Österreichs Seele
Was gestern paniert wurde, wer sein Fett abbekam, wo es Brösel gab.

Es passierte am vergangenen Wochenende. Gegen Mittag flog ein Fenster im Innenhof meines Wohnblocks auf, es ging alles so schnell, ich konnte gar nicht sagen, um welches Stockwerk es sich handelte. Jedenfalls war plötzlich eine Männerstimme zu hören, die brüllte: „Meine Frau hat heute geduscht“. Nichts weiter. Nur der eine Satz, dann wurde das Fenster krachend zugeworfen. Alles still. Ich wusste nicht, was das bedeuten könnte, also inhaltlich schon natürlich, nämlich, dass sich jemand geduscht hatte und ein anderer jemand das für mitteilungswürdig empfand. Aber ich verstand die Hintergründe nicht. Hoffentlich ist dieses Corona vorbei, wenn es heiß wird, es holt nicht das Beste aus den Menschen heraus, nicht aus einer Welt, nicht aus beiden.
In ein paar Tagen beginnt die Schule neu und alle sind schon sehr aufgeregt, die Lehrer sowieso, denen schlägt sich momentan alles auf den Magen, die Eltern, weil sie nicht wissen, ob sie ihre Kinder in die Schule schicken sollen und die Kinder, weil sie nicht mehr wissen, wo genau die Schule überhaupt liegt. Dabei besteht zur Aufregung überhaupt kein Grund. Die Tochter von Bekannten hat ausgerechnet, wie sich die restlichen Wochen für sie gestalten und ich muss sagen: Ein neues Bildungsbürgertum wird daraus nicht hervorgehen.
Big Spender

Das Mädchen ist 15, geht in die erste Klasse Oberstufe eines Wiener Gymnasiums mit Nachmittagsunterricht und gehört zu Gruppe A. Sie erinnern sich, das ist jene Gruppe die nicht am 29. Mai (Lehrerkonferenz), nicht am 1. Juni (Pfingstmontag) und nicht am 2. Juni (Pfingstdienstag) in die Schule geht, sondern erst am 3. Juni, aber nur für einen Tag, denn dann ist die Gruppe B dran.
Die Gruppe A macht nach einem Tag Unterricht bis zum 11. Juni Pause, um an diesem Tag nicht in die Schule zu gehen, denn da ist Fronleichnam, ein Feiertag. Also geht die Gruppe A erst am 12. Juni in die Schule, da weiß man allerdings nicht, ob die Lehrer kommen und in welcher Anzahl, denn das Ministerium und die Gewerkschaft haben sich darauf geeinigt, dass der Fenstertag ein freiwilliger Arbeitstag ist. Die Gruppe A hat also in der Zeit vom 29. Mai bis inklusive 14. Juni, einem Zeitraum von immerhin 17 Tagen, ein bis höchstens zwei Unterrichtstage. Dann aber geht man es hurtig an. Weil aber der Stundenplan bleibt wie er eben war, erscheint es vernünftig einen zusätzlichen Gegenstand ins Zeugnis aufzunehmen, man könnte ihn Lücke nennen und allen ein Sehr gut geben.
Bis zum Schulende, heuer der 3. Juli, hat die Gruppe A nämlich alles in allem drei Stunden Mathematik, nicht in der Woche, insgesamt, dazu drei Stunden Latein, je fünf Stunden Englisch und Deutsch, drei Stunden Geographie, zwei Stunden Geschichte und, Trommelwirbel, 0 Stunden Biologie. Bio fällt leider blöd, einmal wäre am Nachmittag, einmal in der sechsten Stunde, aber da sind die Kinder schon weg. Bio ist auch nicht wichtig, wer muss das ganze Zeug über Corona schon wissen, ist ohnehin nur eine Zeiterscheinung.
Im Gegenzug gibt es immerhin sechs Stunden Bildnerische Erziehung und fünf Stunden Religion. Die Kinder werden also tipptopp in Ikonenmalerei sein, aber sie werden eventuell nicht mehr wissen, ob die Eulersche Gerade jetzt nach Wiener Neustadt führt oder nach Laa an der Thaya und ob sich mit dem Schwerpunkt berechnen lässt, wie viele Kilos man durch die ganze Corona-Fresserei zugelegt hat. Auch die beiden Stunden Geschichte wird die Lehrerschaft kompakt halten müssen, die Jahrhunderte werden nur so fliegen. Gottlob gibt es hervorragende Schulbücher, die das Lernen erleichtern. Das war jetzt ein Scherz.
O'zapft is!

Die Lehrer fürchten sich momentan eher nicht vor der Menge des Lehrstoffes, den sie vermitteln müssen, was auch etwas seltsam anmuten würde. Ihnen verursacht Corona selbst Panik. Der Vorsitzende der Personalvertretung der Wiener Landeslehrer, Thomas Krebs, richtete nun einen offenen Brief an den Wiener Bildungsstadtrat Jürgen Czernohorsky. Krebs hätte sich kurzhalten können, es hätte gereicht zu schreiben: „Lieber Herr Stadtrat, das wird nichts, lassen wir es bleiben. Bis in vier Monaten, vielleicht auch erst später. Schönen Sommer“. So aber geriet das Schreiben eineinhalb Seiten lang und es ist mehr eine Anklageschrift als ein Hinweis auf Versäumnisse, die es gemeinsam zu beseitigen gilt.
Krebs, selbst Christdemokrat, also der ÖVP zuzuordnen, unterstellte dem SPÖ-Bildungsstadtrat und der MA 56 die Schulöffnung „unzureichend“ vorzubereiten, „viele SchulleiterInnen und LehrerInnen fühlen sich im Stich gelassen“. Der „Dienstgeber“, das „Land Wien“, vernachlässige „seine Fürsorgepflicht massiv“. „Es wurden beispielsweise Masken geliefert, die erst zusammengesetzt werden müssen. Das Handdesinfektionsmittel ist für den von der MA 56 eigens angeschafften Handspender ungeeignet, da es zu flüssig ist und damit aus dem Spender systematisch heraustropft“.
Dramatische Szenen werden sich an den ersten Schultagen abspielen. Man wird Absperrbänder anbringen müssen, damit die Patscherln, die jetzt in die Schulen strömen, nicht auf den Desinfektionsseen ausrutschen, vielleicht muss man auch einen eigenen Gangdienst abkommandieren, der die Lacken bewacht, da es doch „aus dem Spender systematisch heraustropft“. Händewaschen ist auch keine Alternative, denn in den meisten Klassen von modernen Schulneubauten gibt es keinen Wasseranschluss mehr, die Hände können nur „an zentralen Wasserstellen gewaschen“ werden, wie der Personalvertreter gallig anmerkt. Wehe man hat sich noch keine Schutzmaske zusammengebastelt und die Polizei fängt einen am Weg zur „zentralen Wasserstelle“ ab. Das kostet dann gut und gerne 500 Euro. War auf der Straße auch so.
Der Gewerkschafter hat jetzt jedenfalls die Nase voll. „Es reicht“ betitelt er seinen offenen Brief. „Wir Wiener PflichtschullehrerInnen,“ schreibt Krebs gegen Ende hin, „haben unter anderem durch die freiwillige und nicht abgegoltene zusätzliche Arbeit in den Osterferien gezeigt, dass uns die Schule, die Kinder und auch die Gesellschaft ein enormes Anliegen sind und wir eine tragende Säule dieser Stadt sind“. Wir Eltern übrigens ebenfalls, vielleicht schreiben wir auch einmal einen Brief, er muss nicht einmal offen sein.
Eines würde ich mir ja wünschen: Vielleicht werden die Schülerinnen und Schüler am ersten Schultag so empfangen wie die Pflegerinnen gestern in Wien-Schwechat, wie NationalheldInnen nämlich. Sogar Staatssekretärin Karoline Edtstadler verfügte sich zum Bahnhof, sie nannte die Rumäninnen, die in einem Korridorzug die Nacht über nach Österreich gereist waren, „eine große Unterstützung“, ich habe das aus den letzten Jahren anders in Erinnerung, aber das kann an mir liegen. Jetzt fehlt nur mehr ein bisschen Applaus von ein paar Balkonen und die Pflegerinnen dürfen sich so üppig honoriert fühlen wie die Supermarktangestellten, deren Kollektivverträge aus meiner Beobachtung heraus auch noch keine Corona-induzierten Sprünge nach oben gemacht haben.
Gepflegter Umgang

Die Regierung hatte gestern keine Zeit für die Schulen und die Pflege, sie musste für unser leibliches Wohl sorgen. Pressekonferenz Nummer 76 widmete sich der Gastronomie, wurde live auf ORF III übertragen und begann mit einer Art Einzug wie man es von noblen Restaurants kennt, wenn der Hauptgang serviert wird. Oberkellner Gernot Blümel führte die Mannschaft an, die zu einem Quartett angewachsen war. Hinter dem Finanzminister folgten Gastroministerin Elisabeth Köstinger, Kanzler Sebastian Kurz, Vizekanzler Werner Kogler und Wirtschaftskammerpräsident Harald Mahrer. Statt Speisen auf Tellern unter einer Glosche, trugen der Oberkellner und seine Kollegenschaft Zettel in der Hand, alle hatten Masken auf, so wird es ab Freitag auch in den Restaurants sein.
In Österreich ist es ja so: Für die Wirtschaft ist, neben Kanzler und Vizekanzler, die Wirtschaftsministerin zuständig, natürlich auch ein bisschen die Arbeitsministerin und die Integrationsministerin und die Kanzleramtsministerin. Für die Gastwirtschaft aber ist nicht die Wirtschaftsministerin zuständig und nicht die Arbeitsministerin und die Integrationsministerin und die Kanzleramtsministerin, sondern die Bundesministerin für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus und deshalb war die Wirtschaftsministerin gestern nicht bei der Wirtschafts-Pressekonferenz zugegen, es wäre auch eng geworden, Mahrer musste ja auch noch aufs Bild.
"Kopfnüsse" hier als Podcast hören:
Als erstes sprach der Kanzler, er hielt sich auffallend knapp. Schon im ersten Satz brachte er alle wesentlichen Botschaften unter („Wirtschaft hochfahren“, „schneller als andere“, „Normalität“, die diesmal ohne „neue“ auskommen musste). Frei nach Erwin Ringel nannte er die Gastronomie einen „Teil der österreichischen Seele“, anatomisch gesehen ist also das Schnitzel ein DNA-Baustein und Uhudler einer der Körpersäfte, wir hatten das immer schon so vermutet. Für die „österreichische Seele“ wurde ein Hilfspaket geschnürt, das Kurz „Wirtshauspaket“ nannte. Es hat ein Volumen von 500 Millionen Euro. Ich weiß nicht, ob das viel oder wenig Brösel sind, man müsste das auf Schnitzel umrechnen.
Dann passierte Sonderbares. Der Kanzler tat etwas, das er noch nie getan hatte, er erwähnte die Kultur. Und später machte es ihm der Vizekanzler gleich. Beide kündigten Hilfen für die Betroffenen, die Künstler, die Veranstalter an. Da dürfte am Wochenende etwas in Bewegung geraten sein. Hoch an der Zeit.
Pappkameraden

Kurz ließ es bei einer fünfminütigen Rede bewenden. Er schloss mit der „Bitte an alle Österreicherinnen und Österreicher: Konsumieren und kaufen sie möglichst regional und konsumieren sie natürlich auch in den österreichischen Wirtshäusern“. Er fügte leider keine Definition an, was er unter einem „österreichischen Wirtshaus“ versteht. Darf man ab Freitag auch japanisch essen gehen oder griechisch oder italienisch oder ist das zu fremd und ausländisch? Wie ist das mit dem Schweizerhaus? Im Schnitzelhaus werden Schnitzel verfüttert, im Schweizerhaus aber keine Schweizer, ist das dann jetzt inländische oder ausländische Gastronomie?
Ich frage nicht ohne Grund, denn in Zeiten wie diesen ist es gut, wenn man sich für alles eine Erlaubnis holt. Als es später um die Details ging, kam die Rede auch auf die Umsatzsteuer. Sie wird für nichtalkoholische Getränke von 20 Prozent auf 10 Prozent gesenkt. Gastroministerin Köstinger empfahl den „Unternehmern, die Erleichterungen nicht an die Kunden weiterzugeben, erlaubt sei das aber durchaus“. Nanu? Brauchen Gastwirte jetzt eine Erlaubnis der Ministerin, wenn sie Cola oder Spezi um 10 Cent billiger anbieten wollen?
Mit den Details des „Wirtshauspakets“ behellige ich sie nicht weiter, ich verstehe ohnehin nicht, warum das alles so kompliziert geworden ist. „Erhöhung der Mobilitätspauschale von zwei Prozent auf sechs Prozent für Gasthäuser in Gemeinden bis 5.000 Einwohner und vier Prozent für Gasthäuser in Gemeinden bis 10.000 Einwohner“, lese ich da. Ja eh. Warum verteilt man nicht einfach Gutscheine an Leute, damit sie billiger in Lokalen essen und trinken können? Da haben Wirt und Gast etwas davon. Das mit den Hilfen gerät grundsätzlich aus den Fugen, ich habe das gestern schon angedeutet. In „Heute“ erzählt jetzt ein Salzburger Gastwirt, wie viel Geld ihm aus den beiden „Corona-Härtefallfonds“ zugesprochen wurde – 59,20 Euro nämlich. Ich hoffe er verprasst das nicht.
Möge das Glück bei Ihnen heute an diesem wunderbaren Dienstag nicht so zurückhaltend sein. Werner Kogler deutete gestern an, dass die Fußball-Bundesliga „Ende Mai, Anfang Juni“ starten könnte. Die deutsche Bundesliga legt schon am kommenden Samstag los, ohne Fans zwar, aber Borussia Mönchengladbach hat sich etwas einfallen lassen. Fans können Pappkameraden von sich anfertigen lassen, die dann im Stadion platziert werden. Dort wo die Dauerkartenbesitzer auch sonst Platz nehmen. 8.000 Stück zu je 19 Euro (Geld wird gespendet) wurden schon verkauft. Wir lernen: Corona ist ein harter Gegner, aber am Ende gewinnen immer wir.
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