Rudimentär
Dicke Luft, gute Luft, zweite Luft – ein Tag zum Wegatmen.

Oft sind es die feinen Unterschiede, die den Liebreiz dieses Landes ausmachen. Ich darf in diesem Zusammenhang vielleicht beispielhaft die Diskrepanz zwischen einer Pressekonferenz und einem Pressegespräch anführen, bitte halten Sie mich deshalb nicht für kindisch. Ich glaube das Pressegespräch steht vor einer großen Karriere in Österreich, es wird das Hintergrundgespräch wegfegen, das zuletzt einigermaßen in Verruf geriet. Das Pressegespräch hat gegenüber der Pressekonferenz den Vorteil, dass man den Teilnehmerkreis limitieren kann, ohne gleich in den Gemauschel-Verdacht eines Hintergrundgespräches zu geraten. Man könnte sich jetzt natürlich fragen, was der ganze Unfug soll, warum werden nicht einfach Journalisten eingeladen, man gibt ihnen die Informationen, die sie brauchen, und alle reiten wieder ihrer Wege, aber das wäre dann nicht Österreich und auch irgendwie schade.
Das Burgtheater gab am Montag seine Pläne für die kommende Spielzeit bekannt. Die letzten Jahre war das ein Routinetermin, wir waren vor Ort oder ließen uns die Unterlagen zukommen, fragten nach, baten eventuell um Interviews. Diesmal nicht. Diesmal lud uns das Burgtheater erst gar nicht ein. Ja, es sagte uns nicht einmal, dass es die Präsentation überhaupt geben werde. Wir hatten keine Ahnung. Natürlich, irgendwo da draußen ist Corona und die Teilnahme an Veranstaltungen muss eingeschränkt werden, aber ich wusste nicht, dass es auch hochriskant sein kann, Informationen weiterzugeben. Können Buchstaben an Covid-19 erkranken? Wie macht man bei einem H oder einem X einen Rachenabstrich? Gibt es schon verlässliche Antikörpertests für das Alphabet? Viele neue Fragen tauchen auf.
Es wurden nur zehn Journalisten eingeladen, sagte mir die Sprecherin des Burgtheaters gestern, alle aus Medien, die in den letzten Jahren viel über Premieren berichtet hätten. Es gibt also offenbar eine Stricherlliste im Haus am Ring und wer da ein bestimmtes, geheimes Kontingent unterschreitet, ist raus. Ich hätte jetzt argumentieren können, dass wir über alle Bühnen des Burgtheaters stets in großer Ausführlichkeit berichtet haben, es langten auch immer wieder ermunternde Anrufe ein, doch über diese oder jene Vorstellung zu berichten, da dies dem Kartenverkauf zuträglich wäre. Es gibt eine tägliche Doppelseite in „Heute“, die sich mit Kultur in der weitesten Form beschäftigt, wir machen da mehr als der Boulevard das üblicherweise tut und oft waren Burgtheater, Akademietheater, Kasino oder Vestibül gern gesehene Gäste.
Aber ich wollte mich gar nicht rechtfertigen. Die Vorgehensweise des Burgtheaters könnte ich jetzt beschönigend als unprofessionell bezeichnen. Ich sage es lieber konkret: Wer bestimmte Journalisten, von welchen Medien auch immer und aus welchem Grund auch immer, von Informationen ausschließt, der marschiert Richtung Zensur und gegenüber Zensur rechtfertigt man sich nicht. Diese Unart hat in der Politik begonnen, sie greift jetzt offenbar auf andere Gesellschaftsteile über und wenn ich jetzt sage, das finde ich nicht gut, wäre das nicht angemessen. Nicht angemessen unfreundlich.
Natürlich kann man jetzt argumentieren, „Heute“ ist eher für die kleinen Leute da, von der großen Bühne herab sehen die meisten kleinen Leute auch noch viel kleiner aus als sie tatsächlich klein sind. In Sonntagsreden werden die kleinen Leute in Österreich immer sehr groß dargestellt. Da wird über die Maßen betont, wie wichtig sie für das Land doch seien, der Kitt der Gesellschaft, man müsste jeden Abend am Balkon stehen und ihnen applaudieren. Am Montag sind die kleinen Leute dann aber wieder die kleinen Leute.
Diese kleinen Leute werden in nächster Zeit auch noch ein bisschen kleiner werden, denn meine bescheidene Erfahrung mit Krisen sagt mir, dass die großen Leute meistens recht gut durch schwere Zeiten kommen, die kleinen Leute aber werden hart getroffen. Es sind jene, die ihre Arbeit verlieren, sich die Wohnung nicht mehr leisten können, sich bei der Suppenküche der Caritas anstellen. Generaldirektoren sieht man dort eher selten.
Präsentation im
kleinen Rahmen

Es ist eine Art von Snobismus auf Medien herabzublicken, die auch kleine Leute in ihrer Leserschaft haben, für eine Staatsbühne ist es unangemessen, denn oft sind es die kleinen Leute, die mit glühenden Augen und heißen Ohren im Publikum sitzen und den heftigsten Applaus spenden, während die Generaldirektoren auf den geschenkten Plätzen recht schnell nach Vorstellungsbeginn ihren wohlverdienten Schlaf antreten und rasch bei der Tür hinaus sind, wenn der erste Vorhang gefallen ist, schließlich will man nicht der Letzte sein, der aus der Tiefgarage herausfährt.
Es ist auch inhaltlich Blödsinn. Natürlich haben wir als leserstärkste Zeitung in Wien auch viele kleine Leute als Abnehmer und ich bin auf wenig so stolz wie auf das. Aber wer einen Blick etwa in die MediaAnalyse 2019 wirft, dem Reclamheft des Journalismus, dem zeigt sich folgendes Bild: „Heute“ hat unter den BestverdienerInnen des Landes mehr Leser als die „Presse“. Wir freuen uns darüber, in Wien in den Einkommensschichten A und B gemeinsam fast doppelt so viele LeserInnen wie die „Presse“ zu erreichen und rund ein Viertel mehr als „Standard“ oder „Kurier“. Keine Zeitung der Stadt hat in der Leserschaft mehr Menschen mit höchstem Bildungsabschluss, Hochschule, Uni oder Fachhochschule. Ich sage das nicht um ein Theater darum zu machen, sondern damit man es einordnen kann, auch auf der Bühne des Lebens.
Ich hatte wie erwähnt ein Telefonat mit der Presseabteilung des Burgtheaters, ich wollte die Hintergründe der Entscheidung wissen. Leider sei kein Redakteur im Verteiler, wurde bedauert, aber man könne natürlich darin aufgenommen werden, fürs nächste Mal, vielleicht. Auf meinen zarten Hinweis, dass Pressearbeit auch das Wort Arbeit inkludiere, es also ja auch die Möglichkeit gegeben hätte, sich mit uns in Verbindung zu setzen, ich dachte an Erfindungen wie Telefon, Smartphone, SMS, WhatsApp, wir nehmen auch Briefe an, endete in der Argumentationslinie indischer Callcenter, alles drehte sich irgendwie im Kreis.
Um auch das klarzustellen: Wir werden weiter über das Burgtheater berichten und wir werden uns nicht davon beeinflussen oder leiten lassen, dass wir dort nicht wohlgelitten sind. Diesen Triumph werden wir der Zensur nicht auch noch gönnen.
Schicke Socken

Kübelweise

Tut mir leid, dass ich Sie jetzt mit etwas sehr Spezifischem gelangweilt habe, wir Journalisten sind manchmal Freaks, aber ich halte das für eine bedauerliche Entwicklung. Ich hatte vor einigen Wochen ein paar bösere Sätze über Rudolf Anschober geschrieben, weil er nur ein paar ausgewählte Medien zu einer Art Hintergrundgespräch eingeladen hatte, uns ebenfalls nicht. Der Gesundheitsminister hat mich danach angerufen, sich erklärt, er hat sogar zu einem runden Tisch mit „Reporter ohne Grenzen“ geladen, das war dann fast schon zu viel der Ehre. Aber ich fand das gut, ich unterstelle Anschober ehrliches Interesse, es beim nächsten Mal besser zu machen. Den Leberkäse fand ich natürlich auch gut, aber nicht nur.
Bei Anschober gab es auch Bier, in irgendwelchen ulkig-bauchigen Flaschen aus Oberösterreich – no na – ich habe aber nur Mineralwasser getrunken, als Cowboy immerhin mit Kohlensäure. Der Gesundheitsminister glaubt übrigens zu 90 Prozent, dass die Koalition bis zum Ende der Legislaturperiode halten wird, vielleicht sollte man anmerken, dass Heinz-Christian Strache bis vor etwas mehr als einem Jahr ebenfalls dieser Meinung war, damals natürlich für Türkis-Blau und nicht für Türkis-Grün. Anschober war bis jetzt erst „mit einem türkisen Kollegen ein Feierabendbier trinken“, vielleicht hängt das eine ja mit dem anderen zusammen. Wenn er also mit einem zweiten „türkisen Kollegen ein Feierabendbier trinken“ geht, dann könnte es sein, dass er zu 100 Prozent glaubt, die Koalition hält bis zuletzt. Oder zu 0 Prozent, das hängt ja auch davon ab, mit welchem Türkisen man fortgeht, es gibt da solche und solche, das weiß Strache jetzt auch.
Um das alles zu erfahren, benötigte ich kein Hintergrundgespräch und schon gar kein Pressegespräch. Der Gesundheitsminister hat dem stets hervorragenden Magazin „Biber“ ein „Interview in Zahlen“ gegeben, aus denen man in der Regel mehr erfährt als aus klassischen Interviews, also so mit Fragen und Antworten, wenn man sie denn stellen darf. Anschober bekannte im „Biber“, 25 Masken zu besitzen (24 gehören wahrscheinlich seinem Hund), dass er als Schüler zehnmal im Unterricht eingeschlafen ist (wurde er von Werner Kogler unterrichtet?), dass es 2030 den oder die erste grüne KanzlerIn geben wird (so lange hat er Geduld zu warten?). Er ist mit sieben Virologen per Du (ich kenne nicht einmal einen), in vier Ländern werden wir im Sommer Urlaub machen können (Tschechien, wir kommen), kein Bekannter von ihm ist an Corona erkrankt oder gestorben, das erste setzt wohl das zweite voraus.
Babyelefanten-
Abstandsweisung

Was sonst gestern noch so war? Im Parlament wird jetzt drei Tage lange über das Budget 2020 gestritten, das es eigentlich nicht gibt. Also es gibt natürlich schon ein Budget 2020, aber es stehen keine realen Zahlen drin. Der Haushalt wurde nämlich vor der Coronakrise erarbeitet und nun nicht adaptiert, was die Opposition mittelgut findet. Die Neos stellten dem Finanzminister eine türkise Minitonne hin. Aufdruck: „Ein Budget zum Kübeln“. Gernot Blümel, wieder in türkisen Socken, hielt dagegen, dass es keine seriösen Prognosen für die Wirtschaftsentwicklung gäbe, die Voraussagen würden zwischen minus 3,5 Prozent und neun Prozent pendeln. Aber im Herbst werde es einen Kassasturz geben. Ich hoffe, es fallen dabei noch ein paar Münzen heraus.
Mitten in der Debatte sah man Grünen-Chef Werner Kogler heftig gestikulieren. Auf der anderen Seite der Regierungsbank pfiffen sich ein paar MinisterInnen nicht um den Babyelefanten. Seit dem Kleinwalsertal sind alle ein bisschen hysterisch. Vielleicht sollte die Regierung einmal zum Italiener gehen, der Bundespräsident könnte ja später zur Runde dazu stoßen.
Die Partie könnte die gute Luft genießen. Das Bundesumweltamt verriet „Heute“: Die Coronakrise hat an ihrem Höhepunkt für einen radikalen Rückgang der Schadstoffe gesorgt, an verkehrsnahen Standorten wurden bis zu 60 Prozent weniger Stickoxide in der Luft gemessen. „Die Luftqualität“, sagt die zuständige Umweltminsterin Leonore Gewessler, „war während Corona so gut wie zuletzt in den 1960er Jahren“. Bevor jetzt alle in die Garage gehen und ihre 20-Liter-Diesel starten: Das Klima haben wir damit nicht gerettet, es ist nur eine Momentaufnahme. Sorry Leute.
Im Justizministerium tat sich Erstaunliches. Christian Pilnacek, der sich seit 2010 zum mächtigsten Mann des Ressorts aufbaute und unter (oder über) 12 Ministern arbeitete, wird entmachtet. Seine Sektion wird in zwei Teile zerschlagen, er muss sich neu bewerben, um eine der Abteilungen leiten zu dürfen. Pilnacek gilt als eine der Schlüsselfiguren vieler politischer Affären der letzten Jahre, er regierte mit Weisungen, hielt die Zügel in der Hand, zuletzt sorgte er für Stirnrunzeln, weil er ÖVP-nahe Beschuldigte zu einem Treffen empfing. Die grüne Justizministerin Alma Zadić macht ernst mit dem Umbau der Justiz, es wird spannend wohin die Reise geht.
Die Frechheit des Tages leistet sich ein Wiener HTL-Schüler. Er schrieb auf den Maturazettel „Weils wurscht ist. Auf Wiedersehen“, stand nach zehn Minuten auf, gab den Zettel ab und traf sich mit Freunden auf ein Vormittagsbier. Der 19-Jährige wird die Reifeprüfung trotzdem schaffen, denn er hatte im Abschlusszeugnis ein Befriedigend stehen, im Maturazeugnis wird sich unter „Fachtheorie“ also ein Genügend finden. Bildungsminister Heinz Faßmann wird sich das vielleicht noch einmal überlegen mit der Beibehaltung der Benotung im nächsten Jahr.
Ja und Hans Rauscher hat auf meine Kopfnuss von gestern reagiert. Ich hatte ihn im Rahmen einer Anekdote aus den neunziger Jahren zitiert. Beim Verlassen des früheren „Kurier“-Gebäudes in der Seidengasse sagte er mit Blick auf einen beginnenden Regenguss: „Für des homs a Göd“. Er habe sehr gelacht, schreibt er mir, aber das Zitat sei nur zur Hälfte wiedergegeben. Vollständig würde es so lauten: „Für des homs a Göd, aber uns lassen`s net studieren“. Das liefere ich, der historischen Wahrheit willen, hiermit gerne nach. Ich will mich schließlich nicht der Zensur schuldig machen.
Verbringen Sie einen wunderbaren Mittwoch. Das Wetter soll heute besser sein, wobei ich sagen muss, dass ich Regen sehr gern habe. Die Sonne scheinen zu lassen, ist ja etwas einfallslos, ich mag es, wenn der Himmel kreativ ist, in Maßen natürlich. Im Leben halte ich es ähnlich.
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