Das virologische Quartett

Corona ist ein Test für uns, also testen wir uns.

Ich höre das jetzt aus einigen Familien. Früher, als alle noch beruflich unter Stress standen, da wünschte man sich mehr gemeinsame Zeit, richtig viel mehr gemeinsame Zeit, Quality time nannte sich das. Weil sowieso keiner wusste, was er schenken sollte, luden sich vor Weihnachten alle aus dem Internet niedliche Gutscheine herunter und verschenkten gemeinsame Quality time. Zum Glück für beide Seiten erinnerte sich wenige Tage danach keiner mehr daran und die Gutscheine vergilbten einsam an Pinnwänden, ihre Quality time war recht schnell vorüber. 

Beim Friseur stieß ich in der Vergangenheit beim Durchblättern der Frauenmagazinen auf so manche Geschichte über erfolgreiche ManagerInnen, die Haus und Hof wunderbar unter einen Hut bringen, 23 Stunden am Tag im Job sind, dann aber in die eine Stunde mit ihren Kindern derartig viel Qualität hineinpacken, dass die Buben und Mädchen allesamt rote Wangen bekommen vor lauter Glück. Die Nannys spielten in diesen Familienaufstellungen gar nicht so eine große Rolle, wie man vielleicht denken mag, jedenfalls in den Reportagen nicht.

Dank Corona haben jetzt alle unglaublich viel „Quality Time“ und es ist auch wieder nicht recht. Viele stellen nämlich recht rasch fest: Die Kinder mögen vielleicht ganz hübsch sein, aber sie sind auch rechte Nervensägen, der Ehemann ist auch eine Nervensäge, aber bei genauerer Betrachtung, und dafür ist ja jetzt leider genug Zeit da, nicht einmal hübsch, vor allem nicht im Jogger vorm Fernseher. Jetzt wo er jede Gelegenheit der Welt hätte, ein Buch zu lesen, was angeblich immer sein Traum war, liest er bloß Handy-Nachrichten, wenn zwischen den fünf warmen Mahlzeiten am Tag einmal Quality time dafür ist.

Glaubens-
Bekenntnis

Als Sebastian Kurz noch nicht der Krisen-Kanzler war, da wünschte ihm ein erweiterter Personenkreis viel Quality Time außerhalb der Politik, jetzt kann derselbe erweitere Personenkreis offenbar nicht genug von Krisen-Kanzler kriegen, am liebsten würden sie ihn mit Haut und Haaren fressen. Das wollte der erweiterte Personenkreis zwar vorher auch schon, aber damals war es noch nicht von Liebe getragen wie jetzt. Ich glaube, ich habe das schon einmal erwähnt: Beziehungen sind mitunter sehr komplex und ich füge an wankelmütig obendrein. 

Wie weit das mit dem Krisen-Kanzler schon gediehen ist, kann ich an einem kleinen Beispiel demonstrieren. Der Sohn von „Heute“-Sportreporter Martin Huber, derzeit ebenfalls im Homeoffice, also beide, baute sich gestern vor seinem Papa auf und sagte: „Kurz hat heute verordnet, dass jedes Kind in Österreich jeden Tag ein Eis kriegt. Eltern wissen das nicht, wir Kinder schon“. Wir lernen: Kinder gehen inzwischen davon aus, dass der Kanzler jedem in diesem Land direkt und ohne Umschweife Befehle erteilen kann. Unsere Demokratie ist – kurzfristig? – recht schnell dahingeschmolzen. Moritz ist übrigens erst 5.

Jedenfalls war der Kanzler jetzt ein paar Tage nicht da. Also er war schon da, aber nicht im Fernsehen und in der „Kronen Zeitung“, was gleichbedeutend damit ist, dass er nicht da war. Am ersten Tag fiel das nicht so richtig auf, denn die Medien lebten von dem, was Kurz die Tage davor gesagt hatte, ab dem zweiten Tag wurde das Material dünn. Früher hätte der erweiterte Personenkreis geunkt, das Material sei auch vorher schon nicht dick gewesen, aber das war eben bevor die Liebe über das Land kam.

Am dritten Tag fiel auf, dass etwas fehlte, am stärksten dann aber am vergangenen Freitag. Da trat Christine Aschbacher in der ZiB 2 auf, ihr ist in der aktuellen Regierung das Arbeitsministerium zugeteilt worden. Über das Interview kann ich nicht viel mehr sagen als dass es stattfand, mein Erkenntnisgewinn, wenn sich überhaupt einer einstellte, blieb überschaubar. Es ließ die besorgten Stimmen lauter werden: Wo ist der Kanzler? Ist er Corona-krank? Liegt er daheim schweißgebadet im Bett, die Haare stehen in alle Richtungen und seine Lebenspartnerin versucht, ihn mit Nudelsuppe aufzupäppeln? Die Sonntagszeitungen ließ er interviewlos verstreichen, man muss lange zurückblättern, um das erlebt zu haben.

Überdrüber

Untendrunter

Gestern aber tauchte der Kanzler wieder auf. Er sah nicht grob anders aus als sonst, die Nudelsuppe hatte ihm gutgetan. Gemeinsam mit Vizekanzler Werner Kogler, Gesundheitsminister Rudi Anschober und Innenminister Karl Nehammer gab er eine Mischung aus Pressekonferenz und Neujahrsansprache, denn Kurz begann seine Ausführungen mit „sehr geehrte Damen und Herren, liebe Österreicherinnen und Österreicher“. Er trug dieselbe hellblaue Krawatte zum selben dunkelblauen Anzug zum selben weißen Hemd wie vor seiner gemutmaßten Quality time im Bett, die Hände hielt er häufig wie zum Gebet geschlossen, vielleicht um dem Herrn näher zu sein oder der Herr ihm.

Zu Beginn dankte Kurz „allen Österreicherinnen und Österreichern, ihnen allen“ für ihren „Verzicht, für ihre Entschleunigung, für ihre Anstrengungen in diesen Tagen“. Die Zwangsentschleunigten daheim runzelten vielleicht da zum ersten Mal die Stirn, richtig verwundert waren sie erst, als Kurz seine Ausführung darüber, was demnächst auf uns zukommt, mit den Worten begann: „Viele rufen mich jetzt an oder kontaktieren mich.“ Den Kanzler kann man einfach so anrufen? Dieses Corona bringt die Menschen wirklich einander näher, das aber mit Respektabstand. Werner Kogler stand eineinhalb Meter vom Kanzler entfernt, er trug diesmal ein rosa Hemd, darunter lugte ein Unterleiberl hervor, es könnte auch ein Pyjama gewesen sein, die Regierung kommt ja derzeit kaum zum Schlafen.

Von Harald Schmidt stammt der wunderbare Begriff "Virologisches Quartett“. Der frührere TV-Satiriker, der nun auf dem Traumschiff angeheuert hat, betreibt bei „Spiegel online“ einen Videoblog, dieser ist allerdings hinter einer Bezahlschranke, nicht alles was gut ist, muss gratis sein. Schmidt regte an, die Coronazeit zu nutzen, um ein neues TV-Format zu etablieren, eben das "Virologische Quartett“, in Anlehnung an das legendäre „Literarische Quartett“, die Älteren, heute würde man vielleicht besser sagen die Angehörigen der Corona-Risikogruppe, werden sich daran noch erinnern.

Unser „Virologisches Quartett“, also Kurz, Kogler, Anschober, Nehammer, kündigte gestern vor allem an, dass jetzt getestet wird, was das Zeug hält. Aus profunder Quelle erfuhr ich, dass sich die Regierung, also mehr oder weniger das „Virologische Quartett“, auf den massenhaften Ankauf von Corona-Schnelltests verständigt hat. 1,5 Millionen Stück hat man einmal in Shanghai reservieren lassen, auch in Wuhan, das nicht mehr so viele benötigt, liegen noch Kits herum. Ende April, Anfang Mai könnten die Testungen dann starten, alle Österreicher, also wirklich alle, sollen drankommen. Es gilt, mit einem ersten Test festzustellen, ob Sie eventuell erkrankt sind, mit einem zweiten, ob Sie bereits immunisiert, also nicht mehr ansteckend, sein könnten. Den zweiten Test, er reagiert auf Körpersekrete, kann man sogar daheim machen. Körpersekrete bitte googlen, ehe die Fantasie hier Rösselsprünge macht.

Kein Spital, das ist der ORF

Schöner wohnen ...

... kann sich lohnen

Es beginnt jetzt eine heikle Phase. Draußen ist es oft sonnig, der Frühling springt an, gleichzeitig gibt es bei uns nicht Hunderte Tote am Tag wie in Italien, Spanien oder Frankreich, die Intensivbetten in Österreich sind kaum belegt. Trifft uns die Krise also nur bescheiden? Das könnte ein fataler Trugschluss sein. 

Gestern sprang die Zahl der Erkrankten auf über 5.000, vermutlich ist die Dunkelziffer ziemlich hoch. Mich hat das immer fasziniert und erschreckt gleichzeitig. Es gibt Menschen, die können genau ausrechnen, wann was wie passiert, vor allem auch jetzt in der Corona-Zeit. Also wie viele Menschen müssen bei welcher Zahl von Erkrankten ins Spital, wer braucht ein Intensivbett, wer Beatmung? Das steht mathematisch gesehen alles in einem Verhältnis zueinander. Man wusste also, dass bei 5.000 Infizierten etwa 25 Menschen auf der Intensivstation liegen werden und so war es dann gestern auch.

Die relevante Zahl für Österreich heißt jetzt 24.000. Wenn also 24.000 Menschen im Land erkrankt sind, dann sind so viele Patienten auf Intensivstationen zu betreuen, dass sämtliche Intensivbetten voll sind. Rund 600 stehen derzeit noch frei, aber es kann sehr schnell gehen. Winston Churchill hat die Aufgabe eines Politikers sinngemäß einmal so beschrieben: Er muss erklären können, was in den nächsten Wochen und Monaten passieren wird und wenn die nächsten Wochen und Monate vorbei sind, dann muss er erklären können, warum das nicht eingetreten ist.

Diese Aufgabe kommt in Großbritannien nun wohl Boris Johnson zu, der Churchill über alle Maßen verehrt, sogar eine Biographie über ihn geschrieben hat. Gestern waren die Straßen in London menschenleer, in den U-Bahnen allerdings standen die Menschen dicht an dicht wie Ölsardinen. Der Mensch lernt, aber ist dabei aber nicht so schnell unterwegs wie ein U-Bahnzug.

Kinder, Kinder

In Österreich gibt es während der Corona-Zeit jetzt „Big Brother“ für Intellektuelle. Ich habe gestern bereits erwähnt, dass sich ein ZiB-Team in Isolation begibt, um auch in Krisenzeiten immerwährend sendefähig zu sein. Bilder belegen nun, dass sie es am Küniglberg ernst meinen. Gestern erfolgte der Einzug, Nadja Bernhard packte gerade ihre Sachen, als wir sie erreichten. „Es wird eine interessante Zeit“, sagte sie. Nun dafür hätte sie sich nicht kasernieren lassen müssen, interessante Zeiten erleben wir heraußen auch. 

Bei der Isolierer-Truppe handelt es sich in Wahrheit um das zweite „Virologische Quartett“ in Österreich, denn neben Bernhard, ziehen auch noch Armin Wolf, Tarek Leitner und Margit Laufer ins Camp. Es wäre schön, wenn der ORF die Chance der Verschmelzung von Information und Unterhaltung nützt und auch Backstage-Berichte ausstrahlt, Armin Assinger könnte das kommentieren, da pfeifen die Komantschen. Ich mag da jetzt nicht ins Detail gehen, aber wann hat man schon die Gelegenheit, Tarek Leitner beim Zähneputzen, Nadja Bernhard beim Bemalen ihrer Catsuit-Blusen und Armin Wolf beim Herzeigen seiner Tattoos zu filmen? Eben!

Wem das an Unterhaltung nicht reicht, der kann sich derzeit durch Kinderbilder österreichischer Politiker klicken. Weil in Corona-Zeiten allen langweilig ist, wurde auf Instagram eine Challenge gestartet, man soll Bilder aus seiner Jugend posten, fragen sie mich bitte nicht warum. Jedenfalls beteiligte sich inzwischen auch Bundespräsident Alexander van der Bellen an der Aktion. Er postete ein Schwarzweißbild, das ihn gemeinsam mit seinem Hund im Kaunertal zeigt. Auch der SP-Nationalratsabgeordnete Max Lecher und seine Parteikollegen Andreas Schieder und Evelyn Regner machten mit. Schieder ist im Bild oben links zu sehen, Regner damit wohl rechts, es kann aber auch andersrum sein.

Vielleicht hat Harald Schmidt recht mit dem was er über die Folgen der Corona-Krise sagt: „Es wird nie mehr sein wie es einmal war. Das wollen wir hoffen, denn bevor es so war, wie es nie mehr sein wird, hieß es, es kann so nicht bleiben wie es war“. Stimmt auch wieder.

Ich wünsche einen wunderbaren Mittwoch. Heute ist doch Mittwoch oder?

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