"Nein, das machen
wir nicht mehr"
Der Tag, an dem der Kanzler
seinen Babyelefanten verlor.

Es ist ja so: Wenn man kein Glück hat, doch kommt oft auch noch Pech dazu. Nehmen wir zum Beispiel Mittelberg im Kleinwalsertal. Die Gemeinde freute sich überschwänglich darüber, dass der Kanzler auf Besuch kam. Die Niederschrift dieses lokalhistorischen Ereignisses aber gelang zuerst nicht gut und dann schlecht. Nicht gut gelang, dass man den Anwohnern zunächst in aller Eigenverantwortung, die dieses Land seit neuestem prägt, anempfahl, doch die Häuser hübsch mit Flaggen zu bestücken und Sebastian Kurz beim Defilee Anerkennung in Form von spontanem Jubel angedeihen zu lassen. Als manche Spießer aus Wien und anderswo das unpassend fanden und nachdem das Kanzleramt das Smartphone bemüht hatte, zog man den Appell zurück, nicht ohne ein Schnoferl zu ziehen.
Dann aber war der Kanzler da und wieder passte es nicht. Auf der Webseite von Mittelberg fand sich gestern eine knappe Reportage über den Visitator aus der fernen Bundeshauptstadt, sie war sehr wohlwollend geschrieben, aber wie häufig im Leben ist der Grat zwischen gut und gut gemeint ein schmaler und die Reportage purzelte mittendrin auf der falschen Seite runter, erholt sich vom Sturz nur mehr schleppend und das las sich dann so: „Zahlreiche Menschen postierten sich mit Fahnen und winkend an der Landesstraße, andere erwarteten den Bundeskanzler bei seiner Ankunft beim Walserhaus. Dieser bahnte sich ohne Hektik den Weg durch die Menge, posierte aber auch für Selfies für jung und alt – vorbildlich mit Abstand (fett gesetzt). Angekommen beim Walserhaus gab es noch außerhalb des Protokolls eine spontane Ansprache (fett gesetzt). Sebastian Kurz attestierte der Kleinwalsertaler Bevölkerung ein bemerkenswertes ,Durchhaltevermögen´. Und er verpackte seine Wertschätzung in ein deutlich formuliertes ,Ich danke Euch!‘‘ (fett gesetzt).
Sie werden es vielleicht bemerkt haben: Das „fett gesetzt“ ist von mir hinzugefügt worden, weil der Text eben an dieser Stelle durch Fettdruck betont worden war und das geschah wohl nicht von ungefähr. Die Kleinwalsertaler hatten mutmaßlich mitbekommen, dass sie in der Zwischenzeit medial zu Großwalsertalern geworden waren. Plötzlich beschäftigte sich die Bundespolitik im eine Tagesreise entfernten Wien mit ihnen, sie verstanden ihre Welt nicht mehr, die auf der einen Seite von einem Berg, auf der anderen Seite von Bayern begrenzt wird. Von einer Anzeige war die Rede und dass der Besuch nun zu einer parlamentarischen Anfrage führen würde. Eine „Verhöhnung der Menschen“ sah die SPÖ, FPÖ-Klubobmann Herbert Kickl nannte den Kanzler gleich einen „Lebensgefährder“.
Also rückten sie aus, um dem Bedrängten kurzerhand zu helfen, aber sie wagten sich zu weit vor. Sie schoben beiseite, dass es Videoaufzeichnungen der türkisen Reisebewegung gibt, die nahelegen, dass „vorbildlich mit Abstand“ eher ein Euphemismus ist, denn die Geschehnisse passierten weder „mit Abstand“ noch waren sie „vorbildlich“. Der Sachverhalt der „spontanen Ansprache“ bedarf zudem einer näheren Untersuchung, die insbesondere ermitteln müsste, ob eine Bühne „spontan“ aus der Erde wachsen kann, denn plötzlich war eine da und Kurz ergriff die Gelegenheit beim Windschutz. Dass er indes „Ich danke Euch“ zu den Kleinwalsertaler Großwalsertalern gesagt hat, ist eine historische Tatsache.
Um die Reportage noch ein Stück wohlwollender zu gestalten, schrieben die Kleinwalsertaler Großwalsertaler mittenhinein folgenden Satz: „Kanzler Kurz zeigte sich volksnah, ließ seinen Chauffeur nicht nur einmal das Fahrzeug anhalten und nahm Kontakt zu den Menschen (fett gedruckt) auf“. Wieder klingelte ein Smartphone und erneut fraß das Internet ein paar Buchstaben und wie durch ein Wunder verschwand dieser eine Satz gestern im Lauf des Tages von der Webseite von Mittelberg. Ich mutmaße nicht weil Kurz sich daran stieß, „volksnah“ genannt zu werden, aber vielleicht war ihm nicht recht, dass der Gemeindeschreiber aufdeckte, der Kanzler- Chauffeur habe „nicht nur einmal“ angehalten, um Kurz die Möglichkeit einzuräumen, „Kontakt zu den Menschen“ aufzunehmen, was nicht ganz zusammenpasst mit der Erzählung alles sei „vorbildlich mit Abstand“ passiert.
Am Morgen, nachdem eine Menge Wiener im Bad gewesen war, begann eine Menge Wiener, sich mit dem Bad in der Menge zu beschäftigen. Die Webseiten der Medien waren voll mit Berichten über die Ereignisse im Wilden Westen, von PR-Desaster war die Rede, es gab viel Empörung und Wut, aber im Lauf des Tages wurden die Geschichten, sagen wir einmal, mitfühlender, der Kanzler stieß auf mehr Verständnis. Er sei da in etwas hineingestolpert, unschuldig, ungewollt und diese Erzählung, deren Spuren sich in die Gegend rund um den Ballhausplatz zurückverfolgen lassen, hat sogar einen wahren Kern. Man sieht Kurz in dem Video körperlich an, dass er sich nicht wohlfühlt. Dass er weiß, was hier passiert, vor allem, was nachher geschehen wird. Dass er mehrfach mahnt, den Abstand einzuhalten. Dass er panisch nach einer Möglichkeit sucht, dem allen zu entkommen, aber es ist zu spät. Es geht ihm wie vor ein paar Wochen, als er im Frühstückfernsehen von Sat.1 Kaiserschmarrn kochen sollte, „spontan“ eine Kochlöffelallergie entwickelte und „vorbildlich auf Abstand" ging.
Stephansdom geht auf Abstand

Faberhaft

Plötzlich passt nichts mehr zusammen. Man steckt zwei Puzzlestücke ineinander, aber eines gehört zu einem Bild von Athen, das andere zu Stockholm. Man kann nicht in Wien vor vier Journalisten eine Pressekonferenz hinter Plexiglas abhalten und in Vorarlberg einen Kirtag besuchen. Man kann nicht wochenlang Menschen in Wohnungen sperren und selber Freigeist sein. Man kann nicht Menschen mit Polizeigewalt und unter Androhung oder dem Aussprechen von Strafen daran hindern, sich anderen zu nähern und wenn man sich selber anderen nähert, dann ist plötzlich kein Polizist da. Man kann nicht Journalisten einladen und sich dann über ihre Anwesenheit beschweren. Viele Menschen in diesem Land fühlen sich, ich darf einmal derb werden, Sie verzeihen, verarscht und das gleich doppelt.
Die Österreicher und alle die in diesem Land leben haben nämlich einen ziemlichen Langmut. Sie können verzeihen, sie verstehen, dass Fehler passieren, auch einem Kanzler, der sonst nichts dem Zufall überlässt, gar nichts. Hier ist in der Vorbereitung und in der Durchführung alles schief gegangen, was schief gehen kann, Kurz ist dafür nicht direkt verantwortlich, aber indirekt schon, denn er ist der Chef und als solcher hätte er sich gestern hinstellen und sich entschuldigen müssen, sich nicht auf andere ausreden dürfen, auf die Journalisten, die Kleinwalsertaler, die Umstände, auch wenn es Berechtigung dafür gegeben haben mag. Er ist der Kanzler, im Guten wie im Bösen.
In der „Zeit im Bild 2“ gestern Abend wurde ihm der rote Teppich für eine Entschuldigung ausgerollt. Kurz wurde live aus Innsbruck zugeschaltet, er konnte in aller epischen Breite erklären, was passiert war bei den Kleinwalsertaler Großwalsertalern und er nutzte das üppig, aber zu einem „es tut mir leid“ rang er sich nicht durch. „Sind Fehler gemacht worden, haben sie einen Fehler gemacht?“, fragte ihn Lou Lorenz-Dittelbacher und für einen Moment dachte man, jetzt wird es was. „Wenn sie so wollen“, begann der Kanzler, aber dann bog er ab und sprach davon, dass man aus solchen Vorgängen lernen werde. Dass es ein neues Konzept für Besuche in Bundesländern geben werde. Dass es Bodenmarkierungen für Journalisten geben werde und seine Ankunftszeiten, wo auch immer, nicht mehr verraten werden sollen. Es ist der erste Schritt in Richtung Verschüsselung. Wolfgang Schüssel, Kanzler von 2000 bis 2007, bekam die Journalisten mit der Zeit so satt, dass er sich von vielen fernhielt, sie nicht einmal ignorierte. Wiederholt sich diese Geschichte?
"Sacher"-Macher

Lokal-Größe

Er habe Eltern im Kleinwalsertal erlebt, sagte der Kanzler schließlich, Mütter die ihre Kinder getadelt haben, weil sie ihm die Hand hingestreckt hätten. „Nein, nein, das machen wir nicht mehr“, hätten sie gesagt. Der Satz könnte von Kurz sein und er hatte gestern eine doppelte Bedeutung. In der „ZiB 2“ wurde der Kanzler nämlich auch nach Ulrike Lunacek gefragt und es gab in der Geschichte schon Menschen, die sich für andere mutiger in den Kugelhagel warfen. Die Staatssekretärin für Kultur sollte eigentlich heute ihre Pläne präsentieren, wie sie die Szene wieder zum Leben erwecken will, aber gestern Nachmittag kam raus, dass sich das Siechtum der Branche noch verlängern wird.
Lunacek sagte zunächst ein bereits zweimal verschobenes „Profil“-Interview ab, was man beim Nachrichtenmagazin kurz vor Redaktionsschluss nicht sportlich nahm. Man sei noch nicht fertig mit dem Konzept, könne nichts präsentieren, nächste Woche aber soll es so weit sein, beschied ihr Büro und es ist zu erwarten, dass es heute zu einem erneuten Wutsturm kommen wird. Es ist ja nicht so, dass die Kultur alle Zeit der Welt hätte, auf eine Entscheidung zu warten. Es fehlt Klarheit für die Planung, es fehlt eine Erklärung, warum man nun in Lokalen wieder essen und trinken kann, aber die geistige Ernährung ausgehungert wird, denn es fehlt an Geld, an Unterstützung und wohl auch an Liebe für eine Lösung unter Gesichtswahrung.
Kurz jedenfalls wollte für Lunacek keine Jobgarantie abgeben. Ob sie zurücktreten werde, wurde er in der „ZiB 2“ gefragt. „Na, schauen sie“, antwortete er, „Die Staatssekretärin hatte sicherlich keine einfache Zeit“. Und: „Entscheidungen wie diese sind höchstpersönliche Entscheidungen“. Ich mutmaße, dass es schon heute zu einem Rücktritt kommen könnte, aber das ist natürlich Kaffeesudleserei und damit auch eine Form von Kleinkunst, die es momentan nicht einfach hat.
Schon gestern trat Axel Spörl ab, den Lunacek zum Geschäftsführer von „Art for Art“ bestellt hatte, die Servicegesellschaft betreut für die Bundestheater die Bühnenbild- und Kostümwerkstätten. Der gebürtige Deutsche war nur zehn Tage im Amt. Wenn ich das richtig überblicke, hat sich Spörl mit einem von Rechtsschreibfehler strotzenden Lebenslauf beworben, wurde trotzdem von einem Headhunter erstgereiht. Er gab sich als Doktor aus, der sieben Sprachen spricht, worin er promoviert hat, ist unklar, die Dissertation finde er nicht mehr, sagt er, mutmaßlich gibt es weder Studium noch Abschluss, vielleicht gar nicht einmal eine Matura. Laut „Kurier“ engagiert sich Spörl allerdings in einem Musiktheaterverein namens „Schmähfabrik“. Die Deutschen kommen wirklich zu uns, um Spaß zu haben.
Ordinieren im Müllsack

Heute wird Österreich hochgefahren, ich gewöhne mich langsam an den Ausdruck, was meist ein Zeichen dafür ist, dass ich ihn bald nicht mehr verwenden werde. Die Lokale sperren auf, ob sie dauerhaft von Gästen überrannt werden, vermag ich nicht zu sagen. Viele werden schnuppern, einige werden sich von außen anschauen wie die sich drinnen tun mit den Masken, den Tischen ohne Salz und Pfeffer, weit auseinander, die Kellnerschaft geschützt wie Schweißer oder OP-Schwestern. Auch die Kirchen machen auf, ich glaube da geht das mit dem Abstand besser.
Ich hoffe Sie haben Appetit auf ein wunderbares Wochenende. Wenn ich Ihnen eine Geschichte ans Herz legen darf, dann ist es jene von Naghme Kamaleyan-Schmied. Die Hausärztin aus Wien-Floridsdorf schildert in „Heute“ wie das war als die Pandemie kam. Es gab keine Schutzkleidung, keine Masken, kein nichts. Das Wartezimmer voll, drei Mal so viele Patienten, einige mit Husten, einige mit Fieber, was tun?
Einfallsreich sein: Naghme Kamaleyan-Schmied beschaffte sich Desinfektionsmittel aus einer Brauerei, Handschuhe aus einem geschlossenen Baumarkt, den Schutzanzug schneiderte sie sich aus einem Müllsack zurecht. So trat sie den Patienten gegenüber. Dieses Land hat wirklich viele stille Helden, es ist vielleicht das einzige, das man Corona hoch anrechnen muss: Das Virus leuchtet aus, was bisher zu Unrecht im Dunkeln lag.
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