Auf einen Apfelputz beim Minister
Visite bei Sozialminister Rudolf Anschober. Leider war der "grünste Hund Österreichs" nicht zugegen.

Sterben wir Männer aus? Die Gefahr besteht. Am Sonntagabend wurde bei „Im Zentrum“ über die neue Regierung debattiert und in der Runde saßen fünf Frauen, mittendrin kauerte nur ein einziger Mann, August Wöginger. Der ÖVP-Klubobmann verstand seine Welt nicht mehr, es war vermutlich keine Premiere. Martin Thür kündigte die Sendung gleich so an: „Die Klubobfrauen zur neuen Regierung“. Männer waren „mitgemeint“. Das kommt jetzt alles ein bisschen plötzlich.
Im Wahlkampf hatte Wöginger (verheiratet, drei Kinder, davon zwei Mädchen) noch vor den Grünen und den Verlockungen der Großstadt gewarnt. „Es kann ja nicht sein, dass unsere Kinder nach Wean fahren und als Grüne zurückkommen. Wer in unserem Haus schläft und isst, hat auch die Volkspartei zu wählen.“ Jetzt, ein paar Wochen später, sitzt er da, „in Wean“, neben Sigi Maurer und schaut aus wie der ältere Bruder, der von der Mama in die Landdisco mitgeschickt wurde, damit das Töchterl keinen allzu großen Blödsinn anstellt, etwa Sachen, die dann von ATV verfilmt werden könnten.
In der Wiener Stadthalle, nicht einmal sechs Kilometer vom ORF-Zentrum entfernt, spielte Österreich am selben Abend im Rahmen der Handball-EM der Männer gegen die Ukraine und zwei Frauen, Zwillinge obendrein, leiteten das Spiel als Schiedsrichterinnen. Gut, dass Türkis-Grün das Pensionssplitting ins Regierungsprogramm geschrieben hat, da können die Frauen dann von ihren bald fetten Renten was an die Männer abgeben.
Fast reine Frauensache

So schnell wird das freilich nicht kommen, verriet mir Rudolf Anschober am Tag danach. Man müsse beim Pensionssplitting „noch an der Präzisierung arbeiten“, sagte der neue Sozialminister, was etwas Ähnliches bedeutet wie „es wird Arbeitskreisen zugewiesen“, kommt also nie. Ich war mit ein paar anderen Journalisten auf ein Schwätzchen bei ihm in seinem schmucken Büro am Wiener Stubenring. Er ein Mann, ich ein Mann, das war es aber auch schon. Drei Frauen stellten die Fragen, sie waren perfekt vorbereitet, ich war nur da. Neue Zeiten, auch gut.
Als Türkis-Grün noch nicht so Bussi-Bussi miteinander war, da flogen die Giftpfeile munter hin und her, genau genommen kamen sie eher nur aus einer Richtung. Wenn man also jemanden bei der ÖVP fragte, wer denn bei den Grünen am ehesten als Minister in Frage käme, dann fiel immer der Name Rudolf Anschober als erstes. „Der Rudi“, sagten die Giftpfeilschießer, „der richtet in Gedanken schon sein neues Ministerbüro ein“. Das war weder nett noch richtig, denn tatsächlich hat Anschober bis jetzt nicht einmal einen Bleistift von Nord auf Süd gedreht in seiner neuen Residenz. Alles ist so wie es ihm die Vorgängerin hinterlassen hat. Alles ist so viel schöner als bei Werner Kogler.
Anschober ist der 32. Sozialminister der Zweiten Republik, vor seinem Bürokomplex sind alle Vorgänger auf Holztafeln in einer Art Ahnengalerie abgebildet. Anschobers Konterfei fehlt noch. Ich entdecke Franz Kreuzer, früherer ORF-Informationsintendant, ab 1985 Minister für Gesundheit und Umweltschutz (ja, gab es da auch schon, zumindest am Papier). Ich erinnere mich an die Tage nach dem 26. April 1986, als ich bei Kreuzer im Ministerium war, Tschernobyl war passiert und der glühende Atomkraftbefürworter versuchte, sein Weltbild mit den neuen Weltereignissen in Einklang zu bringen. Das gelang mäßig.
Ahnengalerie mit Kreuzer

Dann ist Anschober da, er schiebt sich leise aus der Tür, bittet uns hinein. Sein Büro besteht aus einem Vorzimmer und einem Besprechungsraum, viel helles Holz, an der Wand hängt Zweckkunst wie man sie an den Wänden von Krankenhausgängen findet, in Grün und Rot und Gelb. „Kein Nitsch, nirgendwo?“, frage ich. „Nein“, antwortet Anschober, „keine Ahnung, von wem das da ist“. Bald will er seine „Mondlandschaften“, eine Fotografie aus seinem alten Büro in Linz, aufhängen lassen. "Neuer Minister macht Wien zu einer Mondlandschaft", den Titel merke ich mir.
Anschober stellt sich wie selbstverständlich in den Türrahmen zwischen Büro und Besprechungsraum, dann ein Stück davor, da ist das Licht am besten, die Räume entfalten ihre stärkste Kraft. Man könnte die Fotos nun auf Insta raushauen oder heim zu Mutti schicken. „Schau einmal, Tag der offenen Tür im Ministerium“.
Wir setzen uns an den tatsächlich dreieckigen Besprechungstisch, in der Mitte steht ein Obstschüssel mit Äpfeln, Bananen und Trauben, an regional und saisonal und bio müssen wir noch ein bisschen arbeiten. Daneben liegen 17 Kugelschreiber, so akkurat nebeneinander aufgelegt als würden sie sich vor den Folgen fürchten, wenn ein Zentimeter Abstand zwischen ihnen entstünde. Vor Anschober knabbert ein Apfelputz auf einer gelben Serviette ein Wasserglas an. Die Fotografin schiebt ihn weg.
Anschober hat seinen Hund Agur heute nicht mit, er ist in Oberösterreich geblieben, der Retriever leidet wohl am meisten darunter. „Er ist der grünste Hund Österreich“, lächelt der Minister, „er fährt so gerne mit der Bahn und mit den Öffis, noch lieber als ich“. Anschober bekam ihn als Welpen mit zehn Monaten, er stammt aus der Steiermark, ist nun zehn Jahre alt und bald Wochenendpendler wie sein Herrl. Der will „Montag bis Freitag in Wien oder den Bundesländern sein, am Wochenende von daheim in Oberösterreich aus arbeiten“. Die Fahrzeit im Zug weiß er auswendig. „1 Stunde 14“.
"Keine Bibel für 5 Jahre"

Mit 59 ist Anschober kein Mann der Theatralik, keiner, der auf den Tisch haut, Wutausbrüche traut man ihm nicht so ohne weiteres zu. Er ist so eine Art Gegenentwurf zu Wolfgang Sobotka, auch Airpods hängen keine aus seinen Ohren. Im Unterschied zu Werner Kogler spricht er in Sätzen, bei denen ein Ende absehbar ist, überraschend oft passen seine Antworten zu den Fragen, in der ZiB2 könnte er damit auffallen.
Anschober steht hinter dem Regierungsprogramm, aber nennt es „keine Bibel für fünf Jahre“. Er feiert es nicht ab, als hätte er Front-Row-Tickets bei Helene Fischer ergattert. „Feuerkerzen, Sternschnuppen und dann nichts“, sagt er im Laufe des Gesprächs über ein Projekt, das ihm noch zu unkonkret ist. Das Migrationskapitel hätte er sich „natürlich etwas anders gewünscht“, die Arbeitsagenden (die er an VP-Ministerin Christine Aschbacher abgeben musste) hätte er gerne gehabt, „aber wir sind keine 51-Prozent-Partei“, das Nein zum UNO-Migrationspakt „bedaure ich, aber es schmerzt mich anderes mehr“. Jedenfalls habe er seine „Haltung nicht an der Garderobe abgegeben“. Das wäre auch gar nicht so einfach gewesen, denn ich habe keine entdeckt.
„Bis bald“, sagt Anschober, als wir gehen, aber er hält kein Stecktuch in der Hand, um zu winken. Schade eigentlich, es hätte gut gepasst.
Haben Sie einen wunderbaren Dienstag.
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Fotos: Helmut Graf, Sabine Hertel, Denise Auer, iStock