Tischlein deck dich
Wenig zur Schule, aber alles zum Pflaster auf Nehammers Zeigefinger.

Er kam, sah und sagte nichts. Also natürlich sagte Kanzler Sebastian Kurz gestern etwas, er sagte vor allem, wer uns in den nächsten Tagen etwas sagen wird. Aber vom Informationsgehalt war es, sagen wir einmal, eine eher dünne Suppe, die hier angerichtet wurde, mehr eine Inhaltsangabe als eine Pressekonferenz, aber trotzdem sehr schön. Es ging irgendwie auch um die Schulen, von dort hatte man sich vermutlich auch das Konzept für den Medienauftritt stiebitzt. An den Schulen ist es nämlich so: Damit sich die Kinder auf das wissenschaftliche Arbeiten an der Uni vorbereiten können, führte man vor einigen Jahren die „vorwissenschaftliche Arbeit“ ein. Damit sich die Kinder auf diese „vorwissenschaftliche Arbeit“ vorbereiten können, folgte bald danach eine „vorvorwissenschaftliche Arbeit“, zu erbringen in der zehnten Schulstufe.
Nun höre ich, dass in Klassen der neunten Schulstufe eine „vorvorvorwissenschaftlichen Arbeit“ zu leisten ist, diese „vorvorvorwissenschaftlichen Arbeit soll auf die „vorvorwissenschaftliche Arbeit“ vorbereiten, die wiederum die Vorbereitung auf die „vorwissenschaftliche Arbeit“ ist, ohne die man an der Uni keine ordentliche wissenschaftliche Arbeit zustande bringt, wobei manche Uni-Professoren der Ansicht sind, die Studenten würden sich ohne das vorvorvor mit den wissenschaftlichen Arbeiten leichter tun. Das schreit nach einer Arbeitsgruppe. Wenn Sie glauben ich scherze, dann haben Sie Social Distancing die letzten Jahre vor allem gegenüber dem Schulbetrieb geübt, was für beide Seiten enttäuschend aber auch befruchtend gewesen sein kann.
Codename
Eigenverantwortung

Als das virologische Quartett sich gestern unter Einhaltung des Mindestabstandes von einem Babyelefanten, eines Ameisenbären oder von 14 Flaschen Wein Richtung Papamobil vorarbeitete, war ein bisschen was anders. Trickreich kamen der Kanzler, der Vizekanzler, der Gesundheitsminister und der Innenminister diesmal aus einer anderen Tür als die letzten Male. Karl Nehammer ging erstmals voran, dann folgten Werner Kogler, Sebastian Kurz und zuletzt Rudolf Anschober, der eine grüne Schutzmaske aufhatte, soweit ich das sehen konnte sogar richtig herum.
Von der Herrenoberbekleidung her blieb alles weitgehend gleich, Kurz, Anschober und Nehammer trugen die Anserpanier, also blauer Anzug, weißes Hemd, blaue Krawatte, Kogler wählte diesmal beim Hemd ein dezenteres Blau. Von der Begrifflichkeit her stellte uns das virologische Quartett das Wort „Eigenverantwortung“ neu zur Verfügung, es kam im Laufe der Veranstaltung häufig vor. Ich glaube „Eigenverantwortung“ gehört jetzt zur neuen Normalität. „Die neue Normalität ist nicht die alte Normalität, die wir kennen, sondern eine neue Normalität“, sagte der Kanzler später, eventuell wäre das ein Thema für eine vorvorvorwissenschaftliche Arbeit.
Was kaum jemand bemerkte: Karl Nehammer absolvierte die als Pressekonferenz getarnte Inhaltsangabe unter großen Schmerzen, er biss die Zähne noch mehr zusammen als er die Zähne sonst schon zusammenbeißt. Am Zeigefinger seiner linken Hand sah man ein kleines Pflaster, das notdürftig eine Wunde verdeckte, die sich der Innenminister dieser Tage zugezogen hatte und schuld daran war eine lachende, rote Kuh, kein Witz. Als Nehammer nämlich spätabends von einer Sitzung aus dem Kanzleramt – vermutlich wurde die Inhaltsangabe vorbereitet – heimkam, übermannte ihn der Hunger. Er griff zu „La Vache qui rit“ und versuchte den Brotaufstrich unter Zuhilfenahme eines Wellenschliffmessers auf ein Stück Gebäck zu bringen, was einerseits gelang, andererseits scheiterte.
Also „La Vache qui rit“, laut Eigenangabe des Herstellers von „sahnig-cremigem Geschmack“, landete schon auf dem Brot, das Wellenschliffmesser aber zwischen dem ersten und zweiten Glied des Zeigefingers. Alles ging gut aus, Nehammer überlebte. Haushaltsverletzungen dieser Dimension sind eine Untergruppe des Männerschnupfens, also natürlich sehr ernst zu nehmen, aber in der Regel gut behandelbar. Jedenfalls stand der Innenminister gestern ansonsten unversehrt an der Seite von Werner Kogler und wartete, um wie üblich als Letzter des virologischen Quartetts ans Wort zu kommen. Zu diesem Zeitpunkt ist vor dem Fernseher üblicherweise bereits ein erheblicher Teil des Publikums eingeschlafen, auch das zweite Frühstück kann müde machen, es muss gar keine lachende Kuh dabei sein.
Deutschland ist reif
für die Matura

Zu Beginn redete der Kanzler, er brachte rasch das Kapitel Dank und Anerkennung hinter sich, sah zwei Wochen nach Anschober ebenfalls das „Licht am Ende des Tunnels“, warb dann erneut für seine Einräumungs-Gleichung („so viel Freiheit wie möglich, so viel Einschränkung wie nötig“) und sagte dann einen Satz, der sich schnell als reichlich übertrieben herausstellen sollte, denn er lautete: „Ich darf jetzt auf die Details eingehen.“
Eingehen kann ja mehrerlei bedeuten, Vertiefung etwa, beim Wäschewaschen allerdings heißt „eingehen“, dass etwas kleiner wird als es vorher war und so geschah es auch hier. Der Kanzler ging auf ein Thema ein, das sehr schnell einging, ständig warf er neue Stücke in die Trommel, die dort in Windeseile schrumpften. Dieses eingehende Eingehen, erbrachte folgende Erkenntnisse:
Die Ausgangsbeschränkungen kommen Ende April neu: Details dazu kommenden Dienstag.
Am 15. Mai starten die Schulen wieder mit Unterricht. Details dazu am kommenden Freitag.
Die Gastronomie öffnet ebenfalls am 15. Mai wieder. Details dazu am kommenden Dienstag.
Auch in die Kirchenhäuser darf man ab 15. Mai wieder rein. Details dazu am Donnerstag.
Der Sommerurlaub wird irgendwie neu geregelt. Details dazu irgendwann.
Vielleicht wäre es besser gewesen, die paar Journalisten, die im Kanzleramt vor Ort waren, hätten sich nicht einen Block zum Mitschreiben mitgebracht, sondern einen Stundenplan. Sie hätten sich dann eintragen können, wann die Regierung welche Verlautbarung treffen will und ob dann der Herr Professor Faßmann oder die Frau Professor Köstinger vorne am Pult steht. Schön wäre es gewesen, die Regierung hätte Buntstifte bereitgestellt, Stundenpläne sehen einfach schöner aus, wenn man die Kästchen bemalt und vielleicht ein paar Smileys dazu zeichnet.
Mit Freude vernahmen wir, dass der Kanzler seine Sommerfrische schon gecheckt hat. „Dieser Sommer“, lächelte Kurz kurz, ich weiß nicht warum, aber vielleicht lag das an den folgenden Passagen, denn er sah sich vermutlich schon Tretbootfahren in Obertrum oder Schleedorf. „Dieser Sommer“, sagt er, „wird die Möglichkeit bieten, Urlaub in Österreich zu machen. Ich für meinen Teil habe meine Entscheidung schon getroffen. Ich werde meinen Urlaub, sofern ein Urlaub möglich ist, in Österreich verbringen und kann nur vielen Österreicherinnen und Österreichern empfehlen selbiges zu tun“. Ich setze wohlwollend voraus, dass Kurz sich und seine Lebenspartnerin meint, wenn er davon spricht, dass er den Urlaub entschieden hat, allein nämlich. Jedenfalls erheitert mich die Vorstellung, dass jetzt, Ende April, schon irgendwo in Österreich, ich vermute an einem geheimen Ort in Salzburg, an einem Hotelpool ein Handtuch über einen Liegestuhl gebreitet wurde, es ist Türkis und trägt den Aufdruck „Auf-Takt-Tour. 2021“. Man weiß ja nie, wann man wählt.
Auf in den Kampf

Bis es so weit ist, Sommer also, und wir uns zwangsweise für die Urlaubsform Gatterhaltung in Österreich entscheiden müssen, wird in diesem Land noch einiges rauf- und runtergefahren. Ich finde es erstaunlich, wie schnell sich Begriffe durchsetzen. Alles wird derzeit rauf- und runtergefahren. Gastro? Fahren wir rauf. Krankheitszahlen? Fahren wir runter. Schulen? Fahren wir rauf. Es sei „keine Schande“, seine Kinder in Betreuung zu geben, sagte Kurz, als es um das Rauffahren der Kindergärten ging. Das erleichtert uns. Man gibt seine Kinder einfach leichteren Herzens weg, wenn der Kanzler einem das nicht an den Kopf wirft.
Dann ist Kogler dran, eine Zusammenfassung seines Vortrages ist wie immer schwierig, „Eigenverantwortung“ kommt darin vor, das habe ich mir gemerkt, und auch er fährt alles Mögliche rauf, droht gleichzeitig aber mit dem Runterfahren, wenn wir uns nicht reif genug für die „Eigenverantwortung“ erweisen. Er will nämlich „keine 1.000 Ischgls streuen in Österreich“. Seine Maske hat er einfach so hingeworfen vor sich auf das Glaspult, vor Kurz sieht es so aus als hätte er für den Besuch der Schwiegermutter zusammengeräumt. Die Maske ist feinsäuberlich gefaltet, die beiden Spickzettel liegen akkurat nebeneinander, die neue Normalität halt. Kogler spricht lieber von einer „gewohnten Normalität“, die es nicht geben wird, „bis ein Impfstoff da ist“. Wir freuen uns wie die Kühe auf weitere 50 bis 100 Pressekonferenzen bis dahin. „La Vache qui rit“.
Weil wir gerade bei Kühen sind und ja so viel von Herdenimmunität die Rede ist: McDonald’s hatte auch gestern offen. Erstaunlich oder? Damit konnte niemand rechnen. Montagabend hatten sich die Autos noch von der Donaukanal Straße bis zum Hernalser Gürtel gestaut, also auf einer Strecke von gut viereinhalb Kilometern, nur um am Hernalser Gürtel in einen McDrive einbiegen zu können. Vielleicht haben wirklich viele gedacht, der Mäci macht nur einen Tag auf, verkauft alles ab und geht dann wieder in Quarantäne. Die Themen von vorvorvorwissenschaftlichen Arbeiten werden hier nur so auf dem Silbertablett serviert.
Sicher ist sicher

Ich habe ja ein großes Glück. Meine Absonderungen hier fallen nicht unter Kleinkunst, schon eher unter Keinkunst. Wenn es Kleinkunst wäre, dann würden meine Interessen nämlich derzeit von Ulrike Lunacek vertreten werden, die dem Vernehmen nach Staatssekretärin für Kunst und Kultur ist. Ich wäre kein Thema mehr für eine vorvorvorwissenschaftliche Arbeit, und wenn dann für den Schwerpunkt Pleiten und andere Missgeschicke. Im „Kulturmontag“ des ORF stellte sich die vermeintliche Staatssekretärin (ist jemandem eigentlich schon aufgefallen, dass Staatssekretärin ein unglaublich blöder Begriff ist?), jedenfalls im „Kulturmonat“ stellte sich Lunacek Kulturschaffenden und das schaffte den Unmut der Branche über sie nicht aus dem Weg, eher wurde der Weg noch unpassierbarer.
Lunacek hatte vergangenen Freitag gemeinsam mit Werner Kogler eine desaströse Pressekonferenz über die Wirtschaftshilfe für Kunst und Kultur abgehalten. Sie weiß das inzwischen selber, bekannte das auch anerkennenswerterweise ein und freute sich darüber, im ORF einiges gerade biegen zu können. „Danke, dass ich die Gelegenheit habe, hier manche Dinge klarer zu stellen,“ sagte sie und erläuterte die „genauen Regeln“, nach denen nun Geld an Kunstschaffende fließen soll, wenig später so: „Die sind jetzt im Prozess, dass wir sie in eine Verordnung hineinbringen.“ Gut, einen Versuch war es wert.
Nun war es in der Vergangenheit so, dass sich VertreterInnen aus Kunst und Kultur ganz gern mit Politikern unterhalten haben, vor allem mit solchen, bei denen sie Interesse an ihrem Gewerbe wahrnahmen. Bei der gegenwärtige Regierung wäre Sandkorn als Maßeinheit für ihr diesbezügliches Engagement etwas dick aufgetragen. Jetzt aber geht es ums Geld, für viele ums nackte Überleben und die Kluft, die sich hier zwischen Theorie und Praxis auftut, ist tiefer und breiter als ein Babyelefant. Ich füge an, dass es diese Kluft mittlerweile in vielen Bereichen der Wirtschaft gibt. Menschen, die dringend Hilfe brauchen, vor allem viele aus Kleinbetrieben, ein-Mann-, Ein-Frau-Unternehmen, verzweifeln an der Bürokratie, ja manchmal auch an der Inkompetenz und dem Unverständnis des Gegenübers Staat. Nach und nach bricht recht schnell in Österreich eine Kluft nach der anderen auf und wenn die Regierung hier nicht schnell hinsieht, dann werden die ganzen Umfragewerte sehr schnell in diesen Kluften verschwinden, denn – das sollte jetzt kein Kriterium sein, aber nur erwähnt – hier handelt es sich um ÖVP-Fans, ÖVP-Wähler, vor allem aber um viele, die ein Stück des Weges mit Sebastian Kurz mitgegangen sind. Sie werden bald abbiegen und den Kanzler allein weitergehen lassen, wohin auch immer. Vielleicht führe ich das demnächst genauer aus.
Nun aber zurück zu Ulrike Lunacek, die sich Herbert Föttinger, Direktor des Theaters in der Josefstadt, Konzertveranstalter Christoph Klingler und Yvonne Gimpel, Geschäftsführerin der IG Kultur, gegenübersah. Es ging hochemotional zu, Worte wie „ausgemachter Unsinn“ oder „zum Fremdschämen“ fielen, die Kulturschaffenden versuchten im Handeln der Kulturstaatsekretärin eine Strategie zu erkennen und scheiterten wie auch die TV-Zuseher. „Frau Lunacek“, sagte Föttinger ernüchtert schließlich, „holen sie Profis ran“. Diesen Satz werden wir in den nächsten Wochen vielleicht noch ein paar Mal hören. Und vielleicht wird es nötig sein, nach der Krise, sollte sie jemals vorbeigehen, politisches Personal auszutauschen. So eine Krise zeigt nämlich auch Grenzen auf, brutal, aber die Realität.
Möge Ihr Mittwoch in der Realität wunderbar werden. Heute erleben wir im Parlament einen neuen Schulterschluss, die Opposition geschlossen gegen die Regierung. Es wird zunehmend zugig im Land.
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