Situation Room
Ein Ex-Minister im Home-Office
und anderer Bügelkram.

Es sind diese ikonischen Bilder, die sich ins Gedächtnis eingraben. Die „Staubfrau“ vom 11. September, Barack Obama, wie er im „Situation Room“ des Weißen Hauses 2011 live bei der Erstürmung der Wohnung von Osama bin Laden zusieht, Neil Armstrong 1969 auf dem Mond, um nur drei zu nennen. Das „Time Magazin“ hat vor vier Jahren die 100 einflussreichsten Fotos aller Zeiten gewählt. Vielleicht werden wir uns in ein paar Jahren an die Corona-Krise auf diese Weise erinnern: Da gab es doch dieses Bild von Alois Stöger daheim vorm Bügeltisch.
Es ist ja so: Einige bügeln am Arbeitstisch, andere arbeiten am Bügeltisch, etwa der frühere Sozial- und Gesundheitsminister wie wir seit gestern dank Facebook wissen. Sein Nach-, Nach-, Nach-, Nach-, Nachfolger Rudi Anschober steht jetzt fast jeden Tag Kanzler Sebastian Kurz bei, Alois Stöger sitzt währenddessen daheim in Ottensheim in Oberösterreich vor dem Bügelbrett und telefoniert. Das Foto, erzählt er „Heute“, habe er nicht aus Spaß gemacht, genauer gesagt fotografierte es seine Tochter am Dienstag, sondern es bildet den Stand der Dinge ganz gut ab. „In der Familie arbeiten mehrere im Home-Office, deshalb ist der Schreibtisch nicht immer frei“.
Bittere Wahrheiten

Ich muss zugeben, ich habe Bügeltische bisher immer unterschätzt. Ich dachte, die sind eigentlich strunzdumm, ein Brett, ein Stück Stoff drauf, die besseren haben ein Gebläse, damit die Feuchtigkeit der Wäsche nicht auf den Boden tropft, mehr aber haben sie nicht im Hirn. Die Ausgangssperre, die uns das verdammte Virus aufzwängt, bringt es allerdings mit sich, dass wir alle Lebewesen in unserem Haushalt einer neuen Bewertung unterziehen, auch Bügelbretter und die gehören eindeutig zu den Lebenswesen, sie haben, glaube ich, eine ziemlich verletzliche Seele. Wenn man etwa die Stützen beim Aufstellen nicht richtig einrasten lässt, dann fällt das ganze Konstrukt in sich zusammen. Wenn man dann das Schienbein unglücklich platziert hat, erlebt man diesen Prozess hautnah mit, sagt in der Folge vielleicht ein paar unschöne Worte, die einem nachher eventuell leid tun, aber da hat sie sich das Bügelbrett schon zu Herzen genommen. Vielleicht wird man einmal von uns sagen, dass uns das Virus seltsam gemacht hat, aber da wir alle gemeinsam seltsam wurden, wird das nicht weiter ins Gewicht fallen. Hoffe ich zumindest.
Aber ich schweife ab. Bügeltische sind jedenfalls ziemlich praktisch, Stöger weiß das. „Sie sind höhenverstellbar“, sagt er. Als ehemaligem Gesundheitsminister sei ihm Ergonomie „natürlich ein Anliegen“. Jetzt ist Stöger SPÖ-Abgeordneter im Nationalrat und Leiter der Sozialpolitik der Produktionsgewerkschaft PRO-GE. Dienstag saß er mutmaßlich in seinem Wohnzimmer, sicher aber vor einer ziemlich heftig grüngestrichenen Wand, der ein Bild, vielleicht eine Ikone von Pamela Rendi-Wagner, guttun würde. Er hatte sich sein Home-Office und sich selber schön zurechtgemacht, trug Jeans, ein Sweatshirt, dazu Birkenstockschlapfen, alles in eher gedeckten Farben, ein Mann der fluffigen, italienischen Mode war er ohnehin nie.
Die Elektrik war eher salopp verlegt, alle Kabel endeten in einer Steckleiste zu seinen Füßen. Wenn stimmt, dass das Auge in vielen Situationen des Lebens mitisst, dann wird das Auge bei diesem Foto vielleicht der Hunger überkommen, aber auch das ist eine Erkenntnis der letzten Tage im Home-Office: Appetit haben wir irgendwie immer, nicht nur unsere Augen. Wenn wir einmal wieder rausdürfen und vor lauter Freude in die Luft springen wollen, werden wir nicht abheben, sondern wir werden uns anstellen wie junge Adler bei ihren ersten Flugversuchen, es wird nicht sehr schön ausschauen und noch weniger schön enden.
So weit aber sind wir noch nicht, auch Stöger nicht. Er habe jetzt viel zu tun, sagt er, vor allem habe er viele Besprechungen über Videokonferenzen zu absolvieren. Auf seinem Bügelbrett steht ein Lenovo-Notebook, eine Webcam ist angeklipst, ein Tablet und ein Block liegen griffbereit, auch die aktuelle Ausgabe des „Bildungskurier“, einem Mitgliedermagazin der SPÖ Oberösterreich. In den Kommentaren überschlagen sich User voller Begeisterung über das Foto, einer fragt: „Wo bügelt jetzt deine Frau?“ „Also meine Hemden habe ich immer schon selber gebügelt,“ antwortet Stöger. Man erfährt wirklich viel über die Leute in Zeiten der Krise.
An die Masken,
fertig los!

Vieles aber will man jetzt eigentlich besser gar nicht wissen. Der nächste Tag, der nächste Nackenschlag. 562.522 Menschen sind in Österreich jetzt ohne Arbeit, es ist eine unfassbare Zahl, so viele waren es noch nie nach dem Zweiten Weltkrieg. Diesen Satz muss man erst einmal sacken lassen. Fast jeden Achten hat das Virus bisher den Job gekostet. 562.522 Menschen, 562.522 Einzelschicksale, es werden in einem Monat noch mehr sein, vielleicht viel mehr. 102.679 Menschen verloren im Tourismus ihren Job, fast 70.000 im Handel. In Tirol explodierte die Zahl der Arbeitslosen um 172,2 Prozent, in Salzburg um 112,3 Prozent. Zur Angst um die Gesundheit hat sich längst die nackte Angst um die Existenz gesellt.
Es ist ein brutales System. Natürlich ist die Kurzarbeit, die Österreichs Regierung als Gegengift einsetzt, ein gutes Mittel. „Weltweit einzigartig“, nannte Finanzminister Gernot Blümel das Modell gestern in der Pressekonferenz. Er scheint der Einzige in der Koalition zu sein, dem die Krise auch körperlich zusetzt, zumindest glaube ich es ihm anzusehen, schmalpickt und schmallippig stand der da. Als ihn ein Reporter fragte, ob das System mit der Kurzarbeit gescheitert sei, lachte er bitter auf, wusste dann für einen Moment nicht, was er sagen sollte. Werner Kogler rettete ihn, schnappte sich seinen Teil der Frage und antwortete. Danach hatte sich Blümel wieder gefangen, aber er kennt natürlich die Zahlen. Er weiß, dass wir das nicht lange durchhalten.
Es ist die erste Regierungs-Pressekonferenz seit langem ohne Sebastian Kurz. Es ist erneut eine ohne Schutzmasken, keiner der vier Regierungsvertreter trägt eine, das werden wir nicht mehr lange so sehen. Neben Blümel und Vizekanzler Kogler sind noch Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck und Arbeitsministerin Christine Aschbacher angetreten, die Anspannung ist bei allen zu spüren. Aschbacher weiß das am wenigsten in Worte zu fassen und das meiste dieses wenigen liest sie ab. Dabei ist es recht simpel: Der Rettungsschlauch mit den Milliarden wird dicker und dicker, aber er hat auch immer mehr Löcher, die man zuhalten muss. Irgendwann werden uns dann einmal die Finger ausgehen. Wir werden das tatsächlich nicht mehr lange durchhalten.
Mit der Kurzarbeitsregelung versucht die Regierung, möglichst viele Menschen in Arbeit zu halten. Aber es gibt viele Branchen, deren Kollektivverträge ganz kurze Kündigungszeiten möglich machen. Davon machen viele Unternehmen Gebrauch, einige, bei weitem nicht alle, können es sich anders gar nicht leisten. Sie müssen die Gehälter vorfinanzieren, es kann bis zu drei Monate dauern, bis der Staat das Geld für die Kurzarbeit überweist. Und eines hat man vielleicht auch noch nicht so am Radar: Im Unterschied zu vielen anderen Ländern trifft uns die Krise doppelt. Die starken Arme unserer Wirtschaft sind der Tourismus und der Export. Gäste können jetzt keine kommen, Waren können nicht wirklich gut aus dem Land. Es ist eine Doppelmühle, wir werden noch lange zu den Verlierern zählen, wenn nicht ein Wunder geschieht.
Fromme Bitte

Aber Wunder passieren und sie zeigen schon auch, welche Kraft dieses Land besitzt. Innerhalb einer Woche haben es die Supermarktketten geschafft, Schutzmasken aus der ganzen Welt nach Österreich zu bringen und ein Verteilungssystem aufzubauen. Beim Start gestern funktionierte noch vieles nicht wie es sollte, aber es gab bereits überraschend viele Masken, in vielen Filialen war die Ausgabe schlüssig durchdacht, auch an die Desinfektion hatte man gedacht. Natürlich, es macht wenig Sinn, Masken an der Kasse herzugeben, dann hat man den Markt schon betreten oder ist sogar durch die Reihen gegangen. In einer Filiale wurde eine Kundin nicht eingelassen, weil sie eine selbst hergestellte Stoffmaske trug und nicht die aufgelegten Papiermasken. Aber das wird, spätestens Montag steht das System.
Dennoch, es bleiben Bilder, die man vor wenigen Wochen noch nicht für möglich gehalten hätte. Wurstverkäuferinnen mit Handschuhen, Schutzmasken, Kopfbedeckungen, die aussehen wie Kammerjägerinnen, aber tatsächlich Lebensmittel, Mittel zum Leben, verteilen. Mit Plexiglas verbaute Kassenräume, vorm Eingang spezielle geschultes Personal, das Masken verteilt und Desinfektionsmittel anbietet, am Eingang eines Supermarktes, nicht eines Atomkraftwerkes wohlgemerkt. Ich will die alte Zeit zurück und das schnell. Vor mir aus bietet schrumpelige Erdäpfel an, lasst genau das vergriffen sein, was man am meisten braucht und lasst die Verkäufer allesamt mit dem falschen Fuß aufgestanden sein, aber ich will wieder raus aus diesem obskuren Maskenball.
Vor allem, weil diese Masken ja Tücken haben, vor allem für Brillenträger. Wir werden Geschichten über Auffahrunfälle von Schutzmaskenträgern am Gehsteig lesen, weil deren Brillen anliefen und sie nichts mehr sahen. Wir werden von unseren Lebenspartnern in Supermärkte geschickt werden, um Brot, Butter und Milch zu kaufen und werden nachhause zurückkehren mit allem nur nicht mit Brot, Butter und Milch. Dabei ist es doch ganz einfach: Wenn sie nicht wollen, dass die Brille anläuft, wenn Sie eine Maske tragen, dann atmen Sie doch einfach nicht aus. Nur ein. Dann kann das nicht passieren. Sie fallen nach einiger Zeit vermutlich bewusstlos um, aber das sehenden Auges. Für Lippenstift, der die Maske von innen her beschmiert und daraufhin auch Ihr Gesicht, haben ich allerdings keine Lösung. Tut leid!
Wiener Messe ...

... als Krankensaal

So, morgen ist letzter Schultag. Seltsam, wenn etwas zu Ende geht, was gar nicht zu Ende gehen kann, weil es schon seit einiger Zeit nicht mehr existiert. Vielleicht sollten wir unsere Kinder morgen vor die Wohnungstür stellen, sie anläuten lassen und sie dann freudig begrüßen, so als kämen sie tatsächlich heim von der Schule. Wir könnten sie dann ausfragen, wie der Tag so war, uns ihre Sorgen und Nöte anhören, sie fragen, was sie sich so wünschen vom Osterhasen, kaufen könnten wir das eh nicht, aber träumen davon schon. Es werden keine Osterferien wie früher, es werden nicht einmal Osterferien wie letztes Jahr, aber auch das werden wir überstehen wie wir alles überstehen, weil wir stärker sind als das Virus, Corona weiß das nur noch nicht.
Machen Sie sich einen wunderbaren Donnerstag. Seien wir ehrlich: Viel was anderes bleibt uns auch nicht übrig.
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