Kuschel-Pädagogik
Der zweite erste Schultag wurde zum ersten zweiten Kleinwalsertal.

Da ist er plötzlich wieder, der Hausverstand. Ein paar Tage war er jetzt weg, Corona-Ferien vielleicht, aber pünktlich zum ersten Schultag, tauchte er auf, bestens gelaunt, obwohl er jetzt doch so viel um die Ohren hat. Gegen 7.30 Uhr stand Heinz Faßmann gestern vor der Volksschule in Brunn am Gebirge bei Wien, der blaue Himmel strahlte mit dem Bildungsminister um eine Wette, die er gar nicht eingegangen war. Man müsse das alles jetzt „mit einem gewissen Hausverstand“ angehen, sagte Faßmann und meinte etwa das Maskentragen im Schulgebäude. Es war ein Appell an das Humankapital, mit dem der Minister schon in den Tag gestartet war. Ihm sei, sagte er im Ö1 Morgenjournal „das Öffnen der Schule ein tiefes Anliegen, grad auch aus diesen Gründen heraus, dass es nicht zu einem Humankapitalverlust großen Ausmaßes kommt“.
700.000 Angehörige des Humankapitals machten sich gestern also auf, um einen Verlust ebenjenes Humankapitals im großen Ausmaß hintanzuhalten. Genau genommen nahm lediglich die Hälfte den Kampf gegen eine etwaige Verblödung durch Home-Schooling auf, da ja gestern nur Gruppe A zu den Schulen gerufen war. Die zweite Hälfte der ersten Hälfte der Schülerinnen und Schüler versuchte daheim das Konto des Humankapitals auf einer gewissen Einlagenhöhe zu halten, eventuell durch Anhören einiger Musikerzeugnisse von Capital Bra oder Human League. Wie stark das Humankapital durch das Auftreten des Coronavirus gelitten hat, werden wir wohl erst im Herbst erfahren, denn die paar Tage, die unsere Kinder jetzt in die Klassen zurückkehren, sind nur ein „Probegalopp“ für das nächste Schuljahr, sagte Faßmann, ich hoffe das Humankapital weiß das.
Es gab diese Szenen im Kleinwalsertal und die Wiener dachten sich, das können wir auch. Sebastian Kurz hatte sich Ende letzter Woche nach Vorarlberg aufgemacht und weil ein Kanzler ebendort eine Gattung Humankapital ist, die man eher selten zu Gesicht bekommt, wollten alle den Besuch aus Wien knuddeln, jedenfalls so in der Art. Es entstanden Bilder einer Volksnähe, die man als Politiker momentan nicht gut gebrauchen kann. Alle standen dicht an dicht, die Einheimischen, die Journalisten, die Politiker, das wurde gefilmt und plötzlich gingen in der Abteilung für message control alle Warnlampen an, aber da war es schon zu spät.
Die Wiener machten sich lustig über die Kleinwalsertaler, die nicht zu wissen scheinen wie man sich in der Coronakrise richtig verhält und verhielten sich der Einfachheit halber selber so, vielleicht wollten sie aber alles nur nachspielen, auf höherem Niveau selbstredend. Gestern durften ein paar Journalisten den Minister vor die Schule im Grenzkorrirdor zwischen Wien und Niederösterreich begleiten. Vorab wurden alle darauf hingewiesen, dass „der Schulbesuch unter strengen Sicherheitsvorkehrungen“ stattfinde. „Es ist nur ein begrenztes Kontingent an Teilnehmer/innen vor Ort möglich“, eine Anmeldung sei „unbedingt erforderlich“, war auf der Einladung zu lesen.
Nun ist es am Land so, dass man Corona längst nicht mehr so ernst nimmt wie es die Regierung gerne hätte. Wer sich am Wochenende in einen der umliegenden Heurigen begab, der musste feststellen, dass offenbar noch keine ausreichende Bemusterung mit Schutzmasken stattgefunden hatte, die Desinfektion der Einkaufswagen in den Baumärkten war an die Eigenverantwortung übertragen worden, die allerdings häufig Rauchpause machte. Es war weitgehend so als hätte es Corona nur im fernen China gegeben und man wäre nur beiläufig über die Konsumation elektronischer, digitaler und analoger Nachrichten darüber informiert worden.
In diesem Umfeld also stellte sich der Bildungsminister vor die Volksschule von Brunn am Gebirge und geriet in eine für einen gelernten Geographen seltene Ekstase: „Die Sonne strahlt, die Schule geht wieder auf. Heute ist, glaube ich, ein guter Tag – ein guter Tag für die Schule, die Schüler und die Schülerinnen, für die Lehrer insgesamt, höchstwahrscheinlich auch für die Eltern, die nach zwei Monaten Home-Learning eine normale Schule vorfinden, eine fast normale Schule“, sagte Faßmann und ein Pulk aus Journalisten filmte, fotografierte oder schrieb diese Sätze auf. In der Euphorie warfen die Reporter alle Babyelefanten über Bord und Brunn am Gebirge wurde zum Kleinwalsertal des Ostens. Drei Meter vom Minister entfernt standen die Journalisten, die „unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen“ hierhergekommen waren, Schulter an Schulter, jeder wollte die besten Bilder und der Minister, der Brunn am Gebirge überragte und über den Schneeberg hinaus die Gegend bis etwa zur Adria hin im Blick hatte, ist beileibe kein einfaches Motiv.
Seltsamer
Elefant

Luftlinie 20 Kilometer entfernt lief alles viel gesitteter ab. In der Ganztagesvolksschule Campus Donaufeld hatte man sich auf den Tag X penibel vorbereitet, statt eines Babyelefanten verwendete man einen aufblasbaren Haifisch als Abstandsmesser. Gleich nach der Eingangstür stand ein automatischer Desinfektionsspender, alle Schüler kamen mit Masken, begrüßten sich nicht per Umarmung, sondern mit den Füßen, gingen im Gänsemarsch in die Klassen, jeder bekam eine eigene Bank für sich zugewiesen. Kein Gemurre, kein Gedränge, alle kannten sich aus, vielleicht sind die Kleinen doch die besseren Erwachsenen, vom Humankapital aus gesehen zumindest.
Weil wir gerade von Humankapital reden, also ich ja mehr als Sie und eigentlich rede ich auch nicht, sondern schreibe darüber. Jedenfalls werden wir Heinz-Christian Strache in nächster Zeit häufiger sehen, vor allem im Fernsehen. Man sollte nicht naiv sein, am Ende des Tages, ich glaube Christian Kern verwendete diese Formulierung gern, am Ende des Tages entscheidet die Quote, überall, auch im öffentlich-rechtlichen TV.
Ich fand „Im Zentrum“ am Sonntag furchtbar, ich habe gestern schon ausgeführt warum, aber die Sendung war ohne Zweifel ein großer Erfolg. Strache „zieht“ noch immer. Im Schnitt waren 783.000 Zuschauer dabei, als er und Moderatorin Claudia Reiterer die übrigen Gäste kaum zu Wort kommen ließen. Der Ex-Vizekanzler hatte mehr Zuschauer als der "Tatort", als die "ZiB 2 am Sonntag", seit Anfang 2019 hatten nur zwei „Im Zentrum“-Sendung mehr Seher, jene am 15. März 2020 als es um Corona ging. Und jene am 19. Mai 2019 als das Thema das Ibiza-Video war, schon wieder. Strache war damals gar nicht eingeladen. Er lockt auch Zuschauer an, wenn er gar nicht da ist.
Das Video, in dem er sich gegen Ende hin zu einem Spiegel hindreht, weil er von sich behauptet, sich „jederzeit in den Spiegel schauen zu können“, wurde mit Stand gestern Abend 54.000 Mal aufgerufen und 1.500 Mal geteilt. Nicht immer entscheidet der Inhalt über den Erfolg eines Produkts, ich gelange mittlerweile recht häufig zur Ansicht, dass dies eher die Ausnahme als die Regel ist.
Paragraphen-Reiterer

In Wien wird erst in fünf Monaten gewählt und natürlich findet noch kein Wahlkampf statt, wie alle Beteiligten beteuern, was üblicherweise ein guter Indikator dafür ist, dass eben genau schon ein Wahlkampf begonnen hat, für einen Nichtwahlkampf wird jedenfalls schon ziemlich wahlgekämpft in diesen Tagen. Das Wesen eines Nichtwahlkampfes oder Wahlkampfes ist es, dass einem jedes Streitthema recht ist, das daherkommt, auch Corona. Ich denke ja, dass sich die Parteien da ins eigene Fleisch schneiden, denn die Menschen sind im Moment in der Stadt und im Land nichts mehr leid als ständig mit dem Virus konfrontiert zu werden, aber es wird sicher Berater geben, die genau das empfehlen, die Konfrontation nämlich.
Fakt ist, dass es in Wien und in Niederösterreich jeweils ein Postverteilungszentrum gibt, in dem sich viele Menschen mit Covid-19 angesteckt haben. Ich kann mich noch erinnern, dass wir vor einigen Wochen mit dem Finger auf Mailand gezeigt haben, weil die dortige Modeindustrie viele Billigarbeiter aus China beschäftigt. Nun stellen wir fest, dass die österreichische Post in hohem Maße nicht mehr eigene Mitarbeiter im Sold hat, sondern Leihpersonal in die Lager ordert, Asylberechtigte, die in Asylheimen leben, viele aus Somalia, die sich nicht trauen krank zu sein, die in Busse eingepfercht zwischen Wien und Niederösterreich hin und her gekarrt werden. Da gäbe es viel zu verbessern, aber leider ist jetzt Nichtwahlkampf, da geht es im Stimmen und Marktanteile und weniger um Humankapital.
Innenministerin Karl Nehammer sprach gestern eine „Mahnung“ gegenüber Wien aus. Die Infektionszahlen würden rasant steigen, die Stadt arbeite nicht gut mit dem Krisenstab seines Ministeriums zusammen. Fast zeitgleich sprach Gesundheitsminister Rudolf Anschober, der derselben Regierung angehört wie der Innenminister, im Gegensatz dazu von einer guten Zusammenarbeit zwischen Wien und Niederösterreich, später am Abend mahnte er zu Zusammenarbeit statt zu „Streitereien“. Zuvor hatte sich der Wiener Bürgermeister schon über die „Mahnung“ des Innenministers kritisch geäußert, der Wiener Gesundheitsstadtrat Peter Hacker verbat sich in der „ZiB 2“ eine Mahnung, er sei nicht dazu da „die Wünsche des Innenministers zu befriedigen“. Ich mahne die Erinnerung ein, dass wir uns im Nichtwahlkampf befinden.
In diesem Nichtwahlkampf werden gerade die Positionen für den 11. Oktober bezogen. Die ÖVP, die in der Bundeshauptstadt bisher ein kleines Licht war, schickt den Innenminister aus, um ein paar Ladungen Pfefferspray zu verschießen. Die SPÖ reagiert gereizt, aber eigentlich taugt ihr das, denn was dient der Mobilisierung mehr als ein politischer Gegner, der die lebenswerteste Stadt der Welt in den Schmutz ziehen will? Der ÖVP wiederum ist vollkommen wurscht, was die SPÖ tut oder denkt, ob sie gereizt ist oder nicht, denn von dort gewinnt sie ohnehin keine Wähler, wohl aber von der FPÖ. Deren Klientel soll Geschmack an den Angriffen auf das rote Wien kriegen. Ich mahne ein, dass die Blauen bei der letzten Wahl über 30 Prozent der Stimmen bekamen, ziemlich viel Humankapital, das es hier zu verteilen gilt, auch Strache wirft sein Lasso aus. Es ist alles sehr kompliziert, aber im Grund genommen auch einfach. Nichtwahlkampf halt.
So viel Urlaub?

Erkämpfen Sie sich heute einen wunderbaren Dienstag. Die neue Kultur-Staatssekretärin Andrea Mayer wird vorgestellt, die Grünen holen also eine Rote in ihre Regierung mit den Türkisen, Politik ist auch außerhalb des Nichtwahlkampfes reichlich verwirrend.
Ach ja, falls sie Urlaub im Ausland planen, ich wiederhole, was ich vor einigen Wochen schon geschrieben habe – es wird mehr möglich sein als man derzeit für möglich hält, auch Italien. Vorerst einmal werden sie Reisewarnungen in Reisehinweise umgewandelt, das wurde gestern in einer Web-Konferenz von zehn Außenministern, darunter Österreichs Alexander Schallenberg, so besprochen. Irgendwann so um den 15. Juni rum, vermutet ich, wird eine Reihe von Grenzen aufgehen und wir können etwas Humankapital in den Süden ans Meer verlagern. Es wird in Wellen passieren.
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