Das Ende der Party
Wir tun viel, es reicht nicht. Aber es gibt Hoffnung.

Wissen Sie, was eine Blaupausenschutzübertragung ist? Nicht? Das ist gar nicht gut, denn so sind Sie Covid-19 mehr oder weniger schutzlos ausgeliefert, da kann die Regierung zusperren was sie will. Im Lokal Ur-Alp im Bregenzerwald lädt eine Art Neigungsgruppe Energetik zum „Corona Virus Vortrag“. Am kommenden Sonntag werden „die Ursache, das Stärken des Immunsystems, natürliche und physiologische Gesetzmäßigkeiten und deren Zusammenhänge erläutert“. Es geht um nicht weniger als um alles: „Wie kann ich mich von Fremdenergien, Viren und Bakterien schützen?“ Und wie? Na mit der Blaupausenschutzübertragung.
Ich kenne mich da ja wirklich nicht besonders gut aus und setze mich jetzt vermutlich recht tief in die Nesseln, aber auf der allein schon wegen ihres Namens kompetent wirkenden Webseite herzens-quelle.de steht, was eine Blaupause ist, seelisch gesehen, nämlich „unsere göttliche Matrix“. Also: „Alles was ist, jedes Universum, jeder Planet, kommt aus dem Quantenfeld, dem Feld der intelligenten Liebesschwingung. Der Meister und Hüter des Quantenfeldes ist Oronos. Die Seele von jedem Menschen und von jedem Tier ist ein Teil des Quantenfeldes. Die Manifestation der intelligenten Liebesschwingung im Körper d.h. die Verbindung zwischen dem Quantenfeld und dem menschlichen Körper ist die Blaupause“.
Blaupausen-Schutzübertragung

Da wir dies nun wissen, können wir ins Detail gehen. „Durch die Aktivierung des Liebesbewusstseins mit der göttlichen Blaupause verstärkt sich die eigene Sensibilität zum Körper und zu den Gefühlen. Beziehungen zu anderen Menschen werden klarer. Alle Seelenanteile, die z.B. durch Schocks verloren gegangen sind, kommen durch die Blaupause – in der Seelenzeit – wieder zurück. Je mehr Seelenanteile wieder in unserem Körper sind, desto mehr Potential und Energie haben wir wieder zur Verfügung“.
Deswegen und nur deswegen ist es grundvernünftig, Sonntag im Ur-Alp vorbeizuschauen, ich hoffe Vorarlberg ist da noch über den Landweg erreichbar, über den Meerweg ist es jetzt schon schwierig. „Auf Wunsch“ findet nämlich in der Lokalität die Blaupausenschutzübertragung statt, nicht zwangsweise also, sondern nur für den, der will, „auf Wunsch“ wie gesagt. Dazu gibt es auch die „Coronavirus Schutzformel zum Mitnehmen“, also als eine Art seelisches Doggybag.
Man ist jedenfalls in guten Händen, denn einer der Vortragenden betreibt die „Akademie für Weltfrieden und Heilung“. In seiner Funktion als „Geistchirurg und Medialer Heiler“ bietet er diverse Services an, etwa die im Wiener Spitalswesen schon recht gut eingeführte „Energetik“, aber auch „Spirituelle Körperarbeit“ und „Lichtkörperprozess und Blaupause nach Natara“, um die „göttlichen Zeitlinien“ zu öffnen. Das ist offensichtlich ein ziemliches Wunderzeug, denn: „Die Schwere der Ahnen und Familien lösen sich auf. Das Kämpfen hört auf. Schutz vor Elektrosmog, Schutz vor atomaren Strahlungen, Schutz vor für uns nicht einsehbaren Manipulationen (Chips, Handys, Fernsehsendungen).Und vieles mehr ...“
"In Marsmännchen-Montur"

Ich weiß nicht, ob das mit Corona zusammenhängt, aber Obskuranten haben jetzt Hochkultur. In Österreich kursiert eine WhatsApp, in der die Stimme von Sebastian Kurz täuschend ähnlich nachgemacht wird. In der Nachricht kündigt er an, dass Wien komplett abgesperrt wird, es gibt dann kein rein mehr und kein raus. Die Zufahrtswege werden von der Polizei gesichert und das passt ins Bild, denn Polizisten haben seit gestern Urlaubssperre. Die WhatsApp freilich ist ein Fake, sie verbreitete sich gestern trotzdem oder gerade deshalb rasant, fand den Weg in alle Redaktionsstuben. Dort hält man derzeit alles für möglich, in einem Land wie Österreich gilt dafür in jedem Fall die Unschuldsvermutung. Und dann ist heute auch noch Freitag, der 13..
Dieser März erzählt Geschichten, die nicht zusammenpassen wollen, die kein Bild ergeben. Dieser wunderschöne Tag gestern, über 20 Grad in Wien, wir müssten jetzt eine Klimadebatte haben, aber Corona legt uns Fesseln an, aber auch wieder nicht. Als ich gestern Abend durch die Innenstadt spazierte, war aus vielen Bars und Lokalen lautes Lachen zu hören, die Schanigärten waren halbvoll oder halbleer, wie man das halt sehen mag. Das „Schwarze Kameel“ war bis auf den letzten Platz besetzt, die Stimmung ausgelassen, es wurde einander zugeprostet und gescherzt.
Den ganzen Tag über waren schlechte Nachrichten auf uns eingeprasselt. Christoph Wenisch, Leiter der Infektionsabteilung des Wiener Kaiser-Franz-Josef-Spitals, musste den ersten Todesfall bekanntgeben. Der Arzt ist ein Mann der klaren Worte, plastisch beschreibt er den harten Alltag auf der Intensivstation. "Unangenehme Nasenbrillen und Masken, die wie Taucherbrillen aussehen, werden zur Beatmung herangezogen. Verkleidetes Personal in Marsmännchen-Montur versucht zu beruhigen".
Überall steigen die Ansteckungszahlen, aber nicht nur ein bisschen, sondern heftig. Die Wirtschaft schmiert ab und es ist kein Ende der Talfahrt in Sicht. Belgien machte gestern alles dicht, auch die Lokale sind zu. Länder schotten sich ab, die Ungarn, die Tschechen und die Slowaken machen die Grenzen zu, 100.000 pendeln täglich und in einigen Wiener Haushalten schrillen die Alarmglocken, denn wo kommen jetzt die Pflegerinnen her? Im Gmünd im Waldviertel erschienen 30 Prozent der Angestellten gestern nicht zur Arbeit, konnten sie nicht, an der nahen Grenze blieben ja die Balken unten.
Der Kanzler und der Gesundheitsminister und der Innenminister und der Bildungsminister gaben Pressekonferenzen. Zwei Monate ist die Koalition jetzt im Amt, aber alles wirkt eingespielt als würde es diese Konstellation schon ewig geben. Wie Sandkastenfreunde, die sich einige Zeit aus den Augen verloren hatten und nun wieder zueinander fanden, wirken die Teilhaber der Koalition. Alle ersuchten eindringlich, die Sozialkontakte einzustellen, die Kinder daheim zu lassen, weniger fortzugehen. Sie hielten Tafeln hoch, die zeigen sollten, wie die Erkrankungszahlen explodieren, wenn wir nichts dagegen tun, vielleicht sogar, wenn wir etwas tun. Das will nicht so recht passen zur Partystimmung in der Innenstadt.
Leere Lehre

Man führt seltsame Gespräche jetzt. Früher verabschiedeten sich viele im Büro mit „bis morgen“ oder „bis nächste Woche“. Heute fügen sie ein „vielleicht“ an oder sagen gleich „bis wir uns wiedersehen“. Früher zeigte man am Handy Urlaubsfotos her und Bilder von den Katzen oder den Hasen daheim, jetzt brüstet man sich, dass man beim Billa oder beim Hofer noch die letzten Fusilli-Nudeln ergattert hat und sich morgen dann auf die Jagd nach Klopapier macht. Die Redaktionen arbeiten an Notplänen, die sicherstellen, dass es irgendwie weitergeht mit der Zeitung, wenn das Virus zuschlägt. Gleichzeitig sorgen sich die Mamas und Papas im Team, wie sie die Kinderbetreuung sicherstellen sollen, wenn die Schulen schließen. Was bisher dazu von offizieller Seite gesagt wurde, erhellte nicht den Tag.
Laptops sind in Österreich so gut wie aus und Nachschub kommt auch keiner mehr. Natürlich, Geräte ab 3.000 Euro gibt es noch, aber so viel ist uns das Virus auch wieder nicht wert. Alle stellen auf Teleworking um oder auf Homeworking, auch keine leichte Übung, wenn die Kinder zwischen den Beinen herumwuseln, aber was soll man sonst tun? Von den Großeltern haben sich viele verabschiedet, keiner will schuld sein, wenn Covid-19 Oma oder Opa dahinrafft, so bitter das auch klingt. In Spitälern winkt man den älteren Kranken durch die Glasscheibe zu, „komm herein“, deuten sie, aber das geht nicht, sie verstehen es nicht. Jetzt sind die Spitäler überhaupt für Besucher geschlossen.
Italien meldet über 1.000 Tote, Österreichs Regierung steht da und warnt: Wer 65 ist oder älter, vor allem wer einer Risikogruppe angehört, der soll daheimbleiben, bitte. Und ja, keinen Kontakt zu den Enkelkindern. Es sind Appelle, die nur bei denen greifen, die sonst schon in Panik sind. Bei den anderen mag die Sorge angekommen sein, die Angst noch nicht. Es wird härtere Maßnahmen brauchen, um dem Virus die Stirn zu bieten, mehr Sperren, schon heute werden sie angekündigt. Das wird unser Leben weiter einfrieren, es wird die Geschäfte und die Märkte weiter leeren, es muss sein. China machte es vor. In Wuhan gibt es keine neuen Erkrankungen mehr, ein Video zeigt Krankenhauspersonal, das den Mundschutz ablegt. Das hätten wir auch bald gern.
Naschmarkt ohne Naschen

„Horrona“ hat der Event-Manager Mario Soldo die Lebensphase getauft, in der wir uns befinden, aber verstehen wir auch, was rundherum passiert? Roberto Reimann ist Chirurg in Mailand, Italien ist uns zwei Wochen voraus, was Erkrankte und wohl auch was Tote betrifft. „Es scheint, dass bei Euch noch Wenige kapiert haben, wie dramatisch sich alles plötzlich entwickeln kann“, schreibt er an seine österreichischen Ärztekollegen. „Tausende Patienten, die von einem Tag zum anderen künstlich beatmet werden müssen, wie hier in Italien, scheinen in Österreich kein Warnzeichen zu sein“. In Italien ist die Spitals-Infrastruktur kollabiert. Spitals-Infrastruktur, das liest sich sehr technisch, aber es heißt: Es gibt nicht genug Intensivbetten mehr, nicht genug Beatmungsgeräte. Menschen, die schwer krank ins Spital kommen, kann nicht geholfen werden. Das müssen wir verhindern und dafür reichen die Maßnahmen, die bisher gesetzt wurden, nicht aus, bei weitem nicht.
In der Nacht auf morgen sollte ich eigentlich im Zug nach Rom sitzen. Urlaub, eine Woche, im März ist es in Italiens Hauptstadt mindestens so schön wie in allen anderen Monaten des Jahres. Corona hat mir die Auszeit versaut, das verzeihe ich dem Virus nie.
Passen Sie auf sich auf! Halten Sie Abstand! Waschen Sie sich die Hände richtig! Gehen Sie nur unter Leute, wenn Sie müssen! Schützen Sie die Älteren! Vielleicht gelingt es uns so, das Virus aus dem Land zu kicken, zwei Monate wird das schon dauern. Mindestens, ich fürchte länger.
Ich hoffe, danach wird es wieder wunderbar.
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