"Rülpser aus Wien"
Der Tiroler Einkehrschwung, Gründe und Hintergründe.

Zu den in Österreich am meisten unterschätzten sprachlichen Vermittlungsformen gehört das Rülpsen. Das ist ungerecht und schade, denn Rülpsen ist völkerverbindend, multikulturell und dient auch dem sozialen Ausgleich. Es ist zum Unterschied von „Oida“ in sämtlichen Sprachen verständlich, fast alle Emotionen lassen sich perfekt damit ausdrücken. Es gibt das heitere Rülpsen, eine Art Gurrlaut, das drohende, dabei stößt man einen eher kurzer Ton aus der Tiefe heraus aus. Man kann mit Rülpsen zur Unterhaltung beitragen, laue Abende retten, einer eher schon darniederliegenden Beziehung neue Qualität einhauchen.
Rülpsen kann auch ein gelungenes Essen abschließen, mit der kleinen Geste eines Bäuerchen drückt man Gastgebern gegenüber nach dem letzten Gang seine Anerkennung aus. Der Satz „warum rülpset und furzet ihr nicht, hat es euch nicht geschmacket?", wird zwar zu Unrecht Martin Luther untergeschoben, aber irgendwer muss ihn ja gesagt haben. Rülpsen eignet sich auch perfekt dazu, ein Geschäft abzuschließen. Jetzt, wo man sich nicht mehr die Hand geben darf, kann ein kurzer, gut hörbarer Aufstoßer am Ende von Verhandlungen die Funktion der digitalen Handy-Signatur übernehmen.
Montagabend war Franz „the Seilbahn“ Hörl in „Tirol heute“ zu Gast. Wenn man sich ein bisschen durch die Vorabendsendungen der ORF-Landesstudios zappt, dann hat man plötzlich ein vollkommen anderes Bild von Österreich. Alle Sendungen eint, dass der jeweilige Landeshauptmann und die Landeshauptfrau recht häufig vorkommen, es gibt eigentlich kein relevantes Thema, zu dem der genannte Personenkreis nicht ein abschließenden Urteil beisteuern könnte, das erleichtert den Menschen auch, den Weg zur Wahrheit zu finden. Daneben treten aber auch weitere Repräsentanten des öffentlichen Lebens auf, in diesem Fall eben Franz „the Seilbahn“ Hörl und er war an diesem Abend, wie man auf gut Tirolerisch sagt, „not amused“.
Wenige Stunden davor hatte die Bundesregierung das Schwert aus dem Schaft gezogen und es über Tirol niedergehen lassen. Eine Reisewarnung wurde ausgesprochen, die Tiroler begannen sich zu fühlen wie Damokles, obwohl die Drohgebärde aus Wien rechtlich bindend war wie ein Rülpser. Zudem sollte in Seilbahnen bald nur mehr einsteigen dürfen, wer einen negativen Corona-Test vorweisen kann. Die TV-Stunde von Franz „the Seilbahn“ Hörl hatte geschlagen. Wer in diesem Land einer Gondel zu nahe kommt, muss zwangsweise damit rechnen, auf den Multifunktionär und Nationalrat zu treffen.
„Andere Verkehrsmittel wie ein Bus brauchen das nicht,“ äußerte sich Franz „the Seilbahn“ Hörl über die künftige Testpflicht in Skigebieten skeptisch, aber vergleichsweise mild. Die Reisewarnung freilich machte ihn so richtig grantig. „Ich betrachte das als äußerst unfreundlichen Akt und ich werde mir das sehr wohl erklären lassen,“ sagte er. Von wem, ließ er leider offen. Rudolf Anschober sollte aber vielleicht schon einmal damit beginnen, ein paar neue Mandala-Taferln zu malen. Ich würde allerdings den Wirkungsgrad nicht überschätzen. Land und Leute in Österreich außerhalb Tirols sind Franz „the Seilbahn“ Hörl weitgehend wurscht, die Wiener besonders. „Die Deutschen und die Holländer sind ja viel wichtiger für uns“, sagte er in „Tirol heute“, das seien „die Hauptmärkte“ und ihre Meinung „viel entscheidender, wie wenn Wien einen Rülpser tut“.
Zu diesem Zeitpunkt wurde in der Bundeshauptstadt zwar nicht gerülpst, aber es hätte ganz gut gepasst. Was sich nämlich in den 48 Stunden von Sonntagnachmittag bis Dienstag, 14.30 Uhr, hinter den Kulissen abspielte, war eine politische Groteske wie sie sich selbst in einem mit diesem Genre reich gesegneten Land wie Österreich selten ereignet. Über die Medien wurde Kraftmeierei betrieben, Tirol schimpfte auf Wien, Wien schimpfte auf Tirol. Abseits der Scheinwerfer ging man allerdings sehr freundschaftlich miteinander um, es gab keinen Streit, kein lautes Wort, kein Türknallen, kein abrupt beendetes Telefonat. Pakte wurden geschlossen, ihre Kommunikation endete im Desaster. Verhandlungen platzten, man vergaß das aber den Beteiligten mitzuteilen, die noch munter beisammensaßen, als in der Öffentlichkeit schon längst über die Folgen ihres Scheiterns debattiert wurde. Es war ein Tollhaus, jeder ließ die Sau raus.
Franz "the Seilbahn" Hörl

Die Lage begann sich gegen Wochenende hin zuzuspitzen. Die Regierung hatte am Montag Lockerungen verkündet, am Donnerstagabend legte Gesundheitsminister Rudolf Anschober die entsprechenden Verordnungen dazu vor. Mit Montag sollte in Österreich von den Geschäften bis zu den Friseuren vieles aufsperren, auch in Tirol, dort aber war die Lage besorgniserregend. Die offenbar gefährliche, vor allem aber ansteckendere „Südafrika-Mutante“ von Corona breitete sich aus. Dorothee von Laer, Virologin an der MedUni Innsbruck, warnte vor einem „zweiten Ischgl“, kritisierte das Krisenmanagement und empfahl, das Land einen Monat lang zuzusperren. Das kam einem Landesverrat gleich, die Stimmung begann sich aufzuheizen. Was tun mit Tirol? Diese Frage beschäftigte die Politik das gesamte Wochenende über, in Tirol und in Wien, allerdings aus gänzlich unterschiedlichen Blickwinkeln.
Am Sonntagnachmittag telefonierten Anschober und der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter (ÖVP) per Video miteinander. Es wirkte als würden zwei Planeten in weiter Entfernung aneinander vorbeifliegen. In Wien sah man mit Sorge, dass sich die „Südafrika-Mutante“ in Tirol immer weiter ausbreitete, nirgendwo in Europa gab es so viele Infektionsfälle, 75 waren zu diesem Zeitpunkt bestätigt. In Tirol sprach man hingegen von Panikmache. Elmar Rizzoli, Leiter des Krisenstabes, behauptete die Zahl der Verdachtsfälle sei „stagnierend bis fallend“, man habe die Situation im Griff. Im Land selbst kommunizierte man acht positive Fälle. Wie schon bei Ischgl wurde Wien als Feind dargestellt, der den Tirolern Böses wolle.
Hektische Verhandlungen setzten ein, die bis in den Abend dauerten. Vor dem Gesundheitsministerium warteten Reporter auf die Verkündigung einer Entscheidung, sie schob sich immer weiter hinein in die Nacht. Gegen 23 Uhr galten die Gespräche dann als geplatzt. Das waren sie aber nicht, denn im Kanzleramt saßen Rudolf Anschober, Sebastian Kurz und ihre Teams bis 2 Uhr früh zusammen, berieten sich untereinander, immer wieder wurde Tirols Landeshauptmann Günter Platter zugeschaltet. Mittendrin sorgte das Interview von Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Walser in der ZiB 2 für Kopfschütteln. Man vertagte sich bis nächsten Morgen.
Am Montag sperrten österreichweit die Geschäfte auf, auch in Tirol. Eine absurde Situation, das wird auch Innsbruck schnell klar. Man gesteht ein, sich bei den Zahlen geirrt zu haben. Es gibt zu diesem Zeitpunkt nicht acht Verdachtsfälle, sondern tatsächlich bereits 293. Hastig wird eine Einigung paktiert, auch die Kommunikation festgelegt. Tirol soll zunächst ein eigenes Maßnahmenpaket verkünden, es ist Punkt für Punkt mit Wien abgestimmt, teils sogar von dort mitverfasst. Danach soll die Regierung mit der Bekanntgabe der überregionalen Plänen nachziehen. Alles ist akkordiert, jeder weiß Bescheid. Um 11.15 Uhr stellt Platter via Aussendung den mit Wien vereinbarten Pakt vor, er umfasst neun Punkte. Um 13.52 Uhr folgt das Papier der Regierung. Aber nichts entwickelt sich so wie geplant.
Die Tirologen

In Tirol bricht die Hölle los. Man fühlt sich von Wien bevormundet. Immer mehr im Land melden sich zu Wort und verurteilen die Maßnahmen. Das Land tut nichts, um das windschiefe Bild zurechtzurücken. So bleibt stehen, dass die Regierung in Wien dem Land die Maßnahmen aufgezwungen habe und so hört es sich auch in „Tirol heute“ am Abend an. Die Bundesregierung habe „drastische Maßnahmen verhängt“, sagt die Moderatorin, im Land sei „die Empörung groß“. Der Landeshauptmann gießt im Interview neues Öl ins Feuer. „Wir können vor allem warnen“, sagt er sarkastisch, „wir warnen vor Lawinen, wir warnen jetzt vor Tirolerinnen und Tirolern.“ Das Schlamassel ist angerichtet.
Dienstag, zeitig in der Früh, telefoniert Kurz erneut mit Platter. Inzwischen gibt es 400 Verdachtsfälle der „Südafrika-Mutante“ in Tirol. Platter wirkt angeschlagen. Der Kanzler warnt vor allem vor den Folgen für den Impfplan. Österreich hat auf den Hersteller AstraZeneca gesetzt, ausgerechnet dessen Impfstoff wirkt aber nur in sehr geringem Maß gegen die „Südafrika-Mutante“, die Rede ist von 10 Prozent. Breitet sich die Variante großflächig aus, scheitert auch der Impfplan in Tirol, vor allem auch für den Tourismus wäre das ein Super-GAU. Um 8 Uhr einigen sich Platter und Kurz: Tirol soll zur Sperrzone erklärt werden.
Um 11 Uhr geben Finanzminister Gernot Blümel, Arbeitsminister Martin Kocher und Wirtschaftsministerin Margarete Schramböck eine Pressekonferenz zum Thema „Standort und Beschäftigung“. Als ein Journalist nach möglichen Grenzschließungen von Bayern nach Österreich fragt, geht Blümel-Pressesprecher Felix Lamezan-Salins dazwischen. Der Kanzler werde heute noch eine Erklärung dazu abgeben, sagt er. Erstaunen unter den Reportern, von einem Medienauftritt von Sebastian Kurz ist nichts bekannt. Erst um 13.10 Uhr, also rund eine Stunde vor Beginn, lädt die Bundesregierung dann tatsächlich zur Pressekonferenz über die Tirol-Maßnahmen ein. Sie klingen hart, sind es aber nur auf dem Papier.
Ab Freitag darf man nur mehr mit einem negativen Corona-Test aus Tirol ausreisen, der Test darf nicht älter als 48 Stunden sein. Osttirol ist von der Maßnahme ausgenommen, obwohl die 7-Tages-Inzidenz dort zu den höchsten in Österreich zählt, die „Südafrika-Variante“ soll aber nicht prominent vertreten sein. Wer gegen die Testpflicht verstößt, muss mit Strafen von bis zu 1.450 Euro rechnen. Zehn Tage lang soll Tirol nun Sperrzone sein.
Und? Friseur?

Eine wirkliche „Sperrzone“ wird Tirol damit nicht. Die zahnlose Reisewarnung bleibt zwar aufrecht, aber einreisen kann ins „Heilige Land“ weiter wer will. Ein paar Tage Ski fahren? Kein Problem, wenn man sich eine Unterkunft checken kann, etwa weil man sich als Arbeitssuchender oder Handlungsreisender ausgibt. Rein geht es ohne Probleme, raus mit einem Test auch. Die Testpflicht in den Seilbahngondeln gilt noch nicht, sie werde erst rechtlich geprüft, heißt es. Vor allem aber: Die Maßnahmen kommen natürlich viel zu spät. In der vergangenen Woche waren Tausende Ostösterreich in Tirol auf Semesterurlaub, sie mussten bei der Rückkehr keinerlei Test machen. Nun sind in den übrigen Bundesländern Ferien, sie enden, wenn Tirol zur Sperrzone erklärt wird. Wie üblich war das Virus schneller als wir, die Folgen werden wir ab nächster Woche spüren. Landesweit!
Ich wünsche trotz allem einen wunderbaren Mittwoch. Den Tirolerinnen und Tirolern unter meinen Lesern empfehle ich einen Perspektivenwechsel. Ihr Land wird nicht zur Sperrzone, sondern zu Österreichs Sicherheitsinsel. Keiner muss mehr raus aus dem Paradies. Ist doch auch schön.
Fotos:
Kurz/Anschober: "Heute", Helmut Graf
Franz Hörl: Picturedesk, Georges Schneider
Regierung: "Heute", Helmut Graf
Gernot Blümel: "Heute", Helmut Graf
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