Unterm Glassturz
Das Virus und wir, kann diese Beziehung gut gehen? Wir müssen wohl abwarten.

Was Österreich wirklich gut kann, ist abwarten. Abwarten und Tee trinken, ohne Teetrinken natürlich. Das hat gute und schlechte Seiten, manche Angelegenheiten erledigen sich ja automatisch, wenn man sich nicht gleich um sie kümmert. Wir kennen das von unseren Schreibtischen. Man hebt alles auf, was wichtig sein könnte, um es dann nach einiger Zeit wegzuschmeißen, weil es nicht mehr so wichtig ist wie es nie war. Es kommen immer wieder ein paar Sachen dazu, die wichtig sind, um im Stapel darauf zu warten, dass sie einmal nicht mehr wichtig sind und um Platz machen zu dürfen für neues Unwichtiges. So bleibt alles in Balance, es ist irgendwie schön.
Auch beim Coronavirus wartete Österreich bisher ab. Man beobachtete und wartete. Zwischendurch schob man ein paar Fieberkontrollen am Flughafen ein, aber eher der optischen Ausgestaltung der Krise wegen, die natürlich keine Krise ist. „Keine Panik“, war das meistverwendete Wort dieser Nicht-Krise, alle befassten Politiker führten es im Mund. Man müsse abwarten, aber zu Panik sei kein Anlass gegeben. Im Mittagsjournal war gestern der Leiter der Klinischen Abteilung für Infektionen und Tropenmedizin der Universitätsklinik für Innere Medizin I., Heinz Burgmann, zu Gast. Er sagte, dass man über das Virus „überhaupt noch nicht sehr viel“ wisse und erst „mitten im Kennenlernen“ sei. Man müsse „ganz einfach abwarten“.
Room to move

Alle Blicke auf mich

Andere Mediziner wiederum empfehlen, nicht in Sorge zu verfallen, weil das Virus auch nicht schlimmer sei als jenes, das uns jedes Jahr die Grippe bringt. Das ist seltsam, denn wie kann man wissen, wie ein Virus so ist, wenn man „erst mitten im Kennenlernen“ ist und „überhaupt nicht sehr viel“ über ebenjenes Virus weiß. Aber jetzt ist einmal wichtig, dass wir keine Panik verbreiten, sondern abwarten.
Marion Koopmans, Virologin bei der Weltgesundheitsorganisation WHO, warnt im Fachmagazin „Cell“ dagegen, dass „Corona die lange erwartete Disease X sein“ könnte, die sich „über die ganze Welt ausbreitet und vor der sich Experten zu Recht fürchten“. Wir haben also einen Virus, den wir kaum kennen, vor dem Experten warnen, aber auch nicht, der eine Pandemie auslösen könnte, aber auch nicht, von dem wir nicht besonders gut wissen, wie er sich verbreitet, mit dem die EU allerdings ziemlich freundschaftlich umgeht. Vielleicht muss einfach einmal abwarten.
Ich empfehle abwarten als Unterrichtsfach einzuführen, statt Latein vielleicht oder Bildnerische Erziehung, in beiden Fächern sind die Österreicher wenig begabt, beim Abwarten sind sie Sir Karl Popper-Schüler. Es wird ja gerade wieder darüber debattiert, ob man Smartphones in den Schulen verbieten oder zumindest zurückdrängen sollte, die Lehrergewerkschaft hat einschlägige Wünsche geäußert, vielleicht will sie aber auch nur, dass die Schüler ihre Pädagogen nicht über ihre Handys bewerten können. Die diesbezügliche App „Lernsieg“ ist seit gestern wieder online. Wie lange? Da muss man abwarten.
Wenn wir aber einmal lange genug zugewartet haben, dann schlagen wir zu, meistens am Montag, selten am Samstag, nie am Sonntag. Die neue Regierung drückt das üblicherweise eleganter aus, sie sagt: „Wir müssen jetzt mit der Umsetzung beginnen“ oder „wir müssen jetzt ins Tun kommen“. Der Übergang vom Abwarten ins Tun passiert meist sehr abrupt, aber auch wieder nicht, denn beim Tun passiert zunächst nicht mehr als beim Abwarten, es ist sozusagen eine Vorstufe zum richtigen Handeln, aber es sind mehr Menschen daran beteiligt, die gemeinsam an einem Ort sitzen und sehr konzentriert schauen und meistens kommt ein Drei-, Fünf-, Sieben-, manchmal ein Zehnpunkteplan dabei heraus und so war es auch gestern.
Karriere mit Lehrer

Am Vormittag war man noch nicht im Tun, sondern eher im Abwarten. Da riefen der Innenminister und der Gesundheitsminister und die Verteidigungsministerin zur Pressekonferenz, in der sie von Panik abrieten, aber zur Sicherheit, sagte Klaudia Tanner (die ich zur Feier des Tages einmal richtig schreibe), habe man die ersten zwei Kompanien der ABC-Abwehrschule darüber verständigt, dass es bald losgehe, womit auch immer, jedenfalls solle man schon zu üben beginnen, was auch immer.
Die Kommunikation in der Regierung sei hervorragend, lobte Anschober, was die Bevölkerung freuen wird, denn die Kommunikation mit ihr wurde bisher nicht in überschießendem Maße gesucht, aber das wird jetzt besser, denn es werde eine „Informationskampagne“ geben. Hoffentlich wartet das Virus damit, nach Österreich überzuspringen, denn wir wurden noch nicht umfassend aufgeklärt. Die „Informationskampagne“ stockt auch noch ein bisschen, Fragen zur Zahl der vorhandenen Schutzmasken und Schutzanzüge und Isolierräume im Land wollte das Gesundheitsministerium gestern nicht beantworten, vielleicht fand man es besser abzuwarten. Man könne Österreich nicht „unter einen Glassturz stellen“, sagte Anschober. Schade eigentlich.
Über Mittag vollzog sich dann der Wandel vom Abwarten ins Tun, er fiel disruptiv aus. Der Kanzler übernahm, das Virus bekam quasi ein Gratis-Update, Digitalministerin Margarete Schramböck drückte es so aus: „Das Thema ist ganz oben angekommen“. Gott wird sich freuen, hat er nicht so viel Arbeit. Plötzlich jedenfalls tauchten Fotos auf und sie zeigen Sebastian Kurz mit sehr entschlossenem Blick inmitten von Umsetzern, die teilweise ident waren mit den Abwartern vom Vormittag, aber jetzt hatten alle besorgte Gesichter aufgesetzt, der Raum war in bläuliches Licht getaucht, es war wie bei CSI Miami, Horatio Caine hatte die roten Haare dunkel gefärbt und trug sie jetzt streng zurückgekämmt.
Sebastian Kurz war da, Gesundheitsminister Rudolf Anschober saß neben ihm, ebenso Umweltministerin Leonore Gewessler, gegenüber Innenminister Karl Nehammer, an seiner Seite Franz Lang, Direktor des Bundeskriminalamts, dazu viele Spitzenbeamte. Alles in allem dürften knapp über 30 Personen im Raum gewesen sein, vier davon Frauen, in der Krise stehen Männer eben lieber Männern bei. Weil man sich noch nicht so gut kannte, die Regierung ist schließlich erst seit eineinhalb Monaten im Amt, hatte man Namensschilder aufgestellt, dahinter lagen ein paar Packen Papier, so unsortiert sortiert, dass man auf den ersten Blick sehen musste, dass jeder Zettel gelesen, eingeschätzt und in die aktuelle Nichtkrisenplanung integriert worden war.
"Keine Panik"

Der SR der BWZ im EKC des SKKM befindet sich im Innenministerium in der Wiener City, anders gesagt liegt der „Situation Room“ in der „Bundeswarnzentrale“, die seit 2006 Bestandteil des „Einsatz- und Koordinationscenters“ ist, um das „Staatliche Krisen- und Katastrophenmanagement“ zu bewerkstelligen. Es gibt einen permanenten Journaldienst von fünf Personen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche, einen Stabsraum, ein Lagezentrum und ein Callcenter mit 20 Arbeitsplätzen, an den Wänden hängen 12 riesige Info-Screens. Fragen Sie mich bitte nicht, was darauf läuft.
Alles erinnert ein bisschen an den „Situation Room“ im Weißen Haus, man kennt die Bilder mit Barack Obama oder Donald Trump. Auch in Washington gibt es rund um die Uhr ein fünfköpfiges „Watch Team“, die Amis werden sich das von uns abgeschaut haben. Die US-Präsidenten sitzen freilich am Kopf des Tisches, Kurz an der Längsseite, mittendrin in seiner Truppe, das schweißt das Team zusammen. Wenn Trump das Team zusammenschweißen will, haut er irgendwen raus, meistens den Sicherheitsberater, die wachsen offenbar im Garten des Weißen Hauses so zahlreich nach, man braucht nur rausgehen und einen neuen pflücken, wenn der alte verwelkt ist. Kurz sollte Trump danach fragen wie das so ist, wenn er nächste Woche hinreist.
Nach dem Fototermin im „Situation Room“, gab die Regierung eine Pressekonferenz, der Kanzler, der Innenminister, der Gesundheitsminister, Leonore Gewessler hatte man auf dem Weg offenbar verloren. „Es gibt keinen Grund zur Panik“, sagte Kurz, „aber natürlich braucht es einen realistischen Blick auf die Dinge“. Den Satz werden wir uns eventuell einrahmen. Der Nicht-Krisenstab hatte sich für einen Fünfpunkteplan entschieden, es soll tägliche Berichte aus dem Innen- und dem Gesundheitsressort an Kurz geben, also „ganz nach oben“, Donnerstag treffen sich die Landeshauptleute“, die wirklich in Österreich „ganz oben“ sind, es werde eine Infokampagne geben, Reisewarnungen für einzelne italienische Gemeinden und die „Warnketten“ zu anderen Staaten sollen verbessert werden. Kurz gesagt: Jetzt heizen wir dem Virus richtig ein.
"Vielseitig desinteressiert"

Ich erlaube mir zum Schluss etwas anzumerken. Das hat zwar nichts mit dem heutigen Tag oder den heutigen Themen oder mit dem Virus zu tun, aber Eva Maria Marold hat „Heute“ ein herrliches Interview gegeben. Sie spielt derzeit im Wiener Stadtsaal ihr neues Programm, es soll sehr gut sein. Marold ist 51, Social Media findet sie „fürchterlich“ und Altwerden auch nicht wirklich lustig, es bedeute „Rückenschmerzen, Einschlafschwierigkeiten und das Bier schlägt viel mehr an als früher“. Ihr Programm heißt übrigens „Vielseitig desinteressiert“, ich mag den Titel sehr.
Möge die Bierernstigkeit an diesem Faschingsdienst wenig bei Ihnen anschlagen und die Langeweile „vielseitig desinteressiert“ an Ihnen sein. Einen wunderbaren Tag.
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