Als der Kanzler uns Balkanern die Schuld an Corona gab

Balkan-Blog

"Wir hatten im Sommer sehr niedrige Ansteckungszahlen", erklärte Sebastian Kurz am Mittwoch in der Pressekonferenz. Ich saß gespannt vor dem Fernseher und wartete nur darauf zu erfahren, wie Weihnachten heuer gefeiert werden kann. Doch nur einen Halbsatz später konnte ich ihm kaum mehr zuhören, weil ich mich ernsthaft persönlich angegriffen fühlte. Aber erstmal alles von Anfang an.

In diesem Jahr habe ich ziemlich viel vor gehabt. Schon im Jänner habe ich Urlaube bis zum Umfallen gebucht. Ich wollte nochmal zu den Briten, bevor sie aus der EU austreten. Ich wollte zum ersten Mal Europa verlassen und mir Afrika ansehen. Und ganz wichtig: Ich wollte mal wieder mein Geburtsland besuchen. Kroatien.

Als der Kanzler meinen Balkan-Traum platzen ließ

Es wird nicht viele überraschen, wenn ich sage, dass aus meinen Plänen sehr wenig wurde. Zunächst fiel London ins Wasser. Meinen Afrika-Urlaub strich ich auch relativ schnell aus meinen Gedanken und versuchte ihn nur möglichst ohne Komplikationen ins nächste Jahr zu verschieben. Aber zumindest Kroatien sollte doch klappen. Denn noch bevor der Sommer anfing, kündigte die Regierung groß an, dass die Grenzen zum Balkan hin geöffnet werden. Die Tage am Strand schienen gerettet.

Am Tag vor der Abreise stand ich dann da. Eine spontane Pressekonferenz der Regierung. Plötzlich wurde eine Reisewarnung für Kroatien ausgesprochen. Ein Schock für mich. Tatsächlich. Denn die Koffer waren bereits gepackt und sogar im Auto verfrachtet. Meine Freundin und ich wären in wenigen Stunden in den Wagen gestiegen und Richtung Süden gefahren. Und von einem Moment auf den anderen platzte mein "Balkan-Traum".

Ich war im ersten Moment sehr sauer. Gebe ich zu. Immerhin hatte ich mich monatelang an die Maßnahmen gehalten und wollte mich selbst irgendwie auf diese Art und Weise belohnen. Von meinen Verwandten wusste ich, dass die Strände teilweise wie ausgestorben wirkten. Die kleinen Dörfer, die ich ebenfalls besuchen wollte, waren ohnehin keine Touristenhotspots. Zudem wusste ich von unzähligen echten und Facebook-Freunden, dass sie ihren Sommer bereits in Kroatien verbracht hatten. In jedem Discounter in Österreich war die Gefahr sich zu infizieren um einiges höher.

Stressfrei am Strand liegen und sich einfach die Sonne auf den Bauch scheinen lassen. Toll. Und doch musste ich auf einmal zu Hause bleiben. Wer wäre da nicht sauer?

Herr Kurz setzt unsere Freundschaft aufs Spiel

Mittlerweile habe ich mich schon ein wenig beruhigt. Bundeskanzler Sebastian Kurz hat in einem Interview erklärt, dass er mich verstehen würde, aber die Maßnahmen seien nun notwendig. Und ich verstehe das natürlich. Deshalb alles gut. Auch wenn wir uns nie persönlich ausgesprochen haben, im Geiste haben wir uns irgendwie versöhnt. Das habe ich mir eingeredet.

Und mit einem Schlag setzt Herr Kurz wieder unsere Freundschaft aufs Spiel! In der Pressekonferenz am Mittwoch kamen aus dem Mund des Bundeskanzlers Sätze, die ich mir von ihm auf keinen Fall erwartet hatte. Ich dachte, es würde um die Lockerungen der Corona-Maßnahmen gehen. Darum, wie wir alle dieses Jahr Weihnachten feiern würden. Am Ende blieb aber nur ein Thema bei mir hängen: Balkan!

"Wir hatten im Sommer sehr sehr niedrige Ansteckungszahlen nach dem Lockdown und haben dann durch Reiserückkehrer, und insbesondere auch durch Menschen, die in ihren Herkunftsländern den Sommer verbracht haben, uns Ansteckungen wieder ins Land hereingeschleppt", meinte Sebastian Kurz während der Pressekonferenz. Für mich, ein Schlag ins Gesicht. Denn so ganz stimmte das einfach nicht.

Bin ich jetzt der böse Ausländer?

Abgesehen davon, dass ich auf die Reise in mein Herkunftsland aus Respekt vor meinen Mitmenschen verzichtet habe, kenne ich auch etliche andere Balkaner, die in diesem Jahr Urlaub an der Copa Cagrana oder in der Seestadt verbracht haben. Stattdessen reisten aber viele Österreicher Richtung Adria, weil sie sich auf keinen Fall ihren Urlaub nehmen lassen wollten. Es sei ihnen auch gegönnt. Aber: Wieso wurden bei der Pressekonferenz NUR die Balkaner erwähnt, die jetzt offenbar für die zweite Welle verantwortlich sind? Wieso muss ich zu Hause vor dem Fernsehen sitzen und mir anhören, dass ich der böse Ausländer bin, der alles falsch gemacht hat, was man nur falsch machen kann?

Dass tatsächlich nur die Menschen gemeint waren, die ihre Wurzeln am Balkan hatten, machte auch nochmal Innenminister Karl Nehammer deutlich. Der erwähnte, dass man ein multikulturelles Land sei und viele ihre Familien am Westbalkan hätten. Diese wurden wohl im Sommer besucht, was widerum zur zweiten Welle geführt haben soll.

Mit meinem Gedanken bin ich natürlich auch nicht alleine. Viele Österreicher mit Migrationshintergrund empfanden die Worte des Kanzlers gestern als Schlag in die Magengrube.

Wir wissen doch in Wahrheit alle, dass man mittlerweile nicht mehr zurückverfolgen kann, woher die Infektionen kommen. Ich lehne mich jetzt aber ganz weit aus dem Fenster und behaupte: Die Rekord-Infektionen im Herbst sind weder auf uns Balkaner, noch auf den Balkan generell zurückzuführen. Die AGES zum Beispiel erhebt gar nicht, ob ein Infizierter Migrationshintergrund hat, sondern nur, aus welchen Ländern die neuerkrankten Urlauber zurückgekehrt sind. In Wien zum Beispiel war die drittgrößte Gruppe der Urlauber mit positivem Testergebnis – hinter Türkei und Balkan – zuvor in einem österreichischen Bundesland zu Gast.

Du bist schuld - nein, du bist schuld...

Noch etwas: In Österreich leben über zwei Millionen Menschen mit Migrationshintergrund. Hinzu kommen noch die Personen, die einen ausländischen Pass besitzen. Davon haben über 120.000 eine serbische Staatsbürgerschaft, 96.000 eine bosnische und 83.000 eine kroatische. Ist es echt fair, die alle in einen Topf zu werfen und zu sagen: "Ihr seid schuld daran, dass es jetzt so ist, wie es ist"?

Es ist wohl genau jetzt nicht notwendig irgendeinen Schuldigen zu suchen. Wenn schon, dann ist es eine Person, die unbedingt eine Fledermaus kosten wollte. Jetzt sind wir eben in der Pandemie und wollen alle an einem Strang ziehen, um da raus zu kommen. Schuldzuweisungen bringen keinem etwas. Oder, Herr Kurz?