Jedem Anfang wohnt ein Zauberer inne

Heute wird die neue Regierung angelobt. Ein guter Zeitpunkt, selbst etwas Frisches zu wagen.

„Österreich ist ein wunderbares Land.“
Schön, oder?
Das berührt innerlich, fast so wie die Antrittsinterviews, die Sebastian Kurz allen deutschsprachigen Medien gewährte, "Bussi Bär" und "Land der Berge" ausgenommen, wenn ich das richtig beobachtet habe. Ich behaupte ja, der erste Satz ist der beste im gesamten Regierungsprogramm, eventuell hätte man es dabei bewenden lassen können. „Österreich ist ein wunderbares Land“, was soll da noch kommen? Da spürt man Rainhard Fendrich singen, hört Thomas Brezina lesen und sieht Hundertwasser malen, nirgendwo ist Österreich österreichischer. Langsam wird klar, warum zwei Monate lang am Regierungsprogramm gefeilt werden musste. Auch Kitsch braucht seine Zeit.

Dagegen klang der Eröffnungssatz von Werner Faymann und Josef Pröll wie der Muezzinruf von einem Lagerhausdach. „Die beiden Koalitionsparteien SPÖ und ÖVP wollen in der Bundesregierung und den beiden Klubs im Parlament zusammenarbeiten, um Österreich in den nächsten fünf Jahren weiter nach vorne zu bringen“, begann das Arbeitsprogramm 2008 und das legt nahe, dass die beiden Parteien einander von Anbeginn an in Abneigung zugeneigt waren. „Mit großem Respekt und tiefer Dankbarkeit haben wir den Auftrag der Wählerinnen und Wähler angenommen, eine neue Regierung für unser Land zu bilden“, malten Türkis und Blau 2017 literarisch eher in Odin Wiesinger. Nun eben „Österreich ist ein wunderbares Land." Wie kam`s? Ich habe da eine Vermutung, bestätigt ist das folgende natürlich nicht.

Wie alles begann

Nun, nachdem eine Abordnung aus Grünen und Türkisen im Oktober ein paar „Mensch ärgere dich nicht“-Abende lang sondiert hatte, trafen sich Kurz und Werner Kogler zum entscheidenden Vieraugengespräch.
„Und?“, fragte Kogler, „wos tamma jetzt?“
„Wir könnten ein Regierungsprogramm erarbeiten, in dem steht, dass wir die Grenzen schützen wollen“, antwortete Kurz.
„Und das Klima“, warf Kogler ein.
„Also das Klima und die Grenzen schützen, das ist schon einmal ein genialer Slogan. Ob wir den Reportern den reindrücken können?“
"Sicher! Wett´ ma? Um ein Stamperl Kernöl?“
"Du bist halt ein Überzeugungstäter“, lächelte Kurz.
"Ich will von den Besten lernen", erwiderte Kogler, krempelte die Hemdsärmel hoch, stand auf und hielt – auf und abgehend – eine einstündige, freie Rede, bei der Kurz hin und wieder einnickte.
„Machen wir es doch einfach so“, unterbrach ihn der neue, frühere Bald-Kanzler schließlich. „Ihr schreibt`s das Umweltkapitel, wir die Passagen über die Migration, den Rest googeln wir uns zusammen.“
Kogler nickte. „Was wir tun, ist Pionierarbeit“, sagte er, „aber wer schreibt uns die Einleitung?"
„Ich dachte schon, dass wir Arbeitsgruppen brauchen werden“, sagte Kurz nachdenklich.

Also beriefen Türkis und Grün Expertenteams ein, über 100 Leute, bildeten eine Steuerungsgruppe, Tag und Nacht wurde fortan beraten. Aber die Vorschläge aus den Arbeitsgruppen blieben wochenlang dürftig. Der erste Satz wollte einfach nicht und nicht gelingen.
„Österreich schaut aus wie ein Cornetto.“
„Wir Österreicher essen gerne Wiener Schnitzel.“
„In Österreich stehen viele Berge, außer dort wo Täler sind.“
„Österreich hat eine schöne Verfassung.“
„Österreich ist in einer ganz schönen Verfassung.“
„Österreich liegt nicht am Meer.“

Kurz und Kogler waren verzweifelt. Sie trafen sich jetzt immer öfter zum Vieraugengespräch und schütteten einander das Herz aus, soweit vorhanden. Man käme gut voran, beschieden beide den Journalisten beim Reingehen und beim Rausgehen, aber es gäbe noch viele Brocken, die aus dem Weg geräumt werden müssten. Und die Journalisten schrieben in die Zeitungen, ins Internet und sagten im Fernsehen und im Radio, dass die Koalitionsverhandler gut weiterkämen, aber dass es noch viele Brocken aus dem Weg zu räumen gäbe. Wochenlang. Über die Brocken wurde in den Zeitungen und Magazinen, im Fernsehen und auf Twitter, auf Facebook und im Radio diskutiert, ohne dass man genau wusste, wo diese Brocken herkamen, wo sie hinwollen und was man mit ihnen tun sollte. Niemand ahnte: Die Brocken waren die ersten Sätze im Regierungsprogramm.

Die Lösung

Es wurde Weihnachten, man kam immer noch gut voran, aber die Brocken waren weiter da. Eines Tages rund um den Heiligen Abend, als die Verhandler Pause machten, fuhr Gernot Blümel daheim im Wohnzimmer mit seinem Balanceboard auf und ab, gebeugt über einen Band Ovid, den er zu Weihnachten geschenkt bekommen hatte. Als er am Fernseher vorbeirollte und kurz aufblickte, sah er Harald Serafin, wie der in einem „Seitenblicke“-Interview sagte, 2019 sei „wunderbar“ gewesen. Aufgeregt rief er Kurz an.
„Ich hab´s“, rief er.
„Ich weiß, dass du was hast“, antwortete Kurz, der gerade daheim bei seiner Mama ein Wiener Schnitzel aß, „aber was jetzt speziell?“
„Solange Du glücklich bist, wirst du viele Freunde haben. Wenn die Zeiten bewölkt sind, wirst Du allein sein.“
„Spindelegger?“
„Nein, von Ovid.“
„?“
„Ein Philosoph.“
„Und was hilft uns der jetzt?“
„Der Tropfen höhlt den Stein. Ich weiß jetzt, wie unser Regierungsprogramm beginnen sollte.“
„Mit einem Satz von dem Ovid?“
„Nein, von Serafin.“
„Den kenn´ i.“
„Österreich ist ein wunderbares Land.“
Kurz legte die Gabel beiseite. „Sag´ das noch einmal!“
„Österreich ist ein wunderbares Land.“
„Genial. Du bist ein Genie Gernot. Du solltest in der neuen Regierung etwas mit Kultur machen.“
„Finanzminister?“
„Genau.“

Und so kam es, dass dieser wunderbare Satz das neue Regierungsprogramm eröffnete. Die Grünen hatten nichts dagegen, auch sie fänden Österreich toll, führte Kogler in einer knappen, zweistündigen Rede aus. Vielleicht könnte man das noch etwas näher erläutern. Also etwa Österreich sei „geprägt von Natur und Landschaft in Vielfalt und Schönheit. Getragen von einer innovativen Wirtschaft. Gelegen im Herzen Europas. Gerühmt für seine Kunst und Kultur. Und gebaut auf seiner demokratischen Kultur und dem Fleiß und Engagement seiner Bürgerinnen und Bürger.“ Kurz wischte sich gerührt eine Träne weg, vielleicht war ihm aber nur ein Härchen aus der wie üblich recht achtlos hingeworfenen Frisur ins Auge gekommen. „Genau“, sagte er, „es ist einfach das Beste aus beiden Welten.“

Danke für die Blumen

Und deshalb, aus einem ähnlichen, oder einem aus ganz einem anderen Grund, wird heute Vormittag die neue Regierung angelobt.

So ein Tag ist ein guter Zeitpunkt, um selbst auch etwas Neues zu wagen. Ab sofort gibt es jeden Tag (also von Montag bis Freitag) „Kopfnüsse“ zum Frühstück, ein paar Betrachtungen von mir über unser „wunderbares Land“, manchmal länger, zuweilen kürzer. Ich gebe zu, es ist ein Versuch, ich habe keine Ahnung, wohin er mich führt und wie lange ich es durchhalte. Vielleicht geht mir die Luft aus, eventuell interessiert niemanden, was ich hier schreibe. Ich fange einfach an. Wie Forrest Gump mit dem Laufen. Wenn Sie Lust haben, den kostenlosen Newsletter zu abonnieren, dann füllen Sie bitte das Formular am Ende der Seite aus.

Ach ja, eines bin ich Ihnen noch schuldig. Gestern rief Werner Kogler bei Sebastian Kurz an. „Wir haben einen schweren Fehler gemacht“, sagte er.
Kurz erschrak. „Haben wir irgendwelche Fluchtrouten offengelassen?“
„Nein“, antwortete Kogler, „wir haben vergessen, ins Regierungsprogramm ein Strähnchenverbot reinzuschreiben. Und jetzt schau Dir einmal den Dominic Thiem an.“
"Genau deshalb", warf Kurz ein, "wollte ich ja unbedingt die Sicherungshaft.“

Einen wunderbaren Tag Ihnen allen.

Fotos: Photonews/Georges Schneider, Helmut Graf, Sabine Hertel, Denise Auer, picturedesk, iStock

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