 (von etwa 600) Betroffenen demonstrierten deshalb gestern in der Wiener ÖGB-Zentrale. Sie hielten Plakate hoch, bekräftigten auch unter diesen Bedingungen arbeiten zu wollen. Ich fürchte, das wird nicht der letzte Konflikt dieser Art sein, aber vielleicht passiert ja ein Wunder und wir sind die Ersten in Europa, die diese Wirtschaftskrise überwinden und das wird „sehr sehr gut“ sein. Bis morgen in der Waschstraße!

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