Geheimcode 4.694

Die wahren Impfzahlen in Österreich und das Theater dahinter. Ein Lehrstück.

Zum Jahreswechsel erleben Visionäre in Österreich seit jeher ihre Sternstunden. Sie blicken wahlweise nach vorne, nach oben oder in sich, der Ertrag fällt häufig ergiebig aus, leider. In der „Krone bunt“, dem Sonntagsmagazin der „Kronen Zeitung“, hielten diesmal gleich zwei Seher Einzug. Auf Seite 31 wurde Sylvia Browne gewürdigt, die Corona schon 2008 vorhergesagt haben soll. In ihrem Buch „End of Days“ prophezeite die Hellseherin für 2020 eine „schwere Krankheit“, die „unsere Lungen und Bronchien angreift.“ Weil sie auch behauptete, das Leiden werde nach einem Winter für zehn Jahre verschwinden und dann wiederkehren, ist das einschlägige Internet momentan in heller Aufruhr. Sprach sie da gar die Impfung an? Wir wissen das nicht, wir haben ja keine.

Browne, die auch schon auf Platz 1 der Bestsellerlisten der „New York Times“ zu finden war, hat eine lange Biographie an falschen Vorhersagen, vor allem in Vermisstenfällen, sie saß im Gefängnis, wurde wegen Betrugs angeklagt. In „End of Days“ behauptete sie, 2020 werde Benedikt der letzte Papst sein, es gäbe keine Aktienmärkte mehr, Krebs und Erkältungskrankheiten wären ausgestorben, Roboter würden bei uns daheim kochen und putzen. Eine Studie untersuchte 115 Prophezeiungen von Browne, mit keiner einzigen lag die Amerikanerin richtig. Sie könnte in Österreich eine steile Karriere machen, das geht aber nicht, denn sie starb, auch für sie wohl überraschend, bereits 2013. In „Larry King Live“ hatte sie ihren Tod mit 88 vorausgesagt, sie schaffte 77 Jahre. Mit dieser Präzision könnte sie gut das Corona-Dashboard des Gesundheitsministeriums managen.

Ein zweiter Visionär fand Platz im Magazin, Sebastian Kurz gab eines seiner raren „Krone“-Interviews. Der Kanzler wurde auch zu Rudolf Anschober gefragt und das recht unverblümt: „Halten Sie ihn für überfordert?“ Kurz hätte jetzt eigentlich antworten müssen: „Mitnichten, das ist ein toller Typ, Experte in allem, kompetent bis zu den Haarwurzeln, vor allem im Bereich Gesundheit, ich würde mir von ihm jederzeit den Wurmfortsatz wegschneiden lassen“. Das tat er aber nicht, vielmehr sagte er: „Das war eine riesige Herausforderung für alle, auch für ihn und das ganze Ministerium. Aber wir arbeiten gut zusammen.“ Ich fasse seine Antwort auf die Frage nach einer etwaigen Überforderung kurz so zusammen: „Ja“.

Auch der Bundespräsident hatte zum Jahreswechsel Visionen. Er forderte einen „Mut zum Träumen“ ein, „jetzt ist die Zeit, in der wir träumen sollten, wie wir unsere Welt verbessern können.“ Anschober wollte Alexander Van der Bellen nicht allein schlafwandeln lassen. „Mein persönlicher Traum wäre es“, sagte er der Austria Presse Agentur, „auf unter 1.000 Fälle pro Tag zu kommen.“ Leider meinte er damit offenbar die Zahl der Geimpften in Österreich, insoferne wurde sein Traum schnell Realität. Recherchen zum Thema legen ohnehin die Vermutung nahe, in Anschobers Ministerium wäre Traumtänzerei und Traumwandlerei eine eigene Sektion. Erstaunlicherweise fällt das öffentliche und mediale Urteil über die Hervorbringungen dieser speziellen Spezial-Abteilung momentan erstaunlich milde aus. Auch hierfür gäbe es eine Kurzzusammenfassung: peinlich.

Zur Erinnerung: Am 27. Dezember wurden in Österreich die ersten Dosen des Impfstoffes von BioNTech/Pfizer verimpft, der Kanzler und der Gesundheitsminister wohnten der Veranstaltung bei, das Angebot an kulturellen Ereignissen ist ja momentan dünn gesät. Offenbar herrschte die Vorstellung, es würde reichen, ein paar Personen zu impfen, der Schutz würde sich, ähnlich wie Corona, über Aerosole verbreiten, man könnte also den Impfstoff weiteratmen und das Land wäre in Kürze virenfrei. Leider funktionierte das nicht so. Das machte aber nichts, denn glücklicherweise kamen die Feiertage und die Tage zwischen den Feiertagen und das ist in Österreich immer schon die Zeit des natürlichen Shutdowns gewesen und so kam es auch diesmal.

Clemens Martin Auer ist als Sonderbeauftragter des Gesundheitsministeriums für das Impf-Management in Österreich verantwortlich. Sein Auftritt gestern im Ö1-Mittagsjournal sorgte für Rätselraten, man wusste nicht genau, ob es von „Wir sind Kaiser“ nun eine Radioversion gibt. Die Zahl der Geimpften kenne er nur bis Silvester, sagte der Leiter der speziellen Spezialeinheit, „alles andere kann ich ihnen aus Aktualitätsgründen nicht sagen“. Was er mit „Aktualitätsgründen“ meinte, konnte nicht geklärt werden, aber diese „Aktualitätsgründe“ müssen schwer wiegen, denn Auer bestätigte, dass „über die Feiertage diese Impfung in den Alten- und Pflegeheimen nicht stattgefunden“ hat. Danach allerdings auch nicht, denn „die Impfdosen, die letzte Woche geliefert wurden und die Impfdosen, die diese Woche geliefert werden, werden ab nächster Woche verimpft“. Dann aber wirklich.

Ich meine, man stelle sich das einmal aus der Sicht der Impfdosen vor. Du liegst im Lager in Belgien, das Reiseangebot ist überwältigend, es kann überallhin in Europa gehen, ans Meer, nach Venedig, Barcelona, an die Algarve, im Kühlschrank hat es minus 70 Grad, da sehnt man sich schon nach etwas Sonne. Dann entscheiden die Chefs, du kommst nach Österreich. Okay, denkst du dir, Mozart, Falco, Lippizzaner, auch nicht schlecht. Und dann landest du im Nirgendwo von Wien, keine Sau interessiert sich für dich, tagelang, Silvester feierst du allein mit den anderen Dosen, ohne Feuerwerk und Bleigießen, wegen der depperten Haushaltsregeln kannst du dir nicht einmal ein paar andere Impfungen in den Kühlschrank einladen und Party machen, nicht den super Maserntypen und die lustige Staupefrau. Nein, da wäre Israel besser gewesen – rein, raus, fertig.

„Wir haben uns dazu entschieden, in allen über 900 Alten- und Pflegeheimen gleichzeitig zu beginnen“, sagte Martin Clemens Auer in Ö1. Ich frage jetzt nicht wer „wir“ ist und ich lasse einmal das Wozu weg, aber wie darf man sich das für den 12. Jänner vorstellen? Mit Trillerpfeife wie ein Badewaschl? Also Anschober trillert um 10 Uhr früh und österreichweit setzen alle die Nadeln an? Oder fährt die Polizei mit Lautsprecherwagen an den Alten- und Pflegeheimen vorbei? Kurz meldet sich via Radioansprache und sagt dann „Prosit Impfung“, zählt vielleicht runter „drei, zwei, eins, Stich“? Den Impfdosen wird es wurscht sein, Hauptsache endlich Action.

Aktualitätsgründer

Was Auer Ö1 sagte, deckte sich mit dem was der Gesundheitsminister in den letzten Tagen gesagt hatte, es deckt sich halt leider nicht mit der Realität. In Österreich seien 6.000 Menschen geimpft, behaupten die beiden. Mit Stand gestern aber waren es erst exakt 4.694. Das war nicht schwer feststellbar, es gibt dafür praktische Hilfsmittel wie Telefon und E-Mail. „Heute“ hat „aus Aktualitätsgründen“ schlicht die zuständigen Stellen in den Bundesländern gefragt, alle haben ihre Impfzahlen innerhalb weniger Stunden schriftlich übermittelt, Hellseherei war nicht nötig. Auch in den Ländern ist die Wut offenbar groß. Die Kärntner Ärztekammer-Präsidentin Petra Preiss sprach von einem „erbärmlichen und jämmerlichen Zustand“.

Dieser „Zustand“ schaut so aus: Österreich hat bisher laut Auer zwischen 100.000 und 110.000 Impfdosen von BioNTech/Pfizer erhalten. Lassen wir einmal die Frage beiseite, warum der oberste Impfkoordinator nicht präzise weiß, wie viele Dosen er erhalten hat, die Schwankungsbreite beträgt immerhin nicht ein paar Fläschchen, sondern 10.000 Dosen. Schlimmer ist, dass offenbar niemand sagen kann, wo die gelieferten Impfdosen sind, in den Ländern kamen sie jedenfalls bisher nur bruchstückhaft an. Bei der Impfshow am 27. Dezember waren noch Helikopter eingesetzt worden, um die pizzakartongroßen Liefermengen zustellen zu können, nun wurden offenbar Weinbergschnecken beauftragt. Die Steiermark, kein Scherz, hat bisher 40 (!) Impfdosen erhalten, das Burgenland 130, Oberösterreich 460. An die Länder (Tirol gab keine Zahl an) wurden bisher gesamt 15.286 Impfdosen verteilt. Zur Erinnerung: Die erste Lieferung traf in Österreich vor zehn Tagen ein.

In Wien (2.040) und Niederösterreich (2.000) wurden bisher läppische Mengen verimpft, aber im Vergleich zu den anderen sind diese beiden Bundesländer die Israels Österreichs. Kärnten wurden 6.400 Dosen geliefert, keine einzige wurde bisher verbraucht. Oberösterreich erhielt 460 Dosen, 40 Menschen wurden geimpft, in der Steiermark ebenfalls, das war aber die gesamte Zustellmenge. Salzburg erhielt 3.996 Impfdosen und schaffte bisher 131 Patienten. Wenn also (Tirol hochgeschätzt) knapp 16.000 Impfdosen an die Länder verteilt wurden, dann lagern derzeit irgendwo fast 100.000 Dosen ungenutzt. Liebe Leute, wir haben eine Pandemie, da sterben Menschen, die Briten-Mutation und die Südafrika-Mutation schauen gefährlich aus, aus dem oft beschworenen Marathon ist längst ein Wettlauf gegen die Zeit geworden, aber wir pausieren bis die Heiligen Drei Könige das Land verlassen haben? Im Ernst?

Noch einmal im Überblick:
Wien: 2.040 erhalten, 2.040 verimpft
Niederösterreich: 2.000 erhalten, 2.000 verimpft
Oberösterreich: 460 erhalten, 40 verimpft
Steiermark: 40 erhalten, 40 verimpft
Burgenland: 130 erhalten, 130 verimpft
Salzburg: 3.996 erhalten, 131 verimpft
Kärnten: 6.400 erhalten, 0 verimpft
Tirol: k.A., 93 verimpft
Vorarlberg: 220 erhalten, 220 verimpft

Wenn wir bei diesem Tempo bleiben, also innerhalb von zehn Tagen, sagen wir einmal, 5.000 Menschen schaffen, dann brauchen wir, um alle 8,9 Millionen Einwohner impfen zu können, nicht ganz 49 Jahre. Wir wären also 2069 fertig. In diesem Jahr wird Kurz vermutlich seine Kandidatur für das Bundespräsidentenamt bekanntgeben, vielleicht auf einer Bühne im Kaufhaus Österreich. Das soll dann recht zügig eine eigene Webseite bekommen.

Operation Lightspeed

Das Impfen ist aber nicht nur in Österreich der reinste Jammer, in Europa läuft es überall schleppend an. Was ein Leuchturmprojekt der EU werden hätte können, deckt nun alle Schwächen der Gemeinschaft schonungslos auf. Die Naivität gegenüber China und den USA, die Trägheit der Mitgliedstaaten im Vergleich zu Ländern wie Israel, die Entscheidungsschwäche, die dafür sorgte, dass viel zu spät Impfstoff bestellt wurde, der Nationalismus, der dafür verantwortlich ist, dass es auch noch zu wenig wurde. Schade, denn in diesem Projekt schlummern mehrere Erfolgsgeschichten, die mitten in Europa spielen, die filmreif sind und die wohl damit enden werden, dass das Nobelpreis-Komitee vor der Entscheidung steht, ob es dem Hauptdarsteller und der Hauptdarstellerin den Friedens- oder den Medizinnobelpreis verleihen soll.

Am 24. Jänner 2020 saßen Uğur Şahin und Özlem Türeci beim Frühstückskaffee in Mainz. Das Paar lebt mit ihrer Teenager-Tochter in einer bescheidenen Wohnung in der Nähe ihres Unternehmens, sie fahren mit dem Fahrrad hin, ein Auto besitzt die Familie nicht. Şahin hatte per Mail einen Artikel aus „The Lancet“ erhalten, der ihn fesselte. In der medizinische Fachzeitschrift las er an diesem Freitag eine Studie über die Ausbreitung eines Virus innerhalb einer Familie, die das chinesische Wuhan besucht hatte. Şahin wusste in diesem Moment: Die Pandemie rauscht an. Von da an sei „an keinem Tag mehr geruht worden“, erzählte Türeci am 16. Dezember in einem Videotelefonat Angela Merkel, das Protokoll ist auf der Webseite des deutschen Kanzleramtes nachzulesen.

Zwei Jahre davor hatte Şahin in Berlin einen Vortrag vor Infektiologen gehalten, berichtet die „New York Times“. Wenn eine Pandemie käme, sagte der schmächte Mann von der Bühne herab, dann wäre sein Unternehmen rasch in der Lage, eine Impfung zu entwickeln. BioNTech kannten zu diesem Zeitpunkt nur Insider, kaum einer konnte die Tragweite dieser Aussage einschätzen.

Am Wochenende nach dem 24. Jänner riefen Uğur Şahin, Vorstandsvorsitzender von BioNtech, und seine Ehefrau Özlem Türeci, Forschungsleiterin des Unternehmens, ihre wichtigsten Mitarbeiter zurück ins Büro, viele davon waren auf dem Weg in den Skiurlaub. Am Montag traf sich der Board in der Firma. Şahin teilte mit, dass die Entwicklung individueller Krebsmedikamente, mit denen BioNTech in ein paar Jahren die Welt neuerlich erstaunen wird, zurückgereiht werde, es gelte nun eine Impfung gegen Covid-19 zu entwickeln. Klinische Versuche dazu würden im April beginnen, da rechne er mit Lockdowns in den USA und Europa, zur Erinnerung, wir sind immer noch im Jänner. Das Projekt bekam den Titel „Lightspeed“, Lichtgeschwindigkeit. 20 Impfstoffkandidaten wurden in den folgenden Wochen getestet, der beste blieb übrig.

Zu diesem Zeitpunkt tat sich bereits Erstaunliches. Am 16. März, am Tag als in Österreich der erste Lockdown begann, gingen der chinesische Pharmakonzern Fosun und BioNTech eine weitreichende Partnerschaft ein. Man vereinbarte gemeinsame klinische Studien, alle Gewinne nach der Marktzulassung in Asien würden geteilt, BioNTech erhielt eine Finanzspritze über 130 Millionen Euro als Vorschuss, die Chinesen beteiligen sich zudem mit 44 Millionen Euro an der Firma, die an der Techno-Börse Nasdaq in New York notiert.

Am 17. März, also nur einen Tag nach den Chinesen, kündigte BioNTech in einem „Letter of Intent“ eine noch weitreichendere Partnerschaft mit dem US-Pharmariesen Pfizer (Jahresumsatz rund 52 Milliarden Dollar) an. Spätestens hier bekommt die Geschichte eine zweite Ebene. Uğur Şahin (heute 55) stammt aus Iskenderun, Südtürkei. Er war vier Jahre alt, als die Familie nach Köln übersiedelte, der Vater begann bei Ford zu arbeiten. Sein Sohn ging nach der Grundschule aufs Kölner Erich Kästner Gymnasium, er war dort das erste Gastarbeiterkind und Klassenbester. Özlem Türeci (53) wurde bereits in Deutschland geboren, ihr Vater war Chirurg und stammte aus Istanbul. Şahin und Türeci lernten sich im letzten Studienjahr kennen, beide wurden Ärzte (er studierte nebenbei Mathematik), beide Krebsspezialisten, ihr Uni-Mentor war der Wiener Hämatologe Christoph Huber. Nach der Trauung ging das Paar ins Labor zurück, Türeci ärgert sich heute, dass sie das vor einiger Zeit ausplauderte. Zu privat.

Aber zurück zur zweiten Ebene: 2018 waren Şahin und Türeci, die beiden Spitzenforscher mit Wurzeln in der Türkei, auf Albert Bourla getroffen, der gelernte Tierarzt hat Wurzeln in Griechenland, nun ist er Vorstandsvorsitzender von Pfizer in den USA. Türkei und Griechenland, als Nationen unversöhnlich, hier stimmt die Chemie, eine Freundschaft beginnt und sie wird zwei Jahre später weltrelevant. „Es war von Anfang an sehr persönlich“ sagte Şahin dem „Spiegel“.

BioNTech mausert sich. Das Unternehmen beschäftigt heute 1.800 Mitarbeiter aus 60 Ländern. 2019 zahlte die Gates Stiftung für Forschungsarbeiten an HIV und Tuberkolose 55 Millionen Dollar ein. 18 Prozent der Firma gehören Şahin, dessen Vermögen auf 4,2 Milliarden Euro angewachsen ist, seine Frau besitzt nur einen kleinen Anteil am Unternehmen, beiden scheint Geld viertrangig. Die größten Aktionäre sind die beiden deutschen Milliardäre Thomas und Andreas Strüngmann, eineiige Zwillinge, jeder der beiden laut Bloomberg-Index 12,2 Milliarden Dollar reich. 2005 hatten sie den Generika-Konzern Hexal (gegründet 1986) für 7,5 Milliarden Dollar an Norvatis verkauft, seither investieren sie ihr Geld mit geschickter Hand in aufstrebende Pharmagründer. 2007 hatte ihnen Şahin seinen Businessplan präsentiert, drei läppische Seiten. Die Zwillinge ließen 150 Millionen Euro springen, heute gehört ihnen rund die Hälfte von BioNTech.

"Das kann Zeit kosten"

Für Europa war alles angerichtet. Mitten im Herz der Union wuchs ein Unternehmen in rasanter Geschwindigkeit heran, das dazu noch in einer Zukunftstechnologie. Man gab Geld, allein Deutschland 375 Millionen Euro an Förderungen, trotzdem fehlte die Vorstellung, die Welt von morgen könnte diesmal nicht wie immer in den USA oder in Asien starten. Europa glaubte nicht an Europa. „Bis vor drei Jahren wurden wir noch gefragt, warum denn ausgerechnet einem Unternehmen aus Mainz etwas Großes gelingen sollte, wenn es doch schon so viele vielversprechende Biotech-Firmen in Boston gibt“, sagte Türeci dem „Spiegel“. Und ihrer Ehemann fügte an: „Wenn hierzulande jemand ein ganz neu entwickeltes Auto präsentiert, und da fehlt die Radkappe, meckern alle nur über die Radkappe, und keiner redet über die Erfindung. In den USA reicht es, nur die Radkappe zu präsentieren, und alle beglückwünschen einen für das in Aussicht gestellte innovative Fahrzeug.“

Und so kam es, dass die Welt kapierte, was vor sich ging, die EU aber nicht. Am 20. Juli 2020 kauften die Briten 30 Millionen Impfdosen von BioNTech, am 22. Juli die Amerikaner 600 Millionen Dosen, am 31. Juli Japan 120 Millionen Dosen, alle deckten sich mit dem Impfstoff ein, sie hatten wohl gute Informationen über die Entwicklung, die hier vor sich ging. Israels Staatschef Benjamin Netanjahu telefonierte häufig mit Pfizer-Chef Bourla, das Land bestellte schließlich 8 Millionen Dosen plus 6 Millionen Dosen vom gleichartigen Impfstoff des US-Konzerns Moderna. Israel hat etwa gleich viele Einwohner wie Österreich.

Die EU wurde spät wach. Erst am 9. September schloss sie mit BioNTech ein „proposed agreement“ über 200 Millionen Dosen plus einer Option auf 100 Millionen mehr. Aber es war keine Bestellung. „Der Prozess in Europa lief sicherlich nicht so schnell und so geradlinig ab wie mit anderen Ländern“, sagte Şahin dem „Spiegel“. „Auch, weil die Europäische Union nicht direkt autorisiert ist, sondern die Staaten ein Mitspracherecht haben. In einer Verhandlungssituation, in der es einer starken Ansage bedarf, kann das Zeit kosten.“ Das tat es auch. Erst am 11. November bestellte die EU schließlich, sie hatte davor auf andere Kandidaten gesetzt, die billiger waren. Wie viel an BioNTech gezahlt werden soll, wird nicht einmal dem EU-Parlament verraten – Geheimsache. Die Länder in Osteuropa sollen darauf gedrängt haben, nicht so viel Geld auszugeben, heißt es. Und Frankreich habe darauf bestanden, dass nicht mehr Impfdosen eingekauft werden als beim französischen Hersteller Sanofi, 300 Millionen. Sanofi aber ist bei der Entwicklung grob im Verzug, erst Ende des Jahres will man zulassungsreif sein.

So stehen wir also da, wo wir gerade stehen. Tut mir leid, das ist heute wieder etwas länger geworden, aber es kommt ja ein Feiertag, da ist vielleicht etwas mehr Zeit da. Ich wollte eigentlich auch etwas über das Freitesten und die Schulen schreiben, aber ich bin sicher, es werden sich noch Gelegenheiten bieten. In beidem steckt noch viel Potential.

Ich wünsche wunderbare Restferientage. Am Sonntag landete ich in einer Nachrichtensendung des bayerischen Fernsehens, das wiederum über das wilde Treiben auf Österreichs Skipisten berichtete. Ein Mann kam zu Wort, ich glaube er stand mitten auf einer Skipiste am Stuhleck. Er hatte einen Skihelm auf und eine Skibrille auf der Stirn. Er trug einen Skianorak und eine Skihose und er hatte die Ski angeschnallt und war bereit loszufahren, den Hang hinunter. Vorher aber sagte er noch: „Ich hätte mir eigentlich einen härteren Lockdown gewünscht.“ Ich finde den Start ins Jahr 2021 humoristisch gar nicht so missglückt.

Fotos:
Anschober, Auer: "Heute", Helmut Graf
Clemens Martin Auer: "Heute", Helmut Graf
Özlem Türeci: DPA, Andreas Arnold
Uğur Şahin: BioNTech/DPA

"Kopfnüsse" abonnieren

* indicates required

Mit Anklicken der Checkbox stimme ich zu, dass die angegebenen Daten und meine IP Adresse zum Zweck der Zusendung der ausgewählten Newsletter per E-Mail verwendet werden. Diese Zustimmung kann jederzeit widerrufen werden. Mehr Informationen finden Sie in unserer Datenschutzerklärung.

We use Mailchimp as our marketing platform. By clicking below to subscribe, you acknowledge that your information will be transferred to Mailchimp for processing. Learn more about Mailchimp's privacy practices here.

Alle bisherigen Blogs finden Sie gesammelt unter dieser Adresse

Bisher erschienen:
Macht endlich!
Aus die Maus
Die Hofer war`s
Am Arsch
Kronprinz Rudolf
Weihnachten mit dem Kanzler
Geschlossene Gesellschaft
Gschamster Diener

Kaisermühlen Blues

Ungeschminkt
Alles bleibt gleich anders

Arschknapp

Mimimi, Momomo

Das Ende der Seitensprünge

Tage der Erleuchtung

Wie meinen?

Wir Hinterwäldler

Wollt Ihr uns verampeln?

Mei Land statt Mailand

Neues vom "gelben Rudi"
"
Mit besten Empfehlungen"
"Sie nehmen mich nicht"

Himmel, Arsch und Zwirn

Die Reblauser

Nicht mit uns!

Fang das Li
cht
Sommernachtsträume

Wachablöse

Und Abflug!

"Fucking Complicated"
Ein billiger Zirkus

Ein kleines Stick Zeitgeschichte

Die Verdichterin

"Oasch", eine Annäherung
Nebelgranaten und Rohrkrepierer
Streng geheim!

Geht man ins Rathaus, kommt man mit einem Rat raus
Hallo, Hase 1
"Abstrakt relevant"

Handschlag-Qualität
"Mega-Wumms"
"Wir spüren die gegenseitige Energie"
Reise ins Ich
Wenn alle Masken fallen
23 Mal lautes Schweigen
Stairway to Heaven
Der Tirologe
Ludership
Reif für die Insel
Ziemlich von der Rolle
Danke, Baby!
Ausgerechnet
Sie dürfen die Braut jetzt (nicht) küssen
Rudimentär
Endlich 100
Tatort Annagasse 8
Auf nach Österreich!
Mit ohne Strom
Kuschel-Pädagogik
Die Leeren aus Ibiza'
Eine Frage der Ehre
"Nein, das machen wir nicht mehr"
Grüne Haxelbeißerei

"Irritierende Bilder"

Österreichs Seele

Die Glaubenskrieger

Apfel muss

Was für eine Aussicht

Post von Mutti

Apps and downs

Ho ho ho
TikTok Taktik

Alles Isidisi

Die 4 Maskarmoniker

"Na, du Küken"

Ätsch Bätsch

Die Herbeischaffung

Tischlein deck dich
Frittösterreich

Rambo VI.

Corona wegflexen

Aussicht auf Sport

Anno Baumarkti

Erst Messe, dann Baumarkt

Ein Bild von einem Kanzler

Meer oder weniger

Bildschön, oder?

Koste es, was es wolle

Neuer Kurzbefehl

In Frühlingshaft

Situation Room

Im Namen der Maske

Die Maskenbildner

Verkehrte Welt

Klobuli Bettman

Das virologische Quartett

Das Leben ist ein Hit

Im Bett mit Kurz
Park mas an!
Unser Retter?
Danke!

Neulich in Balkonien
30 Beobachtungen

Das Ende der Party

Im Teufelskreis

"Happy birthday"

Das Virus und wir

Sternderl schauen

Streicheleinheiten

Ganz große Oper

That's Life

Patsch Handi zam

Rabimmel, rabammel, rabum

Wir sind Virus

Na dann Prost!

Küssen verboten

Unterm Glassturz

Achtung, s´Vogerl!

Olles Woiza, heast oida!

Oblenepp und Stadlerix

Der tut nix

Im Krapfenwaldl

Wohin des Weges?

Es fliegt, es fliegt

Lieber Christian

Ein Leben am Limit

Kurzer Prozess

Hexenjagd am Klo

Ein Land im Fieber

Eine Frage der Ehre

Frühstücken mit Kurz

Von der Lust gepackt

Ein Ball, viele Bälle

Blabla und Wulli Wulli

"Warum steigt's nicht ein?"

"Servas die Buam"

Die Teufelsaustreibung

Romeo und Julia

Strache, "ich war dabei"

Brot und Spiele

It´s my lei lei life!

Der Zug der Zeit

Der Hauch des Todes

... - .-. .- -.-. .... .
Inselbegabungen
 
Big Bang für einen Big Mac

Auf einen Apfelputz beim Minister

Von Brüssel ins Fitness-Studio

"Es ist alles so real"

"No words needed"
 
"So wahr mir Gott helfe"

Jedem Anfang wohnt ein Zauberer inne