Koste es, was es wolle

Noch ein bisserl brav sein, dann ist Österreich wieder frei.
Vor allem am Kopf.

Also doch die Friseure. Am vergangenen Wochenende hatte es noch geheißen, wer darauf hoffe, dass im vertikalen Gewerbe bald die Schere aufgeht, werde sich schneiden. Haarsträubend! Gestern dann das große Frohlocken: Ab 1. Mai werden alle wieder über einen Kamm geschert oder geschoren. Um ein Haar wären uns Haare auf den Zähnen gewachsen, so aber wird im Handumdrehen aus dem Tag der Arbeiterbewegung der Tag der Scherenbewegung. Das ist politisch brisant, ich halte das nicht für an den Haaren herbeigezogen. Später vielleicht mehr dazu.

Schulen werden weiter abgeschrieben, am Uni-Dekanat kein Dekan naht, die Bundesgärten werden über Ostern abgegrast, alle Familienfeiern sind abgeblasen, die Chance auf Auslandsreisen im Sommer ist verflogen, Fußballspiele sind in weite Ferne gekickt, Theater haben ausgespielt, Freibäder kommen ins Schwimmen – alles nicht so wichtig. Gestern war der Tag, an dem unsere neue Glückssträhne begann, jetzt machen wir wieder einen guten Schnitt. Ich weiß von Menschen, die in der Sekunde ihre Friseure auf Facebook ausfindig machten und sie flugs anschrieben, inhaltlich wurde etwa so auf die Tube gedrückt: „Ich will den ersten Termin am ersten Tag, koste es, was es wolle“. Manche ließen dem Wunsch sanfte Drohungen folgen, etwa dem Coiffeur, würde er das Ansinnen abschlägig bescheiden, das eine oder andere Haar zu krümmen.

Die Friseure werden sich nicht retten können vor den vielen Menschen, die in ihre Salons drängen, die meisten Stammkunden werden sie wegen ihrer Shades of grey eventuell gar nicht mehr gut wiedererkennen. Viele werden auf Krawall gebürstet sein, wenn sie nicht sofort, das heißt nach läppischen sechs bis sieben Stunden Wartezeit, drankommen. Menschen, die an Supermarktkassierern kein gutes Haar lassen, wenn nicht momentan eine zweite Kassa aufsperrt, sobald sich eine Schlange aus zwei Personen gebildet hat, werden eine Engelshaargeduld an den Tag legen. Was sollen sie auch sonst tun? Scheitelknien?

Neulich im Papamobil

Ich muss hier etwas klarspülen: Ich hatte vorgestern einen kleinen Auftritt auf ORF III. Via Skype nahm ich an einer Runde der Chefredakteurinnen teil, ich sage lieber gleich dazu, 42 Minuten auf eine Computerkamera zu schauen, damit man gut im Bild ist, das ist nicht meins. Aber was macht man nicht alles, wenn der Fortschritt anklopft? Man öffnet sanft die Tür, schaut nach, ob es nicht doch das Coronavirus ist und lässt die Zukunft eintreten, es ist ein bisschen wie beim Wolf und den sieben Geißlein.

Jedenfalls fielen tags darauf ein paar schnippische Bemerkungen darüber, wie ich es geschafft haben könnte, eine halbwegs manierliche Frisur herzuzeigen, da doch alle Haarschneider im Land geschlossen halten müssten. Die Unterstellung schwang mit, ich hätte illegal und wider die guten Sitten die Dienste eines eventuell übel beleumundeten Friseurs in Anspruch genommen, den ich vielleicht gar in die Wohnung geschmuggelt hätte. Mitnichten! Schon allein die Vorstellungen, es hätte sich jemand die Mühe gemacht zu mir zu kommen, um mir die paar Haare vom Oberkopf zu kehren und mir einen neuen Haarkranz zu legen, ist grotesk. Nein, die Wahrheit ist, meine Frau schneidet mir schon seit Jahren die Haare, keine sehr bedeutsame Tätigkeit, ich ersuche sie jedes Mal mit den folgenden Worten um einen burgenländischen Schnitt: „Bitte einmal Erdäpfel schälen, ohne Augen ausstechen.“ Ich weiß nicht, von wem das ist, aber der Satz findet seit Jahren mein Wohlgefallen.

Aber zurück zu Wesentlichem. Nachdem sich die Regierungsspitze in den letzten Tagen nur mehr einzeln auf Pressekonferenzen gezeigt hatte, wurde gestern wieder der volle Ornat angelegt. Knapp vor Mittag erschienen Kanzler, Vizekanzler, Gesundheitsminister und Innenminister mit Mundschutz auf der Pressekonferenz, als das virologische Quartett von der Seite her in den Raum marschierte, wirkte das, als würde ein Ärzteteam auf Morgenvisite den Spitalsflur betreten. Wenn ich gewusst hätte wie sich die Krise entwickelt, hätte ich Aktien von Plexiglasherstellern erworben, überall taucht es nun auf. Richard Lugner trägt einen Schutzhelm aus Plexiglas, letzte Woche verschwand die Regierung im Parlament hinter einer Plexiglasscheibe, gestern stellten sich Sebastian Kurz, Werner Kogler, Rudolf Abschober und Karl Nehammer einzeln hinter Plexiglasscheiben und nahmen die Masken ab. Es lag viel Show in dem Auftritt, aber er diente einem guten Zweck.

Landgewinn

Ich schwankte, wie der gute Zweck auf mich wirkte. Zunächst dachte ich, das sieht aus wie bei Eishockeyspielern, die für zwei Minuten wegen eines üblen Bandenchecks in die Strafbox geschickt werden. Aber die bösen Buben verbringen die meiste Zeit dann im Sitzen, die Regierungsbuben, Mädchen waren gestern nicht zugelassen, standen aber.

Als Kurz dann zu sprechen begann, erinnerte er mich eher an den Papst in seinem Papamobil, die Scheibe vor seinem Gesicht, nur das leise Motorengeräusch fehlte. Kurz sprach von "Auferstehung", er hatte wieder die Hände gefaltet, knetete sie diesmal auffällig häufig, was auf einen höheren Grad an Nervosität hindeuten könnte. Der Kanzler hätte für einen Lacher sorgen können, wenn er das Surren des Papamobils, neuerdings ja ein Dacia Duster, nachgeahmt hätte, aber dafür war die Sache zu ernst. Er sprach sogleich die „lieben Österreicherinnen und Österreicher“ an, wir haben uns schon daran gewöhnt. Nacheinander sagten der Kanzler, sein Vize und die beiden Minister mehr oder weniger dasselbe in anderen Worten, aber es war trotzdem schön, denn nach den Tagen des diffusen Lichts ging die Sonne auf, wenn auch in weiter Ferne.

Die neuen Befehle aus dem Kanzleramt lassen sich so zusammenfassen: Wenn wir über die Osterfeiertage noch ein bisserl brav sind, dann wird das was mit der sanften Öffnung des Landes. Wenn nicht, dann wird der Notstopp gedrückt. Als erstes sperren nach dem Ostermontag einmal die kleinen Geschäfte auf und die Baumärkte, gutes Lobbying hat sich in diesem Land noch immer ausgezahlt. Auch die Bundesgärten öffnen, man glaubt es kaum. Ich sehe schon vor mir, wie Tausende Wienerinnen und Wiener den Kies vor Schloss Schönbrunn küssen und sich vor Freude im Burggarten im Gras wälzen wie Maikäfer, die unglücklich auf den Rücken gefallen sind. Am 1. Mai folgen dann die Friseure. Ich glaube, da habe ich schon gute Mähne zum gar nicht bösen Spiel gemacht.

Es ist ein heikler Moment in der Corona-Krisenzeit. Keiner weiß, was jetzt passiert. Schnalzen die Erkrankungszahlen noch einmal in die Höhe? Halten die Menschen auch Disziplin, wenn sie in Geschäfte dürfen? Strömen dann plötzlich alle auf die Straßen, weil man ja nun nicht mehr die bekannten vier, oder drei, oder fünf Gründe braucht, um rausgehen zu dürfen? Was ist mit den Schulen und den Kindergärten? Wenn jetzt viele wieder zu arbeiten beginnen, müssen wieder mehr Buben und Mädchen in die Betreuung gegeben werden. Es werden wieder mehr Menschen mit den Öffis fahren. Was heißt das für die Krankheit und ihre Ausbreitung?

Super Markt

Gestern gewöhnten wir uns einmal an die Maskenpflicht in den Supermärkten. Wir lernten, dass der Mundschutz nicht mehr überall gratis ist, seltsamerweise löste der Umstand, dass man für Waren in einem Geschäft etwas bezahlen muss, einen Sturm der Entrüstung aus. Natürlich, die Supermärkte machen jetzt gute Geschäfte, aber wer auf die Straßen schaut, sieht, dass Masken und auch Handschuhe oft recht achtlos weggeworfen werden. Ich denke, es wird nicht lange dauern, bis die Papiermasken auch in den anderen Märkten etwas kosten werden. Das wird für neue Aufregung sorgen. Schon gestern begannen die Ersten mit dem Hamstern. Weil sie nicht gleich einen Zehnerpack kaufen durften, weil die Ausgabe auf zwei Packerln limitiert zu sein scheint, gab es großes Geschrei. Es sind alle nervös und gestresst im Moment, eingesperrt zu sein ist halt nicht sehr befreiend.

Ich wollte noch etwas zum 1. Mai sagen. Ich habe das dumpfe Gefühl, die ÖVP hat dieses Datum gestern nicht per Zufall genannt, als es darum ging, das Comeback etwa der Friseure anzukündigen. Für Sozialdemokraten ist der 1. Mai heilig. Es gibt Aufmärsche, Brandreden, politische Muskelspiele, heuer nicht, heuer ist Corona. Hat die Regierung etwa im Sinn, am Tag der Arbeiterbewegung das Arbeiten zu erlauben? Mutmaßlich wäre ihr die Zustimmung eines Großteils der Bevölkerung sicher. Ich denke, viele wollen jetzt die Ärmel aufkrempeln, ein Stück weit nachholen und aufholen, was versäumt wurde. 

Es wird sehr bald die Forderung kommen, Öffnungszeiten und Arbeitszeiten der Krise anzupassen, also Geschäften zu ermöglichen, auch am 1. Mai zu öffnen. Es ist ein Freitag. Welchen Sinn hätte es gestern sonst haben sollen, den Friseuren als Starttermin den 1. Mai zu nennen? Damit sie nicht aufsperren können? Dafür am Samstag ein paar Stunden, um danach wieder bis Montag zu schließen? Das wird für Streit sorgen, die SPÖ wird das nicht kampflos hinnehmen. Der 1. Mai könnte noch ein Tag mit großer Symbolik werden.

"Auferstehung"

Bis klar ist, wohin die Reise geht, geht die Reise vorerst nirgendwo hin. Auch nicht in die Wiener Vororte. Nach Ischgl, Sulz und dem Ausseerland, sind die Wiener nun selbst in Klosterneuburg nicht mehr willkommen, wie ich dem „Standard“ entnehme. Dazu muss man wissen: Klosterneuburg hat rund 27.000 Einwohner, viele Zweitwohnbesitzer aus Wien leben hier, an schönen Frühlings- oder Sommertagen reisen zusätzlich Tausende aus der Stadt an, um etwa im Strombad an der Donau in der Sonne zu liegen. Viele Wiener haben, oft schon über Generationen, Stelzenhäuser in der Nähe des Bades, 450 werden dauerhaft benutzt. Nun sitzen alle auf dem Trockenen, denn Klosterneuburg hat ihnen das Wasser abgedreht.

Genau genommen hat Klosterneuburg das Wasser nicht abgedreht, sondern es nicht aufgedreht. Laut Pachtvertrag, aus dem der „Standard“ zitiert, muss die Wasserversorgung bis spätestens 15. April aufgenommen werden, meist passierte das eher. Nun erhielten die Pächter ein Schreiben, dass es heuer frühestens am 30. April soweit sein wird, daran sei Corona schuld. Zwar ist der Besuch des Zweitwohnsitzes laut Regierungsvorgaben nicht untersagt. „Allerdings“, so das Schreiben an die Pächter, „ist ein regelmäßiges Wechseln zwischen Haupt- und Nebenwohnsitz nicht als notwendiger Weg zu sehen und muss unterbleiben“. Einfacher gesagt. Bleibt dort, wo der Pfeffer wächst, ihr Wiener Bazi, denn der Pfeffer wächst für euch nicht in Klosterneuburg.

Wer jetzt trotzdem in seiner aufgehübschten Badehütte bleiben will, muss zum Duschen nach Wien fahren und dann wieder aufs Land hinaus. Das ist zwar jetzt wurscht, weil das Klima sowieso Freistunde hat, aber halt zach. Stefan Schmuckenschlager, Bürgermeister von Klosterneuburg, will „nicht mühsam sein“, gleichzeitig aber dafür sorgen, dass „keine Durchmischung der Leute stattfindet“. Die Wiener sieht er jetzt ebenfalls lieber in Wien, er drückt das nur etwas anders aus. Er ersucht, „die Notwendigkeit zum Aufsuchen des Zweitwohnsitzes in der aktuellen Situation zu hinterfragen“. Im nächsten Ort in Österreich gehen die Schranken runter. Danke Corona!

Da lobe ich mir Neuseeland. Premierministerin Jacinda Arders gab gestern eine Pressekonferenz, in der sie allen Kindern versicherte, dass der Osterhase auch heuer trotz Corona im Einsatz sein werde. Er sei nämlich, wie die Zahnfee, „systemrelevant“, in Österreich würde man sagen, er gehöre zur kritischen Infrastruktur. 

Möge Ihr Dienstag sowohl wunderbar als auch systemrelevant sein.

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