In Frühlingshaft
Über Parksünder, einen Datensalat und das erste Hoodstock.

Was ein Jahr doch für einen Unterschied machen kann. Als um Ostern 2019 rum in den Wetternachrichten das erste Mal das Wort „frühlingshaft“ fiel, rissen wir die Fenster auf, stellten die Sitzmöbel auf die Terrasse, falls vorhanden, und planten den Ausflug in die Natur für den nächsten Tag. Ein Jahr später war „frühlingshaft“ nun in der Nachtausgabe der ZiB als Insert bei der Wetterprognose zu sehen und dem Journalisten Markus Lust fiel die Doppeldeutigkeit auf. „Frühlingshaft“, das kann man auch als Substantiv lesen. Wir sind daheim eingesperrt, wir sitzen in „Frühlingshaft“, auch das kommende wunderschöne Wochenende lang.
In unserem Hausarrest haben wir vor allem viel Zeit zum Fernsehen, auch untertags. Da laufen „Sturm der Liebe, „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ und „Kommissar Rex“, am Vormittag aber rennen vor allem dauernd Politiker durchs Bild, sie haben allesamt ernste Mienen aufgesetzt und erteilen uns jede Woche neue Befehle. Wir sitzen daheim im Wohnzimmer, nähen aus alten Stofffetzen Schutzmasken zusammen und denken darüber nach, was die Politiker uns demnächst als Arbeitsauftrag geben könnten. Irgendwas zum Ausschneiden, eine kleine Bastelei vielleicht? Ein Schiffchen als Kopfbedeckung? Ein paar Ellenbogenschoner oder Knieschützer? Wir werden für alles dankbar sein, soviel ist sicher, wir wollen uns schließlich einigermaßen beschäftigt wissen. Essen allein kann kein Lebenszweck sein. Wobei...
Lichtgestalt

Sitzen wir alle noch im selben Zug? Wir fragen uns das ernsthaft. Und wenn wir alle im selben Zug sitzen, in welche Richtung sind wir unterwegs? Wer steuert die Lok? Am Montag dieser Woche hatte Sebastian Kurz noch in sehr eindringlichen Worten vor den Gefahren des Virus gewarnt. „Es mag in Österreich beschaulich und ruhig wirken“, sagte der Kanzler, „doch das ist nur die Ruhe vor dem Sturm“. Bald werde jeder von uns jemanden kennen, der an Corona gestorben ist. Es waren Sätze, die viele verstörten. Kurz wählte sie bewusst, er wollte warnen. Den Herrn links von ihm erreichten die Worte offenbar nicht oder anders als vielleicht geplant.
Denn es dauerte nur drei Tage, da war der Sturm offenbar wieder abgeblasen, noch ehe er richtig zu wehen begonnen hatte. Gestern gab Rudolf Anschober erneut eine Pressekonferenz, Kurz war diesmal nicht dabei. Der Gesundheitsminister warnte auch ein bisschen, man sei „noch nicht am Ziel“, vor allem aber sprach er plötzlich von einem „Licht am Ende des Tunnels“, welches er wahrnehme und deutete das als „gutes Zeichen“. Nun wissen wir aus der Erfahrung, dass ein „Licht am Ende des Tunnels“ mehrerlei bedeuten kann. Es kann tatsächlich ein „gutes Zeichen“ dafür sein, dass man bald durch den Tunnel durch ist. Oder aber es handelt sich um die Scheinwerfer eines Fahrzeuges, das einem entgegenkommt. Die Folgen der unterschiedlichen Wahrnehmung können durchaus voneinander abweichend ausfallen. Wenn man erkennen kann, was dieses „Licht am Ende des Tunnels“ eigentlich ist, dann ist es jedenfalls oft zu spät zum Bremsen.
Anschober trug keinen Mundschutz, die Regierung ist sehr zurückhaltend damit. Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck war Dienstag in der ZiB zu sehen, sie trug ihre Maske eher wie ein Halstuch oder mehr noch wie ein Babylätzchen, man war bemüht zu schauen, ob irgendwo Reste von Spinat kleben oder zumindest ein paar kleine Nudeln. Die Schutzmaske sah schmückend aus, das schon, aber so getragen war sie nutzlos und für die spätere Verwendung sogar unbrauchbar. Auch Anschober hatte gestern keine Schutzmaske auf, nicht einmal als Babylätzchen, am Tag davor schon, aber halt nur auf einem Bild, das seine Sprecherin geknipst hatte und das dann zufällig der „Krone“ in die Hände fiel. Die Grünen haben recht schnell erkannt wie es läuft.
Am Donnerstagabend waren wir dann wieder im Tunnel, aber jetzt war es wieder stockfinster drin. Der Bundespräsident trat in der ZiB auf, er redete achteinhalb Minuten lang, versuchte zu beruhigen, aber auch den Ernst der Lage darzulegen. „Ich will ehrlich mit ihnen sein“, sagte er und diese Ehrlichkeit beinhaltete, dass er zugab auch nicht vorhersagen zu können, wie lange diese Krise dauern werde. „Wir alle miteinander wissen, dass wir erst am Beginn dieser gemeinsamen Anstrengungen stehen“, sagte Alexander van der Bellen allerdings trotzdem.
Boulevard of
broken dreams

Es waren wohlgesetzte Worte, aber am Ende entließ dieser Tag wohl viele in Österreich in eine Nacht großer Ungewissheit. Lassen Sie mich es so sagen: Am Montag fand der Kanzler keine Tunnelröhre, am Donnerstagvormittag sah sich der Gesundheitsminister schon fast durch die Tunnelröhre durch, die der Kanzler drei Tage davor nicht einmal entdecken hatte können. Und am Donnerstagabend sagte der Bundespräsident, dass die Fahrt durch diesen Tunnel noch eine ziemlich lange Weile dauern kann, wie lange wisse man nicht. Von einem Licht am Ende sprach er nicht.
Bei all der Pressekonferitis der Regierung hat man den Eindruck, dass die Kommunikation zunehmend zu entgleisen beginnt. Bei seinem Medientermin sprach Anschober gestern plötzlich von 92.190 Tests, die bisher durchgeführt wurden, einen Tag davor waren auf der Webseite seines Ministeriums noch 56.000 Tests ausgewiesen worden. Nein, die rund 36.000 Checks waren nicht über Nacht durchgeführt worden. Es würden mittlerweile über 40 Labors in Österreich Tests machen, erklärte der Gesundheitsminister, die kleineren davon ihre Daten aber nicht ins Epidemiologische Meldesystem einspeisen. Warum aber veröffentlicht man dann Zahlen, von denen man weiß, dass sie nicht ein bisschen falsch sind, sondern um Hausecken?
Auch die Zahl der Infizierten schwankt, sie sind sowohl über das Innenministerium, als auch über das Gesundheitsministerium zu erfragen – und stets anders. Das Innenministerium ermittelt die Fakten einmal am Tag, immer um dieselbe Zeit über einen Rundruf in die Bundesländer. Es sind die Daten, die dann dem Krisenstab zur Verfügung stehen, der immer um 8.30 Uhr tagt. Auf der Webseite des Gesundheitsministeriums werden die Zahlen laufend erneuert, ablesbar sind aber nur jene Fälle, die bereits ins System eingegeben wurden, nicht die tatsächlichen. Es ist ein täglicher Blindflug.
Wenn stimmt, was Ärzte hinter vorgehaltener Hand erzählen, dann herrscht auch bei der Zahl der Toten große Ungewissheit. Pathologen sind offenbar angewiesen worden, bei „Corona-Toten“ keine posthumen Untersuchungen vorzunehmen, weil es ein nicht bewiesenes Ansteckungsrisiko gebe. Über ein CT aber könnte man etwa recht schnell erkennen, ob jemand an Covid-19 umgekommen ist oder nicht. So aber wird momentan jeder Infizierte, der stirbt, als „Corona-Toter“ in der Statistik erfasst.
Auch bei „Patientin 0“ tappt man wieder im Dunklen. Bei der Pressekonferenz am Vormittag hatte ein von Anschober zugezogener Experte davon gesprochen, eine Kellnerin aus der Schweiz sei in Ischgl bereits am 5. Februar als erste Infizierte entdeckt worden. Ein Eingabefehler, ruderte das Ministerium am Abend zurück, tatsächlich habe die Patientin erst am 5. März Krankheitssymptome gezeigt. Ein Malheur, kann passieren, aber das alles passt ins Bild.
Angebär

Damit mich niemand falsch versteht. Ich will nichts verharmlosen, ich nehme Corona ernst und das schon lange. Ich halte die gesetzten Maßnahmen der Regierung für richtig. Sie sind in der Dimensionierung meist angemessen, sie wurden zum gerade noch möglichen letzten Zeitpunkt gesetzt und sie sind gut geeignet, den Erkrankungszahlen die Spitzen zu nehmen, damit unsere Spitäler, vor allem aber unsere Intensivstationen nicht überlastet werden. Ich bin mit dem Bundespräsidenten einer Meinung, wenn er sagt, dass die Krise „vorbeigehen“ werde. Dass wir „durchhalten müssen“. Dass „mit der Stärke jedes Einzelnen von uns“ das Virus geschwächt werde.
Aber: Vielleicht wäre es jetzt einmal gut für die Regierung, sich zwei Tage zu sammeln, die Kommunikation auf neue Beine zu stellen, danach sparsamer in den Auftritten zu sein, dafür faktentreuer. Beseitigt endlich den Datensalat! Und ja, wir halten es aus, einen Tag einmal keinen Politiker live bei einer Pressekonferenz im Fernsehen zu sehen. Wir glauben euch auch so, dass ihr gut zu tun habt.
Wir auch, das kann man schon sagen. Gestern waren in vielen Supermärkten die Masken schon wieder aus, was schade ist, denn wir hatten uns gerade so an sie gewöhnt. Interessant, wie rasch sich momentan alles in diesem Land verändert. „Unique relations“ befragte für „Heute“ 506 ÖsterreicherInnen, was sie davon halten, dass in der Öffentlichkeit, also etwa im Supermarkt, Maskenpflicht herrscht. 83 Prozent finden das eine „sehr gute“ oder „gute“ Idee, ziemlich wurscht, welche Partei die Befragten auch wählen. Sebastian Kurz wird uns die Masken einmal aus dem Gesicht reißen müssen, so sehr haben wir uns bald in sie verliebt.
Vielleicht sind dann auch die Bundesgärten wieder offen und auf den Straßen fahren wieder Autos. Im Moment kommt man in Wien ja etwas durcheinander. Heute wird im Parlament ein Gesetz beschlossen, das Straßen zu Gehwegen machen kann. Keine Autos am Ring, dafür Fußgänger, die Corona-Spaziergänge machen, ein grüner Traum wird wahr. Wenn die Fußgänger dann am Burggarten vorbeikommen, können sie winke, winke machen, denn in den Park dürfen derzeit nur die Lipizzaner ausgeführt werden, sonst bleiben die Tore zu. Am Augarten hat gestern jemand ein Schild angebracht. „Sperrts auf es Heisl“ steht drauf, sprachlich nicht ganz korrekt, aber klar in der Intention. Mit Filzstift hatte ein anderer „jo net“ dazugeschrieben. Die Wiener Seele ist also noch etwas unentschieden.
Hoodstock

Am Ende darf ich Ihnen keckerweise noch zwei Beschäftigungen fürs Wochenende ans Herz legen. Weil ja der Tiergarten Schönbrunn derzeit geschlossen halten muss und wir Finja nicht beim Aufwachsen zuschauen können, empfiehlt sich vielleicht die Bestellung des neuen Bildbandes über das Eisbärenmädchen. Er erscheint heute, sie bekommen ihn sicher noch vor Weihnachten, es muss nicht das heurige Fest sein.
Und ich darf Sie auf ein Experiment hinweisen. Am Sonntag findet unser erstes Online-Konzert statt, wir haben es „Hoodstock“ getauft, pfiffig oder? 12 Künstler treten auf, jeder spielt 20 Minuten live, um 18 Uhr geht es auf heute.at los. Mathea ist dabei, Lucas Fendrich, Die Mayerin und noch ein paar Musiker, die ich nicht kenne, aber die garantiert superst sind. Wird sicher lustig, diese Show für Ihre Hood.
Machen Sie sich bis dahin ein wunderbares Wochenende. Das Wetter wird traumhaft, stellen Sie trotzdem keinen Blödsinn an. Dafür haben Sie später im Leben noch genug Zeit.
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Fotos:
Augarten: "Heute", Denise Auer
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Mathea: "Heute", Denise Auer, iStock