Allein mir fehlt der Glaube

Statt der Schulöffnung kommt ein härterer Lockdown. Ich würde mich gerne irren.

Er wohnt gar nicht so schiach. Ich muss mich entschuldigen. Ich hatte gestern das Büro von Martin Kocher ungesehen als hässlich abqualifiziert, dabei stimmt das nicht ganz. Nun war ich zum Interview beim neuen Arbeitsminister geladen, die zwei Bonsais links beim Eingang haben mich ganz wild angefunkelt. Die beiden sind ziemlich kräftige Burschen, also für Bonsais, ein bisschen krumm vielleicht, ich habe mich etwas gefürchtet, dass einer nach mir tritt, wenn ich vorbeigehe, aber es ist nichts dergleichen passiert.

Ich hatte vergessen, dass vor einigen Jahren ein paar stilistische Änderungen vorgenommen wurden, die in dem Haus in der Unteren Donaustraße 13-15 in der Leopoldstadt immer noch für einige Schnurren gut sind. Beim Gebäude, das muss ich zu meiner Ehre sagen, habe ich mich nicht geirrt. Es ist wirklich ein unansehnlicher Zweckbau, spätes DDR würde ich schätzen, außen grau wie von Ruß, es schaut aus als würde es versuchen, alle Abgase von Wien wegzuatmen. Oben im zehnten Stock ist aber alles pipifein, obwohl Kocher nicht gerade so aussieht als würde er auf der Mailänder Möbelmesse alljährlich nach den edelsten Stücken Ausschau halten. Er hat halt schön geerbt.

2016 waren die Grünen den damals Schwarzen noch in herzlicher Abneigung verbunden. Ich weiß nicht, ob das jetzt anders ist, man hört so dies und das. 2016 jedenfalls residierte Sophie Karmasin als Familienministerin für die ÖVP in der Unteren Donaustraße und die Grünen hatten ein paar Fragen. Etwa ob es trittfeste Böden auch unter 13.000 Euro gegeben hätte? Welche Instrumente eine Büroeinrichtung beherrschen muss, um 26.000 Euro kosten zu dürfen? Ob der Gesamtpreis von 97.000 Euro für die Neugestaltung nicht etwas teuer gestaltet anmutet? Mitnichten, beantwortete die Ministerin die diesbezügliche parlamentarische Anfrage. Man habe durch den Umzug hierher dem Steuerzahlen 24.624,52 Euro erspart, weil man für diese Lokalität nun weniger Miete bezahlen würde. Eben aus diesem Grund sitzt Martin Kocher heute in Nude.

Im Haus hat sein neues Büro keine gute Nachrede, denn Karmasin hatte alles in weiß tauchen lassen, also wirklich buchstäblich alles. Im zehnten Stock zeigt man sich diesbezüglich diskret, aber in den unteren Etagen witzelt man darüber, dass jeder im Sommer beim Betreten der Räumlichkeit auf der Stelle schneeblind wurde, weil das Weiß so heftig reflektierte. Es gibt zwei üppige Terrassen mit herrlichen Aussichten, die direkt vom Büro aus zu begehen sind, eine eröffnet den Blick in die Stadt, die andere in den Prater. Man hätte damals auf eine der beiden flüchten können, aber was nutzt das, wenn man draußen steht und nichts mehr sieht?

Juliane Bogner-Strauss, die nach Karmasin einzog, wollte nicht erblinden und tauschte das Weiß gegen einen Ton aus, der in der Designerwelt „nude“ genannt wird, wir Tölpel vom Land hätten früher eher beige oder ocker dazu gesagt, aber wir kannten auch nicht viele Farben. In dieser „Nude“-Welt lebt nun Martin Kocher, er hat sich noch nicht wirklich eingerichtet, nicht nur sein Kopf, auch der Raum wirkt etwas kahl, vor allem das Schicksal der Palme rechts gibt mir Anlass zur Sorge. Sie stößt sich den Kopf bereits ziemlich heftig an der Decke. Vielleicht kann sich der Minister, wenn er einmal an ein paar Forstarbeitern vorbeijoggt, eine Kettensäge ausborgen und oben auslichten. Mit den Fotos davon sollte er seinen Instagram-Account freischalten, der im Moment auf privat gestellt ist.

Es gibt einen seltsamen Kristallluster über dem Besprechungstisch, der überhaupt nicht in den Raum passt, der sonst eher daherkommt wie ein etwas überdimensionierter Schminkraum. Am Schreibtisch, der etwa so breit ist wie der Besprechungstisch lang, hat der neue Arbeitsminister seine technische Infrastruktur errichtet, zwei Handys liegen herum, eines privat, eines für den Job. Neben einem Acer-PC und einem iPad, stehen zwei Notebooks von Dell wie eine Art Mahnwache da, vielleicht gehört ja eines davon Gernot Blümel, you never know. Ein Foto im Silberrahmen dazwischen zeigt Kocher im Urlaub mit seiner Ehefrau. Am Regal dahinter sticht ein Teekocher mit Kerzenantrieb ins Auge.

Rhapsodie in Nude

Noch ist vieles neu im Leben des Arbeitsministers. Das Büro in Nude mit den zwei Bonsais hat er von Dr. Christine Aschbacher übernommen wie es war. Vor der Tür des Gebäudes wartet ein Dienstwagen, beim IHS zuletzt hatte er keinen, sein letztes Privatauto, einen Mazda 6, verkaufte als er nach Wien übersiedelte. Am Terminplan, einem schmucklosen A4-Zettel mit einigen Farbmarkierungen, standen gestern acht Interview-Termine, sechs für Tageszeitungen, zwei fürs Fernsehen, ich hatte das Vergnügen, gemeinsam mit der „Presse“ in Nude einzutauchen. Was ich sagen kann: Kocher ist kein Mann der markigen Aussagen, er ist so eine Art politischer Gegen-Schelling, in vielem bleibt er lieber vage.

Ein „Superminister“ will er nicht sein, ob er erste Wahl für den Job gewesen sei, habe er sich nicht gefragt, über Pläne verrät er nur, „dass die ersten Maßnahmen noch in Abstimmung“ wären. Jedenfalls müsse man mit einer „Exit-Strategie“ aus dem „Notfallmodus“ herauskommen. Ich fürchte, wenn Kocher auf der Straße einmal in einen Arbeitslosen hineinläuft, wird der von seinen geplanten Maßnahmen so viel versehen wie wir oft von Werner Kogler. Immerhin: Noch im Jänner will er eine neue Regelung fürs Home-Office präsentieren, für Steuererhöhungen, vor allem eine „Reichensteuer“, sieht er „überhaupt keinen Grund.“ Zu Kanzler Kurz fallen ihm spontan drei Begriffe ein: „Authentisch, nahbar und extrem talentiert“. Ich nehme das so wie es ist, auch wenn die Zuschreibung „talentiert“ für einen 34-Jährigen für mich eher in Richtung Spätberufung tendiert.

Taferlklassler

Auch aus Österreichs Kindern wird sicher noch was, ob sie ihre Talente jemals wieder in den Schulen entfalten können, bleibt auch nach dem gestrigen Tag unklar. Klar ist, dass sie nach dem gescheiterten Anlauf am 11. Jänner und dem zweiten missglückten Versuch am 18. Jänner nun am 25. Jänner in die Klassen zurückkehren sollen, aber so wirklich glaube ich nicht daran. Es ist auch mehr ein symbolischer Akt, wenn er denn tatsächlich stattfinden sollte, nach fünf Tagen Präsenzunterricht beginnen in Ostösterreich die Semesterferien. Statt fünf Tage haben die Schülerinnen und Schüler also eigentlich nur vier Tage Präsenzunterricht, am Freitag ist Zeugnisverteilung. Sie haben eigentlich auch nicht vier Tage Präsenzunterricht, sondern nur zwei, denn es soll wie schon im Frühjahr einen Schichtbetrieb geben, wie Martin Netzer, Generalsekretär im Bildungsministerium, gestern Abend in der ZiB 2 erklärte. Also am Montag kommt Team A, am Dienstag Team B und dann abwechselnd weiter.

Allerdings gibt es das dritte Team C, 15 Prozent der Kinder werden nämlich schon jetzt in der Schule betreut und das über alle Klassen hinweg. Es wird also Kinder geben, die am Montag in die Schule kommen, weil sie zum Team A gehören. Es wird Kinder geben, die am Montag in die Schule kommen, weil sie Team C sind und Betreuung brauchen. Und es wird Kinder geben, die am Montag daheim bleiben, weil Team B im Home-Schooling ist. Mischt man Team C nun am Montag mit Team A und am Dienstag mit Team B? Dann kann man gleich alle Kinder holen. Wie funktioniert getrennter Unterricht, also Team A in der Schule, Team B daheim, Team C ebenfalls in der Klasse oder anderswo im Gebäude? Es sind noch viele Fragen offen, also eigentlich weitgehend alle.

Erneut erweist sich als grobes Versäumnis, dass man so wenig für die Prävention getan hat. Wo ist das Plexiglas? Wo sind die zusätzlichen Räume? Wo fahren die Öffis verstärkt? Wo sind die Konzepte für einen gestaffelten Unterrichtsbeginn? Ende Oktober wollte Bildungsminister Heinz Faßmann damit im letzten Moment eine neuerliche Phase von Home-Schooling verhindern. Was wurde seither geschafft, außer ein paar Masken für Lehrer und Tests, die freiwillig absolviert werden sollen?

Ich erlaube mir anzumerken: Wenn der Schichtbetrieb tatsächlich stattfindet, dann werden Wiener Oberstufen-Schüler in diesem Semester 28 Tage in der Schule gewesen sein. Es wird wohl weniger werden: „Kommt ein verschärfter Lockdown mit dem vollständigen Aussetzen des gesellschaftlichen Lebens wie im Frühling, muss man auch über die Schulen sprechen“, sagte Faßmann gestern zu „Heute“. Was wohl bedeutet: Der 25. Jänner als Starttermin wackelt, ich mutmaße, die Kinder werden vor den Semesterferien nicht mehr in die Schule können und selbst für danach würde ich nicht mein letztes Hemd verwetten, dass Präsenzunterricht stattfindet. Auch Martin Netzer dürfte von Skepsis geleitet sein. Er hoffe auf „einigermaßen Normalität“, sagte er in der ZiB 2. „Nach Ostern“.

Gestern Abend verdichteten sich die Gerüchte, dass es grundsätzlich zu weiteren Verschärfungen kommen wird. Die Briten-Mutante des Virus breitet sich nun auch in Österreich rasant aus, von 70 Verdachtsfällen ist die Rede, es könnten auch schon 1.000 sein. Was droht: Verpflichtung zum Tragen von FFP2-Masken, doppelter Babyelefanten-Abstand, weitere Kontaktbeschränkungen, Gastro und Shops länger zu, vielleicht auch ein Verbot, sich weiter als 15 Kilometer vom Wohnort entfernen zu dürfen. Wer jetzt noch glaubt, in den Semesterferien Ski fahren zu können, ist von grenzenlosem Optimismus beseelt, was schön ist, aber leider fernab der Realität.

Verflixt und zugeimpft

Auch die politische Debatte nimmt an Heftigkeit zu. Im Nationalrat ging es beim Thema Impferei im Land gestern wild hin und her, und das obwohl Gesundheitsminister Rudolf Anschober die Mandatare mit einer 50 Minuten langen Rede einzulullen versucht hatte. Das Dashboard des Gesundheitsministeriums zeigte gestern knapp vor Mitternacht 63.280 „geimpfte Personen“ an, immerhin aber auch in der „Live-Prognose“. Ein paar technisch versierte Personen hatten sich den Tag über mit der Webseite beschäftigt und festgestellt, dass Daten recht willkürlich nach oben hüpfen, was für uns nach einem Jahr Pandemie-Politik jetzt auch keine große Überraschung mehr war. SPÖ-Chefin Pamela Rendi-Wagner rechnete im Nationalrat aus, dass wir unter Beibehaltung des gegenwärtigen Tempos erst in vier Jahren 60 Prozent der Bevölkerung durchgeimpft hätten. Ich hatte zuletzt das Datum 2069 erwähnt, es geht also doch etwas weiter im Land, man muss nur daran glauben.

Ich wünsche einen wunderbaren Donnerstag. Gestern wäre fast noch eine Katastrophe passiert. In Schönbrunn kam um den Jahreswechsel herum ein Wasserbüffel auf die Welt, der Kurt genannt wurde. Warum weiß ich nicht, aber seine Mama heißt Brunhilde und vielleicht erklärt das was, ohne mich jetzt abwertend über die beiden Namen äußern zu wollen. Kurt jedenfalls ist sehr süß, also landete er als Foto am „Heute“-Cover. Allerdings vertippte ich mich beim Bildtext und das fiel einige Zeit lang niemandem auf. Er lautete: „Fast-Neujahrsbaby Kurz kam mit 20 Kilo auf die Welt.“ Das Malheur wird ihnen wohl rasch aufgefallen sein, uns irgendwann auch, sonst wäre heute ordentlich was los gewesen.

Heute Abend bin ich übrigens ab 21.05 Uhr bei der "Runde der ChefredakteurInnen" auf ORF 3. Also falls Sie Lust haben, das Kontrastprogramm ist jetzt auch nicht so toll. ORF 1 zeigt "Die Mumie", viel gesünder als ich schaut die auch nicht aus.

Fotos:
Heinz Faßmann: "Heute", Helmut Graf
Martin Kocher: "Heute", Sabine Hertel
Rudolf Anschober: Picturedesk, Robert Jaeger
Pamela Rendi-Wagner: Picturedesk, Robert Jaeger

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