Ludership
Erster Tag U-Ausschuss,
mehr Mundl geht nicht.

Ich muss vorausschicken, dass ich finde, Tumpen-Habichen ist ein zauberhaftes Wort, wirklich. Lautmalerisch. Man könnte einen Landkrimi dort stattfinden lassen, Nachwuchskräfte der heimischen Volksmusik wie Melissa Nascheweng oder die Mayerin, die Generation Gabalier 2.0 also, könnten bei einem Liederabend die Kohlmeisen vom Kirschbaum singen, auch Sebastian Kurz könnte für einen Besuch anlanden, mittlerweile sind Abstandsregeln ja doch schon so ein bisschen Frühjahr.
Tatsächlich ist Tumpen-Habichen der Name für ein Kraftwerk und ein Reizwort in Tirol. Zwölf Jahre lang wurde es geplant, seit März wird daran gebaut. Umweltschützer haben einiges an dem Vorhaben auszusetzen. Eine einzigartige Flusslandschaft werde verbaut, die Natur dem Geld geopfert, es drohe eine gröbere Gefahr durch Muren und Hochwasser. Die Betreiber sehen das naturgemäß anders, wobei naturgemäß hier vielleicht nicht das richtige Wort ist. Sie haben eine Webseite eingerichtet, auf der ein hübsches Foto zeigt wie das Kraftwerk einmal aussehen soll, sehr schön nämlich, so etwas muss die Natur einmal selber zusammenbringen. Es werden auch „häufig gestellte Fragen“ beantwortet, etwa ob die Kajak-WM nach der Errichtung stattfinden kann. Ich nehme die Antwort vorweg: Sie kann.
Da das Volk aber grundsätzlich undankbar ist, der Kanzler weiß wovon ich rede, fand sich eine Bürgerinitiative zusammen, die flugs 22.800 Unterschriften gegen das Projekt sammelte. Am Innsbrucker Landhausplatz wurde nun die Petition gegen den Weiterbau an Landeshauptmann-Stellvertreter Josef Geisler (ÖVP) und Landeshauptmann-Stellvertreterin Ingrid Felipe (Grüne) übergeben. Man muss wissen, in Tirol gibt es Schwarz-Grün schon länger als im Bund, die Grünen haben etwa gleich viel zu reden, jeder pflegt eben Traditionen auf seine Weise.
Es ist Geisler und Felipe anzusehen, dass sie das Zusammentreffen mit den Umweltschützern nicht in gegenseitige Euphorie erleben und wenn, dann strahlt diese Euphorie eher nach innen aus. Der Landeshauptmann-Stellvertreter steht neben der Landeshauptmann-Stellvertreterin, er stemmt die Hand in den Rücken und lacht, nicht weil er ein heiteres Gemüt ist, sondern weil er sich über die jungen Leute lustig machen will. Zwei Aktivistinnen stehen ihm gegenüber, beide tragen Schutzmasken, eine spricht, Geisler unterbricht sie immer wieder. Sind ja nur Frauen. Was er nicht weiß: Eine Kamera läuft mit und so sieht und hört man folgendes:
Aktivistin: „Die Verschlechterung von Flüssen ist eigentlich laut EU-Gesetzgebung nicht erlaubt, nur mit dem Ausnahmefall des öffentlichen Interesses“.
Geisler unterbricht: „Jetzt müss ma ein bissl, jetzt müss ma ein bissl aufm Boden bleiben, weil…“
Aktivistin: „Entschuldigen Sie bitte, nur kurz ausreden.“
Geisler unterbricht: „Nana, jetzt müss ma a bissl aufm Boden bleiben, weil des Problem jetzt haben wir“.
Aktivistin: „Und das öffentliche Interesse wird de facto gleichgesetzt mit dem Ausbau der Wasserkraft“.
In diesem Moment dreht sich Geisler zu Felipe zu sagt: „Siehst, die lässt mich gar nicht reinreden. Widerwärtiges Luder.“
Die grüne Landeshauptmann-Stellvertreterin hätte nun einschreiten können, ja müssen, aber sie blieb stumm. Ein Landeshauptmannstellvertreter nennt eine Umweltaktivistin ein „Luder“ und eine grüne Spitzenpolitikerin steht daneben, lächelt und schweigt. Wenn irgendwann einmal das Heer der Feministinnen durch Österreich reitet, dann tun die Frauen gut daran, sich eine andere Anführerin zu suchen als Felipe. Sie ärgere sich, sagte sie später, „dass ich die Aussage in dem Moment nicht gehört und damit nicht wahrgenommen habe“. Geisler bedauerte seine „emotionale Entgleisung", will sich entschuldigen, wies aber gleichzeitig auch darauf hin, dass ihm die Aktivistin mehrfach ins Wort gefallen sei. Eine Frau. In Tirol. Die arbeiten derzeit wirklich nachhaltig an ihrem Image.
Aber eigentlich war gestern Ibiza-Tag, er dauerte zwölfeinhalb Stunden lang. „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk und die beiden ehemaligen FPÖ-Spitzen Heinz-Christian Strache und Johann Gudenus waren als Erste in den U-Ausschuss geladen. Große Erkenntnisse brachte der Tag nicht, alles andere hätte mich auch überrascht. Dieses Ibiza entwickelt sich mehr und mehr zu einer Schlüssellochnummer, zuweilen beschlich mich gestern das Gefühl, als würden ein paar Komparsen aus dem Drehbuch eines Franz-Antel-Filmes vorlesen. Es ging um Alkohol und Sex und Korruption, um Promis und ihre Vorlieben, um Spionage, Russen und Oligarchen, man redete, wo es delikat wurde und schwieg, wo es um Delikte ging.
Vorab aber stand man zunächst einmal zusammen. Ich verstehe das ja nicht. Wir hatten die Aufregung um das Kleinwalsertal, die FPÖ-Demo am Heldenplatz, Journalistentrauben vor Heinz Faßmann, die Ho-Fete und dann schieben sich gestern Dutzende Reporter eng an eng in den Raum vor dem Ausschusssaal in der Hofburg, 75 Menschen insgesamt, eine Stunde lang, kein Fenster zu öffnen, eine Tracing-App wäre ihn Ohnmacht gefallen. „Journalisten-Corona-Party“, nannte das Leila Al-Serori, Journalistin der „Süddeutschen Zeitung“. Sie gehörte zum Enthüllungsteam des Ibiza-Videos. „Kleinwalsertal 2“, urteilte Stephanie Krisper von den Neos. Wenn in zwei Wochen ein neuer Corona-Schub unter Journalisten da ist, dann wissen wir wenigstens warum.
"Nichts gehört"

Es blieb nicht der einzige Hotspot gestern. Um 17 Uhr begann am „Platz der Menschenrechte“ in Wien die Demo „Black Lives Matter“. Für 3.000 Menschen war die Veranstaltung konzipiert, 8.000 hatten sich auf Facebook dafür angemeldet, mit 4.000 hatten man gerechnet, schließlich kamen 50.000. Bis in den Abend hinein wurde protestiert und solidarisiert, weil immer mehr Menschen auf den Platz strömten, machte man einen Zug daraus, marschierte Richtung Karsplatz, später in die Kärntner Straße. Die Babyelefanten hatten frei, sie wären auch zertrampelt worden. Keiner hielt Abstand, die Polizei sah zu. Vor ein paar Wochen durfte man nicht auf einer Parkbank nebeneinandersitzen, ohne eine Strafe über 500 Euro zu riskieren, nun scheint alles aufgehoben und erlaubt. Anarchie wie nie.
Österreich muss sich irgendwie entscheiden. Man kann nicht Kinos vorschreiben, jeden zweiten Sessel freihalten zu müssen, Schauspielerin Kussszenen verbieten, für die U-Bahn eine Maskenpflicht erlassen, Umarmungen in der Öffentlichkeit unter Strafe stellen, Supermarkt-Kunden Mundschutz aufzwingen, Lokalbesuchern ebenso. Aktuell sind auf Veranstaltungen auch outdoor nur höchstens 250 Personen erlaubt, gestern waren 50.000 da. Dann machen wir doch Schluss mit dem Plunder. Hauen wir die Masken in den Müll, schreddern wir die Plexiglasscheiben, lassen wir die Fußballfans in die Stadien und die Rockfeste wiederauferstehen. Wenn es wurscht ist, dann ist es überall gleich wurscht.
Damit mich keiner falsch versteht, ich halte die Anliegen von „Black Lives Matter“ für richtig und wichtig. Natürlich muss man gegen rassistische Polizeigewalt in den USA aufstehen. Na selbstverständlich gibt es in Österreich Alltagsrassismus und das in allen Formen, oft ist er nicht leicht zu erkennen, für die Betroffenen freilich schon. Es ist sinnvoll und nötig, dass dafür eingestanden und demonstriert wird, aber leider unterscheidet Corona, soweit ich das Virus kenne, nicht, ob Versammlungen gut, gut gemeint oder nur dafür gut sind, um unterbleiben zu können. Wenn wir also in zwei Wochen einen Anstieg bei den Erkrankungszahlen haben, dann können wir würfeln: War der Ibiza-Ausschuss der Herd oder doch die Donnerstag-Demo?
"Red Bull, zuckerfrei"

Auch das ist Österreich: Ein U-Ausschuss trifft sich, um über ein Video zu reden, das keiner der Beteiligten kennt, sondern nur ein paar Futzel davon. Es liegt in seiner Komplettheit, inklusive Bonusmaterial, wohl einer Behörde vor, dem Bundeskriminalamt nämlich, das sich in Rufweite des Verhandlungslokales befindet, und diese Behörde hat das Video wohl schon seit ein paar Wochen, aber es schafft den Weg nicht her in die Hofburg und deshalb muss man einen Journalisten dazubitten, damit der erzählt, was auf dem Video drauf ist, um danach Politiker befragen zu können, die das Video auch nicht kennen, aber zumindest an der Erstellung beteiligt waren, wenn auch unbewusst. Das ergibt seltsame Situationen. Florian Klenk, der sich den Film in München anschauen konnte, gibt nach seiner Befragung eine Pressekonferenz, ein Reporter, der hinter den Mikrofonen steht und den Reportern vor den Mikrofonen die Welt erklärt. Bei der Befragung selbst sagte er: „Alles was ich weiß, schreibe ich in der Zeitung. Alles andere sage ich nicht“. Der Ausschuss wird es nicht leicht haben.
Wir erfuhren trotzdem einiges, das meiste passte besser in Klatschspalten. Dass in der Finca auf Ibiza „immer wieder“ eine „Hausmeisterstimmung“ geherrscht habe „da wurde nur geraucht, getrunken und nägelgebissen“, gegen Ende hin sei die „Runde ein bissl angetschechert gewesen“. Das Video sei eine Mischung aus „Kottan ermittelt“, Edmund Sackbauer und „Pulp fiction“. Von Drogen, außer Alkohol und Nikotin, wisse er nichts, sagte Klenk, aber „zuckerfreies Red Bull“ sei konsumiert worden. Als sich FPÖ-Fraktionsführer Christian Hafenecker über ausschweifende Antworten beschwert – wir hätten ihn vorwarnen können – kontert der „Falter“-Chef: „Dann müssen Sie mich was Spannendes fragen, wenn Ihnen fad ist“.
Zuweilen nähert sich die Dramaturgie des Dargebotenen an einen Thomas Bernhard-Abend im Burgtheater an. Kai Jan Krainer (SPÖ) will Klenk befragen. Der bittet ihn, doch näher an das Mikro heranzurücken, hinter der Glaswand sei es „wie in einem Quargelsturz“. Krainer erwidert, auf seiner Seite sei es genauso, nur umgekehrt. „Die Frage ist nur, wer ist der Quargel?" antwortet Klenk. „Diese Frage kann nur der Vorsitzende beantworten“, kontert Krainer.
Sobotka verzieht keine Miene.
Ziemlich voll

Noch voller

Nach drei Stunden ist Klenk entlassen, es wird zehn Minuten gelüftet, dann ist Heinz-Christian Strache dran und die nächste Staffel der Soap-Opera beginnt. Der Ex-Vizekanzler legt gleich zu Beginn die Latte tief. Er halte einen U-Ausschuss für „sinnvoll, „der heutige Zeitpunkt seiner Befragung“ sei aber „ungünstig“, es bestehe die Gefahr, dass „laufende gerichtliche Ermittlungen torpediert und behindert“ werden, Vorwürfe gegen ihn seien „überwiegend anonym erhoben worden“, es fehle „volle Akteneinsicht“. Also: „Ohne dass ich Einsicht in das Gesamtvideo habe, werde ich kaum Fragen beantworten". Das meiste liest er von einem Zettel ab, er hat viel mit einem Leuchtstift markiert.
Was folgt ist meist Schweigen, also nicht direkt Schweigen, Strache sagt schon was, meistens, dass er nichts sagen will. Nichts zum „Institut für Sicherheitspolitik“. Nichts zum Postenschacher rund um die Casinos. Nichts zum Verein „Austria in Motion“. Nichts zur Bestellung von Peter Sidlo. Nichts zu den Glücksspiel-Reformen. Nichts zur BKA-WhatsApp-Gruppe. Nichts zu den Spenden von Klinikbetreiber Walter Grubmüller. Nichts zu den Treffen mit René Benko. Und was bespricht man mit einem Herrn Benko?", will einer der Ausschuss-Teilnehmer wissen. „Alles Mögliche. Auch Privates, was Sie nichts angeht."
Und so fließt es dahin, gesprochen wird über Benkos Boot, Hubschrauber-Flüge in Maschinen von Waffenproduzent Gaston Glock, einen Kalendereintrag „Treffen mit Heidi“. „Nein“, sagt Strache“, damit sei nicht Milliardärin Heid Horten gemeint, sondern seine Tochter. Gegen Ende hin nimmt er auf Klenk Bezug. „Ein Sackbauer geht nicht unter“. Mehr Mundl geht nicht.
Es hat klick gemacht

Der Report über die anschließende Befragung von Johann Gudenus kann kurz gehalten werden. Gegen ihn war Strache eine Plaudertasche. Der Ex-FP-Klubchef will sich nicht fotografieren lassen, verbietet einen Kameraschwenk im Ausschusslokal. Dann entschlägt er sich immer wieder, so häufig, dass schließlich Wolfgang Sobotka der Geduldsfaden reißt, er unterbricht die Sitzung, es ändert wenig. „Eines kann ich ausschließen“, sagt Gudenus zu seinen Kontakten zur Oligarchennichte. „Wir haben weder horizontal noch vertikal verhandelt“. Damit fand die Seifenoper am Abend einen würdigen Abschluss.
Heute geht es weiter mit der Sause im Parlament. Verbringen Sie ein wunderbares Wochenende. Ich darf Ihnen noch die aktuelle Wien-Umfrage aus der „Heute“-Printausgabe ans Herz legen. Wären Sonntag Wahlen, käme die FPÖ in Wien nur mehr auf acht Prozent, Strache auf fünf Prozent. Die SPÖ zieht auf 38 Prozent davon, die ÖVP verdreifacht sich fast auf 25 Prozent, die Grünen schwächeln leicht im Vergleich zur letzten Umfrage, mehr als bei der letzten Wahl haben sie allemal. Ich würde jetzt wahnsinnig gerne schreiben, was für ein Krimi und Thriller das noch wird bis zum 11. Oktober, blöderweise glaube ich das nicht. Sooo rasend viel wird sich nicht mehr ändern. Bis Montag, wenn sie mögen.
Alle bisherigen Blogs finden Sie gesammelt unter dieser Adresse
Bisher erschienen:
Reif für die Insel
Ziemlich von der Rolle
Danke, Baby!
Ausgerechnet
Sie dürfen die Braut jetzt (nicht) küssen
Rudimentär
Endlich 100
Tatort Annagasse 8
Auf nach Österreich!
Mit ohne Strom
Kuschel-Pädagogik
Die Leeren aus Ibiza
Eine Frage der Ehre
"Nein, das machen wir nicht mehr"
Grüne Haxelbeißerei
"Irritierende Bilder"
Österreichs Seele
Die Glaubenskrieger
Apfel muss
Was für eine Aussicht
Post von Mutti
Apps and downs
Ho ho ho
TikTok Taktik
Alles Isidisi
Die 4 Maskarmoniker
"Na, du Küken"
Ätsch Bätsch
Die Herbeischaffung
Tischlein deck dich
Frittösterreich
Rambo VI.
Corona wegflexen
Aussicht auf Sport
Anno Baumarkti
Erst Messe, dann Baumarkt
Ein Bild von einem Kanzler
Meer oder weniger
Bildschön, oder?
Koste es, was es wolle
Neuer Kurzbefehl
In Frühlingshaft
Situation Room
Im Namen der Maske
Die Maskenbildner
Verkehrte Welt
Klobuli Bettman
Das virologische Quartett
Das Leben ist ein Hit
Im Bett mit Kurz
Park mas an!
Unser Retter?
Danke!
Neulich in Balkonien
30 Beobachtungen
Das Ende der Party
Im Teufelskreis
"Happy birthday"
Das Virus und wir
Sternderl schauen
Streicheleinheiten
Ganz große Oper
That's Life
Patsch Handi zam
Rabimmel, rabammel, rabum
Wir sind Virus
Na dann Prost!
Küssen verboten
Unterm Glassturz
Achtung, s´Vogerl!
Olles Woiza, heast oida!
Oblenepp und Stadlerix
Der tut nix
Im Krapfenwaldl
Wohin des Weges?
Es fliegt, es fliegt
Lieber Christian
Ein Leben am Limit
Kurzer Prozess
Hexenjagd am Klo
Ein Land im Fieber
Eine Frage der Ehre
Frühstücken mit Kurz
Von der Lust gepackt
Ein Ball, viele Bälle
Blabla und Wulli Wulli
"Warum steigt's nicht ein?"
"Servas die Buam"
Die Teufelsaustreibung
Romeo und Julia
Strache, "ich war dabei"
Brot und Spiele
It´s my lei lei life!
Der Zug der Zeit
Der Hauch des Todes
... - .-. .- -.-. .... .
Inselbegabungen
Big Bang für einen Big Mac
Auf einen Apfelputz beim Minister
Von Brüssel ins Fitness-Studio
"Es ist alles so real"
"No words needed"
"So wahr mir Gott helfe"
Jedem Anfang wohnt ein Zauberer inne
Fotos:
Heinz-Christian Strache: "Heute", Helmut Graf
Josef Geisler: Video WWF
Florian Klenk: "Heute", Helmut Graf
U-Ausschuss: Bernt Koschuh
#BlackLivesMatter-Demo: "BLM
Heinz-Christian Strache: "Heute", Helmut Graf