Von der Lust gepackt

Kanzler Kurz besuchte Mutti Merkel in Berlin und alles war im Fluss. Nur Herbert Kickl blieb die Spucke weg.

Was brauchen wir die Trapp-Familie, Hallstatt oder Arnold Schwarzenegger, wenn wir den Kanzler in unseren Reihen wissen? Der stellte sich gestern mit einem Gesicht, als habe er eben im Kanzlerbüro einen Kaugummi unter den Tisch geklebt, neben Mutti Merkel auf die Bühne und redete einmal nicht über Migration (also zunächst nicht, dann schon) oder beklagte sich, dass er neben den Grenzen nun auch das Klima schützen müsse, der arme Tropf, sondern er keilte ganz ungeniert Piefkes an. Piefke, das wird man ja wohl noch sagen dürfen, oder?

„Wir freuen uns auch über kurzentschlossene Gäste, die vielleicht einen Skiurlaub noch nicht geplant haben, aber doch jetzt kurzfristig von der Lust gepackt werden“, sagte Sebastian Kurz und Angela Merkel neben ihm sah aus, als würde sie überlegen, heuer nicht nach Südtirol zu fahren, sondern „von der Lust gepackt“ zu werden, vielleicht in Mayrhofen die Langlauflatten anzulegen, um ein paar Kilometer rumzuskaten. Man stand im Presseraum des Kanzleramtes in Berlin, Merkel trug Flieder, bekanntlich die Farbe der Macht, aber auch der Leidenschaft, Kurz einen blauen Anzug und blaue Krawatte, eventuell die Farbe der Inszenierung.

Disneyland FPÖ

Diese Inszenierung durchlebt derzeit freilich eine große Krise, ich mache mir da richtige Sorgen. 17 Monate lang bot uns Türkis-Blau die perfekte Show, Klausuren im steirischen Hügelland und im Schloss, Casinoabende, finstere Gestalten, Oligarchennichten, Geld in Sporttaschen im Kofferraum, Goldschätze in Holzhütten, eine Hochzeit mit Putin als Überraschungsgast (auch wenn er nicht nackt aus der Torte sprang), es war wie in Disneyland und am Ende bekam jeder am Ausgang ein Video in die Hände gedrückt, allein der Trailer mit ein paar Laienschauspielern, aufgenommen auf einer Ferieninsel, war der Hammer.

Dann nahm man einen kleinen Wechsel vor, weil einer der Partner müde zu werden schien, oder schon alle Rollen durchgespielt hatte. Man schrieb also die FPÖ aus dem Drehbuch und holte die Grünen in den Plot hinein, mit den Inszenierungen machte man weiter als wäre nichts geschehen, es war ja wirklich auch nicht viel passiert. Die Weinberge als Drehort behielt man bei, statt nach Seggau oder Mauerbach fuhr man halt nach Krems, man will schließlich die ganze Welt sehen. Und das soll plötzlich alles falsch gewesen sein, verpönt ist diese Inszeniererei jetzt so wie Bundfaltenhose, Vokuhila und Fuchsschwanz am Auto?

"Ich übertreibe nicht"

Der Erste, der das offen sagte, war Karl Nehammer. „Herbert Kickl war ein Freund der Inszenierung“, warf der neue Innenminister am 20. Jänner in der ZiB2 dem alten Innenminister vor, „ich bin kein Freund der Inszenierung, schon gar nicht im Innenministerium.“ Der angesprochene „Freund der Inszenierung“ bekam das seltsamerweise in den falschen Hals und lud gestern zur Pressekonferenz, um leidenschaftlich über Türkis-Grün zu spotten, und das, obwohl er keinen Anzug in Flieder trug. „Umsteuern“, nannte Herbert Kickl einen „Kampfbegriff“, die in Krems vermittelten Steuerpläne „viel Tamtam“, über den Beschluss, Tempo 140 abzuschaffen, fuhr er drüber: „Je mehr man Autofahrer karniefeln kann, desto näher ist man an der grünen DNA“.

Aber Kickl hielt auch innere Einschau. Schwarz Blau, also auch er selber, habe „im Stil einer tibetanischen Gebetsmühle immer wieder die einzelnen Entlastungschritte im Bereich der Steuerreform der Öffentlichkeit präsentiert“. Dann sah er den neben ihm sitzenden, ehemaligen Finanz-Staatssekretär Hubert Fuchs an, der Journalisten seit seinem Ausscheiden aus der Regierung noch mehr liebt als früher, aber das immer noch nicht so richtig zeigen kann. Zu ihm sagte Kickl: „Ich glaube, lieber Hubert, ich übertreibe nicht, wenn ich sage, es war uns schon teilweise etwas zu viel, was die Inszenierung betrifft“. Die FPÖ als Inszenierungsopfer, das hätten sie als Bonus-Track schon noch aufs Ibiza-Video draufpacken können.

Kickl gab dafür großzügig aber nicht sich selbst die Schuld und schon gar nicht Hubert Fuchs, der das alles so ungerührt über sich ergehen ließ wie die Amtszeit von Hartwig Löger. „Es war halt so wie es immer gewesen ist, in dieser Koalition auch mit Sebastian Kurz“, sagte der FPÖ-Klubchef, „die Freiheitlichen haben die Arbeit geleistet und die Schwarzen haben versucht, die Lorbeeren dafür einzuheimsen.“ Die Blauen als emsige Arbeitsbienen? Heinz-Christian Strache wird daheim vorm Computer beim Streamen von FPÖ-TV das DAÖ-Parteiprogramm aus der Hand gefallen sein.

Hendl und Vanilleeis

Kurz bekam von alledem nichts mit. Er war schon am Wochenende nach Berlin gereist, vermutlich mit dem Flixbus, die Fahrt zur Regierungsklausur nach Krems hat ihm so getaugt, dass er sich vielleicht gleich eine Jahreskarte gekauft hat. Die Idee zum 1-2-3-Ticket wird einmal von ihm gewesen sein, so schnell werden die Grünen gar nicht schauen können. Wahrscheinlich taucht er gleich bei der ersten Sitzung der Projektgruppe auf und motzt herum, dass er immer so gebremst werde beim Ausbau des öffentlichen Verkehrs.

Montag fuhr Kurz dann bei Angela Merkel vor, wenn auch nicht öffentlich, die deutsche Kanzlerin wohnt ja sehr schön, beste Lage auf 12.000 Quadratmeter. Sie empfing den österreichischen Amtskollegen wie eine Mutter, deren Kinder zu Ostern heimkommen vom weit entfernten Studienort und aus deren Gesichtern sie ablesen will, ob sie Kummer haben oder abgenommen. Das Verhältnis zwischen Kurz und Mutti Merkel war nicht immer ungetrübt, anfangs war er ihr wohl zu keck, seit knapp zwei Jahren sind sie miteinander per Du, sie hatte es ihm in einem Telefonat angeboten.

Gastgeschenke gibt es diesmal keine, es handelt sich um einen Arbeitsbesuch und keinen Staatsbesuch. Merkel und Kurz ziehen sich zum Gespräch zurück, essen nachher gemeinsam zu Mittag, es gibt gebratenes Huhn und Vanilleeis mit Obst. Dann stellen sich die beiden der Pressekonferenz im 1. Stock des Kanzleramtes. Es ist mucksmäuschenstill, bevor die beiden den Raum betreten. „Wie bei einer Messe“, witzelt einer der deutschen Fotografen. Er weiß nicht, wie viel Expertise Kurz in diesem Bereich hat. Die Pressekonferenz dauert 20 Minuten, man ist sich in vielem uneins, aber das stört keinen der beiden, so ein gebratenes Hendl kann Wunder wirken, es muss nicht immer eine Reblaus sein. Man habe über die bilateralen Beziehungen gesprochen, sagt Merkel, über Österreichs neue Regierung, Klimapolitik, EU-Budget, Migration, sogar den Verkehr am Brenner. Es gebe „Gemeinsamkeiten und Unterschiede." Mein Gott, so ist das halt.

Später, als man über die Seenotrettung im Mittelmeer redet, ist es Merkel fast peinlich, auf Unterschiede in den Ansichten hinzuweisen. „Wir setzen die Schwerpunkte anders, das muss man einfach so sagen“, lächelt sie und sieht Kurz an. Wieder dieser musternde Mamablick. Er steht jetzt zu ihr gedreht, hat die Hände gefaltet wie zum Gebet, es ist jetzt wirklich ein bisschen eine Messe, aber sie geht schnell vorbei. Merkel deutet mit dem Finger, die zwei stellen sich vor ein paar Fahnen. Knips, knips, fertig ist der Termin.

SOKO Donau

Abends erklärt Kurz dann im Hochhaus von Axel Springer („Bild“, „Welt“) bei einem Abendessen 30 hochkarätigen Gästen, wie das so ist, wenn man mit Grünen regiert. Mehrere CDU/CSU-Minister sind da, etwa Horst Seehofer, Peter Altmaier, Andreas Scheuer, CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak, sein SPD-Gegenüber Lars Klingbeil, die grüne EU-Abgeordnete Sarah Wiener, SPD-Staatssekretärin Sawsan Chebli, aber auch Borussia Dortmund-Geschäftsführer Hans-Joachim Watzke. Journalisten sind nicht zugelassen, außer natürlich sie gehören zum Springer-Verlag.

Was Kurz beim Abendessen über die Grünen ausplaudert, ist nicht bekannt. Was Merkel über sie denkt, dagegen schon. Kurz hatte etwas nassforsch, die Deutschen mögen das nur bei sich, nie bei anderen, darauf gewettet, dass die Grünen in der nächsten, deutschen Regierung vertreten sein würden. Die Kanzlerin wandte bei der Pressekonferenz ein, dass dazwischen noch die Kleinigkeit von Wahlen stünde, was Kurz freilich noch nie aufgehalten hat. Jedenfalls „da fließt noch ziemlich viel Wasser die Spree, oder die Havel, oder wen auch immer runter“, sagte Merkel.
„Donau,“ warf Kurz ein.
„Die Donau bei uns weniger, aber in Bayern ja, insofern können wir uns auch auf einen gemeinsamem Fluss einigen“.

Es war Wasser auf die Mühlen einer Inszenierung und wir können erleichtert aufatmen. Es ist wohl noch nicht ganz vorbei mit der politischen Show, in Deutschland wie in Österreich.

Haben Sie einen wunderbaren, uninszenierten Dienstag.

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