„Wir spüren die
gegenseitige Energie“
Die Regierung ging in Klausur.
Der erste Tag war sehr inspirierend.

Heute vor drei Monaten war der erste Tag, an dem unsere Kinder nicht in die Schule gingen. Fast unglaublich oder? Man denkt, das ist alles Ewigkeiten her, weil so viel passiert ist, in den vergangenen 95 Tagen und gleichzeitig so wenig. Am Freitag, den 13. März, wurden die meisten Schülerinnen und Schüler in eine ungewisse, nahe Zukunft entlassen. Die ferne Zukunft schaut für die Jungen heute noch ungewisser aus. Fast alle Ferialjobs und Arbeitspraktika wurden für die nächsten Monate gestrichen, wer in diesen Tagen in den Beruf einsteigen will, egal ob Lehrling oder Absolvent einer Uni, tut sich um ein Vielfaches schwerer und das wird wohl einige Zeit so bleiben. Die Corona-Krise hat viele zu Verlierern gemacht, die nächste Generation gehört da mit Sicherheit dazu.
Wann immer ich in den letzten Wochen gefragt wurde, wie es wohl weitergehen wird, empfahl ich, geistig einen Zirkel zu verwenden. Wenn man vom jeweiligen Standpunkt aus nämlich einen Kreis zog und, sagen wir einmal, zwei Monate zurückschaute, dann begriff man erst, was sich in dieser Zeit alles ereignet hatte. Wenn man dann in die andere Richtung blickte, nach vorne nämlich, machte das Mut, denn wenn so vieles in den vergangenen zwei Monaten möglich war, warum sollte das in den kommenden zwei Monaten anders sein?
Für mich war es also keine Überraschung, dass nun Urlaubsreisen nach Italien oder Griechenland oder Kroatien möglich wurden, bald folgt wohl auch Spanien. Jetzt aber, wo wir überall hinkönnen, bleiben wir lieber daheim. Ferien „dahamas“. Ein „Heute“-Rundruf gestern ergab, dass Österreich in diesem Sommer tatsächlich sehr gut gebucht ist, vor allem die Quartiere an den Seen, besonders die besseren Kategorien. Wer Kinderbetreuung anbietet, gehört überhaupt zu den Gewinnern. Das bestätigt den Augenschein. Am vergangenen, verlängerten Wochenende wurden die Seengebiete regelrecht gestürmt, es gibt mittlerweile in einigen Orten Restaurants mit einer Warteliste von 14 Tagen. Die Wiener kann zwar nach wie vor keiner leiden, aber das ist uns so wurscht wie es uns die letzten Jahrzehnte auch schon wurscht war.
Auch die Regierung hat jetzt irgendwie keine Lust mehr auf Corona. Wenn ich mich nicht verzählt habe, dann gab es in den letzten drei Monaten 122 Pressekonferenzen, man kann der Koalition einiges absprechen, medienscheu aber ist sie nicht wirklich. ÖVP und Grüne gingen gestern in Klausur, vielleicht auch um sich ein bisschen besser kennenzulernen, Corona soll die Menschen ja sehr verändert haben. Eventuell entdecken Sebastian Kurz und Werner Kogler aneinander unerkannte Wesenszüge. Vielleicht also mag der Kanzler seine Frisur selber nicht, tarockiert jeden Samstag in Helfenberg mit Reinhold Mitterlehner und leidet sehr darunter, keine unbegleiteten Flüchtlinge von den griechischen Inseln retten zu können. Der Vizekanzler hat möglicherweise ein Offshore-Konto auf den Cayman-Inseln, neigt zu kurzen Sätzen und schwärmt für Rapid.
Nach drei Monaten Dauerfeuer mit Pressekonferenzen, zuweilen drei am Tag, startete die Regierung ihre zweite Klausur mit einigen Beschlüssen, jetzt aber, wo es tatsächlich etwas zu verkünden gegeben hätte, pfiff man auf Pressekonferenzen. Also es gab schon so etwas Ähnliches wie Pressekonferenzen, aber die hießen plötzlich anders, nämlich „Doorsteps“, ich übersetze das der Einfachheit halber einmal mit Türlschnapper, gestern gab es gleich drei "Türlschnapper" hintereinander. Beim „Türlschnapper“ geht der Politiker üblicherweise zu einem vorher genau festgelegten Zeitpunkt durch eine vorher genau festgelegte Tür, an deren Schwelle zufällig Journalisten warten und spontan Fragen stellen. Es wäre nicht unsere Bundesregierung, wenn sie sich nicht auch dazu etwas einfallen ließe und das hat am Rande mit „Max und Moritz“ zu tun.
„Ach, was muss man oft von bösen
Kindern hören oder lesen!
Wie zum Beispiel hier von diesen,
welche Max und Moritz hießen“.
Tafelritter

Tafelrunde

Was zunächst einmal auffiel: Die Masken waren weg, das Plexiglas obendrein, der Kanzler und der Vizekanzler ebenfalls. Weil ich immer das Unwesentliche im Blick habe, hat mich das Schicksal der Plexiglasscheiben bewegt, schließlich gehörten die Papamobile nun wochenlang fast zur Familie, bei jeder Pressekonferenz strahlten sie uns an, es war kein leichtes Leben. Sie mussten jeden Tag früh aufstehen, wurden ständig mit chemischen Substanzen besprüht und mit Lappen unsittlich berührt, keiner hat am Balkon für sie geklatscht. Sie schützten die Politiker wie Bodyguards vor den Journalisten, diesen Virenschleudern, nie durften ihre Gesichter ausdrücken, was sie von den Vorschlägen der Menschen hielten, die sich hinter ihnen verschanzten. Endstation Lager. Ich habe das ausrecherchiert. Die Plexiglasscheiben wurden in ein Lager im Bundeskanzleramt gesteckt. Vermutlich ist es dort finster und zugig und man hat niemanden, um sich zu unterhalten. Die Regierung sollte sich schämen.
Nicht Sebastian Kurz oder Werner Kogler also traten zum „Türlschnapper“ an, sondern zunächst einmal Christine Aschbacher, die Rudolf Anschober als Aufpasser an die Seite gestellt bekam. Der „Doorstep“ begann damit, dass sich die door zum room öffnete, in dem sich sonst das Pressefoyer zuträgt, und der Gesundheitsministerin mit der Arbeitsministerin in den Saal steppte. Die beiden nahmen hinter zwei Mikrophonen und vor einer riesigen, weißen Wand Aufstellung, Gerald Fleischmann, Kanzlerbeauftragter für Medien, folgte. Er gab den Erzähler, es war märchenhaft. Anschober begann.
Der Gesundheitsminister teilte zunächst mit, dass es weltweit an einem Tag 120.000 Neuninfektionen gegeben habe, Österreich aber nach wie vor gut und stabil dastehe. Die Plexiglasscheiben hätten die frohe Kunde sicher auch gern gehört, aber sie waren ja abgeschoben worden. Später wurde er gefragt, warum es erlaubt sei, dass sich 50.000 Menschen zu einer Demo treffen könnten, aber die Sportstadien leer bleiben müssten. „Nun“, antwortete Anschober, „zunächst einmal ist Fußball kein Grundrecht“. Sekunden später rissen wohl Tausende Fußballfans ihre Anschober-Poster von den Wohnzimmerwänden, Frauen wünschten sich keine gemeinsamen Kinder mehr mit dem Gesundheitsminister, bei einigen Tattoos stehen mühsame Cover Ups ins Haus. Nur Christine Aschbacher bewegte das nicht, sie skizzierte das ganze, große Bild der Klausur. „Es geht darum, dass wir gemeinsam gegen die Weltwirtschaftskrise kämpfen“. Hoffentlich bekommt die Weltwirtschaftskrise keinen Lachkrampf, wenn sie uns Armutschkerln sieht wie wir die Ärmel aufkrempeln.
Abbey Road

Das Ende des ersten „Türlschnappers“ näherte sich dann Wilhelm Busch an. Nein, Christine Aschbacher hatte nicht ein paar Schnüre miteinander verknüpft, um vier Hendln den Garaus zu machen, vielmehr sagte Gerald Fleischmann etwas Ähnliches wie „dieses war der erste Streich, doch der zweite folgt sogleich“. Die Arbeitsministerin machte links kehrt und verließ gemeinsam mit Anschober und Fleischmann den Raum. Die Tür mit der Schnalle in Nasenhöhe schnappte zu, blieb für eine Minute geschlossen, dann ging sie auf und der zweite Streich begann. Die Wirtschaftsministerin und die Tourismusministerin und die Kultur-Staatssekretärin schritten in den Raum wie die „Beatles“. Abbey Road am Ballhausplatz, nicht „Max und Moritz“, aber auch schön.
Es regnete wieder Geld. Arbeitslosenbonus, Familienbonus, Gemeindemilliarde, Investitionsprämie, Fixkostenzuschuss, Verlustrücktragung, die gebratenen Hendln flogen uns nur so in den Mund. Ich glaube, in ein paar Wochen werden wir die Regierung anflehen, doch bitte aufzuhören mit den ganzen Geldgeschenken, es wird uns einfach der Lagerraum für die Hunderterbündel ausgehen.
Alle strahlten vor der weißen Wand, Margarete Schramböck, Elisabeth Köstinger am meisten Andrea Mayer, die von diesem Moment regelrecht überfraut wurde. „Lassen Sie mich es sagen“, rief die Kultur-Staatssekretärin, „dass es wunderbar ist, wieder mit ihnen kommunizieren zu können, ohne diese trennende Plexiglaswand“. Im Lager krümmten sich die Scheiben vor Schmerz, es war der endgültige Dolchstoß ins Herz eines verpfuschten Lebens. Mayer merkte nicht, was sie angerichtet hatte, sie schwebte immer noch auf einer rosaroten Wolke über der Insel der Seligen und sagte: „Wir spüren die gegenseitige Energie.“ Viel mehr kam nicht. Fleischmann meldete sich schließlich. „Es folgt in Kürze der dritte und letzte Doorstep“. Sigi Mauer und Gust Wöginger, ich überspringe das, okay? Zu viel gegenseitige Energie ist auch nicht gesund.
Neues iPhone?

Auch der „Standard“ spürt offenbar die „gegenseitige Energie“, er nutzt sie halt lieber destruktiv. Laura Rudas, die frühere Bundesgeschäftsführerin der SPÖ, ging 2014 in die USA. Sie hatte die Nase voll von der österreichischen Politik, ich kann jetzt gar nicht verstehen warum. An der Stanford University absolvierte sie ein Masterprogramm, begann danach für Palantir zu arbeiten, das Big-Data-Unternehmen ist umstritten, etwa weil es den US-Nachrichtendienst als Kunden hat.
Vor wenigen Tagen nun wurde bekannt, dass Rudas Verwaltungsrätin der Ringier-Gruppe („Blick“) in der Schweiz wird, ein ziemlich angesehener Posten. Der „Standard“ schrieb eine Geschichte darüber, nutzte aber die Gelegenheit, um einen Bogen zu „Heute“ zu spannen und uns verächtlich zu machen, warum auch immer. Wir sind es gewohnt, von oben herab behandelt zu werden, aber der Artikel war ohnehin so wirr geschrieben, dass viel Kraft erforderlich war, um ihn bis ans Ende durchzustehen. Dort standen dann die größten Gemeinheiten, manche Menschen ziehen ihre Kraft aus der Verunglimpfung anderer, auch das werde ich in diesem Leben nicht mehr verstehen.
Das tatsächlich Problematische passierte darunter, im Forum von standart.at, dem tatsächlichen Traffic-Treiber der Seite. Dort nämlich wurde Rudas übel und frauenverachtend beflegelt, den „Standard“ aber, der ein paar Zeilen darüber noch eine sehr erhabene Position eingenommen hatte, kümmerte das offenbar wenig, gelöscht wurde nämlich bis gestern Nachmittag nichts Das klang dann so: Rudas rede „Kacke“, sei „Unkraut“, sehe aus wie „ein Kind vom Bahnhof Zoo“, für die Jüngeren LeserInnen hier, die Kinder vom Bahnhof Zoo waren Drogensüchtige. Fast 600 Kommentare hatten sich bis Abend angesammelt, einer gehässiger als der andere, der „Standard“ ließ sein Forum toben.
„Jemand, der bei Palantir arbeitet, erwürgt auch zum Spaß Katzen-Babys“, stand da und das war sicher urwitzig gemeint. Oder: „Die Frau wirkt, als könne sie nicht bis drei zählen oder nicht wüsste, wie viel eine Wurstsemmel kostet“. Oder: „Trotzdem legt sie so eine beeindruckende Karriere hin. Irgendwas muss sie also haben. Nur was?“ Ein bekanntes Argument, um eine Frauen-Karriere verächtlich zu machen: Sie habe sich hochgeschlafen. Rudas wird Drogenkonsum unterstellt, ihr Vater habe die Karriere für sie gerichtet. Stephan Rudas war lange Jahre einer der bekanntesten Psychiater Österreichs. Er starb bereits 2010. Die Karriere muss er telepathisch angeschoben haben.
Und so wünscht man sich, nicht auch einmal in die Fänge der „Standard“-Poster zu geraten, Hilfe ist vom lachsrosa Blatt scheint nicht erwartbar zu sein.
Verbringen Sie einen wunderbaren Dienstag, er möge nicht lachsrosa, sondern rosarot sein. Die AUA sah gestern schon knallrot. Nach 90 Tagen Corona-Pause wurde der Flugbetrieb in Teilen wieder aufgenommen. Stationsmitarbeiter empfingen die ersten Fluggäste gestern in Wien-Schwechat fähnchenschwenkend, man kennt das von Apple-Markteinführungen, dort passt das auch besser hin. Der erste Flug ging nach München, 29 weitere Destinationen steuert man derzeit an. Die neue Normalität nähert sich wie im Flug, es möge keine Bruchlandung folgen.
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Fotos:
Regierungs-Klausur: "Heute". Helmut Graf
AUA: Austrian Airlines