Kurzer Prozess
Österreich atmet auf. Die Justiz wird zum Reformhaus, badet bald in Geld und endlich weiß man, was Mascherlposten sind.

Der frühere Wiener Bürgermeister Helmut Zilk urlaubte gern auf Hawaii. Häufig flog er über die Weihnachtsfeiertage nach O’ahu und quartierte sich am liebsten im „Halekulani“ ein, einem sehr eleganten Hotel am südlichen Spitzel von Honolulu, direkt am Pazifikstrand mit Blick auf den Diamond Head. In Wien, das er jeweils nur für kurze Zeit hinter sich ließ, gab es nicht selten gute Jobs zu vergeben und weil es sich in der Ruhe und Abgeschiedenheit eines Urlaubsortes am freiesten darüber sprechen lässt, wer sich am besten für diese guten Jobs eignet, nutzte so mancher die Gelegenheit, die Koffer zu packen.
Mediziner etwa, die dem kargen Leben eines Oberarztes entfliehen wollten, flogen also zufällig über die Weihnachtstage nach Hawaii, checkten zufällig im „Halekulani“ ein, liefen zufällig dort Zilk über den Weg, aßen zufällig mit ihm zu Mittag, pritschelten zufällig mit ihm im Hotelpool, schlürften am Abend zufällig mit ihm an der Bar einen „Blue Hawaiian“ und bauten damit zufällig ihre Chancen, in Bälde ein Primariat besetzen zu können, um mehrere Alohas aus.
Ihr Auftritt, bitte

Das ist jetzt ein paar Jahrzehnte her, aber natürlich wird 2020 als das Jahr in die Geschichte eingehen, in dem es den Österreichern wie Schuppen von den Augen fiel: Es werden in diesem wunderbaren Land, geprägt von Natur und Landschaft in Vielfalt und Schönheit, getragen von einer innovativen Wirtschaft, gelegen im Herzen Europas, gerühmt für seine Kunst und Kultur, in diesem besten aus allen Welten also werden tatsächlich Posten politisch besetzt, man glaubt es kaum. Also nicht alle natürlich, die Hälfte vielleicht. Die andere Hälfte wird von Parteien vergeben, von Roten und Schwarzen und manchmal von Blauen und jetzt vermutlich auch von Grünen. „Ach“, würde Loriot an dieser Stelle vielleicht sagen.
Diese Erkenntnis verdanken wir einem puren Zufall, wie es ja überhaupt der Zufall an sich war, der dieses Land groß und stark gemacht hat. Vor ein paar Tagen entdeckte eine Art Indiana Jones nämlich wirklich zufällig auf der Suche nach dem Kristallschädel ein altes Pergamentpapier, es muss so um die 23 Jahre irgendwo gelegen sein, um zu vergilben und verstauben. Aber es gelang Dr. Jones trotzdem einigermaßen zu entziffern, was darauf geschrieben stand, und das war nicht weniger als der perfide Plan für ein Komplott. Die Unterwanderung unserer Justiz durch eine Gruppe roter Ameisen.
Die Entdeckung verblüffte vor allem die schwarzen Ameisen, denn sie fragten sich, wie das gehen sollte, dass man etwas unterwandern könnte, was sie selbst schon unterwandert hatten? Weil sie sich das nicht wirklich erklären konnten, wollten sie ein Medium fragen. Sie verschlossen das Original-Pergament in einem Tresor, nicht ohne vorher ein paar Kopien anzufertigen. Eine dieser Kopien steckten sie in ein Kuvert und schrieben die Adresse des Mediums drauf. Weil sie aber wegen der ganzen Aufregung ein bisschen schusselig waren, verschrieben sie sich und versuchten es noch einmal und noch einmal und noch einmal und endlich waren sie fertig und legten die Sendung für den Ameisenboten zurecht.
Da passierte dann ein Fehler. Denn als der Ameisenbote in der Früh kam, sah er die fertigen Kuverts, nahm sie an sich und schickte alle los an die Medien, er sah nichts Falsches darin. Die Medien lasen das Schriftstück, aber sie konnte sich auch nicht erklären, was es zu bedeuten hatte und deshalb fanden sie es eine gute Idee, ihre Leser zu fragen und verbreiteten es über das Internet und druckten es in ihren Zeitungen ab. Das sorgte für ein heilloses Durcheinander. Aber gottlob gibt es ja mehr schwarze als rote Ameisen und die schwarzen Ameisen stellen deshalb den Chef und der meldete sich zu Wort, in aller Ruhe und Gelassenheit, denn er hatte mit den schwarzen Ameisen in der Justiz, dem Pergamentpapier und dem Hoppala, dass es an vier Medien gleichzeitig geschickt wurde, ja so rein gar nichts zu tun und er berief einen runden Tisch ein, den er generös „Aussprache“ nannte und das Problem war schnell gelöst.
Nur am Rande

Die „Politische Akademie der ÖVP“ im Springer-Schlössl in der Tivoligasse 73, Wien-Meidling, sieht ein bisschen aus wie Hogwarts, wenn es die HTL Villach für Minimundus nachbaut. Sehr dunkles Holz, wenn man durch das Foyer durch ist, öffnet sich ein großer Raum mit einem offenen Kamin auf der einen Seite und einer augenfälligen, riesigen Grünpflanze, die sich hinaufrankt nicht ganz bis an die Decke, jede Minute rechnet man damit, dass Affen Bananen auf die unten Stehenden oder Sitzenden werfen. Von diesem Raum aus führen Türen in weitere Zimmer, manches wirkt fast wie auf einer Theaterbühne. Die Zimmer tragen allesamt Namen von schwarzen Säulenheiligen, es gibt also einen „Leopold Kunschak Saal“ und einen „Leopold Figl Saal“, so steht es außen über den Türen angeschrieben. In dieser Umgebung lässt Kanzler Sebastian Kurz hin und wieder 40 oder 50 Sessel aufstellen und lädt Vertreter von Redaktionen zu „Hintergrundgesprächen“ ein.
Diese „Hintergrundgespräche“ können sehr erhellend sein. Kurz erläutert die Entstehung mancher Entscheidungen, lässt ein bisschen hinter die Kulissen schauen, teilt seine Einschätzung der politischen Gegner und der eigenen Kader, er ist offen, aber auch hier sehr kontrolliert, nichts entkommt ihm, was er nicht sagen will. Nicht jede Geschichte ist stimmig, einiges gerät beim nochmaligen Erzählen anders, nicht jedes Stück passt ineinander, von der zeitlichen Abfolge und vom Inhalt her nicht. Aber das macht nichts, Journalisten kennen das so von Kurz und von anderen. Wer für bare Münze nimmt, was Politiker einem erzählen, steht bald mit leeren Händen da.
Am 20. Jänner fand erneut ein solches „Hintergrundgespräch“ statt, der „Falter“ war nicht dort, hat aber darüber berichtet, was ein journalistischer Grenzfall ist, denn den Anwesenden wird das freiwillige Gelöbnis abgenommen, dass Inhalte nicht weitergetragen werden. An dieses Gelöbnis kann man nicht gebunden sein, wenn man nicht dabei war, der Vertrauensbruch, wenn man einen solchen sehen will, fand also woanders statt. Egal, die Katze ist aus dem Sack, in dieser Form wird es die Hintergrundgespräche nicht mehr geben, das Land wird daran nicht zugrunde gehen.
Ich hatte schon viele vertrauliche Gespräche und Telefonate mit Vertretern aller Parteien. Oft sind diese Termine sehr interessant, sie schärfen die Einschätzung. Natürlich liegt auch eine Gefahr in ihnen. Der Politiker kann seine Sichtweise ausbreiten, er kann Themen seinen „spin“ geben und sich darauf verlassen, nicht zitiert oder in Zusammenhang damit gebracht zu werden. Journalisten machen sich zum Werkzeug, das sollte einem bewusst sein. Andererseits: Man kann mit einem Hammer einen Nagel einschlagen oder mit einem Hammer auf seinen eigenen Nagel einschlagen. Beide Male benutzt man Werkzeug. Es ist kompliziert.
Alles im Griff

Ich war am 20. Jänner in der „Politischen Akademie“ nicht dabei, die Gründe dafür spielen keine Rolle, ich kenne also, was dort gesprochen wurde, nur aus den Medien. Kurz soll jedenfalls auf die Justiz losgegangen sein, die er von der SPÖ unterwandert sieht, in Wirklichkeit kann er nicht verputzen, dass ihm Hartwig Löger als Finanzminister aus der neuen Regierung „geschossen“ wurde, weil er in den Strudel der Casinos-Ermittlungen geriet oder gestoßen wurde, so sieht es der Kanzler wohl eher.
Was folgte, war ein Lehrstück politischer Kommunikation und ich weiß, alle sind momentan sehr aufgeregt und drohen mit Anzeigen und parlamentarischen Anfragen, weil Kurz gestern behauptete, dass Medien direkt Informationen von der Staatsanwaltschaft zugegangen seien, zwei Journalisten hätten ihm das erzählt. „Amtsmissbrauch“, wittert die FPÖ, Kurz soll unter Wahrheitspflicht in einem Verfahren aussagen müssen. Ich will niemanden enttäuschen oder vor den Kopf stoßen, nur: Es wird nicht viel dabei herauskommen. In zwei Monaten wird Kurz der Mann sein, der die Justiz mutig bei den Hörnern gepackt und die heilige Kuh einer doch so dringend nötigen Reform zugeführt hat. Sie meinen, das stimmt gar nicht, das ist kompletter Unfug, das war alles ganz anders? Mag sein. Und? Das Leben steht manchmal nicht unter Wahrheitspflicht.
Tatsächlich war es so: Kurz ärgerte sich wegen Löger über die Justiz, er wollte mehr Zugriff. Medien sollten das Feld aufbereiten, deshalb das Hintergrundgespräch. Dann crashte der „Falter“ die Party, das war einen Moment ärgerlich, aber die Indiskretion spielte dem Kanzler in Wahrheit in die Karten. Plötzlich war die Justiz Thema. Kurz heizte die Debatte an, zog die SPÖ aufs Spielfeld, benannte offenkundige Fehler der Justiz wie die illegalen Hausdurchsuchungen, die Saat war ausgelegt.
Als die Aufregung am größten war, nahm Kurz den Pflug in die Hand. Er berief einen runden Tisch, pardon, eine Aussprache ein, in seinem Wohnzimmer, mit seiner Einladungsliste, er gab den Termin und die Themen vor, er saß am Tischende, er diktierte den Ablauf. Am Ende wurden seine Vorschläge beschlossen, also vielleicht waren es gar nicht seine, aber niemanden kümmerte das. Die Justiz bekommt mehr Geld. Wann? Wieviel? Unklar. Eine Justizreform soll kommen, alles soll schneller (Verfahren), besser (mehr Rechtssicherheit bei Hausdurchsuchungen) werden, vor allem soll nichts mehr durchsickern aus den Akten. Darum geht es eigentlich, so begann der ganze Ärger schließlich.
Mein Haus, meine Regeln

Immerhin: Ich weiß jetzt, was „Mascherlposten“ sind. Karoline Edtstadler besetzte früher einen. Sie wurde 2015 in der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft zur Oberstaatsanwältin ernannt (um besser zu verdienen), arbeitete aber gar nicht dort, sondern wurde dem Justizministerium als Referentin zugeteilt. Offenbar eine gängige Praxis. Ein heutiger Sektionschef im Justizministerium wurde, laut „Standard“, Oberstaatsanwalt ohne einen Tag Gerichtspraxis.
So eine Art Mascherlposten hat jetzt auch Heinz-Christian Strache. Er hat sich am Knie übler weggetan als man vermuten konnte. Kreuzband ab, Meniskus eingerissen, Seitenband gedehnt, er trägt Schiene und geht auf Krücken, in drei Monaten wird entschieden, ob er operiert werden muss. Die Aschermittwochrede am 26. Februar in der Prater Alm wird er eher im Sitzen halten. Vielleicht gibt es für Teilnehmer deshalb auf "Heringsschmaus oder Kasnockerl und zwei Freigetränke" für 20 Euro noch Rabatt.
Mehr Hintergründe kann ich Ihnen heute nicht bieten. Haben Sie vordergründig einen wunderbaren Dienstag.
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