Der Ketchup-Kompromiss
Paradeis statt Paradies: Das Ringen um die Öffnungen.

Ich habe einen Fehler gemacht. Vielleicht war es nicht wirklich ein Fehler, sondern eher eine Unvorsichtigkeit. Ich habe gestern darüber geschrieben, dass ich bei Servus TV eingeladen war. Dort gibt es seit Kurzem eine neue Polit-Talkshow, die „Links.Rechts.Mitte“ heißt, oder „Vorne.Oben.Unten“, oder „Seit-Seit-Schritt“, wie auch immer. Dabei erwähnte ich die übrigen Diskutanten, zwei davon waren extra aus Deutschland angereist, ein Mann, eine Frau, ich nannte sie „Gast“ und „Gästin“. Ich gebe zu, es war eine bewusste Provokation, manchmal kann ich einfach nicht anders. Österreich ist moralisch gesehen ja eher ein volatiles Land, aber was Erregung betrifft ziemlich verlässlich.
Es passierte also, was ich erwartet hatte. Es wurde ziemlich egal, was in der Sendung gesagt worden war, uns hätte die Betondecke auf den Schädel krachen können, es wäre nur am Rande erwähnt worden, in süßlichen Nachrufen etwa. Alle stürzten sich allein auf das Wort „Gästin“, von dem eine ziemliche Bedrohung auszugehen scheint. Es gilt offenbar, ein Einfallstor zu beschützen, zu verteidigen, und zu halten, weil listige Menschen ein Trojanisches Pferd vor dem Dorf platziert haben. Nicht auszudenken, welche Begrifflichkeiten sonst noch so aus dem Bauch des Pferdes schlüpfen könnten, wenn es einmal den Weg hinter die Mauern geschafft hat, etwa Bösewichtin oder Menschin. Man muss auf der Hut sein vor Gästinnen.
Ich wurde also mit allerlei Begriffen bedacht, die nicht gegendert worden waren, ehe sie in die Parallelwelt der dissozialen Medien gekippt wurden. Nun ist dazu zweierlei zu sagen: Sogar der „Duden“ hat jüngst den Begriff „Gästin“ wieder in sein Repertoire aufgenommen. Ich sage bewusst „wieder“, denn als die Verfasser des Nachschlagewerks bemerkten, dass ihre feminine Form des Gastes für Schluckauf bei manchen sorgte, bemühten sie sich um eine Begründung. Und siehe da, das gab es alles schon einmal: „Gästin gehört zu den weiblichen Formen, die – wie auch die Engelin oder die Geistin – bereits im Wörterbuch von Jacob und Wilhelm Grimm aufgeführt und mit zahlreichen Belegstellen unterfüttert wurden. Auf dem Weg vom späten 19. ins 21. Jahrhundert war sie aus der Alltagssprache verschwunden,“ schrieben die Duden und Dudinnen.
Nun stolpere ich selbst über das Wort „Gästin“, ich finde es unhübsch, etwas anbiedernd, bemüht neuzeitlich, ich würde es im Alltag wohl kaum verwenden. Stellen Sie sich vor, sie sagen so etwas laut in einem Wirtshaus. Da müssen Sie schnell eine Runde ausgeben, um am Kartentisch weiter beim Tierquartett mitspielen zu dürfen. Es ist aber nicht so, dass ich mich davor fürchte. Also wenn die Schanigärten jetzt am 27. März aufsperren und eine Gästin kommt ums Eck, dann werde ich mir nicht den nächstbesten Sessel zu Verteidigung schnappen, ich werde mich auch nicht hinter den Tresen werfen oder mit einem Kellner als Kugelfang Richtung Ausgang laufen.
Als sich am Freitag alle von Starmania verzücken ließen und über die eigenwillige Garderobe von Arabella Kiesbauer zu debattieren begannen, schaute ich „Professor Bernhardi“ am anderen Kanal, es war ziemlich großartig. Ich mag ja Schnitzler sehr gern, Herbert Föttinger scheint ein guter Schauspieler zu sein, man sollte einmal probieren, ihm ein Theater zu überantworten. Jedenfalls endet das Stück mit diesen klugen Worten: „Wenn man immer das Richtige tut. Oder sagen wir, wenn wir einmal gleich nach dem Aufstehen anfangen, das Richtige zu tun, und so in einem fort den ganzen Tag immer nur das Richtige, man säße mit Sicherheit noch vor dem Abendmahl im Kriminal.“ Selbst wenn man nur eine Gästin ist, erlaube ich mir anzufügen.
"Ich halte meinen Kopf dafür nicht hin"

Die Regierung will jetzt Gäste und Gästinnen mehr Freiheit zukommen lassen, nicht gleich, aber bald, jedenfalls nicht so unendlich weit entfernt von jetzt, dass man seine Depressionen neu botoxen müsste. Am 27. März sollen die Schanigärten und die Heurigen und die Gastgärten aufsperren dürfen. Ich glaube ja nicht wirklich daran, obwohl ich sonst ein glühender Anhänger des Optimismus bin, der in Österreich als Überlebenstrieb unentbehrlich scheint und der bei Nichtvorhandensein eigentlich in der Apotheke in Flaschen- oder Tablettenform käuflich zu erwerben sein müsste.
Es war gestern knapp nach 18 Uhr, als die Regierung ihre Entscheidung über die geschlossene Öffnung bekanntgab. Die Gruppe, die nunmehr zweiwöchentlich zur Verkündigung antritt, vermehrt sich mittlerweile fast exponentiell, von einem „virologischen Quartett“ kann keine Rede mehr sein. Sieben Kerle standen gestern da (wenn man Kommunikationschef Gerald Fleischmann mitrechnet), das Projekt Emanzipation scheint in Österreich erfolgreich abgeschlossen worden zu sein. Man hat sich bemüht, alles gegeben, für eine Frau in der Riege hat es knapp nicht gereicht, Politik ist halt doch eher ein Männersport. Aber immerhin gab es eine Gebärden-Dolmetscherin, es stand also nicht 7:0 hinter der Plexiglaswand, sondern 7:1, so fair muss man sein.
Ehe sich die glorreichen Sieben zur Pressekonferenz versammeln durften, gab es hinter den Kulissen eine recht intensive Debatte. Es war nicht so weit, dass man sich gegenseitig zum Duell forderte, aber viel hat nicht gefehlt. Nach den Besprechungen mit den Experten und den Oppositionschefs, den üblichen Aufwärmrunden also, begann die Sitzung mit den Landeshauptleuten, sie sollte fünf Stunden dauern, die Pressekonferenz musste zwei Mal jeweils eine Stunde nach hinten verlegt werden. Es gab Gesprächsbedarf, zunächst vor allem über das Impfen, wie mir zugetragen wurde. Sebastian Kurz dürfte vorab Inventur gemacht haben, er überraschte jedenfalls die Runde mit der Nachricht, dass der Lagerbestand im Bund momentan 140.000 Impfdosen betrage. Unglaublich eigentlich: 140.000 Dosen liegen einfach so auf Halde, keiner will sie haben, keiner ruft sie ab.
Das habe Gründe, führten die Vertreter der Bundesländer aus. Fast alle waren wieder persönlich angereist, Günther Platter wurde erneut per Video aus Tirol zugeschaltet, nur mit Hans-Peter Doskozil kommt und kommt keine Verbindung zustande, er ließ sich vertreten. Die Länder beklagten Personalmangel, Testen und Impfen beschäftige denselben Personenkreis. Viel wichtiger aber: Mit AstraZeneca will keiner mehr etwas zu tun haben, der Widerstand auch im medizinischen Bereich wachse. „60 Prozent der Leute, die mit AstraZeneca geimpft werden hätten sollen und eingeladen worden waren, sind nicht gekommen“, sagte der Kärntner Landeshauptmann Peter Kaiser.
Der Impfinator

Die Bundesländer wollen unterschiedlich damit umgehen, einige schlugen Änderungen beim Impfplan vor, andere haben das schon selbst in die Hand genommen, soll noch einer sagen Österreich sei zu wenig divers. Niederösterreich schaltet heute Impftermine für LehrerInnen und Personal von Kindergärten frei, Vorarlberg behandelt Feuerwehrleute nun mit derselben Priorität wie Polizei und Bundesheer. Das wiederum fand Kurz nicht sehr prickelnd. „Der Druck wird sich wieder umkehren, wenn der gesunde 30jährige Feuerwehrler vor dem vorerkrankten 64-Jährigen geimpft wird“, sagte der Kanzler. Tirol macht eine Feldstudie, Probanden (und natürlich Probandinnen) bekommen eine Dosis AstraZeneca verabreicht, danach eine Dosis Pfizer/BioNTech. Man wolle, sagte Landeschef Platter, „auf die nächste Welle im November optimal vorbereitet sein“. Er sagte wirklich November.
Dann wurde Rudolf Anschober zum Partycrasher. Die meisten Bundesländerchefs hatten sich schon für sanfte Öffnungen ausgesprochen. „Die Leute folgen den Regeln nicht mehr,“ sagte Oberösterreichs Landeshauptmann Thomas Stelzer. „Es muss was in Richtung Perspektive passieren“, forderte der steirische Landeshauptmann Hermann Schützenhöfer. Der Gesundheitsminister hielt dagegen. „Wir sind in einer Entwicklung wie im Oktober,“ sagte er, „da ist aus einer scheinbar harmlosen Entwicklung am 23. Oktober so richtig die Post abgegangen“. Nun seien die Spitalszahlen in den letzten sieben Tage „um 14 Prozent nach oben gegangen", „Ende des Monats wären wir mit dieser Dynamik bei 7.000 bis 8.000 Fällen am Tag. Ich will dafür nicht die Verantwortung tragen. Ich bin für Öffnungsschritte im März nicht zu haben, das ist das völlig falsche Signal. Es wird zu einem Drängen in diese Bereiche kommen. Ich werde meinen Kopf nicht dafür hinhalten“.
Michael Ludwig hielt dagegen. Die Einschätzung der Zahlen und Entwicklung teile er, „aber es wird trotzdem noch mehr unkontrollierte und unkontrollierbare private Treffen geben. Die Ankündigung, dass die nächsten zwei Wochen die schwersten zwei Wochen sind, kann ein Gesundheitsminister machen, aber als Landeshauptmann kann ich das nicht teilen. Man muss irgendeine Ankündigung treffen, ansonsten ist die Glaubwürdigkeit in der Bevölkerung noch mehr verspielt.“
Eine Tür geht zu, eine andere auf

Am Ende stand ein klassischer Kompromiss. Keine Öffnung der Gastronomie am 15. März, die Lokale sollen erst mit Beginn der Osterferien Auferstehung feiern. Die Öffnung ist für den 27. März angepeilt, vorerst darf nur im Freien aufgetischt werden, mit Eintrittstests, Abstandregeln und Gästeregistrierung, sicher auch mit einer Sperrstunde. Ehe jetzt die Korken knallen: Am 15. März wird überprüft, ob die Lockerung aufgrund der Zahlen möglich ist, ich bin da wie gesagt sehr skeptisch.
Was relativ fix kommt: Ab 15. März wird wieder normaler Turnunterricht in den Schulen möglich sein, allerdings ebenfalls nur im Freien. Vereine dürfen wieder Jugendtraining anbieten, das hatten vor allem Fußballklubs (und die einschlägig engagierten Väter von Kindern) gefordert. Vorarlberg, das eine 7-Tages-Inzidenz von 72,8 aufweist (Wien hat 186,6), wird zur Testregion. Hier dürfen die Lokale schon am 15. März öffnen. Schauen wir einmal für wie lange.
Und dann war da noch das Ketchup. Mit einem recht plakativen Vergleich versuchte Kanzler Sebastian Kurz Optimismus fürs Impfen zu verbreiten. Das sei so wie bei Ketchup-Flaschen, sagte er. „Da braucht es oft lange, bis was rauskommt, und dann kommt gleich ein ganzer Schwall“. Er weiß wie das ist, er ist auch schon eine Zeitlang in der Politik.
Ich wünsche einen wunderbaren Dienstag. Vielleicht gustieren Sie ein paar Prospekte durch, welches Auto Sie in der Mittagspause am schnellsten nach Vorarlberg und zurück bringt. Der Gesundheitsminister war in der ZiB 2 zu Gast. Auf den Einwand von Armin Wolf, warum Gastgärten öffnen dürfen, Tennisplätze aber nicht, antwortete Rudolf Anschober: „Ja, man stellt sich diese Fragen.“ Kanzler Sebastian Kurz hat längst die Antworten. Er will eine Allianz mit Dänemark und Israel eingehen und in Zukunft Impfstoffe in Österreich selber produzieren, ohne diese lästige EU. AustriaZeneca statt AstraZeneca quasi, jetzt muss er nur noch Anschober als CEO gewinnen.
Alle Fotos: "Heute", Helmut Graf, iStock
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