Reif für die Insel

Urlaub 2020: Ibiza oder doch Liechtenstein?

Was haben Österreichs Baumärkte jetzt gemeinsam? Antwort: keine Mischmaschinen. Das klingt jetzt vielleicht auf den ersten Blick etwas abwegig, aber Betonmischer sind das neue Klopapier. Bitte jetzt nicht falsch verstehen, das ist nicht als Ersatz gedacht, so etwas kann recht schnell schief gehen. Also wenn Sie dann doch noch eine Mischmaschine ergattern, aber kein Klopapier, bitte artgerecht verwenden, sonst haben Sie schnell einen betonierten Hintern. Wir Leute von „Heute“ gehen in der Recherche wirklich dorthin, wo es wehtut.

Auch Bewehrungsstahl ist schwer zu bekommen, genau genommen nur der mit einer Dicke von 0,5 Zentimeter, jener mit 1 Zentimeter ist ausreichend vorrätig. Wenn Sie jetzt nicht wissen, was Bewehrungsstahl ist, dann hilft Ihnen vielleicht der Name Armierungseisen weiter? Oder eventuell Moniereisen? Baueisen? Nun gut, der Heimwerker kauft sich Bewehrungsstahl meist in Stäben oder als Matte, biegt oder schneidet sich das Material zurecht und betoniert es dann ein, das verhindert ein Bröckeln, Rissigwerden oder Brechen, egal ob es sich um eine Terrasse, eine Einfahrt, oder ein Fundament handelt. Sie müssen da jetzt nicht weiter in die Tiefe graben, denn Bewehrungsstahl ist, wie gesagt, etwa im Umland von Wien derzeit schwer zu bekommen. Wie Mischmaschinen.

Corona hat vielerlei mit uns gemacht, das Virus löste auch einen privaten Häuslbauerboom aus. Weil viele, bedingt häufig durch Kurzarbeit, jetzt mehr Tagesfreizeit haben, wird überall gebohrt, gehämmert und betoniert. Plötzlich entdeckt jeder einen Bob der Baumeister in sich. Weil unsere Planungen für die Ferien davon abhängen, was die Politik gerade raufzufahren oder runterzufahren gedenkt, basteln wir uns den Sommer halt selber zurecht – wenn man uns lassen würde und Mischmaschinen und Bewehrungsstahl ausreichend vorhanden wären. Sind es aber nicht, ich glaube ich habe das schon erwähnt.

Überhaupt kaufen wir im Moment ein bisschen seltsam ein. Nicht dass wir an sich seltsam geworden wären, also ein bisschen schon natürlich, okay ein bisschen viel möglicherweise, jedenfalls aber erregen Produkte unser Interesse, von deren Existenz wir bisher kaum Ahnung hatten. Seit April etwa stieg die Nachfrage in Österreich nach der Fachgruppe "Bänder, Borten und Kordel" im Internet um 30.000 Prozent an, erhob das Vergleichsportal idealo.at. Natürlich, wir mussten alle Schutzmasken herstellen und die benötigten einen Gummi. Das Verlangen nach Nähmaschinen steigerte sich deshalb um 881 Prozent, Stoffe interessierten uns um 1.340 Prozent mehr.

Ein regelrechtes Griss besteht im Internet seit Aufhebung des kompletten Lockdowns um Tischtennisplatten (plus 1.537 Prozent), Trampoline (plus 851 Prozent), Mountainbikes (plus 683 Prozent), Gartenschläuche (plus 1.272 Prozent),  Swimmingpools (plus 908 Prozent) und Gartenduschen (plus 760 Prozent). Damit wir im Gelände nicht allzu verwahrlost ausschauen, warfen wir vermehrt ein Auge auf Haar- und Bartschneider (plus 1.569 Prozent) und Hanteln (plus 593 Prozent). Der guten Ordnung halber sei erwähnt, dass es sich dabei nicht um Verkaufszahlen handelt, sondern ums Gustieren, wir interessierten uns eben für diese Produkte. Auf die Borten wollten wir nicht worten.

Feriengeste

Hat Liechtenstein eigentlich einen Strand? Ich frage nur, denn dort dürfen wir jetzt hin, wirklich, ich habe Tränen in den Augen, Vaduz im Sommer, wer träumt nicht davon? Wir sitzen am Rheinufer, Schutzmasken auf, bräunen unser halbes Gesicht, am Abend sehen wir aus wie Hannibal Lecter. Die Regierung beendete gestern etwas zögerlich unsere Gatterhaltung, in sieben Länder dürfen wir ab heute ausreisen, ohne an der Grenze eine Gesundenuntersuchung über uns ergehen lassen zu müssen. Deutschland, Liechtenstein, Schweiz, Slowakei, Slowenien, Tschechien und Ungarn, nicht gerade die Perlen der Karibik, aber wir sind bescheiden geworden in unseren Ansprüchen, wenn wir uns solche überhaupt noch leisten können.

Das virologische Quartett tauschte ein paar Wechselspieler ein, statt Kanzler Sebastian Kurz und Vize Werner Kogler stießen gestern Außenminister Alexander Schallenberg und Europaministerin Karoline Edtstadler zur Truppe, Gesundheitsminister Rudolf Anschober und Innenminister Karl Nehammer blieben der Einfachheit halber sitzen. Man konferierte an einem runden, eckigen Tisch, die Plexiglasscheiben fehlten, dafür waren die Sessel aus durchsichtigem Plastik, was etwas bizarr aussah, ich glaube am Set der „Eiskönigin“ wurden ähnliche verwendet. In der Früh noch hieß es, wir werden am 15. Juni bedingt aus der Haft entlassen, dann entschied sich der runde, eckige Tisch doch für eine sofortige Auswilderung, ich glaube beim Fall der Berliner Mauer war der Ablauf ähnlich.

Italien steht nicht auf der Begnadigungsliste, aber das folgt wohl nächste Woche. Keine Regierung hält diesem Druck stand, uns im Sommer überall hinzulassen, nur nicht nach Lignano oder Jesolo. In Italien werden wir jedenfalls mit offenen Armen erwartet. Außenminister Luigi Di Mai zeigte sich von der Entscheidung Österreichs, die Grenzen vorerst dicht zu halten, empört. Das verletze „den europäischen Geist“, sagte er. Man sollte vielleicht anmerken, dass dieser „europäische Geist“ in den letzten Wochen schon halb totgeprügelt wurde, nicht von uns allein freilich, aber auch, auf eine Verletzung mehr oder wenig kommt es jetzt auch nicht mehr an. Aber grotesk oder? Am Neusiedler See, in Tirol, im Salzkammergut, im Wienerwald, nirgends kann man die Wiener leiden, zur Not lässt man sie im Sommer gnadenhalber Urlaub machen, lieber wäre es, sie würden nur das Geld schicken. Aber in Italien, da freuen sie sich arrabiata auf uns.

Grotesk mutet das Schauspiel tatsächlich etwas an, das muss ich schon sagen. Während die Regierung in Wien abwägt, wo wir wann überall hindürfen und wen wir ins Land lassen sollten, sind längst schon alle da. In Kitzbühel wimmelt es seit Wochen von Autos mit deutschem Kennzeichen, obwohl es formal immer noch ein Einreiseverbot gibt. In Hallstadt bekam man am Wochenende keinen Parkplatz mehr. Auf Facebook postete eine Almwirtin aus dem Salzkammergut Fotos ihrer vollen Hütte und schrieb dazu: „Und wenn ihr uns jetzt fragt, wie all die Deutschen über die Grenzen kommen, kann ich es euch nicht beantworten“.

Ich schon. Während die Politiker von Stichproben-Kontrollen an den Grenzen faseln, sind diese längst sperrangelweit offen. Kleinere Grenzübergänge werden überhaupt nicht mehr bewacht, an größeren, wie etwa Suben in Oberösterreich, werden alle Autos durchgewunken. Für Briten besteht in Österreich eigentlich ein Einreiseverbot, also fliegen alle von London aus nach Zürich, setzen sich dort in den Zug und fahren nach Wien weiter, ohne jede Kontrolle. Die Flieger sind brechend voll. Umgekehrt geht das natürlich auch. Deutschland hebt mit 15. Juni die Reisewarnungen für alle EU-Länder auf, gab Außenminister „Man in black“ Heiko Maas gestern bekannt, Österreicher, die nach Italien wollen, können dann mit dem Auto zum Münchner Airport fahren und von dort nach Mailand, Venedig oder Rom fliegen, zurück geht es auf demselben Weg, auch alles ohne Quarantäne. Klug ist das nicht, aber es geht.

Auch Pauschalreisen ab Deutschland sind ab Mitte des Monats möglich. Sollte Österreich seine Grenzen nach Italien bis dahin nicht aufmachen, dann fährt man halt über die Schweiz oder Slowenien hin. Diese Eigenverantwortung ist schon eine grandiose Sache. Jeder, der Verantwortung übernimmt, ist irgendwie eigen. Oder war das anders gemeint?

Maas macht mobil

Ist Schweigen besser? Einfach einmal nichts sagen? Ist ein guter Redner jemand, der stumm bleibt? Macht Stille mehr Lärm als Lärm? Aschbachern wir alle zu viel? Am vergangenen Sonntag gab Justin Trudeau eine Pressekonferenz. Der Lockdown hat Kanadas Premier offenkundig erfolgreich von Friseuren ferngehalten, weite Teile seines Gesichts wucherten zu, er ergraute und sieht jetzt aus wie Johnny Depp in „Fluch der Karibik 24“. Bei der Pressekonferenz wurde Trudeau auch gebeten, sich zur Vorgangsweise von Donald Trump zu äußern. Das tat er auch und sagte nichts. 21 Sekunden lang. Ein, zwei Mal hatte man den Eindruck er wollte beginnen, aber dann kam nichts, er biss sich nur auf die Lippen. Schließlich rang er sich zu ein paar Sätzen durch, in denen die Worte „Schrecken“ und „Bestürzung“ vorkamen und die damit endeten, dass man die Menschen zusammenbringen und ihnen zuhören müsste. Vokabular aus dem Politiker-Setzkasten halt.

Trudeau wird nun global gefeiert. Seltsam: Du sagst einen unbedachten Satz und die Welt fällt über dich her wie eine Raubkatze. Du sagst nichts und wirst plötzlich für deinen Sprachschatz gelobt. Herzen fliegen dem Premier zu, er wird bejubelt, als Muster eines charismatischen und empathischen Zeitgenossen vorgeführt, als Gegenentwurf zu Trump. Tatsächlich: Das Nichtsagen sagte nichtssagend viel aus, wenn dann schon mehr über die Beobachter. Nein, ich glaube nicht, dass Politikern große Gesten einfach spontan passieren. Das Schweigen, jede Mimik, das Beinahe-Beginnen, das auf-die-Lippen-beißen, das Starren in die genau richtige Kamera, die perfekte Länge des Vorganges, alles wirkte geplant. Trotzdem klammert man sich an diesen kleinen, großen Augenblicke fest, weil sonst so wenig da ist, das Halt gibt und an das man glauben könnte. Wir machen derzeit jede Illusion dankbar zu einer Religion.

Radweg weg

Radlager


Um Illusionen wird es ab heute auch im U-Ausschuss zu Ibiza gehen. Gleich am ersten Tag ist Heinz-Christian Strache zu Gast, seine Verteidigungslinie scheint mir recht klar: Privater Urlaub, kriminelle Filmer, nichts Unrechtes gesagt, Höchststrafe verbüßt. Vielleicht stürmt in diesem Moment einer nach vorne, der hier viele Jahre den heimlichen Spielleiter gab: Peter Pilz sitzt heute unter den Journalisten, er hat sich für sein Online-Medium zackzack.at angemeldet. Das könnte noch heiter werden, man hat ohnehin so wenig zu lachen derzeit.

Den Humoreinfall des Tages hatte gestern die SPÖ. Das Donauinselfest erkrankte ja an Corona und kann heuer nicht wie geplant im September stattfinden. Also machte die Stadt aus Rot eine Tugend und feiert nun 80 kleine Donauinselfeste. Ein Doppeldeckerbus fährt ab 1. Juli durch die Bezirke, 240 Pop-up-Konzerte sind geplant. Gibt es in der Stadt eigentlich momentan irgendetwas, das nicht Pop-up ist, sondern einfach nur normal aufgesperrt oder eröffnet wird? Jedenfalls versprach die Stadt, die Bustour zur „wahlkampffreien Zone“ zu machen, was angesichts der Tatsache, dass die Sause von der SPÖ veranstaltet wird, gestern von der SPÖ-Landesparteisekretärin präsentiert wurde und die SPÖ am 11. Oktober bei den Landtagswahlen ihre satte Mehrheit zu verteidigen hat, ein kühner Gedanke ist, ein tollkühner fast.

Auch Radlwege sind in Wien derzeit ziemlich Pop-up. Der neueste zieht sich die Hörlgasse entlang Richtung Votivkirche. Die Präsentation gestern lief nicht pannenfrei ab. Die Autofahrer, denen eine Spur abhanden kam, zeigten sich mittelerfreut und brüllten mittelfreundliche, persönliche Wahrnehmungen der Situation Richtung anwesender Vizebürgermeisterin. Birgit Hebein war kaum fröhlich vom Rad gestiegen als sich Alfred Schön, Wirt des Lokals „Planquadrat“ in der Türkenstraße, fünf Minuten mittelpositiv über das Pop-Up-Ding äußerte. „Drinnen dürfen die Leute nicht rauchen, draußen im Schanigarten möchten sie wegen dem Stau und dem Lärm und dem Dreck nicht sitzen“, sagte er. Es gäbe immer mehr Radler, konterte Hebein, deshalb müsse man den Platz in der Stadt neu verteilen. Ich verstehe ja sowieso nicht, wo das Problem ist. Man muss nur die paar Häuser links und rechts von der Straße wegreißen und plötzlich wäre genug Raum für alle da. Auch für die Motorradler, denen der neue Radweg so taugt, dass sie ihn gut nutzen. Wien halt. 

Kommen Sie heute an diesem wunderbaren Donnerstag nicht unter die Räder. Vielleicht schreibe ich morgen ein paar Zeilen wie das so war am ersten Tag im „Lokal 7“ im Ausweichquartier des Parlaments in der Hofburg. Eventuell bin ich aber schon in Liechtenstein, Strandurlaub, jetzt, wo man darf.

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