"Warum steigt's nicht ein?"
Eine Busfahrt mit Türkis-Grün ins Blaue. Die Regierung ging in Klausur, vorher nahm sie Fahrt auf.

„Entweder man gewinnt, oder man lernt“. Der Satz stammt entweder von Albert Einstein oder Ralph Hasenhüttl oder von irgendjemand anderem, jedenfalls hielt der Tag gestern beides für mich bereit. Zunächst gewann ich die Erkenntnis, dass die Air Force One von Sebastian Kurz ein Bus von Dr. Richard ist. Dann lernte ich, dass dort nicht jeder Platz findet. Aber vielleicht erzähle ich alles von vorne.
Anfang Jänner suchte die Regierung nach einem exotischen Ziel für ihre erste Regierungsklausur und die Wahl fiel auf Krems. Man könnte jetzt stundenlang darüber philosophieren warum, eine eventuelle Erklärung liefere ich später nach, um es vorab zu spoilern, sie hat mit Ulrike Lunacek zu tun. Jedenfalls, und das ist die ganze Wahrheit, sollte die Zusammenkunft Mittwoch beginnen, aber was im Leben ist schon ganz wahr? Tatsächlich traf sich die Regierung nämlich schon Dienstagabend im Hotel Steigenberger in Krems, um genau zu planen, was am nächsten Tag spontan aussehen sollte.
Bussi Bussi im Bus

Die Klasse von 2020

Wenn man in einem Hotel zum ersten Mal ist, dann findet man sich meist schwer zurecht. Wo sind die Tagungsräume, wo die Toiletten, wo die Aufzüge, die wichtiger werden, aber immer weiter weg erscheinen, je länger der Abend dauert? Ein früherer Bürgermeister von Wien (den Namen behalte ich für mich) erzählte mir einmal eine Anekdote über einen früh verstorbenen Landeshauptmann eines südlichen Bundeslandes (auch dieser Name sei beiseite gelassen): Im Rahmen einer Landeshauptmannkonferenz habe er ihn in der Nacht einmal am Gang getroffen und dabei bemerkt, dass er sich mit einer Hand an der Wand abstützte, leicht wankte, aber trotzdem ohne Unterlass einen Lichtschalter drückte, wieder und wieder und wieder und wieder. „Aber Herr Landeshauptmann“, sagte er zum Herrn Landeshauptmann, „der Liftknopf ist doch auf der anderen Seite“. Alles ging damals gut aus, aber vielleicht ist dieser Vorfall einer der Gründe, warum Regierungen seither Klausuren proben – ohne dass ich unterstellen möchte, dass in Krems Alkohol gestern auch nur irgendeine Rolle spielte.
Wie auch immer. Nach dem Üben fuhren die Mitglieder der Regierung heim und erschienen allesamt Mittwoch früh am Ballhausplatz, unschuldig wie Lämmer als wäre nichts geschehen. Dort standen drei Busse von Dr. Richard bereit und warteten auf ihre kostbare Fracht, im Umfeld gingen Mitarbeiter des Kanzleramtes mit Klemmbrettern in der Hand vor und zurück und hakten auf Listen ab, wer gekommen war.
Ich weiß nicht, ob das schon jemandem aufgefallen ist: Österreich ist das Land der Listen. Vom Elternsprechtag bis zum 80er von Opa, immer Listen. Ich frage mich, wofür wir vor ein paar Jahren die Frauen in die Hymne geschrieben haben, Listen hätten eine viel höhere Priorität gehabt. „Land der Äcker, Land der Dome“, schön, ganz nett, aber zeitgemäßer wäre natürlich „Land der Pisten, Land der Listen“ gewesen.
Etwas dünn, das Mapperl

Wo ist die Flitzerin?

Um 10.05 Uhr war der Ballhausplatz von Journalisten gesäumt, um 10.10 Uhr fiel auf, dass ein paar Leute fehlten, um 10.15 Uhr wusste man wer und um 10.20 Uhr tauchte auf, was vorher nicht da war, die Regierung nämlich. Sie kam im flotten Schritt aus der Hofburg, Kurz ging vorneweg wie ein Pfadfinderführer bei der Nachtwanderung, Frauenministerin Susanne Raab versuchte neben ihm Schritt zu halten, das wird mutmaßlich ihre vorrangige Aufgabe für die nächsten fünf Jahre sein, dahinter folgte der Rest der Mannschaft. In der Präsidentschaftskanzlei hatte der Bundespräsident zuvor sieben Minister und zwei Staatssekretäre erneut vereidigt, weil sich deren Zuständigkeitsbereich geändert hatte. Jetzt muss die arme Haut Van der Bellen gemeinsam mit seiner „Juli“, dem diskreten Hund, wieder neu nachrechnen, ob das jetzt die fünfte, sechste oder siebente Angelobung war.
Ich finde ja, man sollte gleich eine Touristenattraktion daraus machen. Man könnte Angelobungen in der Hofburg zum Stückpreis von 10 Euro anbieten, wenn der Hund dabei sein soll, könnte man 15 Euro dafür verlangen. Das würde wunderbar funktionieren, vor allem Fotos für Instagram wären der Renner und die Chinesen werden schon wieder kommen, wenn das mit dem Virus einmal überstanden ist.
Kurz und sein Fähnlein Fieselschweif Susanne Raab hatten inzwischen ihr Fahrzeug erreicht und betreten. Es stellte sich heraus: Bus Nummer 1 war für Mitarbeiter und Gepäck, Bus Nummer 2 für Kanzler, Vizekanzler und einen Teil der Ministerriege, Bus Nummer drei für den Rest des Teams. Die Journalisten sollten aufgeteilt werden, 20 in Bus zwei, 20 in Bus drei, first come first serve. Das sollte sich schnell zum Problem entwickeln.
Ein Hauch Miami Vice

Schwarzwaldklinik?

Es schlug nämlich die Stunde eines Mitarbeiters des Kanzleramtes, der offenbar seinen Bachelor in Sido gemacht hatte, einen deutschen Zungenschlag hatte er obendrein. Jetzt stand er – erraten mit Klemmbrett und einer Liste in der Hand – vor der mittleren Tür und verbat Journalisten im Kasernenhofton, in den Bus Nummer zwei einzusteigen. Grund: Werner Kogler fehle. Vielleicht war dessen Abschiedssatz beim Bundespräsidenten zu lange geraten, vielleicht wollte Van der Bellen auch nur ein paar Insider-Infos über die Flitzerin vom Nachtslalom in Schladming abgreifen und hatte den Vizekanzler deswegen am Rockzipfel zurückgehalten, egal, Kogler war nicht da und damit basta.
Im leeren Bus bemühten sich der Kanzler und seine Minister Plätze zu finden, man sah ihre Silhouetten durch die Rauchglasscheiben, vor dem Bus warteten die Journalisten darauf, eingelassen zu werden, dazwischen stand Sido mit Klemmbrett und Liste. Es muss ihm vor der Vorstellung gegraut haben, dass Journalisten in Kontakt mit Ministern oder gar dem Kanzler geraten und Werner Kogler hätte es erst spätabends über den Hotelflurfunk erfahren.
Der Vorfall nahm Züge einer Erzählung von Herzmanovsky-Orlando an. Ein paar Journalisten wollten den Bus über die Vordertür entern, Sido bemerkte das und wies sie barsch zurecht. Kommunikationschef Gerald Fleischmann erschien auf der Szenerie, bestens gelaunt: "Warum steigt`s ihr nicht ein?“
„Weil Werner Kogler nicht da ist“.
„Aha“, antwortete Fleischmann und man muss bedenken, dass „Aha“ in Österreich allerlei bedeuten kann, es ist quasi die Gucci-Version von „Oida“. „Aha“ kann Zustimmung signalisieren, oder Erkenntnisgewinn, oder ein Erlebnis abrunden, es kann bedeuten, dass man etwas nicht ganz verstanden hat, aber das nicht zugeben will. Egal, es passierte nichts. Kogler blieb weg, wir draußen.
Aber dann ereignete sich etwas, womit niemand gerechnet hatte, aus dem Nichts heraus, ein Wunder. Die mittlere Tür des Busses glitt sanft auf, stieß einen „pffff“-Seufzer der Erleichterung aus, alle schauten jetzt dorthin, genau dorthin, wo sich dieses Wunder zutrug und wo, mitten am Vormittag, im Nebel und bei vier Grad und leichtem Schneegegriesel, der Kopf von Sebastian Kurz erschien. Der Kanzler stieg nicht die Treppen hinab, er kam nicht vor die Tür, er schob den Kopf nur ein kleines Stück ins Freie, nicht weiter als dass man seine Frisur, die sich nicht nennenswert anders gestaltete als sonst, gut sehen konnte. Er setzte sein Schulbubengesicht auf und fragte: „Warum steigt’s ihr nicht ein?“
Wüllst Du do oder do?

Na guat, dann holt do

Es war der Zeitpunkt, an dem ich mich entschloss, Bus drei zu nehmen, es war nicht die schlechteste Entscheidung. Da saßen die Köstinger Elisabeth, der Nehammer Karl, der Blümel Gernot, der Schallenberg Alexander und der Brunner Magnus drinnen, dazu Sigrid Maurer und August Wöginger, also die Sigi und der Gust, die offenbar nicht mehr voneinander lassen können. Wir, die Journalisten, nahmen vorne im Bus Platz wie die Streber früher am Gymnasium, hinten lümmelte ein Teil der Klasse von 2020 und allesamt sahen sie so drein wie früher die aufgeweckten Buben und Mädchen auf den Schulausflügen, die irgendwo in den Rücksäcken eine Flasche Fusel versteckt hatten und die nur drauf warteten, sie herausholen zu können, wenn die Streber einmal nicht gut genug aufpassten, um die Bande hinten beim Klassenvorstand verpfeifen zu können.
Wir waren bald aus Wien draußen, ließen den Nebel und die vier Grad zurück. Der Konvoi aus den drei Bussen und dem Polizeiauto vorn nahm die Stockerauer-Autobahn und dann weiter Kurs auf Krems. Es standen keine Leute auf der Straße und winkten, wie damals, als die neu gegossene Glocke für den Stephansdom durch Niederösterreich nach Wien transportiert wurde, aber ich sah einen leibhaftigen Storch in einer Wiese neben der Autobahn stehen. Er sah verdrossen drein, vielleicht ärgerte er sich darüber, dass er extra nicht mit den anderen in den Süden geflogen war, um diese historische Fahrt live miterleben zu können und jetzt rauschte die Fahrzeugkolonne an ihm vorbei und durch die Rauchglasscheiben konnte er nicht einmal einen Blick auf Kurz und Kogler erhaschen, die anderen Mitglieder der neuen Regierung kennt er noch nicht so gut.
Bei Absdorf-Hippersdorf riss die Nebeldecke auf, es war nun endgültig eine Fahrt von Türkis-Grün ins Blaue. Elisabeth Köstinger ging durch den Bus und grüßte alle und diesmal grüßte jeder und jede zurück. Sie hat es am Abend mit Sicherheit heimtelefoniert und der Verwandtschaft in Kärnten gesagt, dass die Wiener gar nicht so arg sind, wie man immer glaubt.
Und, was tun wir mit den Händen?

Ah, da sind die Fotografen

Dann war Krems da. Das Steigenberger Hotel ist ein riesiger Kasten, mitten in die Weinberge hineingebaut, man weiß nicht warum. Ein Viersterneschuppen, 173 Zimmer, das billigste Zimmer kostet 176 Euro die Nacht. Bus zwei parkte sich vor uns ein und ich erfuhr von „Kurier“-Kollegin Ida Metzger, was während der Fahrt alles Aufsehenerregendes im Kanzlerbus passiert war. Digitalministerin Margarete Schramböck hatte verraten, dass sie nächste Woche Skifahren geht und Kulturstaatssekretärin Ulrike Lunacek erzählte, dass sich ihre Eltern in Krems kennengelernt hatten. „Aha“, dachte ich mir, deshalb also die Klausur hier. Wieder so ein "Aha", das sich ganz schwer deuten ließ.
Vielleicht enthülle ich morgen mehr, vielleicht auch nicht. Haben Sie bis dahin einen wunderbaren Donnerstag.
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