Frühstücken mit Kurz

Der Kanzler kochte in Berlin Kaiserschmarrn. Also genau genommen sah er aus einem Meter Entfernung zu. Es war Zucker.

Als ich gestern Vormittag die Wipplingerstraße in der Wiener City entlangfuhr, kam mir Armin Wolf von links vorne entgegen, er stand hochkonzentriert auf einem E-Scooter. Ich weiß, dass schwarze Katzen von links Glück bringen, bei TV-Moderatoren kenne ich die einschlägige Forschung nicht, aber ich werde mein Schicksal die nächsten Tage genau beobachten, was bleibt mir sonst auch übrig. Die ersten Stunden passierte einmal nichts Übles, ich kam bei all dem Sturm gesund in der Redaktion an.

Im Büro hatte ich gleich das erste Mal Glück, es gibt also doch so etwas wie einen positiven Wolf-Effekt, wenn auch nicht jeder Politiker diese Aussage aus einem reinen Herzen heraus unterstützen würde. Jedenfalls, ich stolperte über zwei Videos aus dem gestrigen Sat.1-Frühstücksfernsehen und sah dort mit Freude jemanden, dem ich schon gelegentlich persönlich begegnet bin – Sebastian Kurz. Das Insert verriet mir, dass der Privatsender den Kanzler „unter die Lupe“ nehmen wollte. Ich konnte mir zwar nicht bildlich vorstellen, wie das gehen sollte, denn was könnte man da sehen außer Haare, aber wenn es die Deutschen probieren wollten, auch gut. Sie lassen sich ohnehin recht wenig sagen.

Alles geht vorbei

Die zwei Moderatoren, wie ich später erfuhr Marlene Lufen und Daniel Boschmann, waren vermutlich nicht mit dem E-Scooter in die Arbeit gefahren, aber trotzdem dermaßen gut gelaunt, als wären sie am Weg vom Mainzer Karneval heim falsch abgebogen. Den Besuch aus dem fernen Österreich behandelten sie als Wesen, das nicht ins Studio gekommen, sondern ihnen erschienen war. Bei dem, was jetzt hier vor sich ging, befiel die paar Tausend Mitarbeiter der Message-Control-Abteilung daheim im Keller des Kanzleramtes in Wien akute Jobangst. Wenn schon deutsche Journalisten aus freiem Willen heraus den Chef mit  so dickem Zuckerguss überziehen, was bleibt dann noch Süßes übrig, was man grammen oder posten könnte?

Marlene und Daniel, so nannte sich das Duo in der Show von nun an gegenseitig, bezeichneten den österreichischen Kanzler als „politischen Hoffnungsträger“, man sei aber vor allem daran interessiert, wie Sebastian Kurz „als Mensch“ sei. An dieser Frage sind freilich in Österreich auch schon manche gescheitert. Es folgte ein kurzes Filmchen, Kurz beim Radeln mit Papa Josef, beim Tennisspielen mit Freund Florian, viel in Zeitlupe, PR-Material aus dem ÖVP-Wahlkampf, aber ja mei. Dann schwenkte das Bild auf „seine First Lady“ Susanne Thier, das Paar sei „am Opernball natürlich sofort der Blickfang“. Heuer eher nicht.

Kurz, so ist zu vernehmen, „überlässt nichts dem Zufall“, er hat „das Geschehen immer fest im Blick“, egal ob an der Kletterwand (Foto mit Kletterwand) oder in der Politik (Foto mit Arnie). Dann wird die Musik plötzlich düster, es geht um die Koalition mit der „umstrittenen FPÖ“, aber schnell hellt sich alles wieder auf, die Grünen sind nun der „Blickfang“. Kurz wolle in Zukunft „die wichtige Rolle eines Brückenbauers“ einnehmen, behaupten die Moderatoren, „aber wird er das schaffen?“ Die Frage grenzt an Ketzerei, aber nun ist der Propagandafilm zu Ende, Kurz sitzt auf einer grauen Sitzgarnitur mit einigen bunten Polstern darauf, zwei davon sind sogar in Türkis, der Deutsche plant halt gern. Rechts vorne liegt eine Bulldogge am grauen Teppich, für den „Brückenbauer“ interessiert sie sich Nüsse, jetzt nicht und in Zukunft nicht.

Wie ist die Merkel so?

„Da fragen wir einmal nach“, meldet sich der Daniel von der Bank aus, aber ein Bob Woodward wird in diesem Leben wohl nicht mehr aus ihm, denn er will schlicht wissen: „Wie war es so bei unserer Bundeskanzlerin?“ Kurz könnte jetzt antworten „fad“, oder „das Hendl war zäh“, oder „Trump hat die Haare schöner“, aber nein, er sagt einfach: „Gut war’s“. Merkel sei „mit ganz gutem Humor ausgestattet“. „Ganz guter Humor“ ist vermutlich die Schwester von „bemühter Witz“. Bulldogge Lotte setzt zu einem Grinsen an, ich kann mich aber auch täuschen.

Daniel und Marlene bemühen sich jetzt redlich, Kurz als Wunderkind dazustellen, weil er „schon mit einem Jahr gut sprechen konnte“. Der nette Besuch aus Österreich fühlt sich geschmeichelt, wehrt aber kokett ab. „Überflieger war ich sicher keiner,“ sagt er, „vielleicht hat es meine Eltern damals eher genervt“. Da schau her, im jungen Sebastian steckte schon ein späterer Werner Kogler.

Kurz hasst es, öffentlich über seine Freundin zu sprechen, leider hatte das den Moderatoren vorher niemand gesagt. Mit 18 habe er Susanne Thier kennengelernt, setzen sie den Bohrer an. Es sei schwierig an der Seite eines Politikers, mutmaßt Marlene, weil „Politiker bis spätabends weg und auch nicht immer verlässlich zurück sind, wenn man verabredet ist“. Woher sie weiß, dass „Politiker bis spätabends weg und auch nicht immer verlässlich zurück sind, wenn man verabredet ist“, bleibt unklar, Kurz jedenfalls ist die Tratscherei sichtlich unangenehm, er wolle „Privates weiter privat halten“ sagt er, aber es gäbe Paare, die sich mehr sehen würden, das heiße nicht, „dass das unbedingt besser läuft“. Wieder so eine Anspielung auf die neue Regierung, die Grünen werden sich das nicht mehr lange gefallen lassen.

19 Sekunden vor Ende des Videos bringt er noch „Migration“ unter, Österreich sei hier anderer Meinung als Deutschland. Das war wirklich arschknapp.

Living Next Door to Alice

Dinner for two

Dann kocht er Kaiserschmarrn, also nicht wirklich, er steht einen Meter neben dem Herd, trägt auch keine Kochschürze (auch keine mit dem Aufdruck „I love absolute Mehrheiten“ drauf), sondern einen blauen Anzug und eine blaue Krawatte, die Hände hat er wie zum Gebet gefaltet, so als ob er Angst hätte, dass ihm ein Schneebesen in die Hand fällt und er mitmachen muss bei diesem Schmarrn. Man sieht ihm in diesem zweiten Video an, dass er jetzt lieber überall anders wäre, meinetwegen auch am Kebapstand mit Kickl. „Ist der eigene Job manchmal auch eine Anstrengung?“, fragte Marlene nicht zum ersten Mal, auch Moderatorinnen geht bei Besuchen zuweilen der Gesprächsstoff aus. Kurz findet, reden und Kaiserschmarrn kochen gleichzeitig sei schwierig, leider verrät er nicht, ob kochen und gleichzeitig Schmarrn reden, leichter ist. Marlene streut Staubzucker über den Kaiserschmarrn, es werden so ein bis zwei Kilo alles in allem, sie trägt immer noch ihr knallrotes Minikleid, wie es ja häufig anzutreffen ist an österreichischen Herden.
„Kochen sie manchmal?“, fragt sie Kurz.
„Ganz, ganz selten und nicht sonderlich talentiert“, antwortet der Kanzler, sein Blick fährt über den Tisch mit den verwirrend vielen Zutaten, man kann fast mitlesen. Ah, Eier haben jetzt Schalen, wie praktisch.

Dann kommt die Erlösung. Er darf drei Teller zum Tisch tragen, dort wartet Moderator Daniel, der zum Essen bisher ziemlich genau so viel beigetragen hat wie Kurz. Die Frau zaubert in der Küche, die Männer bereiten sich auf die Esskritik vor. Halbe-halbe, bitte was will man mehr? Diesen sehr intimen Augenblick, die Kerle unter sich, will Daniel für einen „kleinen Männermoment“ nutzen, wie er sagt. Er fragt aber dann nicht, ob der Kanzler schon das letzte Playboy-Bunny im Kreiskyzimmer aufhängen hat lassen, oder wie es so mit der Prostata läuft, sondern was er tue, um „runterzukommen“, der Kanzlerjob sei doch unfassbar anstrengend. 

Kurz erzählt etwas von Sport und dass es mit der Anstrengung gar nicht so arg sei, Bulldogge Lotte findet das auch, sie hat sich seit Beginn des Gesprächs weniger bewegt als der Teppich, auf dem sie liegt. Daniel entdeckt nun, spät aber doch, den Bob Woodward in sich. Er sei auf der Instagramseite von Kurz gewesen, sagt er, Merkel folge nur 63 Accounts, der Kanzler aber 803 Personen, als einziger Hollywood-Schauspielerin Emma Watson. „Schlummert in ihnen so ein kleiner Harry-Potter-Fan?“
„Na, das wäre jetzt übertrieben“, antwortet Kurz und das wäre es tatsächlich, denn er muss eingestehen, kein einziges Potter-Buch gelesen zu haben. Gut, Erwin Pröll ließ es auch beim „Schatz im Silbersee“ bewenden und schaffte es bis ganz nach oben, in Niederösterreich zumindest, da ist ja jeder Silbersee ein Schatz. 

Jetzt kommt der faule Hund ins Spiel, ich meine Lotte, er gehört einem Kameramann, ist um die 13, also etwa so alt wie Kurz, stammt aus Dänemark. „Lotte, komm doch mal ganz kurz“, ruft Daniel. Reaktion null, sie bewegt nicht einmal eine Augenbraue. Gottseidank landet in diesem Moment der Kaiserschmarrn auf dem Tisch, er sieht trocken aus wie Brot, aber die beiden Moderatoren hauen rein als würden sie vom Sender in Sachleistungen entlohnt und nicht in Geld, Kurz isst keinen Bissen. Er lädt vielmehr, wie schon bei Merkel, „Kurzentschlossene“ zum Skiurlaub nach Österreich ein. Ich glaube, er hat irgendwo im Zillertal eine Frühstückspension und noch ein paar Betten frei.

Lift steckt, lustig oder?

Dann ist es für ihn überstanden. Er hat noch einen Marathontag vor sich, aber alles ist leichter als das hier. Er trifft Bundespräsident Frank-Walter-Steinmeier („Danke, dass Du Dir Zeit genommen hast“), CDU-Chefin Annegret Kramp-Karrenbauer („Danke für das gute Gespräch“), Alt-Bundespräsident Joachim Gauck („Es hat mich sehr gefreut“), alles flutscht, nur bei Industriepräsident Dieter Kempf wird der stetige Aufstieg des Kanzlers aus Österreich kurzzeitig gebremst. Der Lift bleibt im Erdgeschoss stecken, mit Kurz und Kempf drin. Manchmal ist das Leben halt echt ein Schmarrn. 

Möge Ihr Schmarrn einer vom Kaiser sein. Haben Sie einen wunderbaren Mittwoch.

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