Die Herbeischaffung

Kurz weg, Kurz da, rundherum viel Trallala.

Das mit den Babyelefanten müssen wir halt noch ein bisschen üben. Der Nationalrat traf sich gestern zur Aktuellen Stunde und anschließend zu einer Debatte über Corona. Der Plenarsaal war gut besucht, schließlich übertrug der ORF live, aber vielleicht kamen die Politiker einfach auch nur, weil sie die Meinung der anderen brennend interessierte, ich bin glühender Optimist, ein Überlebenstrieb in einem Land wie Österreich. Viele der Abgeordneten trugen Masken, aber nicht das billige Glumpert, das wir oft aufhaben, sondern da hatten sich einige beim Basteln richtig Mühe gegeben. 

Das wollten die anderen wohl aus der Nähe sehen und deshalb stand man in den Gängen eng beieinander, ein Tratscherl auf den Bänken ging sich auch aus, man beugte sich tief zum Gesprächspartner hinunter und wenn es etwas zu bereden gab, dann steckten die Vertreter der Fraktionen die Köpfe eng zusammen. Ich nehme an, die Polizei hat auch im Fernsehen zugeschaut und morgen gehen ein paar Anzeigen und Organmandate in den Parteizentralen ein. Wenn man schon Leuten, die auf einem Parkbankerl weniger als einen Babyelefant voneinander entfernt zusammensitzen, Strafzettel über 500 Euro ausstellt, dann kann ja im Parlament auch nicht alles erlaubt sein oder?

Auch Herbert Kickl, der keine Maske trug, sündigte, trotzdem (oder genau deshalb) wird er nach innen hinein herzlich gelacht haben, nach außen hin passiert das ohnehin selten und wenn dann fällt es nicht herzlich aus. Vor zwei Monaten hatte seine FPÖ eine Kampagne für die Abschaffung der GIS-Gebühr gestartet und jetzt zeigte der ORF den blauen Klubobmann stundenlang live im Fernsehen. Bei der Parlamentsdebatte gestern über die Corona-Maßnahmen der Regierung saß Kickl wie gewohnt in der ersten Reihe, diesmal aber spiegelte er sich fast die ganze Zeit über in der Plexiglasscheibe des Rednerpultes. August Wöginger spricht, Kickl macht sich Notizen. Jörg Leichtfried spricht, Kickl zückt den gelben Leuchtstift. Gerald Loaker spricht, Kickl richtet sich die Brille. Corona, dass muss man schon auch einmal anerkennend sagen, hat zuweilen einen ziemlich subtilen Humor.

Die Neos hatten zur Aktuellen Stunde geladen. Ich kann es kurz machen: Wegen der Reden hätten die 1,2 Millionen Schüler in Österreich nicht schon um 10 Uhr aufstehen müssen. Den Höhepunkt lieferte der ORF-Moderator, der die Hygienemaßnahmen erläuterte. Vor der eigentlichen Debatte wurde die Plexiglasscheibe gereinigt und die Mikroanlage desinfiziert. Der Acrylschutz habe einen Nachteil, sagte Fritz Jungmayr. "Besonders impulsive Redner und Rednerinnen, die die Rednerpultanlage zum Vibrieren bringen (in diesem Moment räusperte er sich heftig), bewirken, dass die Glasscheibe selber vibriert und der Klubobmann der Freiheitlichen, der genau vis-à-vis sitzt, sich da zitternd widerspiegelt". Ich nehme an, dass sich der bibbernde Kickl den Satz mit einem Leuchtstift gelb markiert hat.

Sebastian Kurz redete gleich zweimal, am Beginn der Aktuellen Stunde und vor Beginn der Debatte. Das meiste kannte man schon, neu war die Zuhilfenahme von Insekten, die den Österreicherinnen und Österreichern näherbringen sollten, in welchem Paradies sie eigentlich leben. Es schwang mit, wem sie dieses Paradies zu verdanken hätten, ich denke ich muss das nicht näher ausführen. "In vielen anderen Ländern der Welt fragt man sich“ sagte der Kanzler, „wenn man von einer Gelse gestochen wird, kann das der Beginn einer tödlichen Krankheit sein oder ist es eh nur ein harmloser Gelsenstich?" In Österreich fragt man sich derzeit ganz andere Sachen, aber lassen wir das beiseite.

Achtung,
vibriert

„Es wurde nicht eingeläutet“. Gibt es einen Satz, der mehr nach Österreich klingelt? Im Parlament jedenfalls wurde gestern nicht eingeläutet und das war heikel. Es passierte irgendwann zwischen Sigi Maurer und Sepp Schellhorn: Der Kanzler verließ den Saal. Man muss vielleicht präzisieren: Der Kanzler verließ die Debatte über den Kanzler, also über sich selbst. Es ist schon ein Dilemma: Ist Kurz da, will ihn die Opposition weghaben. Ist er weg, wollen sie ihn dahaben. So dahaben wie gestern wollten sie ihn aber bisher selten dahaben, dabei fiel zunächst gar nicht auf, dass der Kanzler fehlte, obwohl über ihn geredet wurde, in Abwesenheit halt. Aber es wurde eben nicht geläutet.

Spätestens jetzt werden sich viele ärgern, dass sie sich den Thriller, der sich gestern im Parlament abspielte, nicht live angesehen haben. Kanzler Kurz und Vizekanzler Werner Kogler hatten eine „Erklärung“ abgegeben. Dann hörte sich Kurz noch ein paar Reden an, schließlich wurde er der Wortmeldungen überdrüssig, stand nach der Rede von Sigi Maurer auf und ging. Irgendwann wurde es auch Kogler zu viel, er drückte sich noch etwas Desinfektionsmittel auf die Handinnenflächen und dampfte ab. Sieben Redner lang passierte nichts, dann meldete sich Jörg Leichtfried zu Wort, er gab in der Großen Koalition für die SPÖ 2016 und 2017 den Verkehrsminister. „Ich halte es für äußerst ungebührlich“, sagte er, „dass sowohl der Bundeskanzler als auch der Vizekanzler kalt lächelnd diese Sitzung scheinbar verlassen haben“. Dann wurde es kalt lächelnd turbulent.

Die FPÖ-Abgeordnete Dagmar Belakowitsch brachte nämlich einen Antrag auf „Herbeischaffung des Bundeskanzlers“ ein. Eine „Herbeischaffung des Kanzlers“ gibt es zwar nicht, aber irgendwie doch. Tatsächlich steht in Paragraph 18 der Geschäftsordnung: „Der Nationalrat sowie dessen Ausschüsse und deren Unterausschüsse können die Anwesenheit von Mitgliedern der Bundesregierung verlangen“. Und das taten sie auch, es kam also zur Abstimmung, ob man Kurz an den Ohren in den Saal ziehen sollte, bildlich gesprochen natürlich. In Österreich hat sich aber eine liebevolle Tradition entwickelt, nämlich dass Wahlen nicht einfach Wahlen sind, sondern komplexe Vorgänge, die wiederholt werden müssen oder bei denen man zumindest nicht weiß, wer wie abgestimmt hat, von wie gar nicht zu reden.

In Niederösterreich hat man das jetzt grundvernünftiger gelöst. Bei der Landarbeiterkammerwahl fand gar keine Wahl statt, sondern das Ergebnis wurde zwischen ÖVP und SPÖ paktiert, berichtete das Ö1-Mittagsjournal gestern. Norbert „sie werden sich noch wundern, was alles möglich ist“ Hofer ist wirklich ein Prophet, eigentlich sollte er sich im Parlaments-Plexiglas spiegeln und nicht Kickl. 21.000 unselbstständig Erwerbstätige etwa bei den Lagerhäusern – endlich kommen wieder Lagerhäuser in der Kolumne vor – oder den Bundesforsten sind in Niederösterreich bei der Landarbeiterwahl wahlberechtigt. Eigentlich. Aber weil jetzt Corona ist, wurde die Stimmabgabe abgesagt, Schwarz und Rot schnapsten sich die Mandate aus. 34, eines mehr als 2014, gehen an die ÖVP. Die Landeswahlbehörde hat das übrigens abgesegnet, nur falls jemand glaubt, das wäre im Lager des Lagerhauses passiert.

Grüß Gott

Mit Maß und Ziel

Aber zurück ins Parlament. Wegen der Virusgefahr standen und saßen gestern dort Abgeordnete auf der Besuchertribüne. Der Babyelefant, sie erinnern sich. Die Zweite Nationalratspräsidentin Doris Bures startete die Abstimmung darüber, ob der Bundeskanzler „herbeigeschafft“ werden sollte, sie nannte es liebesvoller „herbeigeholt“, auch wenn sie dabei nicht liebevoller aussah. Kogler musste man nicht mehr herbeischaffen oder herbeiholen, er hatte sich schon wieder ins Plenum getrollt und beschäftigte sich, vermummt mit einer grünen Schutzmaske, auf der Regierungsbank mit dem Smartphone. 

Problem: Während die Abstimmung lief, kamen immer mehr Abgeordnete in den Saal – von der Besuchertribüne oder weil sie eilig herbeigeholt wurden, um die „Herbeiholung“ des Kanzlers abstimmungsmäßig zu unterbinden. „Ich hob 43,“ war Bures zu hören, sie meinte wohl die Ja-Stimmen. Wenig später meldete sie sich offiziell zu Wort und bekannte: „Ich habe Schwierigkeiten das Ergebnis festzustellen“.

Da schlug die Stunde von Gust Wöginger und sie schlug nicht nur, sie war so laut zu hören als wäre die Pummerin in den Saal gebracht worden. „Es wurde nicht eingeläutet,“ sagte der ÖVP-Klubobmann so fassungslos als hätte schon wieder jemand die Saliera geklaut. Bures hatte nämlich tatsächlich vergessen, die Glocke neben sich zu betätigen, um auf die Abstimmung aufmerksam zu machen. Ungebimmelt endete das Drama dann so: Die Frage, ob der Herr Bundeskanzler bei der Erklärung des Herrn Bundeskanzlers anwesend sein muss, wurde per Abstimmung so geklärt, dass der Herr Bundeskanzler bei der Erklärung des Bundeskanzlers nicht anwesend sein muss. Angeblich hatte er eine Telefonkonferenz. Vermutlich wurde sie rechtzeitig eingeläutet.

Haarklein

Ich wage mich jetzt auf dünnes Eis. Ich war seit geschätzt 30 Jahren nicht mehr beim Friseur. Die Gründe dafür überlasse ich ihrer Spekulation, aber wenn in den folgenden Zeilen fachlich etwas nicht passt, dann sei mir das bitte nachgesehen, ich weiß es einfach nicht besser. Am 1. Mai machen die Friseure auf, was in Österreich bedeutet, dass sie am 2. Mai aufmachen, auch in der Bewältigung der Krise darf man nicht ins Hudeln verfallen. Ich weiß, dass sich viele Frauen, die es zugeben, und viele Männer, die es nicht zugeben, auf diesen Termin mehr freuen als auf eine Corona-Impfung, ich muss aber um Contenance bitte, denn einfach wird das nicht.

Es ist nämlich so: Beim Friseur gibt es keine Illustrierten mehr, keine „Neue Post“, keine „Frau im Spiegel“, also schon Frauen im Spiegel, aber keine „Frau im Spiegel“. Es darf grundsätzlich nicht viel angegriffen werden im Laden, selbst die Desinfektionsspender werden desinfiziert, nachdem sich jemand damit desinfiziert hat. Kunden und Stylisten müssen Maske tragen, auch das klingt nur auf den ersten Blick simpel. Stoffmasken, die am Hinterkopf festgebunden werden, gehen gar nicht, denn wie soll man da die Haare schneiden, auch die Gummibänder hinter den Ohren werden eine Herausforderung. 

Es dürfen nur mehr Einwegmäntel verwendet werden, zwischen Kunde und Friseur muss im Wartebereich der Ein-Meter-Abstand eingehalten werden, auch zwischen den Friseurstühlen muss ein Babyelefant passen. In Österreichs Salons sind derzeit viele Mitarbeiter mit Maßbändern unterwegs, man versucht sich vorzubereiten so gut es geht. Schriftlich hat man noch keine Vorgaben in der Hand, die sollen nächsten Woche kommen, wenn alles klappt noch vor der Wiedereröffnung, pardon Wiederauferstehung.

Funkenflug

Auch der Kanzler feierte gestern Abend eine Wiederauferstehung, im deutschen Fernsehen nämlich. Dort ist er gerne zu Gast, in ausländischen Medien wird er meistens noch netter behandelt als in inländischen, was gar nicht so einfach ist. Im Unterschied zu CNN muss er in der ARD auch nicht Englisch reden. Kurz war knapp vor Mitternacht bei „Maischberger“ zugeschaltet. Es ging um das „Licht am Ende des Tunnels“, das zwar Rudolf Anschober als Erster gesehen hatte, die eigentliche Entdeckung wird aber nun Kurz zugeschrieben. Und natürlich war „Eigenverantwortung“ ein Thema. Ich verstehe die so: Sechs Wochen lang hat uns die Regierung gesagt, wann wir aufs Klo müssen, jetzt sollen wir uns um den Krempel selber kümmern.

Kurz stand im Kanzleramt wieder vor der Europafahne und der Österreichfahne, die beiden haben in den letzten Wochen auch gut zu tun. Er lobte unsere Disziplin („die Bevölkerung hat immer besser gelernt sich an die Regeln zu halten“), über Ischgl wollte er nicht so gerne reden. Lieber erwähnte er neue Studien, dass München nämlich der Ausgangspunkt des Virus in Europa gewesen sein soll, aber ob das stimme, wisse er nicht und Schuldigen wolle er schon gar keinen nennen, auch nicht Ischgl. 

Im Studio saß mit ARD-Morgenmoderatorin Anna Planken eine Betroffene, die sich in Österreich angesteckt hatte, in Salzburg freilich, nicht in Ischgl, aber auch sie hat offenbar keinen Grant auf uns. Ich denke, die Deutschen werden uns recht schnell wieder liebhaben, umgekehrt könnte es dauern. Einen Funkenflug gab es gestern schon. Kurz wurde eine „Tonalität der seriösen Verantwortlichkeit“ unterstellt, wäre er im Studio gewesen, er hätte alle abgebusselt und ihnen 100-Euro-Gutscheine für einen Österreichurlaub überreicht.

Ach ja: Wie schon via CNN richtete uns der Kanzler nun auch über die ARD ein paar Neuigkeiten aus, der guten Ordnung halber muss man sagen, er frischte auf, was er zuvor im Parlament gesagt hatte. Die Ausgangsbeschränkungen laufen Ende des Monats aus, man wird wieder Freunde treffen und ein „halbwegs normales Familienleben“ führen können. Ab heute dürfen die Österreicher darüber rätseln, was ein „halbwegs normales Familieneben" ist.

Haben Sie einen halbwegs normalen wunderbaren Donnerstag. Morgen erzähle ich dann eine hoffentlich lustige Geschichte über Schutzmasken. Sie sehen, nicht nur Kurz kann Cliffhanger.

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