Der auffrisierte Kanzler

Österreich sperrte auf, Tirol zu. Wer´s glaubt, wird selig.

Der Kanzler kam knapp vor der Sperrstunde. Fast schon aus dem Halbdunkel heraus, betrat er gestern gegen 18 Uhr das „Haus zur schwarzen Bürste“ am Wiener Judenplatz und landete mitten im alten Rom, so schnell kann das manchmal gehen. „Das Haus zur schwarzen Bürste“ ist kein Ort, an dem Orgien gefeiert werden, wenn man einmal das Waschen von Haaren nicht dazuzählt, sondern der Frisiersalon von Josef Winkler, nach eigenem Bekunden „Starfigaro“. Der „Starfigaro“ sieht eher aus wie Alice Cooper, die Frisur lässt den Schluss zur, dass er auf der richtigen Seite der Schere steht, oder eben genau auf der falschen, je nachdem.

Winkler hat seinen Salon in eine Art Amphitheater verwandelt. An den grellpastelligen Wänden hängen Abbildungen aus Pompeji, dazwischen sind Schwerter platziert, ein paar goldene Büsten gibt es und Säulen, die recht wahllos herumstehen, die alten Römer sollen es ebenso gehalten haben. Auch Bücher aus der Zeit des Imperiums liegen auf, allerdings in Übersetzung, nicht in Küchenlatein. Gernot Blümel dürfte das schade finden, er würde sicher hin und wieder gern am Weg zur Arbeit am Balanceboard vorbeirollen, um ein bisschen in Ovid zu schmökern. Vielleicht hat der Gute ja einen neuen Band rausgehaut.

Winkler bietet in seinem „Haus zu schwarzen Bürste“ das komplette Programm an, Hochsteckfrisuren für 57 Euro, Strähnen für bis zu 80 Euro, Wimpern kleben für 15 Euro. Auch ein „Gläschen des eigenen Weins gehört zum Spezial-Treatment“, wie er auf seiner Webseite verrät. Als der Kanzler gestern kam, trug der „Star-Figaro“ FFP2-Maske. Viele Friseure hatten die Öffnung mit einem Schließtag begonnen, Montag ist immer zu, das ist so eine österreichische Tradition, Corona komme was wolle. Winkler nicht, der sperrte auf. Sebastian Kurz hatte den Termin via SMS vereinbaren lassen, ehe ihre Fantasie zu galoppieren beginnt, nein, er entschied sich nicht für ein komplettes Umstyling mit Dreadlocks oder Blondierung, jedes Haar klebt noch immer da, wo es vorher war, gekürzt halt. 20 Minuten dauerte der Vorgang wie stets, Kurz zahlte wie gewohnt 39 Euro, das Trinkgeld ist geheimer als die Impfverträge der EU.

Der Österreicher und seine Frisur, das ist eine eigene Geschichte. Sie tangiert auch Menschen, die von Natur aus mit dem, was sie unter dem Hut haben, nichts am Hut haben. Vor vielen Jahren fand Herbert Lackner, zu diesem Zeitpunkt Innenpolitik-Chef der Arbeiterzeitung, einmal einen Leserbrief auf seinem Schreibtisch. Lackner war am Vortag in der „Pressestunde“ des ORF zu Gast gewesen, sein Haar trug er hinten etwas länger, ein kleines Stück über den Hemdkragen. Vorne stellte sich das Problem nicht, da war die Frisur damals schon recht übersichtlich. Die Überlänge störte offenbar Menschen, zu dieser Zeit wurde in politischen Sendungen noch nicht so viel auf den Inhalt geachtet wie heute. Der Brief endete also wie folgt: „Sie sehen aus wie ein Schlurf“.

Ich erzähle das deshalb, weil ich früher hin und wieder mit Lackner verwechselt wurde, obwohl er ein paar Jahre älter ist als ich, eigentlich ein paar viele Jahre. Ich war zu dieser Zeit Chronikreporter. Eines Tages schneite es in Wien sehr stark und für die Zeitung wurden ein paar Bilder gemacht, in Schwarz-Weiß natürlich, Lackner stellte sich als Fotomodell zur Verfügung. Am nächsten Tag rief mich mein Vater an und sagte: „Ich wusste gar nicht, dass du in Wien Langlaufski hast“.

Gestern wurde ich wieder verwechselt. Weil irgendwas mit Tirol war, kursierten auf Twitter ein paar Schnipsel aus der „Piefke Saga“. Vor gut 30 Jahren hatte Felix Mitterer die Tiroler in vier Episoden einer TV-Serie zeitlos und gnadenlos echt demaskiert. Die Geschichte in der ersten Folge hatte einen wahren Kern. In dem inzwischen verblichenen Magazin „Wochenpresse“ war ein Pamphlet erschienen, das in der Titelzeile gipfelte: „Wer braucht die Piefkes?“ Der Autor der Geschichte war Christoph Kotanko, heute bei den „Oberösterreichischen Nachrichten“, in der Serie wurde er Manfred Hollescheck genannt und von Sascha Scholl gespielt. Und ebendiesem Sascha Scholl soll ich ähnlich sehen, mutmaßten gestern einige auf Twitter. Nein, ich darf aufklären: Ich war weder langlaufen, noch habe ich bei der Piefke-Saga mitgespielt.

Nein, das ist nicht der Kanzler

Die aktuelle Version der Piefke-Saga fand gestern ihr vorläufiges Ende, Deutsche kamen dabei nur am Rande vor. Österreichs Regierung fasste den kühnen Entschluss, Tirol geschlossen offen zu halten. Die diesbezügliche Entscheidung, wenn man es denn als solche werten mag, zog sich etwas in die Länge. Man wollte offenbar noch zuwarten, bis alle Skiurlauber aus den betroffenen Gebieten heimgefahren waren. Nach den Erfahrungen von Ischgl aus dem Vorjahr, erschien es klüger, alle Hotelbetten frei zu haben, ehe man weitreichende Beschlüsse fasst.

Es ist ja so: Wenn man derzeit am Wiener Flughafen landet, dann empfängt einen das heimische Militär. Die Soldaten überprüfen, ob man registriert ist und schickt dann alle für zehn Tage in Quarantäne. Die Zehntausenden aber, die in den letzten Tagen aus Tirol oder aus Salzburg zurückkehrt sind, müssen nicht daheim bleiben, keinen einzigen Tag. Sie müssen sich auch nicht testen lassen, sie können, aber sie müssen nicht. Offenbar halten die Behörden Corona und seine Mutanten für einen feinen Pinkel, der fliegt, nicht mit dem Auto fährt. Der Kanzler hatte es im letzten Sommer noch anders gesehen.

Die Tiroler hatten nach dem Scheitern der Verhandlungen mit dem Gesundheitsministerium die Sachlage jedenfalls noch einmal überschlafen. In der Früh stellten sie fest, dass sich Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Walser in der ZiB 2 im Zahlenraum bis 10 leicht vertan hatte. Er sprach von einem „Riesentheater“ wegen „acht positiver Fällen“. Tatsächlich waren es 300 bestätigte Varianten, vielleicht auch 400, so genau wissen wir das nicht, Zahlen sind in Österreich keine fixe Größen. Es wurde jedenfalls brisant: Die Wiener sind den Tirolern zwar bestenfalls wurscht, da aber die Reaktionen aus Deutschland über die gewählte Vorgangsweise in der Pandemie-Bekämpfung, sagen wir einmal, eher durchwachsen ausfielen, entschloss man sich zum Handeln und legte um 11.15 Uhr einen 9-Punkte-Plan vor.

Na, na, na, na i bins ned

Dieser 9-Punkte-Plan umfasst grundlegend Radikales, so will man eben mehr aufpassen, mehr beobachten, mehr kontrollieren, die Checks und Balances in Hotels und anderen Unterkünftigen sind wegen ihrer Strenge und Brutalität ja längst legendär. Immerhin wurde festgelegt: Wer in eine Seilbahn einsteigen will, deren Gondeln bisher als sicherste Orte der Welt galten, braucht nun einen PCR-Test, im besten Fall ist er negativ. Auch soll „die Bevölkerung auf die Südafrika-Mutation sensibilisiert werden“, ob man das mit Handauflegen, einfühlsamen Gesprächen oder über Telekinese durchführen will, wurde nicht erklärt. Ich rege jedenfalls an, eher für die Inhaber von Leitungsfunktionen in Tirol ein Sensibilisierungsprogramm ins Auge zu fassen. Es wird aber alles gut, denn es gibt eine „tägliche Evaluierung und laufende Abstimmung über das Lagebild zwischen Bund und Land“.

Der Bund hatte zu diesem Zeitpunkt schon ein recht klares „Lagebild“. Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Kanzler Sebastian Kurz, der am Wochenende verschollen war, aber plötzlich wieder auftauchte, wenn auch noch mit Langhaar, verfassten eine gemeinsame Aussendung, die um 13.52 Uhr online ging. Die Regierungsspitze warnt darin vor „nicht notwendigen Reisen nach Tirol“. Wer die letzten zwei Wochen dort war, ob nun unnötig oder notwendigerweise, soll sich testen lassen. Das ist gut gemeint, kommt aber einen Tag nach dem Ende der Semesterferien im Osten zu spät. Man könnte jetzt sagen, besser spät als nie, aber in diesem Fall wäre das Unfug.

In Tirol feierte man den Beschluss, Tirol geschlossen offen halten zu können, als grandiosen Sieg über „die Weana“. Es sei gelungen, die „Isolation des Landes“ zu verhindern, jubelte sich Landeshauptmann Günther Platter selber zu. „Der Aufruf der Bundesregierung zur allgemeinen Mobilitätseinschränkung ist richtig, die Bezeichnung Reisewarnung innerhalb Österreichs aber falsch.“ Sie ist vor allem wurscht. Eine Reisewarnung innerhalb des Bundesgebietes hat rechtlich keinerlei Auswirkung, es sind Schläge mit einer Pfauenfeder, die hier verabreicht wurden. Das kitzelt eventuell, aber keiner lacht.

Schlangenmenschen

Clemens Martin Auer ist der letzte Europäer, der die Impfbeschaffung der EU gut findet. Fehlerlos quasi. Der Sonderbeauftragte von Gesundheitsminister Rudolf Anschober gab der Süddeutschen Zeitung ein Interview, dem nur eines abgeht: Selbstzweifel. Sogar Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen hat inzwischen Versäumnisse bei der Beschaffung eingeräumt. Es sei zu zögerlich bestellt worden. „Ein Land kann ein Schnellboot sein. Und die EU ist mehr ein Tanker“. Clemens Martin Auer ist einer der Kapitäne dieses Tankers, der gelernte Politikwissenschafter ist nämlich auch Co-Vorsitzender des Lenkungsausschusses für die EU-Impfstoffbeschaffung und als solcher vor allem für Entrüstung zu haben.

„Entschuldigen Sie“, sagte er der „Süddeutschen“, „ich kann beim besten Wissen und Gewissen nicht feststellen, dass wir langsam verhandelt haben“. Die Kritik stamme von „Leuten, die diesen Prozess nicht kennen“, Kommissions-Präsidentin Ursula von der Leyen zählt er da offenbar dazu. Dann fährt Auer AstraZeneka mit dem Stellwagen ins Gesicht. Der Vorwurf des Unternehmens, die EU habe zu spät bestellt, sei „Blödsinn“. Der Konzern habe „ein Interesse daran, alles umzuinterpretieren, weil das, was im Moment passiert, ein Managementversagen ist." Es tut gut, in der jetzigen Situation jemanden am Verhandlungstisch zu wissen, der mit dem Gegenüber ein gutes Auskommen hat und wertschätzend über ihn redet.

Auch mit BioNTech-Pfizer hat der Sonderbeauftragte noch ein Hühnchen zu rupfen. Dem deutschen Unternehmen wirft er besondere Chuzpe vor. „Wir haben angefangen, mit BioNTech zu verhandeln, und irgendwann ist die Firma Pfizer dazugekommen, und dann saßen auf einmal amerikanische Anwälte mit am Tisch. Das macht es nicht einfacher“. Wie können die nur? Die Amerikaner, Israeli, Kanadier, Briten, Chinesen und noch ein paar haben das trotzdem ganz gut hingekriegt, besser jedenfalls als Auer und seine Combo.

Gegen Ende hin ludelte der Sonderbeauftragte dann auch noch dem Kanzler und dem Gesundheitsminister ans Bein. „Ob es wirklich klug war, am 27. Dezember zu sagen: ,Hurra, hurra, wir beginnen zu impfen´, wo doch jedes Land nur 9.750 Impfdosen als Erstlieferung bekommen hatte, kann man im Nachhinein infrage stellen. Da sind zu hohe Erwartungen geweckt worden“. Vielleicht hätte sich Sebastian Kurz den Besuch im „Haus der schwarzen Bürste“ erspart, wenn er das Interview vorher gelesen hätte. Die Haare wären ihm eventuell auch so ausgefallen.

Ich wünsche einen wunderbaren Dienstag. Es ist schon der zweite Tag, an dem die Geschäfte offen haben und die Kinder in die Schule dürfen. Ich bin gespannt, mit wem ich heute verwechselte werde.

Fotos:
Sebastian Kurz: "Heute", Helmut Graf
Josef Winkler: "Heute", Denise Auer
"Piefke-Saga": Picturedesk, United Archives
Mariahilfer Straße: "Heute", Helmut Graf

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