Meer oder weniger

Sommer 2020: Auf die Pandemie folgt die Pandamie.

Erneut erweist es sich als großen Nachteil, dass Österreich keinen Meereszugang hat, wenn man den Neusiedler See, bekanntlich das Meer der Wiener, nicht mitrechnet. Für die Wiener wird der kommende Sommer ohnehin eine schwierige Saison. Viele wollten sich ins Ausland absetzen, an die Adria eventuell oder nach Kroatien, weil die Bundesländer zuletzt so garstig zu ihnen waren, jetzt aber dürfen sie nicht raus. Ungewöhnlich, wenn Grenzen einmal von der anderen Seite her zu sind.

Juli und August werden wir also so daheim verbringen wie wir April, Mai und Juni daheim verbringen werden. Das klingt auf den ersten Blick nicht so dramatisch, denn Österreich ist ein schönes Land, zwar wie schon erwähnt ohne nennenswerten Meereszugang, aber trotzdem alles in allem recht ansehnlich. Es macht allerdings einen ziemlichen Unterschied, ob man sich aus freien Stücken für Urlaub am Bauernhof entscheidet oder ob man dazu gezwungen wird. Falls sie also tatsächlich im Sommer Urlaub am Bauernhof machen, verrate ich Ihnen vorab: Das, wo Milch rauskommt, sind die Kühe, das, wo manchmal Leute draufsitzen, Pferde. Hühner erkennen Sie vermutlich allein, die haben Sie zuweilen am Grill.

Schutzmaske,
Ton in Ton

Die Tourismusministerin und der Außenminister gaben gestern gemeinsam eine Pressekonferenz. Es geht um viel. Mit dem Tourismus nimmt Österreich im Jahr fast 20 Milliarden Euro ein, wir reden also nicht von einem Wirtschaftszweig, sondern eher von einem Ast, vielleicht sogar vom Stamm. Im Februar gab es noch 19,7 Millionen Nächtigungen im Land, im März brach das Geschäft ein und das nicht ein kleines bisschen, sondern komplett. Corona, Sie erinnern sich. 37 Prozent aller Nächtigungen in Österreich werden von Deutschen vollzogen. Wenn die Grenzen also im Sommer zu bleiben, müssen wir unsere Betten allein vollmachen, was jetzt vielleicht etwas ordinär klingt, aber die Wahrheit ist. Urlaub in Österreich ist heuer demnach nicht die artige Befolgung eines Werbeslogans, sondern vielmehr eine patriotische Pflicht. Ich denke darauf wollten die Tourismusministerin und der Außenminister hinaus.

Mir fällt auf, dass mittlerweile fast alle aus dem türkisen Teil der Regierung reden wie Sebastian Kurz, also in ganz einfachen Sätzen, mit häufigen Wiederholungen von Worten oder Satzbausteinen, so als würde man einer Gruppe Waldorfschüler das Higgs-Boson zu erklären versuchen. Beide, Elisabeth Köstinger und Alexander Schallenberg, hatten uns Waldorfklasse mehr oder weniger eine einzige Botschaft zu überbringen: Den Sommerurlaub 2020 könnt ihr euch aufzeichnen. Also fortfahren dürft ihr schon, aber nicht viel weiter weg als einmal um den Block. Reisen ins Ausland? Ihr seid manchmal recht witzig, ihr Wähler. 

Schallenkurz drückte es so aus: „Ich glaube, wir freuen uns alle, dass wir hier in Österreich auf einem guten Weg sind. Wir müssen aber zur Kenntnis nehmen, dass nicht alle Staaten auf dem gleichen Weg sind, und dass einige Länder noch länger brauchen werden, um das Virus unter Kontrolle zu bringen". Köstingerkurz erläuterte im Anschluss für die ganz Begriffsstutzigen, was das heißt: Urlaub gibt’s, aber nur daheim, ideal wäre „ein Selbstversorger-Appartement in Österreich“.

Millionen Frauen im Land werden in der Sekunde Freudentränen über die Wangen gekullert sein, so viele als wäre in ihren Augen ein Staudamm geplatzt. Für die Männer bedeutet „Selbstversorger-Appartement“ Erinnerungen an die Pfadfinderjugend, Taschenfeitel, dreckige Gummistiefel, jeden zweiten Tage rasieren, abwechselnd mit zähneputzen. Für die Frauen heißt „Selbstversorger-Appartement“ kochen wie zuhause, putzen wie zuhause und die erschöpfte Truppe aus Mann und Kindern, die den Tag genutzt hat, um an einem Bächlein einen Staudamm zu bauen, abends mit gut gespielter Euphorie in Empfang zu nehmen und nahzuversorgen. „Magst ein Bier?“ Alles wie daheim. Schön. Schrecklich.

Strandszene
(wirkt arrangiert)

Es gibt natürlich Menschen, die das mögen, ich will um Gottes willen niemandem „Selbstversorger-Appartements“ madig machen. Meine Definition von Urlaub ist das aber nicht, ich will in den Ferien was sehen, was erleben, was spüren, was genießen, was Altes erkunden und was Neues kosten. Um es knapp zu sagen, ich will im Urlaub in ein anderes Leben eintauchen, um das Leben, das ich sonst habe, ein Jahr lang wieder wertschätzen, ja vielleicht auch ein bisschen besser aushalten zu können. Das klappt nicht immer hervorragend, aber in Zeiten, in denen wir gar keinen richtigen Urlaub haben, fallen einem genau jene Episoden aus bisherigen Reisen ein, die damals eher in die Kategorie Missgeschick fielen. Auch das ist ein Wesen von Ferien: Erlebnisse brennen sich einem ein, die schlechten meistens tiefer als die guten.

Ohne sie langweilen zu wollen, erlaube ich mir eines dieser Erlebnisse zu erzählen. Mein Gepäck und ich fuhren einmal getrennt voneinander auf Urlaub. Also wir reisten schon gemeinsam aus Wien ab, aber in Kanada verloren wir uns aus den Augen. Meine Koffer wollten sich noch ein paar Tage Montreal anschauen, ich musste weiter nach New York, also standen meine Familie und ich ziemlich spät in der Nacht in LaGuardia und hatten nur mehr dabei, was wir am Leib trugen und in ein paar Rucksäcke passte, was nicht viel ist. Mein Gepäck machte sich unterdessen in Montreal ein paar schöne Tage, damals konnte man ja noch unter Leute gehen, auch als Koffer. 

Ich überspringe jetzt einige unschöne Szenen, denn fünf Leute bis auf die Zahnbürste nackt in Manhattan, das gibt fast einen Filmstoff her, wobei die Erwähnung von Stoff in diesem Zusammenhang bei mir auch Jahre nach diesem Vorfall eine Reihe von Emotionen auslöst, an deren filmischer Umsetzung Hollywood eventuell Interesse haben könnte. Sie merken vermutlich, ich übertreibe jetzt ein bisschen.

Wir kauften also das Notwendigste nach, ein paar Tage später mussten wir weiter, das ist der Nachteil von Amerikareisen gegenüber „Selbstversorger-Appartements“ zum Beispiel, man ist etwas unstet. Unser Gepäck war immer noch nicht da, als wir zum Flughafen mussten, aber die Airline machte uns große Hoffnungen auf ein baldiges Wiedersehen, die Koffer schienen das Interesse an Montreal verloren zu haben und waren auf dem Weg zu uns. Aber als sie in New York landeten, waren wir schon abgeflogen. Dieses Schauspiel wiederholte sich ein paarmal in anderen Städten. Die Fluglinie rief uns an, dass unsere Siebensachen eben auf jenem Airport gelandet waren, von dem wir gerade abgehoben hatten. Inzwischen hatten wir uns daran gewöhnt, dass man weniger braucht im Leben als man vermutet, diese Erfahrung kommt uns jetzt als Familie in der Coronakrise zugute.

Überlänge

In Orlando schließlich schien alles gut zu laufen für eine Familienkofferzusammenführung. Wir hatten von der investierten Summe her schon nennenswerte Anteile an Disney erworben – unsere Kinder waren damals noch kürzer – als uns die Hotelrezeption mit einer freudigen Botschaft überraschte: „Das Gepäck ist da“. Man werde es zu uns bringen, sobald es zugestellt worden sei. Ich rief vom Hotelzimmer die Nummer von „Lost and Found“ an, am anderen Ende der Leitung meldete sich eine Stimme, grüßte freundlich und sagte dann ein Wort, das ich nicht sofort verstand: „Databird“. 

Ich erklärte, wer ich sei, dass es um meine Koffer ginge und mir die Information zugegangen sei, dass diese offenbar am Flughafen vorrätig wären. 
„Databird“. 
Ich versuchte es, immer noch die Ruhe in Person, erneut mit einer vielleicht etwas ausschweifenderen Erläuterung. 
„Databird“.
Ich gab meine Passnummer an, nannte meine Kreditkartennummer.
Databird“.

So ging es eine Zeitlang hin und her. Ich hatte inzwischen festgestellt, dass ich mit einem Callcenter in Indien verbunden war. Ich blickte aus dem Fenster, sah nicht weit entfernt den Flughafen, vermutete, dort irgendwo meine Koffer, fast mit der Hand zu greifen, ich winkte ihnen zu, aber der Agent in Indien blieb unerbittlich: „Databird“. Erst nach einer langen Weile kapierte ich, was der Mann von mir wollte, mein Geburtsdatum nämlich, date of birth, er benötigte mein „Databird“, um mich eindeutig identifizieren zu können. Es gelang uns mit vereinten Kräften über den Umweg Indien mein Gepäck vom drei Kilometer entfernten Flughafen ins Hotel zu lotsen. Wir fielen uns in die Arme, mein Gepäck und ich, versprachen einander, uns nie mehr im Leben für längere Zeit zu trennen. Und dabei blieb es auch. 

Ich habe keine Ahung, warum ich Ihnen das jetzt erzählt habe, es fiel mir einfach ein. Heuer im Sommer werden wir jedenfalls keine Gelegenheit dazu haben, getrennte Wege zu gehen, mein Koffer und ich. Heuer bleiben wir daheim. Heuer mieten wir uns ein „Selbstversorger-Appartement“. Wir werden sein wie die Pandas, die meiste Zeit des Tages werden wir herumliegen, an etwas kauen oder nippen, in der Gegend herumschauen, ohne irgendein Interesse an dieser Gegend zu haben, wo immer die auch liegen mag, in Österreich wird sie jedenfalls sein müssen. 

Oder wir machen es so: Wir packen eines Tages in aller Eile die Koffer, stopfen hinein, was geht, vergessen wieder einmal die Sachen, die wir immer vergessen, tragen alles zum Auto, laden es bis zum Rand voll, fahren eine Runde um den Häuserblock, bleiben stehen, um irgendwo einen Happen zu essen, parken uns dann in derselben Lücke ein, in der vorher unser Wagen stand, laufen mit dem Koffer hinauf zu Wohnung, lachend und singend, sperren die Tür auf, lassen uns auf die Wohnzimmercouch fallen und rufen: „Daheim ist es doch am besten. Das Essen auch“. Es wird schön. Schrecklich.

Supermond
Schladminger Tauern

... und über
"The Shard", London

Ein kleines Stück nach Elisabeth Köstinger und Alexander Schallenberg betrat der Unterrichtsminister gestern das Papamobil im Kanzleramt. Die Plexiglasscheiben bestanden ihren Elchtest, sie sind nämlich tatsächlich groß genug, um Heinz Faßmann dahinter verbergen zu können. Der Minister misst 2,03 Meter, leider aber verzichtete er auf den Gag, sich über die Oberkante zu beugen und „Guck-Guck“ zu rufen oder eine Grimasse zu schneiden, die über seine übliche Tagesdosis hinausging. Faßmann informierte über die „Weight Watchers Matura“ 2020, über die abgespeckte Version der Reifeprüfung also, drei statt vier Fächer, nur schriftliche Prüfungen, die Benotung soll sanft ausfallen.

Bei den Schulen blieb der Minister weiter vage, erst nach Ostern will er sich dazu erklären. Nach wie vor finde ich es seltsam, dass am Dienstag zunächst die Baumärkte aufsperren, die Schulen dann erst frühestens ein Monat später. In den Baumärkten werden sich viele Vertreter der Risikogruppe 60 plus tummeln, also viele ältere Leute, während die Jüngeren, die von Corona nach allem was wir wissen, selten hart getroffen werden, daheim ausharren müssen. Vielleicht schreibe ich morgen ein paar Zeilen darüber.

Bis dahin genießen Sie ein paar Bilder vom Supermond, der gestern die Welt verzückte. Es ist ja nicht so, dass man von daheim aus lediglich pandalangweilige Sachen sehen kann. Wenn wir uns das nur lange genug einreden, dann werden wir in ein paar Jahren über unseren Sommerurlaub 2020 nur das Beste sagen.

Vorab darf ich Ihnen einen wunderbaren Gründonnerstag wünschen. Ja, falls Sie es noch nicht gemerkt haben, es ist tatsächlich Ostern. Die Zeit rast. Manchmal gar nicht schlecht.

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Fotos:
Panda im Park: "Falter", Josef Redl (aufgenommen in Wien-Landstraße)
Köstinger, Schalenberg: APA, Helmut Fohringer
Strand: Action Press, Jens Krick
Faßmann: APA, Helmut Fohringer
Supermond Schladming: APA, Martin Huber
Supermond London: Reuters, Dylan Martinez

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