Volles Risiko voraus

Ob ihr wirklich richtig steht, seht ihr, wenn das Licht angeht.

Eine Stimmung ist das, fast wie bei der Aufhebung der Prohibition damals. Ein ganzes Land im Freudentaumel, überall Umarmungen, via Zoom halt. Hoteliers räumen die Besenkammern frei, weil die Zimmer unter der Buchungslast knapp werden. Die Gastwirte überlegen, die Tische zu stapeln und die ersten Schnitzel eventuell nicht zu verkaufen, sondern zu versteigern. Es ist als hätten wir ein Jahr lang unter Hunger und Durst leiden müssen, jetzt bekommen wir wieder feste und flüssige Nahrung vorgesetzt und deshalb will jeder am 19. Mai einen Tisch in einem Restaurant haben, Kosten egal, Hauptsache 19. Mai. Nicht 20. Mai, schon gar nicht 21. Mai. Wer bei der großen Öffnung am Tag X nicht dabei ist, der hat 2021 nicht gelebt.

Ich freue mich schon auf die vielen Instagram-Postings, auf denen Menschen zu sehen sind, die ihren Kopf zwischen Handycam und Teller pressen konnten. Auf die glücklichen Gesichter der Society, die nun nicht mehr nach Dubai fliegen muss, um Spaß zu haben, sondern die sich jetzt in angesagten City-Lokalen wegsprengen kann. Die wirklichen und die unwirklichen Größen der Gesellschaft werden beiläufig erwähnen, wie wenig Mühe es sie gekostet hat, einen Tisch im hippen Lokal zu ergattern, man wisse wie schwierig das sei, aber der Wirt sei sich ihrer Prominenz durchaus bewusst und zudem ein guter Freund, auch wenn er noch nichts davon weiß.

Viele werden ihre von der Krise geschundenen Leiber auch in Wellnesshotels tragen und versuchen, sie durch Thermalwasser notdürftig reparieren zu lassen. Wem das nicht genügt, der kann vor Ort die Hilfe von Vertretern körpernaher Dienstleistungen in Anspruch nehmen, das ist nun wieder erlaubt. Die Masseure und die Badwaschln, die Kellner in den Lokalen und die Zimmermädchen in den Hotels werden großteils noch nicht geimpft sein, aber das Leben ist eben lebensgefährlich. „Jeder kann sich schützen, das ist auch eine Frage des Wollens,“ sagte der Kanzler am Wochenende im „Kurier“ und da war sie wieder, diese Eigenverantwortung, jetzt wird sie für uns eben in Spritzen aufgezogen.

Die Muttergottes der Öffnung ist Elisabeth Köstinger, man müsste sie eigentlich auf Plakate drucken, so wie früher die Klementine für Ariel. Bei der Pressekonferenz am Freitag im Weltmuseum trat sie nicht auf, sondern sie zerbarst buchstäblich vor Freude und das lag wohl nicht allein daran, dass sie eine zusätzliche Aufgabe für sich an Land gezogen hatte, sie stellte sich nämlich auch als „Gastronomieministerin“ vor. Endlich erhalten Speis und Trank im Land jene Wertschätzung, die ihnen jahrzehntelang vorenthalten worden war, ein eigenes Ministerium. Wenn es Brösel gibt, wissen die Schnitzel nun, wem sie an die Panier können. „Es geht wieder auf“, frohlockte Köstinger und strahlte über das ganze Gesicht, die Wände des Museums hallten kärntnerisch wider. „Behutsam“ werde die Öffnung sein, versprach die Muttergottes der Gastronomie. Ich denke, Österreich wird so behutsam geöffnet wie die Stadiontore, wenn Iron Maiden in Wien spielt und Tausende aufs Feld laufen wollen.

Ich verstehe das, ich wünsche mir wie alle im Land ein normales Leben zurück. Ich bitte gleich jetzt um Vergebung, dass ich nicht unter den Ersten sein werde, die in Lokale oder Hotels stürmen. Ich bin recht scheu geworden in dem einen Jahr Pandemie, ich fremdel mit Menschen, nicht wenige haben mich enttäuscht, auch einige Unternehmen, die sehen mich so schnell nicht wieder, Krisen legen auch Charaktere offen. Ich muss mir manchmal auch eingestehen, dass ich Menschenmassen jetzt schon unangenehmer entgegentrete als noch vor Corona, dabei sind jetzt noch viel weniger Leute auf der Straße als damals, als der ganze Irrsinn begann, viel weniger.

Ich weiß, ich mache mich damit zum Partycrasher, aber mir ist diese Leichtigkeit des Seins unerträglich. Wie schon öfter hoffe ich, dass alle, die hier Entscheidungen treffen, besser liegen als ich, aber ich frage mich halt, wie das gut gehen soll? Passiert in den nächsten drei Wochen ein Wunder und die Zahlen gehen stark nach unten? Haben wir einen anderen Virus im Land als der Rest der Welt? Spielt es keine Rolle, dass nun in Tirol und Vorarlberg die 7-Tages-Inzidenz nach oben schießt? Ist es klug, alles gleichzeitig aufzusperren? 3.000 Personen outdoor?, 1.500 indoor? 10 Erwachsene an einem Tisch im Schanigarten? Mit Maske in die Umkleidekabine, ohne Maske dann ab ins Schwimmbad? Opfern wir mit der überstürzten Öffnung nicht den Sommer? Wird es nicht eher so sein, dass wir gar nicht erst aufmachen und wenn wir aufsperren, dann wird das nur von kurzer Dauer sein? Wenn Mitte Mai drei Millionen Menschen geimpft sein werden, wie der Kanzler verspricht, dann bedeutet es ja gleichzeitig, dass sechs Millionen noch gar keinen Erststich erhalten haben und das erscheint mir recht viel.

Am Weg zur Verkündigung

Sind die Jungen jetzt das Kanonenfutter? Es kommt mir manchmal so vor, wenn ich Entscheidungsträgern zuhöre. Schon 40 Prozent aller Patienten auf den Intensivstationen sind unter 65. Die Alten, die Kranken und die Siechen, die Risikogruppen und die Hochrisikogruppen sind bald einigermaßen durchgeimpft, der Rest wird das schon überstehen, toi, toi, toi. Wenn alles aufsperrt am 19. Mai, unserem Tag des virologischen Mauerfalls, dann wird es in der Altersgruppe unter 50 noch sehr wenige geben, die einen Erststich haben. Das sind aber die Menschen, die gemeinsam in den Öffis in die Arbeit fahren, die Busse herumkutschieren, die im Geschäft 15 Dekagramm Extrawurst über die Theke reichen und am Marktstandl das Salathäupl, die unseren Wasserhahn reparieren oder unser Internet, die uns die neuen Smartphones verkaufen oder die Sneakers. Kurz, die Kaste, die unser Wirtschaftsleben am Laufen hält, ist gleichzeitig die Kaste der Ungeimpften. Riskant das ist!

Politisch verstehe ich das alles. Sebastian Kurz will als Öffnungskanzler in die Zeitgeschichte eingehen, nicht als Pandemiehysteriker, als Impfschlumpf oder als Hasenfuß, der uns vom richtigen Leben abhält. „Öffnungskanzler“, das ist es, diesen Titel will er sich nicht streitig machen lassen, schon gar nicht vom neuen Gesundheitsminister, dessen Beitrag zu den Entwicklungen bisher bescheiden blieb, wenn er denn überhaupt vorhanden sein mag.

Für Kurz gibt es jetzt drei Optionen: Die Öffnung funktioniert und er geht als strahlender Held aus der Krise hervor, das nicht vorhandene Angebot, 2024 EU-Kommissionpräsident zu werden, könnte er als zu minder für sich abtun. Die Öffnung funktioniert nicht, dann waren wir schuld, weil wir uns nicht an die Regeln gehalten haben, die es nicht mehr gab. Oder aber, wir müssen erneut in den Lockdown zurück, dann sind die Landeshauptleute dafür verantwortlich, denn zugesperrt wird jetzt nur mehr regional.

Muttergottes der Gastronomie

Die Experten, hätten grünes Licht für eine Öffnung gegeben, das vermittelte Kurz im Weltmuseum. Aber alle Fachleute, die ich seither gehört habe, klagen deutlich skeptischer. „Ich halte den Öffnungsplan für zu riskant", sagt der Mikrobiologe Michael Wagner im „Standard“. „Die Regierung geht ein unnötiges Risiko ein, das in einem nochmaligen Lockdown enden kann." Und: „Anders als behauptet wird, ist das Modell Vorarlberg meiner Meinung nach kein Erfolg. Die Infektionszahlen haben sich innerhalb kurzer Zeit vervierfacht. Auch das viele Testen hat dies nicht verhindert.“

Am 19. Mai bedingungslos zu öffnen, wäre deshalb „ganz sicher falsch“, sagt auch Gerald Gartlehner, Epidemiologe und Experte für Evidenzbasierte Medizin von der Donau-Universität Krems. Ob er ein gutes Bauchgefühl habe wurde der Virologe Norbert Nowotny im ORF gefragt. „Naja“, antwortete er. „Notfalls muss nachjustiert werden.“ Das passiert gerade in Vorarlberg, dem Musterland unserer Öffnung. In keinem Bundesland ist die 7-Tages-Inzidenz momentan höher, ab morgen gibt es in Teilen des Landes wieder Ausreisetests. War das zu erwarten? Ja!

Auch im übrigen Österreich ist damit zu rechnen und die Regierung verheimlicht das auch gar nicht. „Dass die Ansteckungen steigen, wenn wir öffnen, das wird definitiv stattfinden und das ist absolut klar, das ist absolut erwartbar“, sagte Sebastian Kurz im Interview mit Puls 24. Der Kanzler hofft darauf, dass die Jungen, die jetzt vermehrt erkranken werden, das Virus besser wegstecken, nicht ins Spital müssen, nicht auf die Intensivstation. Es ist dünnes Eis, auf dem da gegangen wird.

Ich bin ein großer Verfechter der Schulöffnungen, wenngleich ich es für grob fahrlässig halte, was dort an möglichen Schutzmaßnahmen im letzten Jahr eben nicht durchgeführt wurde. Aber selbstverständlich werden jetzt vermehrt Infektionen in Schulen stattfinden und die Kinder werden das in die Haushalte heim tragen, die Tests, von denen man jetzt weiß, dass sie nur 20 Prozent Infizierte erkennen (und die vielerorts immer noch im Umlauf bleiben), werden das nicht verhindern. Es ist nämlich tatsächlich so, dass die meisten Ansteckungen im privaten Bereich passieren, aber deshalb kommt Corona nicht durch den Briefschlitz oder die Steckdose, sondern wird von irgendwem in die eigenen vier Wände getragen und dafür gibt es nun ein paar Chancen mehr.

Blick nach links,

Blick nach rechts

Ich wünsche einen wunderbaren Start in die neue Woche. Am Wochenende erfuhren wir ein bisschen mehr über unseren neuen Gesundheitsminister. Auf Ö3 erzählte Wolfgang Mückstein, dass er raucht, er könne sich das „leider nicht abgewöhnen“, zehn Stück am Tag sollen es sein, die Erfahrung lehrt, es sind dann meistens ein paar mehr. In der „Krone“ wiederum schilderte er Conny Bischofberger, warum er die ersten Tage als Politiker in den Klamotten eines Berufsjugendlichen absolviert hat. „Ich lebe mit meiner Frau in Scheidung und bin erst im Dezember ausgezogen. Das meiste steht noch im Abstellraum. Jeans, dunkelblaues Sakko, weißes Hemd und Sneakers waren das Passendste, das ich zuhause hatte."

Ein Gesundheitsminister, der raucht, und dessen Ehe während Corona in die Brüche ging – vielleicht ist der Typ den Menschen doch näher als ich im ersten Augenblick vermutet habe.

Fotos:
Wolfgang Mückstein, Sebastian Kurz: Picturedesk, Helmut Fohringer
Ankunft Kurz: Picturedesk, Alex Halada
Elisabeth Köstinger: Picturedesk, Florian Schroetter
Aufsperr-Quintett: Picturedesk, Florian Schroetter
Mückstein, Kurz: Picturedesk, Helmut Fohringer

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