„Liebe Normadressaten“

Österreichs Regierung macht Party und schreibt Briefe. Eine Leseprobe.

Eigentlich fehlte nur mehr eine Geburtstagstorte. Ich stelle mir das etwa so vor: Corona kommt bei der Tür herein, sieht das gute Stück, schlägt die Hände über dem Kopf zusammen und ruft: „Jö, was Ihr Euch wieder für eine Mühe gegeben habt! Das wäre jetzt aber nicht nötig gewesen!“ Der Gesundheitsminister steckt ein Streichholz an, kurz darauf brennen alle Wunderkerzen, die Runde singt „Happy Birthday to you“. Laut, falsch und mit Begeisterung.

Alle Ampelfarben sind gekommen, die gesamte Lockdown-Familie, die harten und die weichen Typen, die 7-Tages-Inzidenz und die Sequenzierungen. Die Reproduktionszahl hat das schickste Kleid aus dem Schrank angezogen, der Babyelefant rüsselt als Erster in der Torte herum. Die Hospitalisierungen konnten leider von der Arbeit nicht weg, sie haben als Vertretung ein paar OP-Masken geschickt. Alles wirkt sehr feierlich, das Virus ist so gerührt, dass es unaufhörlich mutiert.

Am Wochenende beging Österreich ein Jahr Pandemie und ich weiß nicht warum. Es ist nicht so, dass ich mich nicht bemüht habe, aber ich verstehe es einfach nicht. Wir haben jetzt gut ein Jahr nicht viel anderes getan als zurückzuschauen, auf die letzten paar Stunden, auf gestern, die vergangene Woche, die Monate. Der Nutzwert eines erneuten Rückblicks erschließt sich mir nicht, es muss aber so pressiert haben, dass alle eine Woche früher niederkamen. Eigentlich feiert Corona Austria erst am 25. Februar den ersten Geburtstag, da gab es die ersten beiden positiven Tests in Tirol, aber vielleicht wollten ein paar vorglühen, pressekonferenzmäßig, kitzlochartig.

Auch dem Gesundheitsminister ging vorzeitig das Gemüt über, auch in diesem Fall weiß ich nicht warum. Schon im Vorjahr hatte nicht jede Pressekonferenz der Regierung einer Prüfung der Sinnhaftigkeit standgehalten, das wurde 2021 nicht besser. Am vergangenen Freitag lud Verfassungsministerin Karoline Edtstadler Journalisten ins Kanzleramt ein, um über das Thema „Bundesstaatsanwalt“ zu reden. Sie referierte 25 Minuten lang, dann stellte eine APA-Reporterin eine naheliegende Frage: „Mir ist mit Verlaub nicht ganz klar, was der Zweck dieser eilig einberufenen Pressekonferenz ist. Sie haben keinerlei Neuigkeiten gesagt. Worauf wollen sie eigentlich hinaus?“ Knapp vier Stunden vorher hatte Rudolf Anschober seine Pressekonferenz abgehalten, seltsamerweise kam keiner der Anwesenden auf die Idee, sich beim Gesundheitsminister zu erkundigen, worauf er eigentlich hinaus wolle. Es wurde nicht danach gefragt, nicht mit und nicht ohne Verlaub.

Anschober schwelgte 18 Minuten und 32 Sekunden in Erinnerung. Seine Erzählungen wirkte nicht wie in Selbstkritik getränkt, es gab zwei Bewertungskategorien in seiner Geschichte, gelungen oder Schicksal. Also etwas hatte geklappt oder es war unabänderlich, vorbestimmt, Kismet eben. Die Pressekonferenz trug den Titel „1 Jahr Pandemie in Österreich“, es waren wenige Überraschungen dabei, was daran liegen könnte, dass wir dieses „1 Jahr Pandemie in Österreich“ selber miterlebt haben und das hautnah. Wir bekamen also unser eigenes Leben noch einmal erzählt, es war schon in Echtzeit rechtschaffen langweilig.

Impfst Du noch oder lebst Du schon?

Um ehrlich zu sein, ich kann das eigentlich alles nicht mehr hören. Diese Vergangenheitstrunkenheit. Ich hätte jetzt gern einen klaren, profunden Ausblick. Nein, ich meine damit nicht das Erspähen einer Tunnelbeleuchtung Richtung Sommer hin. Kann sich nicht jemand hinstellen und sagen: Das ist bis zu den Ferien sehr wahrscheinlich, das ist möglich, das weiß man nicht? Urlaub ja, nein, vielleicht. Das kann bis Ostern passieren, Szenario 1, 2 oder 3. Beim Impfen haben wir uns in dieser Woche konkret dieses Ziel gesteckt, in der nächsten Woche jenes. Wir vertragen Ehrlichkeit, wir sind ja keine Depperln, man muss uns auch nicht mehr darüber aufklären – Achtung Spoiler – dass es den Osterhasen gar nicht wirklich gibt.

Vielleicht aber sollte besser der Osterhase unser Impfmanagement übernehmen. Stolz kündigte der Gesundheitsminister in der Pressekonferenz an, dass am Wochenende die Maßzahl von 500.000 Geimpften in Österreich überschritten werde, über 200.000 hätten schon beide Impfungen erhalten. In zwei Monaten haben wir es geschafft, 200.000 ÖsterreicherInnen einen vollen Impfschutz zu bieten, darauf sind wir ernsthaft stolz? Das sind gerade einmal rund drei Prozent der Bevölkerung.

Danielle Spera stand neben Anschober und der Direktorin des Jüdischen Museums in Wien war es fast ein bisschen peinlich, von ihrer Tochter zu erzählen. Die 18-Jährige absolviert gerade ein Auslandsjahr in Israel und hat eben ihre zweite Impfung erhalten. Israel impft Maturanten, in Niederösterreich mussten am Wochenende die Terminreservierungen für über 80-Jährige gestoppt werden. Der Impfstoff ist aus. Okay, vielleicht war das mit der Wahrheit doch keine so gute Idee.

In Israel bekommt jeder Besucher von Ikea, der mag, jetzt eine Gratis-Impfung, als Willkommensgeschenk quasi. Es gibt erste Lockerungen nach dem Lockdown, wer geimpft ist oder die Krankheit überstanden hat, erhält einen grünen Pass, mit dem darf er ins Theater, ins Fußballstadion, ins Fitness-Studio oder ins Hotel. Für 3,2 Millionen Menschen beginnt ein neues, altes Leben. Erleichterungen gibt es auch für alle anderen, Einkaufszentren öffnen, die Schulen machen weiter auf, aber alle ohne Immunisierung müssen sich an die Maskenpflicht und die Abstandregeln halten. Wenn Ihr das geschafft habt, liebe Politiker in Österreich, dann, und nur dann, könnt Ihr euch meinetwegen gern wieder zu einer Bilanz-Pressekonferenz versammeln. Bis dahin ziehen wir selber für uns Resümme.

"Fehlerhafte Fakten"

Wussten Sie, was eine „Hinausschrift“ ist? Ich nicht. Natürlich, das Gegenteil von einer „Hineinschrift“, werden Sie jetzt vielleicht sagen, aber ist nicht jedes Schriftstück, das versendet wird, eine „Hinausschrift“ und jedes, das zurückkommt, eine „Hineinschrift?“ Wie auch immer, Ende der vergangenen Woche erhielten alle Landeshauptleute eine „Hinausschrift“ des Gesundheitsministers, genauer gesagt von der Abteilung „Rechtsangelegenheiten, Arzneimittel, Medizinprodukte, Apotheken, Krankenanstalten, übertragbare Krankheiten“. Das Schreiben sorgte bei den Bedachten für gelinde Euphorie.

Das Gesundheitsministerium forderte die Landeshauptleute mehr oder weniger direkt auf, die Maskenpflicht drastisch zu verschärfen. Fortan sollte „beim Betreten stark frequentierter öffentlicher Orte im Freien eine Atemschutzmaske der Schutzklasse FFP2“ getragen werden müssen. Dafür sei „eine konkrete Beschreibung der jeweils betroffenen Bereiche – etwa durch Nennung des Straßennamens und von Hausnummern – erforderlich“ und zwar „um für die Normunterworfenen Rechtssicherheit zu bieten“, heißt es in dem Schreiben. Wieder sehe ich ein Bild vor mir: Menschen, die sich durch die Wiener Innenstadt tasten und sich je nach Hausnummer die FFP2-Maske auf die Nase schnalzen lassen oder sich aus dem Gesicht reißen, verfolgt von einem VW-Bus mit lauter kichernden Polizisten drin.

Statt die Innenstädte zu begrünen, errichten wir nun einen Schilderwald, damit sich die "Normunterworfenen" gut zurechtfinden, so steht es da. „Damit die Normadressaten erkennen können, dass sie sich in einem Bereich aufhalten, indem die FFP2-Maskenpflicht im Freien gilt, ist der Bereich entsprechend deutlich zu kennzeichnen. Mangels Kenntnis der  örtlichen Gegebenheiten können solche Regelungen nur lokal getroffen werden.“ Gemeint ist: Die Landshauptleute sollen sich gefälligst um den Kram kümmern. Bis 5. März müssen sie an eine eigens genannte E-Mail-Adresse des Ministeriums ihre Fortschritte rapportieren. Ich kann mir ausmalen, was die Vorgesetzten der „Normadressaten“ vulgo „Normunterworfenen“ dort alles hinschreiben werden. Oder auch nicht.

"Schen is ned"

Auch der Kanzler schrieb, sogar einen offenen Brief, er erging an die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft. „Gernot Blümel, die ÖVP und ich persönlich“ seien „mit einer Reihe von falschen Vorwürfen konfrontiert worden“, schreibt Sebastian Kurz und führt dann einen Begriff in den Diskurs ein, den ich so noch nicht kannte – „fehlerhafte Fakten“. Ich dachte bisher immer, Fakten würden sich dadurch auszeichnen, dass sie keine Fehler hätten, Fehler wiederum, dass sie keine Fakten wären, aber ich habe mich wohl geirrt.

Die neue Begrifflichkeiten scheinen dem Kanzler gut zu gefallen, denn sie kommen in dem offenen Brief gleich viermal vor und es wird auch nicht mit den Konsequenzen für die Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft und das gesamte Volk hinter dem Berg gehalten. „Fehlerhafte Fakten und unrichtige Annahmen aus Ihren Akten, die an die Öffentlichkeit geraten, sorgen im In-und Ausland nicht nur für einen Reputationsschaden für die betroffenen Personen, sondern führen vor allem im Ausland auch zu einem Reputationsschaden für die Bundesregierung und damit für die gesamte Republik Österreich“.

Er würde die „in den Raum geworfenen Anschuldigungen“ gern im „Rahmen einer Zeugenaussage rasch aufklären“, schreibt Kurz. „Ich stehe Ihnen jederzeit, sieben Tage die Woche, für eine Zeugenaussage zur Verfügung“. Damit die „Zeugenaussage“ nicht allzu lange dauert, teilt der Kanzler im Brief vorab die wesentlichen drei Punkte seiner in Aussicht gestellten Erläuterung mit. Novomatic-Chef Harald Neumann habe er nur im Rahmen größerer Veranstaltungen getroffen. Jedenfalls nicht am 25. September 2015, da sei er bei PULS 4 gewesen, das ließe sich „durch eine einfache Google-Recherche feststellen“. Mit dem Kalendereintrag „Kurz“ sei Novomatic-Aufsichtsrätin Martina Kurz gemeint. Was soll man auch tun in einem Land wie Österreich, in dem alle mehr oder weniger gleich heißen?

Auch Gernot Blümel fühlt sich unschuldig. In der „Presse“ äußerte er sich zu seinen SMS; „Ich würde alles noch einmal so machen“. Diese Digitalisierung ist ja ein Glück. Stellen Sie sich einmal vor, man müsste die politischen Konversationen heutzutage allesamt über Brieftauben abwickeln. Für die Vögel würde sich eine „Miles & More“-Karte jedenfalls auszahlen bei der Vielfliegerei.

Ich wünsche einen wunderbaren Start in die Woche. Ärgern Sie sich nicht über die Maßen, die Menschen sind ohnehin schon alle grantig genug, nicht nur im Supermarkt. Vor einem Jahr hing das Fastentuch von Erwin Wurm schon einmal im Wiener Stephansdom, keinen erregte es. Nun häufen sich negative Kommentare am Facebook-Account von Kardinal Christoph Schönborn. „Verschandelung“. „Der Dom ist kein Kleiderschrank“, sogar die rosarote Pullifarbe sorgt für Aufregung. Die Wut wird noch einmal zu einem größeren Feind für uns als Corona, Sie werden sehen.

Fotos:
Rudolf Anschober: Picturedesk, Helmut Fohringer
Israel: Picturedesk, Gideon Markowicz Xinhua
Sebastian Kurz: Picturedesk, Helmut Fohringer
Fastentuch: "Heute", Denise Auer

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