Die 4 Maskarmoniker

Ein Festakt, ein paar Ärzte ganz nackt und ein Schwindel, den man kaum packt.

Vielleicht werden uns das unsere Enkel einmal fragen: „Opa, wo warst du als die vier Maskarmoniker im Bundeskanzleramt den dritten Satz von Beethovens Streichquartett Nr. 16, op. 135, spielten und das wirklich ziemlich tranquillo?“ Die meisten von uns werden vermutlich antworten „im Home-Office war ich natürlich“. Home-Office, das merken wir mit jedem Tag mehr, ist die liebevolle Umschreibung von bezahltem Hausarrest. In dieser Spezialform des verschärften Kerkers erlebten wir gestern live mit, wie vier Philharmoniker im Kongresssaal des Kanzleramtes den Bogen ansetzten. Alle trugen Masken, obwohl sie gut zwei Babyelefanten voneinander entfernt saßen, es war ein bizarres Bild, wieder so eines, bei dem man sich dachte, die Regierung will uns damit etwas ausrichten. Nur nicht übermütig werden.

Es galt den 75. Jahrestag der Wiedererrichtung der Zweiten Republik zu begehen, an sich ein freudiges Ereignis, aber zum Feiern ist im Moment niemandem zumute. Insofern passte auch die Musikauswahl, aber irgendwie auch wieder nicht. Wer einer Nation, die nach Wochen der Corona-Angst am Boden liegt, montags um 11 Uhr Klänge vorsetzt, die auch einem Begräbnis gut zu Gesicht stünden, der findet, dass es in einem Land wie Österreich einfach zum guten Ton gehört, gelegentlich in Depressionen zu verfallen. Ich meine, es gibt zwischen „Crocodile Rock“, „Es lebe der Zentralfriedhof“ und „Assai lento, cantante e tranquillo“ eine gewisse musikalische Bandbreite, es hätte ja nicht "I am from Austria“ sein müssen. Aber etwas mit mehr Ermunterung hätte gutgetan. Obwohl die vier Maskarmoniker sehr schön gespielt haben, das sei schon auch erwähnt.

Türkis ist das neue Rot

Vielleicht hätte es geholfen, wenn man sich mit den besten Kumpels verabredet hätte wie früher zum Fußballabend. Popcorn, Bier – angesichts der Tageszeit eventuell eher Null Komma Josef – eine bequeme Couch zum Hinfläzen, wirklich anspruchsvoll waren wir noch nie, wenn wir ehrlich sind. Aber das haben wir uns gestern Vormittag nicht getraut, denn zu diesem Zeitpunkt wussten wir ja noch nicht, dass dies erlaubt ist. Das sind schon ziemliche Gummibären da in der Regierung, um es einmal vorsichtig ausdrücken. Wochenlang tut man so als würde umgehend der Sheriff an der Tür klingeln, wenn wir Besuch haben. Jetzt, vier Tage vor Ablauf der Frist, sagt man: Ujegerle, da habe es eine „missverständliche Formulierung“ gegeben, ihr dürft euch eh treffen, wann und wo ihr wollt. Man kommt sich manchmal schon ein bisschen wie ein Depperl vor in diesem Land in diesen Tagen.

Alle Corona-Partys im Privatbereich – waren nie verboten. Die steirischen Manager, die sich um 3 Uhr früh am Pool vergnügten – haben offenbar nichts Illegales getan. Die Oma zu Ostern in die Wohnung einladen – wäre rechtlich kein Problem gewesen. Nicht klug, aber vom Gesetz her sauber. Privat ist eben privat. Die ganzen Blockwarte erlebten gestern einen rabentürkisen Tag. Wochenlang hatten sie jeder Grillerei auf den Nachbarterrassen hinterher spioniert, insgeheim rechneten sie schon mit der Verleihung der Goldenen Unsichtbaren am Band für die Meldung des 100. Ausgangssperren-Crashers und dann erfahren sie so nebenbei, dass für die Behörden wurscht sein muss, wen und wie viele Leute wer zu sich heimholt. Nicht alles, was nicht klug ist, muss verboten sein.

Treuherzig stellte das Gesundheitsministerium gestern „auf APA-Anfrage“ klar, dass „private Treffen trotz der seit Mitte März geltenden Ausgangsbeschränkungen zulässig sind“. Aha! Man sprach von einer „missverständlichen Formulierung auf der Homepage des Ministeriums“, jetzt wurde sie korrigiert. Die Verordnung habe Treffen im privaten Bereich nie untersagt. „Natürlich ist das kein Verbot“, sagte die Sprecherin von Rudolf Anschober über die Anweisungen, die natürlich jeder als Verbot verstanden hatte. Und damit das alles klar ist, schickte der Gesundheitsminister klarerweise ein paar Stunden nach der Klarstellung „auf APA-Anfrage“ noch eine klare Aussendung hinterher und endlich kam darin das Wort vor, auf das wir schon den ganzen Tag gewartet hatten. Jetzt wären Beethoven und die Maskarmoniker richtig gewesen, denn jetzt appellierte Anschober an, Sie erraten es, unsere „Eigenverantwortung“.

Sorry, schaut
komisch aus

Gedenkdienst

Natürlich hätte sich die Regierung hinstellen müssen und sagen: Zusammenkünfte im privaten Bereich sind erlaubt, wir würden sie gern verbieten, aber wir können das nicht. Leider sind uns ein paar Gesetze im Weg, ein paar stehen sogar im Verfassungsrang, aber es würde uns sehr freuen, wenn Sie auch daheim eine Zeitlang auf Treffen in größerer Personenanzahl verzichten könnten, es wäre ein Dienst an der Allgemeinheit und ein Zeichen von Eigenverantwortung. Hat sie aber nicht. Die Regierung hat billigend in Kauf genommen, dass wir das alle falsch verstehen (was selbstverständlich an uns liegt), vielleicht haben sogar ein paar geschmunzelt über uns, weil wir reingetappt sind in die Falle, wir Depperln. Ich hoffe ja inständig, dass keine zweite Corona-Welle kommt, aber wenn müsst ihr Euch einen anderen Schmäh einfallen lassen mit uns.

Die „Eigenverantwortung“ ist jetzt jedenfalls der neue beste Kumpel der Regierung, sie will jetzt alles in seine Hände legen. Die „Eigenverantwortung“ kam natürlich auch in der Rede von Kanzler Sebastian Kurz vor, die er nach den Philharmonikern hielt und die so abrupt an das Konzert anschloss, dass uns daheim fast das Null Koma Josef aus der Hand glitt, so riesig erschien der Kanzler plötzlich daheim im Hausarrest am Schirm und er legte gleich los. Kurz meldete sich aus dem Kreiskyzimmer und ein paar Sozialdemokraten werden sich wohl die Augen gerieben haben. Nanu, schlägt im Resonanzraum des Kanzlers der Herzen gar ein rotes Herz?  

Kurz sprach plötzlich von „sozialer Gerechtigkeit“. Wer hart arbeitet, solle künftig mehr zum Leben haben. Er kündigte einen Bonus für „gesellschaftlich wichtige Berufe“ an, etwa Pflegepersonal oder VerkäuferInnen. Er hob neben den zwei VP-Politikern Leopold Figl und Alois Mock die SPÖ-Legende Bruno Kreisky als besonders verdienstvollen Österreicher hervor. Und er nannte plötzlich nicht allein die „Österreicherinnen und Österreicher“ als Adressaten seiner Ansprache, sondern „alle in Österreicher Lebenden“. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte eine Erbschaftssteuer gefordert, sich das Hemd aufgerissen und mit glühenden Wangen in die Kamera gebrüllt, dass er den Milliardären jetzt das Weiße aus den Augen nehmen wird. Aber so weit kam es nicht, man braucht auch Reserven.

Warum nackt?

Auch die Lehrer hätten gern ein paar Reserven mehr, die Debatte über die Streichung der beiden letzten schulautonomen Tage des Jahres ging gestern munter weiter. Das Ministerium versuchte Dampf aus der Diskussion nehmen, Heinz Faßmann verwies lediglich auf ein Telefonat mit Paul Kimberger, mit dem er die Angelegenheit klären wolle. Der Chef der Lehrergewerkschafter hatte aber nicht nur die Abhaltung der schulautonomen Tage eingefordert (die übrigens für Lehrer genau genommen zwar unterrichtsfrei, aber nicht arbeitsfrei sind), sondern er hatte den gesamten Besiedelungsplan des Ministers für undurchführbar erklärt und da hat er mutmaßlich recht. Man nehme als Beispiel den Schulmief.

„Schulmief“ senke die Leistungsfähigkeit der Schüler, sie würden in schlecht gelüfteten Räumen „förmlich ersticken“, stellte die Ärztekammer schon vor neun Jahren fest, da war von Corona noch nicht die Rede. Er trete „spätestens ab der dritten Unterrichtsstunde“ auf. „Schulmief“, steht in dem Protokoll, „ist eine Mischung unterschiedlicher flüchtiger Stoffe und Geruchssubstanzen, die von den Schülern selbst abgegeben werden“. Das ist soweit richtig und auch seit Generationen nicht anders, ich habe etwa den „Schulmief“ von Hauspatschen, die verpflichtend in der Schule getragen werden mussten, noch heute in der Nase.

Das Problem mit dem „Schulmief“ wird nun aber virulent, denn in dem „Schulmief“ kann jetzt Corona drin sein und deshalb hat das Ministerium im „Hygienehandbuch zu Covid-19“ auf Seite 10 festgelegt: „Nach jeder Unterrichtseinheit soll in den Pausen für eine Dauer von mindestens fünf Minuten gelüftet werden.“ Das geht, geht aber auch wieder nicht. Einige Schulen haben Lüftungsanlagen, da dürfen gar keine Fenster geöffnet werden. Ein paar Bundesländer, aber auch einige Schulen individuell, verbieten das Öffnen der Fenster generell aus Angst Schüler oder Schülerinnen würden hinausfallen oder hinausspringen. Das Ministerium schreibt aber explizit vor: „Was im Handbuch steht, gilt und ist auch umzusetzen“. Das müffelt.

In anderen Bundesländern wiederum ist genau geregelt, welche Fenstergruppen geöffnet werden dürfen. Im Burgenland etwa legt Paragraph 23 der „Schulbau- und Entlüftungsverordnung“ fest: „Zur Lufterneuerung in den Unterrichtsräumen haben in erster Linie die Fenster zu dienen. Eine einfach zu bedienende und schnell wirksam werdende Querentlüftung ist in sämtlichen Räumen vorzusehen. Das erste und das letzte Fenster jedes Unterrichtsraumes ist mit feststellbaren Kippflügeln auszustatten“. Nur der guten Ordnung halber sei erwähnt: Die Lüftungsvorrichtungen dürfen nicht „in die Nähe einer Senkgrube (Düngerstätte) münden.“

Beten geht überall

Das gehört jetzt zwar nicht dazu, aber weil ich es witzig fand: Das burgenländische Landesrecht verfügt auch, dass Schulen nicht an Stellen gebaut werden dürfen, an denen „die Gesundheit oder Sittlichkeit der Schüler gefährdet“ erscheint. Gemeint sind aber nicht Bordelle, auch nicht der Ausblick auf das Landeshauptmannbüro, die Seebühne Mörbisch, einen Hochfrequenzheurigen oder auf Wiener, die versuchen Richtung Neusiedler See einzusickern. Nein, die „Sittlichkeit“ der Schülerinnen und Schüler ist etwa durch die „Nachbarschaft von Friedhöfen, Sümpfen oder Tümpeln“ gefährdet.

Vielleicht kann sich Elisabeth Köstinger des Corona-geschwängerten „Schulmiefs“ annehmen. In ihrem Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus gibt es nämlich einen „Arbeitskreis für Innenraumluft“. Die Schwesterorganisation in Deutschland heißt übrigens „Innenraumlufthygiene-Kommission des Umweltbundesamtes“. Wieder so etwas, das man nicht wissen muss.

Ebenfalls in Deutschland hat ein „gesellschaftlich wichtiger Beruf“ den Kampf um mehr öffentliche Aufmerksamkeit nun selber in die Hand genommen. Den Hausärzten im ganzen Land fehlt es an Masken, Schutzkleidung und Desinfektionsmitteln. Per Petition wollen die Mediziner nun auf ihre Situation aufmerksam machen und ziehen sich deshalb aus. Unter der Adresse blankebedenken.org finden sich immer mehr Bilder von nackten Ärzten mit Stethoskop um den Hals, neben Skeletten stehend oder mit Schildern in der Hand, auf denen etwa steht: „Ich hab gelernt, Wunden zu nähen, warum muss ich jetzt Masken nähen können?“ 

Das kann ich auch nicht beantworten, aber dieses Corona hat schon eine himmlische Kraft. Weil keine Gottesdienste möglich sind, lud die evangelische Pfarrerin Virag Magya nun in Neuhaus (Burgenland) zur Automesse. 120 Gläubige fuhren vor, einer sogar mit dem Traktor, gebetet wurde hinter dem Lenkrad, die Segensworte kamen wie im Autokino über Boxen. Motto: „Fahret hin in Frieden!“

Mögen Sie ebenfalls gut in diesen wunderbaren Dienstag gleiten. Heute erfahren wir, ob wir am 1. Mai freigelassen werden oder doch wieder eingesperrt, vielleicht macht sich die Regierung aber erneut einen Spaß mit uns Depperln. Wir werden sehen. Mehr dazu vielleicht morgen, wenn Sie mögen.

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