„Geistige Ohren“
Die Kultursprecherin der ÖVP sang im Parlament Fendrich. Es war auch sonst ein großer Tag.

Das Schöne an Österreich ist: Das Land erfindet sich jeden Tag neu, oft dauert das sogar nur Stunden. Die Rückführung nimmt dann meist etwas mehr Zeit in Anspruch, aber es sind gut investierte Jahre. Vor der Corona-Krise waren wir sehr „I am from Austria“, gestern kehrten wir dorthin zurück und welcher Platz hätte sich besser für die Transformation ins Gewesene angeboten als der Nationalrat, wenn auch nur das Ausweichquartier zur Verfügung stand?
Ich nehme es vorweg: Nicht jede Rede, die gestern im Hohen Haus gehalten wurde, rechtfertigt so ohne weiteres eine Rückübersiedlung der Mandatare ins ursprüngliche Parlament, das ja gerade aufwändig renoviert wird. Vielleicht findet sich eine alternative Nutzung für das edle Gemäuer, es könnte etwa die Alois-Mock-Stiftung einziehen, der neue Bundesstaatsanwalt sucht noch angemessene Büros oder man installiert einen permanenten U-Ausschuss, der jeden Tag zu einem anderen Skandal tagt, eine Art Theateraufführung von Twitter quasi.
Der Nationalrat traf sich gestern zur 85. Sitzung, es gab einiges zu bereden. 41 Themengebiete standen am Plan, 207 RednerInnen meldeten sich zu Wort, die Sitzung endete erst um 0.19 Uhr. Die Bandbreite der Themen reichte vom „Homeoffice-Paket“ bis zur „Fristverlängerung für Langfristgutachten der Alterssicherungskommission“. Mittendrin: Die Debatte über das „Nein zur Ratifizierung des Mercosur-Abkommens“. Es schlug die Stunde von Franz „the Seilbahn“ Hörl, sie dauerte nur 3 Minuten und 21 Sekunden.
Hörl ist gewiss kein brillanter Redner, er liest aber ganz gut vor, vor allem Zahlen. Also ergoss sich ein Schwall von Daten über die Anwesenden. Sie erzählten die Geschichte vom kleinen Österreich, dem großen Exportland, mittendrin das noch viel kleinere Tirol, das sich nun in seiner Opferrolle gefunden zu haben scheint, ein Nebensatz deutete darauf hin. Hörl sagte – oder las: „Wenn ich das kleine Bundesland Tirol hernehme, das sich derzeit abgesondert fühlt...“ Die Abgeordneten hatten keine Dose Mitleid parat, sie brauchten ihre volle Konzentration, um den Ausführungen folgen zu können und wurden trotzdem nicht so recht schlau daraus. Ist Hörl nun eigentlich gegen Mercosur oder dafür oder beides?
Am Ende ging das Ringen irgendwie unentschieden aus. „Handelsabkommen sind keine Einbahnstraße und deshalb verstehe ich die Vehemenz der Ablehnung dieses Abkommens schon“, sagte er, „aber ich denke es gibt ja auch die Möglichkeit, über die Handelsabkommen in unseren Partnerländern auf Standards, sowie auf Natur- und Umweltstandards einzuwirken." Aha! Mercosur sei der „siebentgrößte Wirtschaftsraum der Welt“, ganz sicher war er sich nicht, wie groß der „siebentgrößte Wirtschaftsraum der Welt tatsächlich ist, denn er musste im Publikum nachfragen, aber „einfach so leichtfertig das den Chinesen oder anderen zu überlassen, finde ich auch nicht richtig“. Chinas Staatspräsident Xi Jinping – oder andere – werden Schluckauf gehabt haben die ganze Nacht.
Es war Zeit für etwas Musik und sie kam in Gestalt von Maria Großbauer, früher Opernball-Managerin, leider in Jahren, in denen der Ball nicht ausfiel. Nun ist sie Kultursprecherin der ÖVP. Seit das Team von Sebastian Kurz die Partei übernommen hat, ist Kultur dort kein breiter Fluss mehr, sondern eher der Seitenarm eines Seitenarms eines Bächleins, Großbauer ist für dieses Rinnsal als Fährfrau die Idealbesetzung. Gestern schritt sie zum Rednerpult, um ihre Meinung zum Thema „Aufstockung von Covid-19-Fördertöpfen für KünstlerInnen“ kundzutun und sie begann so: „Do kann man moch'n wos ma wül, do bin i her, do kea I hin, do schmützt des Eis von meiner Sö, wia von an Gletscher im Aprü, a wenn ma´s schon vergessn ham´.“ Dann machte sie eine Gedankenpause, ob für sich, uns oder andere blieb offen. Ich schiebe ein, das ist nicht von mir erfunden, das passierte wirklich.
Großbauer sang nicht, also nicht sofort, was gut und schlecht gleichzeitig war, jedenfalls beendete sie die Zitierung des Liedtextes, begleitet von allerlei Zwischenrufen, mit der Frage ans Auditorium: „Haben Sie die Musik von Rainhard Fendrich in Ihrem geistigen Ohr?“ Die Antwort aus den SPÖ-Reihen fiel knapp aus: „Nein!“ Das wiederum war schade, denn Großbauer standuppaddelte sprachlich unverdrossen weiter ihr Kultur-Bächlein hinunter. „Wir vermissen das Singen“, sagte sie, „das gemeinsame Singen sehr, so wie so vieles aus der Kultur. Deswegen unterstützen wir die Kunst und Kultur weiterhin, damit sie gut durch diese Krise kommen, und zwar heute mit der Aufstockung von zwei Fonds für freischaffende Künstlerinnen und Künstler in der Höhe von 30 Millionen Euro."
Verschärfte Lockerungen

Wer erwartet hatte, dass nun eine flammende Rede über die prekäre Lage von Künstlerinnen und Künstlern, ihre Wirkungsstätten, die vielen Ein-Personen-Unternehmen und die mit all diesen verbundenen Zulieferfirmen folgen würde, hatte nicht mit Großbauer gerechnet, vielleicht aber auch gerade mit ihr. Sie überwand die Stromschnelle Hochkultur in Windeseile und steuerte ruhigere Gewässer an: Singen in der Schule. Bitte fragen Sie mich nicht warum.
„Das Singen in der Schule“, sagte Großbauer, sei ihr „schon sehr, sehr lange, seit ich in der Politik bin, ein großes Anliegen, weil Singen so wichtig für Kinder und Jugendliche ist und so vieles für Kinder und Jugendliche macht. Es macht in erster Linie Spaß und Freude, und davon werden wir nach der Pandemie viel brauchen. Es bildet aber auch Synapsen im Gehirn." Die Signalübertragung wurde noch neuronaler: Singen mache aus „Menschen Mitmenschen“, es sei „ein Ventil für Gefühle“, baue Stress ab. Dazu gebe es Studien aus Salzburg und aus Kanada, sogar Speicheltests hätten das bewiesen.
Damit der Speichel nicht vergebens geflossen war, plädierte Großbauer „für einen Singschwerpunkt nach der Pandemie“. Bis dahin möchte sie „die Eltern ermutigen, dass sie das Singen mit ihren Kindern in den Alltag einbauen, ganz nebenbei: Im Auto, am Weg zum Einkaufen: Radio an, CD hinein und gemeinsam laut mitsingen!“
Das tat sie dann selber, ohne Beiziehung eines Autoradios oder CD-Spielers – gibt es so etwas heute eigentlich noch? Sie stand also am Pult und begann tatsächlich zu singen: „Sog i am End´ der Welt voi Stolz, und wann ihr woits a gonz allan: I am from Austria.“ Abgang unter höflichem Applaus.
Mitleid mit Mitterer

Mir tut ja Felix Mitterer leid. Die arme Haut soll eine fünfte Episode der „Piefke-Saga“ schreiben, aber was lässt die Realität noch übrig an Absurditäten, in Österreich grundsätzlich, aber besonders auch in Tirol? Mayrhofen im Zillertal hat 3.760 Einwohner, eine Blasmusikkapelle, einen Recyclinghof, Skilifte und jetzt eben auch Corona, sogar recht viel davon. 42 Personen sind mit Stand gestern infiziert, der gesamte Bezirk hat eine 7-Tages-Inzidenz von 165. Das ist jetzt noch nicht Hermagor, aber bei 29 Personen im Ort besteht der Verdacht auf die etwas wildere „südafrikanische Mutation“. Das kann verschiedene Ursachen haben, im Ort sollen immer noch recht viele Autos mit britischen Kennzeichen herumfahren, der Bildungshunger englischer Skilehrer ist seit Generationen legendär.
Nun wurde über Mayrhofen eine Quarantäne verhängt, aber eine in „I am from Austria“-Modus, wie die Bürgermeisterin eilig versicherte. Weil in Österreich jedem Drama zumindest auch ein Komödien-Körnchen anhaftet, heißt die Ortschefin Wechselberger, also wie das Bürgermeister-Ehepaar aus der „Piefke-Saga“, die ja in Mayrhofen gedreht wurde. Sie erinnern sich vielleicht, was ich am Anfang dieser „Kopfnüsse“ über Österreich und seine fortlaufende Wiedergeburt als sich selbst erzählt habe.
Mayrhofen wird also nicht von der Außenwelt abgeschottet, wie das vermutlich vernünftig gewesen wäre, wenn auch wieder einmal zu spät, sondern das Quarantänegebiet kann mit einem negativen PCR-Test verlassen werden. Damit dies die diversen Familien Sattmann aus Deutschland, den Niederladen oder Großbritannien noch rechtzeitig schaffen können, beginnt man mit der Nicht-Sperre erst am Samstag. Auch das ist eine Besonderheit von Österreich: Hier muss alles ein paar Tage sickern, nichts passiert sofort, sogar die Echtzeit ist hier eine Aufzeichnung. Vielleicht kann Maria Großbauer bei Gelegenheit ein Couplet darüber singen.
Das Skigebiet in Mayrhofen wurde übrigens nicht gesperrt, es macht jetzt freiwillig zu, vorerst einmal bis nächsten Mittwoch. Bis dahin haben die Bewohner vielleicht auch mehr Lust sich testen zu lassen. 40.000 Gurgeltests für daheim wurden im Bezirk ausgegeben, erst 4.000 kamen zurück. Vielleicht haben die anderen die Flüssigkeit einfach so weggeext, wann bekommt man schon ein Freigetränk in Zeiten wie diesen?
Pviert di

Für ganz Österreich wurden gestern 2006 Neuinfektionen gemeldet, vielleicht waren es auch ein paar hundert mehr, so genau sind wir da nicht. Die Zahlen nahm der Gesundheitsminister zum Anlass, um uns verschärfte Lockerungen und gelockerte Verschärfungen zu versprechen, für wann ließ er beiderseits offen. Bis Montag soll es laut Rudolf Anschober eine „Phase der präzisen Überprüfung des Infektionsgeschehens“ geben, woraus ich schließe, dass das „Infektionsgeschehen“ bisher eher weniger „präzise“ betrachtet wurde, was mich aber nicht sonderlich überrascht. Ein Bier nach Ostern in einem Schanigarten, diese Vision nannte Anschober einen „Wunschtraum“.
Jeder hat so seine Wunschträume. Die ÖVP betreibt nun einen neuen Blog namens zur-sache.at.. Die Parteijournalisten ebendort wagten sich gestern an eine kühne Prognose: Die Gastro-Öffnung sei fix, schrieben sie, das habe ihnen ein „Regierungsinsider“ bestätigt, ich tippe aus dem Lager der Kommunisten. Der Zeitpunkt der „Gastro-Öffnung“ sei aber noch offen, fügten die Enthüller an, alles wollte der „Regierungsinsider“ dann wohl auch nicht herausrücken. Ich lehne mich weit aus dem Fenster und kündige hiermit das Ende der Pandemie an, das Datum liefere ich nach.
Ich wunschträume Ihnen einen wunderbaren Donnerstag. Vielleicht erheitert Sie die Lektüre des „Interviews in Zahlen“ im von mir sehr geschätzten Magazin „Biber“. Die grüne Klubobfrau Sigi Maurer verrät darin, dass im österreichischen Parlament 27 Machos sitzen, es acht Machos bei den Grünen gibt, sie in ihrem Leben bisher vier Mal verliebt war und zuletzt vor zwei Monaten als Sängerin vor Publikum aufgetreten ist. Dem kommenden Duett mit Maria Großbauer darf mit Freude entgegengefiebert werden. Ich denke, es werden ein paar Künstler als unmittelbare Reaktion darauf ihre Staatshilfsgelder rücküberweisen. „Und wann ihr woits a ganz allan, I am from Austria“.
Fotos:
Maria Großbauer: Picturedesk, Starpix
Rudolf Anschober: Picturedesk, Hans Punz
Felix Mitterer: Picturedesk, Alexander Tuma
Sigi Maurer: Biber, Eugénie Sophie
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