Küssen verboten
Aschermittwoch am Faschingsdienstag. Wie unlustig!

Ich war mit Pamela Rendi-Wagner gestern brunchen. Ich sage das besser gleich, bevor ich dann im „Falter“ stehe, weil ich auf einem geheimen Hintergrundgespräch gemauschelt haben soll. Ich hatte einen Teller mit ein paar Aufstrichen, einen Cappuccino und Orangensaft, alles selber bezahlt. Mir ist Transparenz wichtig, ich übererfülle die diesbezüglichen Vorhaben im Regierungsprogramm, vielleicht sollte ich mir jetzt das Klimakapitel anschauen. Bis übernächstes Jahr könnte ich es hinkriegen, dass die Durchschnitts-Temperatur in Österreich so um drei, vier Grad runter geht, eventuell ist es dann so kalt, dass die Leute sagen: „Nusser, es reicht!“
Mit der SPÖ-Chefin wollte ich über ihre Mitgliederbefragung reden, unsere Befindlichkeiten dazu weichen – ich sage es vornehm – leicht voneinander ab. Wir verfehlten das Thema aber um Haaresbreite, denn Corona zog ins Land, ein paar Tage früher als Rendi-Wagner geschätzt hatte. Es erreichte Österreich, als ich bei Aufstrichen, Cappuccino und Orangensaft saß, daran sieht man wie rücksichtslos das Virus ist. Wenn es Ihnen also begegnet und schöne Augen macht, lassen Sie sich davon nicht blenden, so manche Partnerschaft begann auch im Fieber und endete im Schüttelfrost.
Tapetenwechsel

Als wir mitten im Gespräch waren, trat eine Dame an unseren Tisch und erkundigte sich bei Rendi-Wagner, was jetzt am besten als Vorbeugung gegen das Virus helfe. Erst da fiel mir auf, dass es im Lokal kein anderes Thema gab. Soll man mit Einweghandschuhen aus dem Haus gehen, Türschnallen nur mehr mit dem Ellenbogen aufmachen, Schutzmasken tragen? Nicht mehr küssen? Die Verwirrung ist groß, die Regierung tut aktuell recht wenig, um für Entwirrung zu sorgen, vielleicht steckt da aber eine ausgeklügelte Taktik dahinter, dass man uns nämlich nicht mit zu vielen Fakten überfordern will. Möglicherweise sucht die Info-Kampagne aber auch erst die Infos zusammen, die sie kampagnisieren will.
Die vom Ministerium empfohlene Hotline der „Agentur für Ernährungssicherheit“ (AGES), war Dienstag über weite Strecken des Tages unerreichbar, weil überlastet. Erst Montag hatte man die Öffnungszeiten verlängert, weil man schon nach ein paar Wochen draufgekommen war, dass Menschen auch abends und am Wochenende ein Bedürfnis nach Informationen haben, aber dann besser Zeit dafür. Man hätte natürlich auch die, sagen wir einmal, 100 wichtigsten Tipps auf der Webseite der AGES veröffentlichen können, aber auch hier wollte man uns nicht überfordern und das finde ich sehr rücksichtsvoll. Ich hoffe, das Virus macht uns nur schöne Augen und wird einmal nicht richtig böse, wir würden dem simpelsten Flirt erliegen.
Die Politik zwingt uns auf seltsame Wege. Wäre Rendi-Wagner noch im Gesundheitsministerium, dann würde sie jetzt Corona managen. Sie hat in Wien Medizin studiert, an der „London School of Hygiene and Tropical Medicine“ ihren Master gemacht, von 2011 bis 2017 war sie als Sektionschefin Krisenmanagerin für alles, was in den Bereich herannahende oder ausbrechende Katastrophen fiel, von Fukushima über EHEC bis zu Ebola.
Sie kann also Krise, sie braucht nicht einmal die SPÖ dafür, aber weil sie in der falschen Partei ist, hat ihr Telefon noch nicht geläutet. Sebastian Kurz hat nach der Wahl zwar versprochen, sich mit der Opposition besser auszutauschen als in seiner ersten Regierungsperiode, was an sich keine Kunst ist, denn da ließ er es komplett bleiben, aber jetzt, als ein nationaler Schulterschluss nicht das Schlechteste wäre und Expertise gefragt, meldet er sich nicht. Rendi-Wagner kritisiert das nicht, auch das Corona-Management der Regierung will sie nicht weiter bewerten. Sie findet unangemessen, aus einer Krise politischen Profit zu ziehen. Edel gedacht, aber erfolgreich?
Ah, da ist er

Schicke Frisur

Als gestern die ersten Corona-Fälle in Österreich bekannt wurden, frisierte sich Sebastian Kurz gerade die Haare für Boris Johnson schön. Der Kanzler weilte in London, es ist so eine Art Stadt des Schicksals für ihn und er für sie. Als er Anfang Juli 2008 in der britischen Hauptstadt aufschlug, trat gerade Boris Johnson als Außenminister im Kabinett von Theresa May zurück, gestern brach das Virus über Österreich herein, als Kurz im Flieger nach Großbritannien saß. A bisserl wos is holt immer.
Weil es sich um einen Arbeitsbesuch und keinen „offiziellen“ Besuch handelte, gab es keine Eskorte vom Airport in die Stadt und zurück. Kurz hatte also während der Rushhour, die in London 24 Stunden am Tag dauert, ausreichend Gelegenheit, sich telefonisch dem Krisenmanagement zu widmen. Er redete mit Tirols Landeshauptmann Günter Platter, Innenminister Karl Nehammer, Gesundheitsminister Rudolf Anschober, dem Krisenstab, irgendwann dazwischen huschte er zu Boris Johnson rein, zu einem „guten Gespräch“, wie Kurz nachher sagte. Eine nähere Definition von „gut“ blieb aus, vielleicht meinte er auch das Telefonat mit Platter.
Kurz kennt übrigens das Hotel in Tirol, das gestern von 15 Polizisten abgeriegelt wurde. Er besuchte Anfang der letzten Woche gemeinsam mit Digitalministerin Margarete Schramböck das Kletterzentrum Innsbruck, hielt sich Dienstag mittag im Hotel auf, wie die "Kleine Zeitung" schrieb. Die Rezeptionistin wurde nun positiv getestet, kam aber erst am Freitag aus Italien zurück und trat ihren Dienst an, drei Tage nachdem der Kanzler dort war. Trotzdem Glück gehabt, ein paar Tage später und Kurz säße jetzt vielleicht in Innsbruck in Quarantäne und nicht vorm offenen Kamin in der Downing Street No. 10.
Johnson holte Kurz bei der Tür ab, besser gesagt er brach aus dem Haus heraus. Seine Haare wirkten wie immer, so als hätte er sie in der Früh nicht frisiert, sondern die Finger in der Steckdose gehabt. Er hatte diesen Gesichtsausdruck aufgesetzt, der alles sein konnte zwischen Lachen und Ärger, da er aber Kurz die Hand gab und ihn nicht niederschlug, wird er sich über den Besuch gefreut haben, wie wenn Verwandtschaft kommt halt.
Mit dem Haar des Briten-Premier hat sich sogar schon die „New York Times“ beschäftigt, so richtig schlau wurden die Autoren aus dem Wuschelkopf aber nicht. Johnson, geboren in New York City, bestes Elternhaus, beste Schulausbildung zwischen Eton und Oxford, der Italienisch und Französisch und Altgriechisch spricht, der meist einen zerknitterten Anzug trägt, die Krawatten zu lang wie Donald Trump, der poltert und den sie „Bonking Boris“, also „Bums-Boris“ nennen wegen seiner vielen Affären, über diesen Mann schrieb die „New York Times“ fast schon euphorisch: „Ja, er sieht manchmal wie ein idiot aus. Aber, hey, tun wir das nicht alle?“ Johnsons Haare haben übrigens einen eigenen Twitter-Account.
Sicher ist sicher

40 Minuten lang redete Johnson gestern mit Kurz, wenn man die Bilder betrachtet, dann redete eigentlich ausschließlich Kurz mit Johnson, vielleicht hat der Briten-Premier dazwischen hin und wieder etwas gebrummt. Jedenfalls versank er immer weiter in seinem Fauteuil. Kurz wird ihm einen kleinen Überblick über die Geschichte des Empire gegeben haben, von der Schlacht bei Hastings über die Magna Charta bis zu Heinrich VIII., was man halt im Gymnasium in Wien-Meidling so lernt. Mit der Zeit wurde das selbst der blauen Krawatte von Johnson zu langweilig, sie hätte sich mit dem Besuch lieber über die Gespräche mit der EU ausgetauscht. Am Montag will man erstmals über den Freihandel reden, bis 31. Dezember soll ein Deal stehen, oder auch nicht. Bei Johnson sind nicht nur die Haare mitunter wirr.
Kurz in London, Anschober in Rom, über Österreich wurde wirklich kein Glassturz errichtet. Italiens Gesundheitsminister Roberto Speranza hatte seine Amtskollegen aus Frankreich, der Schweiz, Slowenien, Kroatien, Deutschland und Österreich, dazu die EU-Gesundheitskommissarin nach Rom eingeladen, um über das Corona-Virus zu beraten. Vielleicht wollte er auch zeigen, dass Italien keine Todeszone ist. Ob es klug ist, in Zeiten des Klimawandels und des Viruswandels eine Handvoll Politiker in einen Flieger zu setzen, um mit ihnen kurz zu debattieren, was man auch via Videokonferenz erledigen hätte können, sei dahingestellt, natürlich gilt das auch für Kurz. Aber die Fotos, die bei beiden entstanden, sind sehr schön geworden, in Rom gerieten sie geradezu mystisch, das hätte man mit Videotelefonie nicht hinbekommen.
Das Treffen diente, laut Anschober dazu, eine „gemeinsame Strategie gegen die Ausbreitung des Corona-Virus zu erarbeiten“, man wollte also in die Umsetzung kommen oder ins Tun, das gibt es also offenbar auch im Ausland. Es soll zu keiner Grenzschließung zu Italien kommen, versprach der grüne Gesundheitsminister seinem italienischen Amtskollegen. „Man kann keinen Glassturz über Österreich errichten“, fügte er an, das Wortbild hat es ihm angetan. Glassturz hin oder her, vielleicht tauschte man sich auch darüber aus, dass es nicht überbordend klug ist, einen Zug am Brenner wegen zweier Verdachtsfälle anzuhalten, wenn diese Verdachtsfälle ebenjenen Zug in Verona schon verlassen haben. Aber Schwamm drüber.
Römische Erträge

Man glaubt es kaum, aber schon wieder haben wir einen Fasching überstanden, mein persönliches Corona. Wie ernst die Lage ist, sieht man daran, dass gestern sogar der Villacher Fasching im Fernsehen verschoben wurde. Zwar nur um eine Viertelstunde wegen einer Virus-Sondersendung, aber die Richtung stimmt. Wenn das so weitergeht, hat man die Kärntner Narren bald über Mitternacht hinaus bugsiert, hinein in den Aschermittwoch, dann darf man das nicht mehr senden und das Problem ist gelöst, endlich.
Auch am Aschermittwoch wird Österreich heuer nicht unter einem Glassturz stehen, ganz im Gegenteil, es wird ein bisschen Glas zerschlagen werden, ohne zu stürzen. Die beiden FPÖs werden an unterschiedlichen Orten gegeneinander anreden, Norbert Hofer von der „richtigen“ FPÖ in Ried, Heinz-Christian Strache von der DAÖ in der Wiener Prateralm. Im Vorjahr lag man einander noch in den Armen, jetzt liegt man sich in den Haaren. Es wird sicher hochkarätig, anspruchsvoll und bierlaunig, vielleicht schreibe ich morgen ein paar Zeilen dazu.
Möge Ihr Aschermittwoch wunderbar und nicht für die Fische sein.
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Fotos:
Norbert Hofer: EPA, Christian Bruna
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Polizisten Innsbruck:Expa, APA
Rudolf Anschober: Keystone, Peter Klaunzer