Inselbegabungen
Kogler, Strache, Faßmann, der "Falter" und die "Krone". In Österreich war gestern wieder die Hölle los.

Wundersame Zeiten. Der „Falter“, dem grünen Pfadfinderlager nicht gerade in inniger Feindschaft verbunden, heftete Werner Kogler den Titel „Dolm der Woche“ ans Revers. Nicht weil er das Migrationskapitel im Regierungsprogramm „als Krot schlucken“ musste, die Sicherungshaft nun als eine Art Entschleunigungsmöglichkeit aus dem Alltag sieht, und das Kopftuchverbot kein alter Hut für ihn ist. Nein, sondern weil Kogler bei der Angelobung keine Krawatte trug. „Das Amt des Vizekanzlers erfordert eine gewisse Würde von dem, der es ausfüllt. Einen sichtbaren Respekt, den er der Republik zollt,“ steht da. Im „Falter“.
Das Team des Wochenmagazins hat eben seinen Michael Jeannée gelesen. Das „Krone“-Raubein hatte schon vergangenen Donnerstag Werner Kogler die Fehdekrawatte hingeworfen und gedeutet, was der Grünen-Chef mit seiner Askese eigentlich tatsächlich aussagen wollte: „Ich pfeif auf Erziehung, Respekt, Höflichkeit. Konvention“. Der „Falter“ und die „Krone“ Hand in Hand, dass ich das noch erleben darf. Vielleicht machen die zusammen noch einmal was, ein gemeinsames Magazin etwa, „Sendero Luminoso“ ginge als Titel, oder „BFF“. Heinz-Christian Strache wäre eventuell als Herausgeber zu haben.
Blinkt Strache nun links?

Das ist gar nicht so weit hergeholt. Die FPÖ hetzte ihr Publikum gegen die „erste muslimische Ministerin“ auf, die auch noch dazu „kriminell“ sei. Alma Zadić ist zwar konfessionslos und nicht vorbestraft, aber wen stören schon Details, wenn es um das große Ganze geht. Wem das sauer aufstößt? Ausgerechnet Heinz-Christian Strache, der flugs seiner früheren Partei einen Satz blauer Augen verpasste. „Die Angriffe auf Alma Zadić“, schreibt er auf Twitter wortwörtlich, „sind absolut inakzeptabel und unwürdig. Nicht die Herkunft zählt, sondern die Ideen, welche ein Mensch vertritt“. Wenn so einer nicht Herausgeber von „BFF“ wird, bitte wer denn dann?
Strache würde in seiner neuen Funktion mit Sicherheit „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk bis an den Rand nach links schubsen. Er würde Brandkommentare für die Einführung eines bedingungsloses Grundeinkommens schreiben, Boote (diesmal nicht einmal auf Parteikreditkarte) chartern, die Flüchtlinge aus dem Mittelmeer fischen und auf Twitter bedauern, dass er nicht dabei sein könne bei der heldenhaften Rettung, er werde in der Redaktion gebraucht. Die „rechtsrechte Orban-Regierung unter Kurz“ würde er für ihre Ausländerhetze brandmarken. Die Linksextremen, wenn sie einmal nicht von Brücken herabhängen oder Hörsäle besetzen oder sich unter Polizeiautos werfen, werden ihm zujubeln. Er ist halt wirklich eine Inselbegabung.
Wenn Klenk nicht die ständige Willkommensklatscherei von Strache mit der Zeit auf die Nerven geht, könnte ein Erfolgsgespann daraus werden, zeitlebens freundschaftlich verbunden wie Kurz und Mitterlehner. Vielleicht fahren die beiden zusammen auch mit dem Zug nach Traiskirchen und schrauben ein neues Taferl an der Mauer des Flüchtlingslagers fest, irgendwas mit vielen Gänseblümchen drauf und einem herzigen Text. Die John-Otti-Band könnte spielen und Philippa Grußworte schicken. Nachher gehen sie dann gemeinsam zum Syrer ums Eck einen Happen essen.
Eine Giraffe in der U-Bahn

Für zwei Situationen sind die Wiener Verkehrsbetriebe nicht gerüstet. Wenn Giraffen in die U3 einsteigen, oder Heinz Faßmann. Der neue, alte Unterrichtsminister ist 2,03 Meter groß, seltsamerweise schlägt er sich trotzdem nie den Kopf an, wie er sagt. „Ich bin mit meiner Größe aufgewachsen“. Irgendwo, im Himmel vielleicht, legt irgendwer einen Verteilungsschlüssel für große Leute fest und einige dieser großen Leute rennen dann in Türrahmen, stoßen sich an Verkehrsschildern oder entdecken schmerzhaft, dass über ihnen eine Marmorplatte ist, eventuell nachdem sie sich vorher gebückt hatten. Faßmann passiert das nie, mir immer.
Faßmann stammt aus Düsseldorf, seit 1994 ist er österreichischer Staatsbürger, er hat also Migrationshintergrund. Naheliegend, dass wir mit ihm Ottakring aufsuchten, wo zwar nicht allein Menschen mit deutschem Migrationshintergrund leben sollen, aber wohl auch solche. Mein „Heute“-Kollege Mathias Klein (1,87 Meter) cruiste mit Faßmann in der U3 dann bis in die Herrengasse. Der Minister hat keine Jahreskarte, er wohnt ja in Niederösterreich, den Ticketautomaten bediente er trotzdem versiert. Man erinnere sich: Als er 2017 frisch im Amt war, tippte er, um in sein Ministerbüro zu kommen, fröhlich den geheimen Türcode ein – die Zahlen seines Geburtsdatums, ein Filmteam des ORF stand hinter ihm. Er hält das nun anders.
Es sind heitere Bilder, die jetzt entstehen. Menschenmassen drängen ins Wageninnere, der Minister überragt alle um einen Kopf, er steht da und lächelt versonnen das Lächeln eines Deutschen in Österreich mit Migrationshintergrund. Er könnte jetzt Uli Simmas Essverbot in den Öffis unterlaufen, denn wer schaut schon so weit oben nach, was da passiert. Die anderen Passagiere ahnen, wer da mit ihnen fährt, aber sie schauen weg wie Schüler, die Angst haben, dass sie der Lehrer drannimmt, es könnte bitter enden. Sie klammern sich an den Haltegriffen fest und müssen die Arme weit nach oben strecken, Faßmann hat die Gurte neben seinem Kopf. „Früher habe ich Basketball gespielt“, sagt er. No na.
Von Cäsar bis Faßmann

Die U3 zischt dahin, in das Grummeln hinein plaudert der 64-Jährige über seine Pläne, die Bildungspflicht bis 18, Laptops oder Tablets für alle ab der fünften Schulstufe (steht, glaube ich, seit Cäsar in jedem Regierungsprogramm), die Mittlere Reifeprüfung, die „keine zweite Zentralmatura für alle 14-Jährigen“ sein soll, sondern eine „Kompetenzmessung“. Mit dem Worterfinden hatten sie es immer schon im Bildungsministerium.
Selber war Faßmann ein, sagen wir, bemüher Schüler. „Ich habe einmal auf eine Lateinschularbeit einen Fünfer bekommen“, sagt er. Ein Woodstock an Teenager-Rebellion ist das zwar nicht, aber schade eigentlich, dass Faßmann zu diesem Zeitpunkt Gernot Blümel noch nicht kannte. Der hätte ihm den ACI und den Abl. abs. schon beibringen können. Gemeinsam wären sie dann unter einem Kirschbaum gesessen und hätten Ovid gelesen, Faßmann halt die Asterix-Version.
Ach ja, weil das nun Bedeutsamkeit erlangt: Faßmann trug Krawatte, nicht wie der Kogler Werner, der „Dolm“ aus dem „Falter“. Für den werden die Menschen in der Nacht noch auf die Straßen gehen und wie in „Wag the Dog“ Krawatten auf die Bäume schmeißen. Heinz Faßmann wird sie am nächsten Tag dann alle ohne Leiter herunterklauben, das ist weder Hexerei noch Wissenschaft. Die muss sich ja auch wirklich nicht in alles einmischen.
Einen wunderbaren Donnerstag Ihnen allen.
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Fotos: Helmut Graf, Sabine Hertel, Denise Auer, picturedesk, iStock