Brot und Spiele

Bevor die Regierung richtig anpackt, backte sie richtig an. Was entstand, war keine brotlose Kunst.

23. 1. 2020
„Ich bin kein Freund der Inszenierung“. Karl Nehammer saß da wie die Unschuld vom Land, er wurde nicht einmal rot dabei und türkis schon gar nicht. „Ich bin kein Freund der Inszenierung“, sagte der neue Innenminister Montagabend tatsächlich in der „Zeit im Bild 2“ und daheim, vor den Fernsehschirmen, rieben sich einige die Augen, aber nicht weil das Sandmännchen schon da gewesen war. Viele denken ja, dass der vorrangige Wesenszug dieser Regierung die Inszenierung sei, manche mutmaßen sogar, dass sich die diesbezüglichen Pläne in einem bisher unveröffentlichten, geheimen, zweiten Band des Koalitionsabkommens finden lassen, der um ein Vielfaches dicker sein soll als der erste Teil. Ich gehöre da wohlgemerkt nicht dazu. Ich glaube keineswegs, dass sich die Regierung über die Maßen viel vermarktet, ihr passiert das alles einfach immer, es fliegt ihr zu.

Und so ergab es sich gestern, dass gleich drei Regierungsmitglieder gleichzeitig der Hunger überkam und das noch dazu zeitig in der Früh. Weil in dieser Koalition alle bienenfleißig sind und immer bis spät in die Nacht hinein arbeiten, herrscht in den Kühlschränken daheim stets gähnende Leere. Da aber gottlob der Chauffeur um 5 Uhr früh zufällig vor der Tür stand, setzten sich der Kanzler, der Vizekanzler (krawattenlos) und die Wirtschaftsministerin in ihre Autos (Fahrräder gehen zu dieser Zeit nicht) und ließen sich zur Bäckerei Schwarz in die Wiegelestraße 34 nach Wien-Liesing bringen, nicht für alle war das der nächste Weg.

Die Wiedersehensfreude war groß, als Sebastian Kurz, Werner Kogler und Margarete Schramböck in der Backstube zufällig aufeinandertrafen, man hatte sich schon länger nicht mehr gesehen, es werden so acht bis zehn Stunden gewesen sein. Der Germteig merkte als Erster, dass an diesem Morgen etwas anders war als sonst, er ist ja sehr sensibel, und erschreckte sich so, dass er in sich zusammenfiel und neu gemacht werden musste, bei der einen oder anderen Inszenierung soll es das auch schon gegeben haben.

Hunger Games

Es war aber noch nicht genug der Zufälle, sondern es standen plötzlich über den Daumen 20 Kamerateams und Fotografen und Journalisten da. Seltsamerweise war ihnen am Abend davor eine Aussendung über die Austria Presse Agentur mit der hochsensiblen Information zugegangen, dass den Kanzler und den Vizekanzler und die Digitalministerin mutmaßlich in der Nacht der Hunger packen wird und die Folgen sollten sie sich nicht entgehen lassen. Die über den Daumen 20 Kamerateams und Fotografen und Journalisten hätten sich in der Früh natürlich auch einfach im Bett umdrehen und unter leisen Flüchen Richtung Wecker weiterschlafen können, aber sie wollten ihre Job behalten und deshalb standen sie zufällig um sechs Uhr früh geschnäuzt und gekampelt da wo sie eben standen, nicht jeder wusste warum. 

Die Brezln und die Semmeln und das Schwarzbrot waren die Einzigen, die überhaupt nichts gewusst hatten von dem Termin und waren ziemlich angefressen. Später, als die Politiker schon weg waren, wurde im Gebäck heftig darüber debattiert, ob man nicht den Betriebsrat einschalten sollte, aber eine Golatsche wies schließlich entnervt darauf hin, dass das ein ziemlicher Topfen sei: „Was seid ihr nur für Kipferln“, rief sie, „ihr wollt euch wieder nur die Rosinen herauspicken, ich back das nicht“. Dann kamen auch schon die Lieferwagen und die Gebäckstücke wurden über ganz Wien verteilt. Über solche Schicksale berichtet die Systempresse natürlich nicht.

Die Bäckerei Schwarz ist jetzt nicht gerade Amazon, aber von der Hand in den Mund lebt man auch wieder nicht. Das Unternehmen hat 18 Filialen und 150 Mitarbeiter, davon fünf Lehrlinge, fertigt 30 Brot- und 50 Gebäcksorten und jetzt waren alle aufgeregt über den hohen Besuch, sogar die Öfen, die munter vor sich hinpiepsten. Es entstanden viele Bilder und Filmdokumente, die der Kanzler und der Vizekanzler und die Digitalministerin im Anschluss twitterten und grammten und facebookten, bis ins ferne Vorarlberg wurde über die Sensation berichtet, dass die Regierungsspitze sich in einer Wiener Bäckerei eingefunden hatte und halbwegs normal mit normalen Menschen redete. Als der Prokurist erklärte, dass jeder Bäcker in der Nacht verschiedene Tätigkeiten zu verrichten hätte, fragte Kurz für einen Arbeiter nach. „Wäre es nicht gescheiter, er macht nur Krapfen?“ Das sei hier eben so, antwortete der Prokurist und man ließ es darauf beruhen. Ich hoffe, die ISS ist nicht gerade über Österreich geflogen, die Crew könnte die spontane Entscheidung getroffen haben, länger im Weltall bleiben zu wollen, weit weg von der Erde, man sei schließlich kein „Freund der Inszenierung“..

Für eine Handvoll Dollars

Der Auftritt verfolgte natürlich einen Zweck. Weil es in Österreich einen offenkundigen Mangel an Titeln gibt, ist die Regierung wild entschlossen, diesen Missstand zu beheben und führt „Mst.“ (für Handwerksmeister) und „Mst.in“ (für Handwerksmeisterin) ein, ich hoffe das schreibt keiner schlampig und ein „i“ schummelt sich zwischendurch rein, „Mist“ oder „Mistin“ klänge vor dem Namen gänzlich unangemessen. Damit mich niemand falsch versteht: Ich gönne jedem und jeder einen Titel und vermutlich haben viele, die eine Meisterprüfung geschafft haben, mehr drauf als so mancher Bachelor, aber irgendwann werden wir in Österreich soweit sein, dass allen ohne Titel mit mehr Ehrfurcht begegnet wird als denen mit, das eine gibt es halt inflationär öfter als das andere. Vor dem Hofrat wird man auf der Straße ausspucken, vor den einfachen Leuten wird man den Hut ziehen.

Die Regierungsspitze suchte aber nicht nur die Nähe der Meister, sondern kam auch zu den Lehrlingen nicht mit leeren Händen. Das Berufsausbildungsgesetz werde novelliert versprach man. Die Lehrlinge haben sich sicher gefreut, dass sie in Hinkunft keine „Lehrlingsentschädigung“ mehr bekommen, sondern ein „Lehrlingseinkommen“ haben werden. Eventuell wäre ihnen ein paar Cent mehr, egal ob die jetzt „Entschädigung“ heißen oder „Einkommen“, lieber gewesen, aber man muss auch in Österreich zuweilen kleine Brötchen backen.

You never walk alone

Das weiß natürlich auch Karl Nehammer, der im selben Interview, in dem er die Inszenierung verteufelte, den Bau von „Asylzentren in Grenznähe“ ankündigte, eventuell auch um „Freunde der Inszenierung“ dort genauer unter die Lupe nehmen zu können. Den Leuten, die in Grenznähe wohnen, ging es wie dem Gebäck in der Bäckerei, sie wussten von nichts, was noch keinen gekümmert hätte, aber auch alle Landeshauptleute, deren Bundesland eine Grenze hat – was in Österreich häufiger vorkommt als ein Meereszugang – fanden das auch nicht gut und beschwerten sich. Jedenfalls wurden in Österreich noch nie Gebäude so schnell wieder abgerissen, in diesem Fall sogar welche noch vor der Errichtung und das kam so. 

Nachdem der türkise Innenminister quasi schon den Bauauftrag für die „Asylzentren in Grenznähe“ erteilt hatte, probierte die grüne Klubobfrau Sigi Maurer Dienstagabend in der „Zib2“ den sprachlichen Turmbau zu Babel und endete in „Jenga Jenga“. Nein, nein, sagte sie, Nehammer habe nur „sehr unpräzise formuliert“. Es gehe nur um kleine Zentren, so für 200 Menschen. Das wiederum fand der grüne Vizekanzler Werner Kogler „sehr unpräzise formuliert“ und ortete eine „Sprachverwirrung“. Das muss wohl diese Schöpfung sein, die der Kanzler nun so häufig erwähnt, sie umfasst ja auch Wortschöpfungen.

Lift me up

Und dann war da natürlich auch noch Elisabeth Köstinger. Ich weiß ja nicht, was die im Ministerrat so zu sich nehmen, aber in der Bergbauernmilch der Landwirtschaftsministerin muss gestern definitiv ein Stimmungsaufheller drin gewesen sein. Sie lachte sich bei unserem „Öffi-Talk“ durch die Stadt und das als Mitglied einer Regierung, die mit Inszenierung eigentlich nichts am Hut haben will. Es begann mit einer Erzählung: Immer wenn sie in Kärnten gewesen sei und dann nach Wien zurückkomme, sagte sie, dann grüße sie auf der Straße ständig wildfremde Leute, am Land gewöhne man sich das halt an. „Aber“, so Köstinger, „in Wien grüßt nie jemand zurück“.

Und so kam es dann auch. Köstinger und „Heute“-Reporter Mathias Klein nahmen die 2er-Linie (keiner grüßte, außer Köstinger natürlich), fuhren zur Oper (kein Gruß), wechselten in den 62er (schweigen), stiegen in der Station Kliebergasse aus (null). In der Kliebergasse ist alles ein bisschen kompliziert, vor allem für zwei Landeier. Mehrere Linien kommen hier zusammen, aber nicht einfach so, sondern komplex. Sehr komplex. Wie zu erwarten, verliefen sich Ministerin und Reporter (sie fand das besonders witzig), man nahm den Lift statt die Unterführung, immer noch grüßte keiner. Auf der Straße kamen beide überein, dass die Entscheidung, wer immer sie getroffen hatte (lachen) falsch gewesen sei und fuhr mit dem Lift wieder runter. Dort hielt sich Köstinger nicht weiter mit Grüßen auf, sondern fragte direkt nach dem Weg. Schau her: Keiner hatte eine Ahnung, wer sie ist, aber alle waren freundlich und wiesen ihr den Weg. Köstinger grüßte und ging. Wien und unfreundlich, wäre ja zum Lachen.

Haben Sie einen wunderbaren Donnerstag. Er endet übrigens mit Heinz-Christian Strache, seit jeher ein „Freund der Inszenierung“. Es gibt ganze Filme dazu.

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Jedem Anfang wohnt ein Zauberer inne

Fotos: Helmut Graf, Arno Melicharek

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