Neulich in Balkonien
Baldrian gegen den Corona-Hausarrest: Musiker leihen uns ihre Stimme.

Wie schnell sich doch die Zeiten ändern. Vor ein paar Tagen noch räumten wir uns Platz im Terminkalender frei, um vor dem Fernseher Fußballern bei der Ausübung ihres Handwerks zuzusehen, jetzt hätten wir alle Zeit der Welt und keiner spielt. Statt Ball-Kontakte gibt es jetzt eben Balkon-Takte und daran sind wir nicht ganz schuldlos, aber ich muss da etwas ausholen.
In Italien nämlich stellten sich die Bewohner in Quarantäne auf ihre kleinen Balkone und schmetterten die Nationalhymne, Nessun Dorma oder eine andere Schnulze in die Nacht hinaus. Ich fand die Videos, die im Internet davon auftauchten, sehr bewegend, ich bin doch eine sehr empfindsame Seele, recht nah am Wasser gebaut, ich bin quasi das Venedig der Medienbranche. Also dachte ich mir, vielleicht schaffen wir das auch, das Singen am Balkon nämlich. In Wien ist es ratsam, dafür im letzten Stock zu wohnen, wenn man ab einer gewissen Uhrzeit, ich würde sagen so ab 10 Uhr vormittags, Musik macht, dann kann man wenigstens keinen Blumentopf auf den Kopf bekommen.
Ein paar Schimpfworte werden einem andererseits schon an den Kopf geworfen. Das Verfluchte am Wienerischen ist, dass man nicht weiß, ob Beschimpfungen bösartig oder aber vielleicht nicht doch liebevoll gemeint sind. Also „Oaschloch“ oder „Gschissana“ kann durchaus Wohlwollen, Anerkennung und Respekt ausdrücken, so im Sinne „der traut sich aber was“. Ich gebe zu, als Kärntner hat mich das anfangs verwirrt. Aber es muss ja einen Grund dafür geben, warum Wien regelmäßig zur lebenswertesten und gleichzeitig zu einer der unfreundlichsten Städte der Welt gewählt wird. Vielleicht mag man es hier einfach resch.
Rapp rappt

Es war dann auch tatsächlich so, dass uns gestern ein Video in der Redaktion erreichte, gefilmt in einem Gemeindebau, den Bezirk lasse ich jetzt einmal weg. Auf dem Clip ist ein Mann zu sehen und zu hören und als er mit dem Musizieren beginnt, dauert es nicht lange, bis ein erstes „hoit die Goschen“ zu hören ist, kein unfreundliches „hoit die Goschen“, nein eher wie ein Seufzer, eine Bitte, unterlegt mit etwas Weltschmerz. Es folgt noch etwas Lokalkolorit, in der Art von „hoit de Pappn“, man hört einen Hund bellen, dann ist wieder Ruhe. Seltsamerweise mutet diese Ruhe aggressiver an als die Schimpferei vorher, aber das kann an mir liegen, dieses Corona macht einem schon ein bisserl deppert, oder?
Jedenfalls baten wir gestern ein paar Promis, einen auf Italiener zu machen. Die Promis sind ja jetzt alle daheim, denn sie müssen nicht mühsam Adabei-Spalten füllen. Dort, wo es normalerweise die immer selbe Personengruppe in zuweilen unterschiedlichen Konstellationen recht lustig hat, nistet sich jetzt jeden Tag Corona ein. Die Promis haben dadurch eine Art Öffentlichkeitswahrnehmungsdefizit, nicht so gefährlich wie Corona, aber auch nicht zu unterschätzen und in dieses Öffentlichkeitswahrnehmungsdefizit grätschten wir rein und baten um Videos, am besten aufgenommen auf einem Balkon. Indoor ging aber auf, wenn die Nachbarn es lieber hatten, dass man die „Pappn“ oder die „Goschen“ hielt und wir wurden reichlich bedacht.
Sie können sich die Videos auf heute.at anschauen, es werden da jetzt immer wieder welche dazukommen. Wenn die Promis einmal merken, dass die anderen Promis etwas machen, dann wollen sie das auch, es hat etwas Kindliches an sich. Es ist eine gute Gelegenheit zu schauen, wie die Promis so wohnen, da sie nicht rauskönnen, müssen sie mit dem aufwarten, was sie haben. Am Video von Natalia Ushakova, sie singt „Mariandl, Mariandl“, entzückt mich vor allem die Tapete im Hintergrund, die siebziger Jahre sind also doch wieder groß im Kommen.
Clemens Unterreiner wohnt offenbar unterm Dach und hat eine recht ausladende Terrasse, auf der er für uns „Wien, Wien nur du allein“ intonierte. Als er fertig war, konnte man sogar etwas Applaus und ein paar aufmunternde Rufe hören, aber das war natürlich möglicherweise auch bestellt. Die Claqueure abseits der Politik haben jetzt auch alle frei und man bekommt sie recht günstig. Die wirklich Harten gingen in den Garten, Monika Ballwein etwa singt vor einem Busch „I am from Austria“, was wir schon wussten, „Kernölamazone“ Caroline Athanasiadis „Corona, Corona“, sie wird wohl als Erste auf die Idee gekommen sein. Christoph Fälbl steht auf seinem Balkon, versucht sich am „Kaisermühlenblues“ und man darf vorsichtig bilanzieren: Geld wird er mit dem Singen in diesem Leben nicht mehr verdienen, auch nicht wenn diese Corona-Sache einmal vorbei ist, aber das weiß er selber. „Wenn I amal sing, ist die Kacke wirklich am Dampfen“.
"Wie Monopolygeld"

Der Wiener ist nicht der Einzige in diesem Land, der geschickt mit Schimpfworten zu jonglieren weiß, auch der Steirer kann das. In Zeltweg gibt es ein Lokal, das sich „Sturmtreff“ nennt. Man ist „offizieller Partner des Traditionsklubs SK Sturm Graz“, was momentan nicht viel weiterhilft, und fühlt sich der „bodenständigen Hausmannskost“ zugetan, am 4. März etwa gab es „Schweinsgeschnetzeltes mit Nudeln“, tags darauf „Faschierte Laibchen mit Gemüse und Püree“. Derzeit ist das Restaurant zu, aber nichts in dem Land dauert ewig, auch nicht in der Steiermark.
Der Besitzer des „Sturmtreff“ ist offenbar ein ziemlicher Haudegen, das zeigt sich auch daran, dass er bei den – inzwischen verschobenen – Gemeinderatswahlen in Zeltweg für die FPÖ antreten wollte, wenn auch nur auf Listenplatz 5. Sein Motto lautete „nur zusammen sind wir stark“, was sich blöderweise auch das Coronavirus dachte und deswegen hat die Regierung Gaststätten freundschaftlich mitgeteilt, dass sie vorderhand zu schließen haben. Auch dem "Sturmtreff".
Den Besitzer, der sich „nur zusammen stark fühlt“, kratzt das nicht. Auf Facebook schrieb er wörtlich: „Ann alle gäste und Freunde des sturmtreff wir haben nächste Woche die ganz normalen Öffnungszeiten wer will der kommt oder auch nicht die Regierung kann mich ganz normal am arsch leken“. Der Leser dieser Zeilen wird sich vielleicht denken, den Besitzer des „Sturmtreff“ kann vor allem einmal die Rechtschreibung am Arsch lecken, aber weil die FPÖ eine Verbindung aus lauter Ehrenmännern ist, entschuldigte sich der Wirt am Tag darauf für seine Einlassung. Die FPÖ warf ihn trotzdem raus, oder vielleicht kann sie der „Sturmtreff“-Besitzer jetzt am „arsch leken“, ich finde man sollte da noch einmal genauer hinsehen.
Stoßzeit

Auch in Wien gab es gestern etwas zum Arschlecken. Die Stadt erlebte den ersten Tag unter Ausgangssperre, die eigentlich ein Ausgangsgebot ist, mehr aber eine Nichtausgangsempfehlung oder eher eine Daheimbleibbitte, was alles auf dasselbe herauskommt, denn recht viele hielten sich daran. Einigen wiederum war es wurscht und sie dachten sich, die mit ihren Vorschriften können mich am "arsch leken". Die Straßen aber waren leerer als sonst, in den Supermärkten bemühten sich einige, einen Meter Abstand zu halten, was nicht allen gelang, vor allem wenn keine zweite Kassa offen war.
Es gingen vor allem alte Leute einkaufen, genau jene alten Leute, die eigentlich daheimbleiben sollten. In Belgien hat man das jetzt anders gelöst, da sperren die Supermärkte für alle, die älter als 65 sind, eine Stunde früher auf und die Senioren können sich so richtig austoben, eine Webcam wäre schön. In Wien wird man unterdessen kreativ. Ein Cannabis-Shop, der jetzt eigentlich zumachen müsste, sortierte sein Angebot um und verkauft jetzt Desinfektionsmittel und Atemschutzmasken, das Stück um wohlfeile 19,90 Euro. Er darf offen haben und Wucherpreise verlangen. Die Erkenntnis, in jeder Krise stecke eine Chance, erweist sich wieder einmal als goldrichtig, da muss man gar keine bewusstseinserweiternden Drogen nehmen.
Ich habe hier schon einmal über das Rätsel Klopapier geschrieben, das gehamstert wird und keiner weiß warum. Es tut sich eine neue Merkwürdigkeit auf, das Amt. Wenn der Wiener sich vorgenommen hat, er geht aufs Amt, dann geht er aufs Amt, da kann Sturmwarnung herrschen, ein Atomkrieg bevorstehen oder eben Covid-19 wüten, das kann den Wiener alles am Arsch lecken.
Also standen gestern in mehreren Bezirksämtern die Menschen Schlange, um Amtswege zu erledigen, ich glaube der Amtsweg ist dem Wiener das, was in Coronazeiten dem Westösterreicher das Skifahren ist. Auch Familien mit Kinderwagen stellten sich an, Zeit war einem durch das Virus ausreichend geschenkt worden und bevor man daheim wartet, bis der Virus kommt, geht man ihm lieber etwas entgegen. Um Mittag herum riss dem Wiener Bürgermeister Michael Ludwig der Geduldsfaden und er scholt die Bürger via Presseaussendung. „Riskieren Sie nicht Ihr Leben und das Leben all jener, die sich im Dienste der Öffentlichkeit engagieren“, entludwigte sich sein Zorn. Das zeigte rasch Wirkung, das Volk zerstreute sich, was aber auch daran gelegen haben könnten, dass die Ämter zumachten.
Kurz davor war ein Wiener in das Amt eines Außenbezirks marschiert und verlangte einen neuen Reisepass. Warum das Ansinnen keinen Aufschub duldete, blieb ungeklärt, aber als man den Mann darauf hinwies, dass der Zeitpunkt dafür etwas ungünstig gewählt schien, wurde er unwirsch. Es stellte sich heraus, dass er eben in Spanien auf Urlaub gewesen war, was sich coronaseits als interessante Information entpuppte. Das Amt verließ der Petent jedenfalls ohne Reisepass, aber mit einem Bescheid in der Hand, sich 14 Tage in Hausquarantäne begeben zu müssen. Wir lernen erneut, dass Österreichs Behörden durchaus Humor haben, aber wenig Spaß verstehen, wenn sie der Mittelpunkt davon sind.
Atemlos

Die Wiener Polizei ist da etwas feinfühliger. Der Jurist Ralph Janik las, warum auch immer, im „Kurier“ sein Horoskop, er dürfte Krebs sein. In der Kategorie „Liebe“ fand sich die Empfehlung, er möge „nicht allein bleiben. Verbringen Sie den Tag gemeinsam mit lieben Menschen“. Ich finde ja seit jeher, dass die Sterne den Schalk im Nacken haben, weil Janik aber wie gesagt Jurist ist, wollte er Genaueres wissen und fragte via Twitter bei der Polizei nach, wie das so wäre, wenn er sich in Zeiten von Corona mit „lieben Menschen“ umgäbe. „Ein Horoskop“, schrieb die Polizei zurück“, „akzeptieren wird als Rechtfertigung ähnlich gern wie Monopolygeld zur Begleichung eines Organmandates“.
Leider werden für gemeingefährliche Politikerauftritte in der ZiB 2 keine Strafmandate ausgestellt, Bernhard Tilg hätte gestern jedenfalls alles Monopolygeld der Welt nicht genutzt, um sie zu bezahlen. Der Tiroler Gesundheitslandesrat verantwortet das Ischgl-Desaster zumindest mit. Ich schlafe jetzt einmal eine Nacht darüber, vielleicht schreibe ich morgen ein paar Zeilen über diesen denkwürdigen TV-Moment.
Verbringen Sie, trotz all der Einschränkungen und Gebote, einen wunderbaren Dienstag. Vielleicht kann uns das Virus bald am Arsch lecken.
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