Neuer Kurzbefehl
Ein Erlass, kein Verlass, heute sagt der Kanzler was.

Dieses Wochenende fiel es den Wienern wie Schutzmasken von den Augen: Sie sind nicht beliebt. Gar nicht. Nirgendwo. Nicht in der Steiermark. Nicht in Tirol. Nicht einmal in Niederösterreich. Also begehrt sind sie schon, aber nicht beliebt. Begehrt ist das gute Geld, das sie in die Tourismusregionen und in die Gegenden ihrer Zweitwohnsitze tragen, aber besser wäre es, sie würden nur das Geld schicken und selber in Wien bleiben, wo sie genau genommen auch hingehören, die Wiener. Ich dachte bisher immer, das sei nur der Tourismusgedanke von Kärnten, aber vielleicht ist es tatsächlich so, dass sich die Konzepte für Erfolg und die Konzepte für Misserfolg gleich gut verteilen im Land.
Es begann mit der wirklichen sehenswerten „Am Schauplatz“-Doku von Ed Moschitz über Ischgl. Im Tiroler Ballermann für die, wenn auch nur finanziell, gehobene Mittelklasse, haben vor allem Angestellte der Silvretta-Seilbahn das Sagen, der Gemeinderat ist jedenfalls gut bestückt mit Liftpersonal. Als einer der Touristikerrunde über das Wirtschaftsleben befragt wurde, sagte er einen Satz, den man in Tiroler Fremdenverkehrsorten häufig hört. „Es werden ja genug Steuern ´zahlt nach Wien zum Beispiel“. Der Wiener, der es sich auf Kosten der Tiroler Tourismusregionen gut gehen lässt, diese etwas unsensible Sichtweise war der erste Nackenschlag, der die Bundeshauptstädter ereilte. Er schmerzte, aber was folgte, tat mehr weh.
Waldheimat

Am Tag darauf näherte sich die Realität gefährlich der „Piefke-Saga“ an. Nicht weil es um Deutsche ging, sondern um die sogenannten „Zweitwohntouristen“. Vier Bürgermeister aus dem Ausseerland schrieben einen Brandbrief an den steirischen Landeshauptmann. Von Hermann Schützenhöfer wurde ein energisches Einschreiten gefordert, denn man habe bemerkt, dass sich „vermehrt Zweitwohnbesitzer und Tagestouristen im Steirischen Salzkammergut aufhalten“. Aufgefallen war dies mehreren sachkundigen Personen anhand klarer Indizien, die Wachdienste von Supermärkten nämlich hatten sich die Autokennzeichen angeschaut, darunter viele Wiener, war zu erwarten. Man befürchte „einen noch größeren Anstieg des Zweitwohnungs- und Tagestourismus“, schrieb das adrette Quartett. Die Wiener begannen sich zu wundern. Die Leute in den feschen Jopperln, die immer so freundlich grüßen, fürchten sich vor uns?
Es kam noch schlimmer. Gerade diese „Gäste“ – Gäste in Anführungszeichen geschrieben – würden sich „den örtlichen Vorgaben und den Anordnungen der Bundesregierung widersetzen“. Und: „Lebensmittelhändler berichten von vermehrten Bestellungen von jetzt noch nicht anwesenden Zweiwohnbesitzern für die Osterzeit, was unsere Befürchtung bestätigt“. Es ist seltsam: Jetzt, wo keiner ein Geld hat, beschweren sich die Politiker im Ausseerland, dass bei ihnen Fremde einkaufen. Dabei wollten die Wiener ja nur das Steuergeld ausgeben, dass die Seilbahnmitarbeiter in Ischgl dankenswerterweise für sie erwirtschaftet hatten.
Nun, die vier Bürgermeister verlangten jedenfalls die sofortige Sperre des Ausseelandes für Zuagroaste, diese sollten sich entscheiden, „ob sie diese Krise an ihrem Haupt- oder Zweitwohnsitz durchstehen wollen“. Was den Ortskaisern lieber wäre, muss nicht näher ausgeführt werden, denke ich. Es ist schon so: Wir haben damit gerechnet, dass nach der Corona-Geschichte die gut bewachten Landesgrenzen in ganz Europa ein Comeback feiern werden. Dass aber die Grenzbalken jetzt schon innerösterreichisch und sogar innerhalb von Bundesländern unten bleiben sollen, könnte das Reisen in Zukunft einigermaßen beschwerlich machen.
Wasser marsch!

Maske in Tannerfarbe

Der Bürgermeister von Altaussee hat sich inzwischen für das Schreiben, das „in die Hose gegangen“ sei, entschuldigt. Bei den Anwohnern vom Naturpark Föhrenberge bei Sulz in Niederösterreich steht das noch aus. Schmerzgeplagte Wiener, die das Steuergeld aus Ischgl nunmehr nicht im Ausseerland ausgeben konnten, trafen am Wochenende in dem Erholungsgebiet auf folgendes Schild, das unter anderem auf einer Regentonne aufgebracht war. „W-Ausflügler Stopp! Bleiben Sie Zuhause in Wien und respektieren Sie bitte auch unseren Lebensraum!!!“ Die „Presse“-Redakteurin Heide Rampetzreiter wagte sich trotzdem mit Familie ein Stückweit ins Feindesland hinein. Sie hat überlebt. Ein echter Wiener geht eben tatsächlich nicht unter.
Vielleicht wurde den "W-Ausflüglern" auch deshalb kein Haar gekrümmt, weil sich die Sulzer den Ratschlag der Wiener Polizei zu Herzen genommen hatten. Die Pressestelle leitete eine Aussendung am Wochenende so ein: „Es gibt viele Möglichkeiten, einen Streit beizulegen. Den Kontrahenten niederzustechen, ist so ziemlich die denkbar schlechteste Variante“. Feine Klinge!
Die Polizei hat ja momentan recht viel zu tun, vor allem in Wien. Wenn das Wetter schlecht ist, halten sich hier alle tapfer an die Ausgangsbeschränkungen. Wenn das Wetter super ist, dann nicht. Gestern war es super. Wer durch die Stadt fuhr oder ging, konnte den Eindruck haben, okay, Gesundheitsminister Rudolf Anschober hat wieder einen neuen Erlass rausgehaut, die gehen ihm ja jetzt schnell von der Hand. Plötzlich ist offenbar alles wieder erlaubt, joggen, radeln, einzeln oder in Gruppen, mit dem Motorrad aufs Land fahren, mit dem Auto Ausflüge machen, nur Ballspielen im Park mit Kindern, das ist verboten. Da können uns die Seilbahner aus Ischgl noch soviel Steuergeld hinterherschmeißen, Vorschrift ist Vorschrift.
Es ist ja nicht so, dass Österreich der Nabel der Welt wäre. Wenn wir den Eindruck haben, die Welt schaut auf uns, dann täuscht das, denn meistens hat die Welt eher Deutschland im Blick, schielt aber hin und wieder in bisschen und dann fällt ein Auge auf uns. Dieses Wochenende haben wir es weit gebracht, bis hinein in die „Financial Times“. Nicht unser neuer Kanzler der Herzen war der Anlass für einen langen Artikel oder unser heroischer Kampf gegen Corona, nein, unsere Bundesgärten erregten die Aufmerksamkeit der britischen Edelpresse. Unter dem Titel „Political fight erupts over closure of Vienna’s big parks” rechnete man mit den von Elisabeth Köstinger angeordneten Schließtagen ab. Der Artikel beginnt mit den Worten „Ingeborg Schödl“. Er ist nicht allein deshalb lesenswert.
Eierbär

Den neuen Kanzler der Herzen trieb an diesem Wochenende ganz etwas anderes um. Nachdem Sebastian Kurz, wie eine Reihe anderer Politiker, eine neue Liebe zu Schutzmasken erfasst hatte, was leider nicht in der richtigen Handhabung derselben mündete, zog sich der neue Kanzler der Herzen ein Stückweit aus der Öffentlichkeit zurück und ließ den Gesundheitsminister allein werken. Das war keine gute Idee. Rudolf Anschobers Ministerium, bisher nur wegen kreativer Handhabung der Coronazahlen verhaltensauffällig, brachte am Wochenende einen Oster-Erlass auf den Weg, der für einen regelrechten Eiertanz sorgte. Im Erlass hieß es nämlich, dass „sämtliche Zusammenkünfte in einem geschlossenen Raum, an denen mehr als fünf Personen teilnehmen, die nicht im selben Haushalt leben bis auf Weiteres zu untersagen“ sind. In der Folge glühten die Telefone. Omas und Opas und Tanten und Neffen wurden für das kommende Wochenende zum Eierpecken gebeten. Fünf Leute zusätzlich zur Hausbelegschaft, da geht sich schon eine Coronaparty aus, wenn auch eher unter der Aufbietung eines Vogerltanzes und nicht zu den Klängen von Raf Camora.
Dass da etwas aus dem Osterkorb lief, dämmerte bald auch dem Ministerium. Clemens-Martin Auer, Sonderbeauftragter für Gesundheit, was immer darunter im Details auch zu verstehen ist, wurde eilig in die ZiB 2 entsandt. Der freundliche hohe Beamte, der entfernt aussieht wie Dumbledore, gab sein Bestes, lächelte gütig und versprach, dass das Ministerium schon am Montag seinen eigenen Entwurf schreddern werde. Und Sonntag? „Wir nehmen zur Kenntnis, dass für morgen Unklarheit herrscht“, stellte Armin Wolf fest und Dumbledore pflichtete ihm freudig bei: „Genau“. Der guten Ordnung halber sei erwähnt, dass Rudolf Anschober, der Chef von Dumbledore, sich inzwischen für den Pallawatsch entschuldigt hat. Das ist löblich. Wer ohne Sünde ist, werfe den ersten Virus.
Also muss der neue Kanzler der Herzen heute wieder selber ran. Warum ich ihn so nenne? Weil es stimmt. Laut neuer Umfrage von „OGM“ für den „Kurier“ würden im Moment 59 Prozent der ÖsterreicherInnen Sebastian Kurz direkt, ohne dieses Geplänkel mit Partei rundherum, zum Kanzler wählen, wenn er ihnen diese Möglichkeit gottgütig einräumen würde. Türkis käme bei einer Nationalratswahl derzeit auf 45 Prozent, die Grünen als Zweitplatzierte würden 18 Prozent erreichen. Vielleicht sagt Kurz ja demnächst zu seinem Fast-Beinahe-Medienstaatssekretär Gerald Fleischmann, wenn dieser gerade eine Pressekonferenz vorbereitet: „Weißt was, Fleischi, den Anschober, den lass ma in Zukunft einfach weg“.
Hasta la vista

Vorderhand aber beschäftigt sich die Koalition noch gemeinsam mit Lichtdeutung. Nachdem Anschober vergangenen Donnerstag ein „Licht am Ende des Tunnels“ gesehen hatte, sprach Vizekanzler Werner Kogler im „Krone“-Interview mit Conny Bischofberger nun von „dunklen Wolken am Horizont, die sich gräulich-violett verfärben. Später reißen die Wolken am Horizont auf, es werden Lichtstreifen erkennbar, und irgendwann brechen die Sonnenstrahlen durch“. Ich fürchte mich ein bisschen vor dem Vormittag, an dem die Regierung die Corona-Beschränkungen aufhebt und Kogler das verkünden muss. Es wird schon finster sein, ehe wir rauskommen.
Der neue Kanzler der Herzen ist da direkter. Auf Twitter gab er am Freitag eine neue Durchhalteparole aus. „Österreich wird schneller aus der Krise herauskommen als andere Länder“, schrieb er. „Aber nur, wenn wir zusammenstehen“. Ich weiß jetzt auch nicht, sollen wir zusammenstehen, Abstand halten, das Geld von den Ischglern nehmen, doch zu Ostern nach Altaussee fahren, lieber in den Naturpark bei Sulz gehen oder die hungrige Verwandtschaft zu uns einladen? Es ist ein Gfrett.
Mit diesem Dilemma entlasse ich Sie in den Montag. Die Regierung will heute sagen, welche Geschäfts als erste wieder aufsperren können, zu meiner persönlichen Betroffenheit werden es nicht die Friseure sein. Achtung, ab heute gilt Maskenpflicht im Supermarkt. Beachten sie die Details. Es gibt noch keine Freisprechanlagen für Masken und ihre Face-ID erkennt sie mit dem Papierfetzen im Gesicht nicht, ihr Smartphone und Sie werden also vielleicht etwas fremdeln zwischen den Fischstäbchen.
Aber sonst wird dieser Montag sicher wunderbar. Masken Sie das Beste draus. Oder wie es Queen Elizabeth II. gestern in ihrer TV-Rede ausdrückte: „Es werden wieder bessere Tage kommen, wir werden mit unseren Freunden vereint sein, wir werden mit unseren Familien vereint sein. Wir werden uns wiedersehen.“ Also dann!
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