Gekaufte Staatsbürgerschaft

Leistung für den Pass, aber wo bleibt das Gehalt für die Leistung?

Doppelt geimpft, endlich! Vor ein paar Tagen wurde mir die zweite Dosis gegen das Coronavirus in den Oberarm gespritzt. Meine Freude darüber habe ich nicht nur mit der Ärztin vor Ort, sondern auch in den sozialen Medien geteilt. Natürlich hagelte es sofort Kritik. Etwas anderes war auch nicht zu erwarten. Böse Kommentare gehören zu Twitter, Instagram & Co. wie die Maske zur Pandemie. Die Entrüstung galt jedoch nicht der Tatsache, dass ich geimpft wurde (Überraschung!), sondern meinem Impf-Foto. Ich hatte dazugeschrieben: „Voll immunisiertes Migrantenkind mit gekaufter Staatsbürgerschaft wünscht einen schönen Sonntag.“

Die SPÖ hatte vor Kurzem den Vorschlag eingebracht, die Hürden für die Staatsbürgerschaft zu senken. Sofern alle weiteren Kriterien erfüllt sind, solle es nach sechs Jahren rechtmäßigem Aufenthalt einen Rechtsanspruch auf die österreichische Staatsbürgerschaft geben. Weiters sollen in Österreich geborene Kinder automatisch die Staatsbürgerschaft erhalten, sofern sich ein Elternteil fünf Jahre lang legal in Österreich aufhält. Und auch die Bundesgebühr von 1.115 Euro, die jeder frisch gebackene Staatsbürger zahlen muss, solle gestrichen werden. Während sich Vize-Kanzler Kogler für den Vorschlag aussprach, erklärte Bundeskanzler Sebastian Kurz auf Facebook: „Die österreichische Staatsbürgerschaft ist ein hohes Gut. Wer sich dafür qualifizieren möchte, muss Wertekurse besuchen, unsere Sprache lernen und nachweisen können, dass er sich integriert hat. Eine Entwertung der Staatsbürgerschaft durch die Einbürgerung nach einer bestimmten Zeit lehne ich daher klar ab!" In einem Statement gegenüber der APA erklärte der Kanzler: „Integration muss durch Leistung erfolgen und die Staatsbürgerschaft muss man sich verdienen.“ Würde man die Vorschläge der SPÖ umsetzen, würden laut ÖVP auf einen Schlag über eine halbe Million Menschen eingebürgert werden. Die Statistik Austria kommt hingegen, laut einem Ö1-Journal-Beitrag, nur auf 100.000.

Dass man sich nur durch Leistung integrieren kann, höre ich, seit ich in Österreich bin. Will man dazugehören, muss man sich in der Schule mehr anstrengen, im Job mehr leisten und darf sich bloß niemals beschweren. „Sei dankbar, dass du in Österreich sein darf“, heißt es meist. Denn immerhin hat mich Österreich aufgenommen, als in meinem Geburtsland ein Krieg tobte. Ich bin auch dankbar. Nur im Gegensatz zu autochthonen Österreicher:innen, sollen Menschen mit Migrationshintergrund ihre Dankbarkeit in Form von Leistung zeigen. Spoiler: Es ist keine Leistung, in Österreich auf die Welt zu kommen. Es ist Zufall. Dennoch wird Kindern, die in Österreich geboren wurden, deren Eltern jedoch keine österreichische Staatsbürgerschaft haben, diese verwehrt.  Die sollen sich die Einbürgerung durch Leistung verdienen.

Nach elf Jahren Staatsbürgerin

Ich selbst habe 2004 die österreichische Staatsbürgerschaft bekommen. Ganz nach dem derzeitigen Empfehlung des Kanzlers, hat sich meine Mutter diese verdient. Ende 2003 hat sie den Antrag eingereicht, knapp ein halbes Jahr später und etwa 5.000 Euro weniger am Konto, haben wir die Staatsbürgerschaft verliehen bekommen. Zu diesem Zeitpunkt lebten wir bereits seit elf Jahren in Österreich. Meine Geschwister wurden in Tirol geboren. Wenn ich meine Mutter frage, was sich für sie geändert hat, seitdem sie die Staatsbürgerschaft hat, sagt sie „alles“. Wir waren nicht mehr die „Fremden“, zumindest am Papier nicht.

"Fremd" ist auch jedes fünfte Kind in Österreich. Obwohl es hier auf die Welt gekommen ist, hat es nicht die österreichische Staatsbürgerschaft. Da hier das Abstammungsprinzip gilt, ist man nur dann Staatsbürger:in, wenn es auch zumindest ein Elternteil ist. Nun heißt es immer wieder, warum werden nicht einfach die Eltern Staatsbürger:innen? Ein Vergleich zwischen 52 Ländern, darunter alle EU- und OECD-Länder, zeigt: fast nirgendwo ist die Staatsbürgerschaft so unerreichbar wie in Österreich. Aktuell ist für Einzelpersonen der Nachweis eines regelmäßigen Einkommens von rund 1.200 Euro netto pro Monat erforderlich. Antragsteller:innen müssen unbescholten sein und „Integrationsnachweise“ erbringen. Dazu zählt neben einem Deutschnachweis auf Niveau B1 auch die positive Absolvierung eines Staatsbürgerschaftstests, bei dem demokratische Grundprinzipien und die Geschichte Österreichs geprüft werden. Ebenfalls erforderlich ist ein rechtmäßiger und ununterbrochener Österreich-Aufenthalt von mindestens zehn Jahren.

Übrigens hat vor Kurzem ein Familienvater aus Salzburg die Staatsbürgerschaft "wegen möglicher Gefährdung anderer" nicht bekommen, weil er in den vergangenen fünf Jahren sieben Strafzettel hatte. Alle Strafen zusammen haben 410 Euro ausgemacht. Alle wurden bezahlt. Die Frau des Betroffenen hat mir erzählt, dass die Strafen auch von ihr verschuldet sein könnten. Doch weil das Auto auf ihren Mann gemeldet ist, hat er sie bekommen. In seiner Familie haben alle die österreichische Staatsbürgerschaft, auch seine Eltern. Er aber muss nun warten, bis die Strafen verjährt sind, um einen neuen Antrag stellen zu können.

Eine weitere Hürde sind die Kosten: Für die Verleihung ist eine Bundesgebühr von 1.115 Euro zu entrichten. Hinzu kommt eine Landesverwaltungsabgabe - je nach Bundesland - in Höhe von bis zu 864,00 Euro. In Wien betragen die Kosten für eine Staatsbürgerschaft pro Person zwischen 1.100 und 1.500 Euro, hinzu kommen noch eine Landesverwaltungsabgabe von 150 Euro und 130 Euro für den Antrag. Für die Deutschprüfung und die Übersetzung und Beglaubigung von Dokumenten kommen nochmal ein paar hundert Euro extra dazu.

Wer backt diese Gehälter?

Bis man die österreichische Staatsbürgerschaft bekommt, muss man also sehr viel leisten. Nur auf die Welt kommen, in die Schule gehen, arbeiten und Steuern zahlen reicht nicht - außer man kommt als Kind von Eltern mit österreichsicher Staatsbürgerschaft auf die Welt. Das reicht als Leistung.

Wenn wir schon beim Thema Leistung sind. Politiker:innen betonen immer wieder gerne, dass sich Leistung lohnen muss. Derzeit wird hitzig über den Fachkräftemangel in Österreich diskutiert. Dabei stehen miese Löhne und schlechte Arbeitszeiten im Vordergrund.

Durch die Pandemie sind Branchen wie Gastronomie und Hotellerie verstärkt zu unsicheren Arbeitsplätzen geworden. Viele haben sich während des Lockdowns beruflich umorientiert. Nun ist wieder alles offen, doch es fehlt an Personal. Im Interview erklärte Doris Felber, Chefin der Bäckerei Felber, dass 90 Prozent der Bewerber:innen gar nicht arbeiten wollen, sondern lieber Arbeitslosengeld beziehen würden. Felber selbst würde sofort fünf, sechs zusätzliche Mitarbeiter:innen anstellen. Bewerbungen bekommt sie aber nur schleppend rein. Auch die Bäckerei Szihn klagt, dass sie seit Monaten kein Personal findet. Für eine Vollzeitstelle als Verkaufs- und Servicemitarbeiter:in bekommt man in den beiden Bäckereien nach dem Kollektivvertrag gezahlt. Das sind zwischen 1.500,76 Euro und 1.572 Euro brutto zuzüglich gesetzlicher Zulagen. Zum Leben bleiben einem nach Abzug der Steuern und ohne Zulagen etwa 1.237,95 Euro. Auf die Frage, warum sich keine Fachkräfte auf solche Jobanzeigen bewerben, könnte eine Antwort lauten: „Leistung muss sich lohnen.“

Ich wünsche Ihnen einen guten Start in das Wochenende. Es wird mit bis zu 35 Grad zum Dahinschmelzen.

Credits: Picturedesk, Helmut Graf