"Irritierende Bilder"

Österreich macht sich frei und anderes Unglaubliches.

Aber jetzt! Jetzt wird alles untersucht, jeder Stein wird umgedreht. Österreich wird transparent, durchsichtig, wie aus Plexiglas. Wenn die ISS in einem Jahr über uns fliegt und die Astronauten nach unten blicken, dann werden sie sich fragen, wie dieses Land heißt, durch das man durchschauen kann bis zum Erdmittelpunkt. Es gibt jetzt Untersuchungsausschüsse und die Menschen werden sich darum raufen, um auf die Einladungsliste zu gelangen, wo kommt man heute schließlich sonst noch hin? Die Promis werden die Ausschussvorsitzenden anbetteln, damit sie vorgeladen werden. Wer etwas auf sich hält, der ist jetzt Ausschuss. Nicht einmal der Schlüssel zum Privatklub von Martin Ho ist so begehrt.

Ibiza und Ischgl, beide zeitgeschichtlich relevanten Schauplätze österreichischer Kleinkunst also, werden nun mittels U-Ausschüssen untersucht. Ibiza und Ischgl, fällt ihnen was auf? Kann es Zufall sein, dass die Orte, in denen sich die größten politischen Skandale der letzten Jahre zutrugen, beide mit „I“ beginnen? Ich denke nicht. Aber auf diese Fährte sind die Verschwörungstheoretiker natürlich noch nicht gekommen. Das muss etwas zu bedeuten haben. Vielleicht bittet man einen Energetiker zu den Untersuchungsausschüssen dazu, irgendeiner wird schon jetzt nicht auf Kurzarbeit sein. 

Am 4. Juni geht es los. Zehn Termine gibt es bis zum 16. Juli. SPÖ und Neos präsentierten gestern ihre Liste der Vorgeladenen, die anderen Parteien folgen. Der Kanzler kommt und sein einstiger Vize Heinz-Christian Strache, dessen Ibiza-Spezl Johann Gudenus, der aktuelle Finanzminister Gernot Blümel und sein Vorgänger Hartwig Löger, dessen Staatsekretär Hubert ich-bin-immer-super-drauf Fuchs, Norbert ich-war-noch-nie-auf-Ibiza Hofer, fast die komplette Novomatic, exklusive Gewinnspiel-Terminals, die Casino-Gambler, die Wörthersee-Blase angeführt von Heidi Horten und Gaston Glock, nur Otto Retzer fehlt. Das ist schade, denn wann fände man einen besseren Cast für die Verfilmung des wahren und echten Österreich? Arbeitstitel: „Ein Vorhängeschloss am Wörthersee“.

Villa Kunterbunt

Die Hauptrolle sollte Roy Black Strache übernehmen, was zeitlich heikel werden könnte, denn der ehemalige FPÖ-Chef ist politisch schon wieder recht stark disponiert. Am Freitag, fast genau ein Jahr nach Auffliegen der Ibiza-Affäre, lädt er zum zweiten Mal in diesem Jahr in die Wiener Sophiensäle, diesmal um den neuen Namen seiner „Bewegung“ für die Wienwahl zu verraten und die „nächsten Schritte“ bekannt zu geben, wie die Einladung verspricht. Wenn er jetzt jedes Mal Publikum dazu bittet, wenn er ein paar Meter geht, könnte das auf die Dauer mühsam werden. Publikum gibt es diesmal keines, nur Journalisten sind willkommen, für die liegen aber sogar Einweghandschuhe bereit. Himmel, was haben die mit uns dort vor?

Sebastian Kurz war wohl für einen Moment unaufmerksam, denn der neue Roy Black hat ihm offenbar die Fahne geklaut. Strache dürfte nämlich unbemerkt schon ein paar Schritte unternommen und sich aus Klosterneuburg raus nach Wien vorgewagt haben. Dort stellte er sich vor eine rot-weiß-rote Fahne, ohne die kommt heute offenbar kein Politikerauftritt mehr aus, und wetterte in einem 2.20 Minuten langen Twitter-Video über die Regierung. Er unterstellt ihr „Realitätsferne“ und „Hilflosigkeit“, fordert die „sofortige Lockerung der Maskenpflicht“ und die „Aufhebung der sinnbefreiten Auflagen in der gesamten Gastronomie“. Dann hebt Strache an: „Und dem Bundeskanzler rufe ich im Namen der betroffenen Österreicherinnen und Österreicher zu“. Und aus! Nichts folgt! Fertig! Das Video ist zu Ende und wir erfahren nicht, was Roy Black dem Kanzler zurufen will. Vielleicht „Ganz in Weiß mit einem Blumenstrauß, ja, dann reichst du mir die Hand“.

Aber nicht nur in Wien wird jetzt auf Corona komm raus untersucht, sondern auch in Tirol. Die Landesregierung hat eine Experten-Kommission eingesetzt, also noch nicht wirklich eingesetzt, sondern vorerst die beiden Leiter nominiert. Einen davon kennt Landeshauptmann Günther Platter recht gut, denn er saß 2018 im Unterstützungskomitee für seine Wiederwahl. Eigentlich waren bereits sieben andere Experten für die Kommission fixiert, die Landtagspräsidentin hatte sie, laut ORF, auch bereits angerufen und ihre Zusage eingeholt, aber dann kam es eben anders. Tirol halt.

Die SPÖ findet die Vorgangsweise der ÖVP gut und will im Landtag zustimmen, nur falls es wieder einmal heißt die Roten seien nur in der Bundespartei verwirrend. Die Grünen sind ebenfalls dafür, wiederum aber auch nicht, sie haben es derzeit nirgendwo leicht. Jedenfalls stimmten sie untertags dem Vorschlag ihres Koalitionspartners zu, am Abend dann lehnten sie ihn im Landesvorstand ab. Es könnte sein, dass hier manches heute wieder zu einer „Privatmeinung“ mutiert.

Offen gesagt zu

Ich verstehe ja grundsätzlich nicht, was die Tiroler überhaupt noch untersuchen wollen, die sind ohnehin schon geläutert. „Ein übertriebener Partytourismus ist nicht notwendig“, sagte Landeshauptmann Platter gestern in einer Videopressekonferenz, so richtig raustrauen tun sich die Mander ja noch nicht. Das „Management Center Tirol“ erarbeitet fürs Land bis Herbst ein neues Tourismuskonzept, man wäre schneller fertig, wenn man sich die vier Folgen der „Piefke-Saga“ anschauen würde, denn dort wird der Weg von der Sünde ins gelobte Land sehr anschaulich geschildert. „Irritierende Bilder“ habe Tirol in die Welt getragen, sagte Platter. „Irritiert“ hat die internationalen Gäste wohl eher, dass sie aus dem Skiurlaub einen tödlichen Virus heim mitbrachten, ein paar waren sogar so „irritiert“, dass sie daran starben.

Nun aber wird Tirol total Bio, das Vätererbe, Sie verstehen? Party, Saufen, Ballermann, damit will man jetzt nichts mehr zu tun haben. Es brauche „beispielsweise keine Tagesgäste in den Skigebieten, die mit Bussen anreisen und ausschließlich zum Feiern kommen“, sagte der Landeshauptmann. Seine Stellvertreterin Ingrid Felipe (Grüne) nannte „Erholung, Berge und Naturerlebnisse“ als neue Zielgrößen. Sie vergaß zu erwähnen, dass für Ischgl-Touristen bisher „Erholung, Berge und Naturerlebnisse“ hieß, sich einmal so richtig natürlich volllaufen zu lassen.

Ich denke, es wird ein schickes Tourismuskonzept herauskommen. Es wird weiter skigefahren und getrunken und mit dem Bus angereist werden, nun aber unter der Maßgabe von Nachhaltigkeit. Die Landespolitiker werden sich auf die Schultern klopfen, sich gegenseitig beteuern, dass sie alles richtig gemacht haben und die Krise bestmöglich gemeistert wurde, man habe ja nicht gewusst, was sie da in Orten wie Ischgl abspielte, pfui Teufel. Schuld seien aber sowieso die Wiener. Und die Chinesen. Wenn man da schon einen Unterschied machen will. „Ihr könnt in Ruhe nach Tirol kommen“, rief Platter den Urlaubern gestern zu. Es klang fast wie eine Drohung.

Drohung oder nicht, gestern machte das Gerücht die Runde, Staatssekretärin Ulrike Lunacek würde zurücktreten, der „Standard“ berichtete als Erster darüber. Sie dementiert, aber die Frage bleibt, wie lange Werner Kogler, der selbst von der Kulturszene mittlerweile heftig angegriffen wird, noch lange die Augen darüber verschließen kann, das hier in den letzten Wochen viel Murks passiert ist. Und dieser Murks ist kein Murks, über den man lästern kann oder spötteln, dieser Murks verursacht viel Leid, weil Tausende Menschen aus der Kultuszene ohne Geld dastehen und ihnen weder geholfen noch eine Perspektive geboten wird. Am Freitag will Lunacek nun liefern. Es muss ein Kunststoß sein, sonst rollt ihre Kugel vom Regierungs-Billardtisch. 

Augen zu und durch

Wir müssen noch ein bisschen über die Schule reden. Ich habe gestern ausgeführt, wie viele (oder eher wie wenige) Unterrichtsstunden ein Kind in der Oberstufe bis zum Schulschluss haben kann, also etwa sechs Stunden Bildnerische Erziehung, aber nur drei Stunden Mathematik und 0 Stunden Biologie. Das war natürlich nur ein Beispiel, es kann in anderen Schulen ganz anders sein, aber nie viel, richtig viel wird es in keinem Gegenstand. In den 11 oder 12 Tagen, die unterrichtet werden, ist einfach nicht mehr Platz. Das Thema emotionalisiert offenbar, das merke ich an den Reaktionen, ich lerne jeden Tag dazu, ich muss dafür gar nicht in die Schule gehen. Zum Beispiel das alles ganz anders sein kann.

Ich telefonierte mit einer Kollegin, die zwei Kinder hat, beide gehen in die Volksschule, ein Mädchen in die erste, ein Bub in die vierte Klasse. Ich wollte von ihr wissen, ob die Stundenpläne nach dem „Hochfahren“, sie verzeihen das Wort, in ihrer Klasse geändert wurden (ich erfuhr später, sie wurden leicht angepasst). So nebenbei erzählte sie, dass sie von ihrer Schule einen Brief bekommen habe. Die beiden Fenstertage, wurde ihr dabei mitgeteilt, bleibe die Schule geschlossen, an beiden Tagen, nach Christi Himmelfahrt und nach Fronleichnam. Nanu? War da nicht etwas mit einer Übereinkunft zwischen Ministerium und Gewerkschaft? Hatten die Personalvertreter nicht zugestimmt, dass die Lehrer auch an den Zwickeltagen unterrichten? Hatten sie, aber nur auf freiwilliger Basis. Jetzt höre ich von immer mehr Schulen, dass an den beiden Fenstertagen gar kein Unterricht stattfindet. Heute will Bildungsminister Heinz Faßmann ein paar Zahlen dazu präsentieren. Das wird spannend.

Auf Twitter schrieben mir ein paar LehrerInnen, dass mein Beispiel nicht stimmen könne. In ihrer Schule seien die Stundenpläne selbstverständlich geändert und angepasst worden. Das finde ich gut und richtig, aber es ist nicht die Regel und es entspricht nicht den Vorgaben des Ministeriums. Wir haben dort gestern noch einmal angerufen. Die bisherigen Stundenpläne, so lautete die Auskunft, sollten nach Möglichkeit beibehalten werden.

Urlaubsmaske 2020

Viel mehr verwirren Eltern aber die vielen Vorschriften, die ihnen nun gemacht werden. Die Schulen schreiben ihnen lange Mails, in denen aufgeführt wird, wie der Schulalltag in der Praxis funktionieren soll, auf Twitter befinden sich einige Beispiele dafür. Manches davon mutet sehr praxisfern an. In einigen Schulen soll plötzlich ein Abstand von zwei Metern eingehalten werden, in anderen werden Kinder, die in der Früh ohne Schutzmaske kommen, abgewiesen. Unfug, beteuert das Ministerium, die Schulen müssen Ersatzmasken parat halten. Da bin ich neugierig.

Was das Ministerium allerdings bestätigt: In den Schulen herrscht grundsätzlich Maskenpflicht, die Mädchen und Buben dürfen den Schutz nur abnehmen, wenn sie sitzen. Wer aufs Klo geht, in der Pause aufsteht, muss die Maske benutzen. Unklar ist: Was tun Kinder, die zum Gruß aufstehen, wenn die Lehrkraft die Klasse betritt (ja, das ist auch heute noch häufig so)? Beim Aufstehen die Maske aufsetzen? Und nach dem Niedersetzen wieder abnehmen?

„Pausen sollen die Kinder am Besten am Platz sitzend verbringen“, steht in einer Schulvorschrift wörtlich. Ernsthaft? Volksschüler sollen vier Stunden lang nur aufstehen dürfen, um auf die Toilette zu gehen? Das wird schwierig, jetzt so aus der Ferne gesagt. Einigen Schulen scheinen die Vorgaben selber peinlich zu sein oder ist dieser Schlusssatz eines Schreibens als Seitenhieb an die Politik zu verstehen? „Ob die gesetzten Maßnahmen sinnvoll sind oder überzogen, steht nicht nur Debatte, da sie vom Bildungsministerium und der Bildungsdirektion OÖ verordnet wurden“.

Wenn das so ist, sei Ihnen hiermit ein wunderbarer Mittwoch verordnet. Die Deutschen machen die Grenzen auf, schon an Freitag wird damit begonnen. Es passiert das, was ich schon länger vermute, wir werden im Sommer wohl wesentlich mehr Reisefreiheit genießen können als es noch vor zwei Wochen absehbar war. Österreich ist ein schönes Land, mit traumhaften Flecken auch zum Ferienmachen. Aber jetzt haben wir ein paar Wochen Angst gehabt, Kurz und Anschober häufiger gesehen als unsere Großeltern, wir haben rund um die Uhr Nachrichten geschaut, wir haben die Wände unserer Wohnungen so lange angestarrt, dass wir nun einen Tapetenwechsel nötig haben. Um es kurz zu machen: Wir hätten jetzt gerne einmal eine andere Umgebung. Adria statt Wörthersee, sorry Frau Köstinger!

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Fotos:
Ischgl: DPA, Felix Hörhager
Ibiza-Villa: miir.concepts, Dragan Dok
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Wollmaske: AFP, Jeremie Richard

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